Wie mein Vater zur Waffen-SS kam

collo

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Das wird ein sehr langer Beitrag, und vermutlich teile ich ihn in mehrere Blöcke auf. Ich bitte Euch, meine Erzählung erst mal nicht durch eigene Beiträge oder Kommentare zu unterbrechen.

Es ist auch eine sehr persönliche Geschichte. Deshalb fällt es mir auch nicht leicht, sie hier auszubreiten. Ich werde, sofern es um meine Familie geht, die Geschichte generalisieren und anonymisieren.

Ich hab auch gezögert, dass in diesen Thread einzustellen, denn eigentlich ist es eine, meine Familiengeschichte, und die Zeitspanne geht knapp über 100 Jahre von 1912 bis 2011.

Ich kann auch nur das wiedergeben, was mein Vater, meine Mutter, Kameraden/Vorgesetzte wiedergegeben haben bzw. was ich selbst über Bücher etc. erfahren habe.

Letzte Vorbemerkung, ich leugne keine Kriegsverbrechen und stelle nicht in Abrede, dass die Waffen-SS eine verbrecherische Organisation war, wie in den Nürnberger Prozessen festgestellt wurde. Der ganze Krieg war verbrecherisch.

Mein Vater, seine Einheit und Division waren, soweit bekannt, aber an keinem Kriegsverbrechen beteiligt.

Soweit also die Vorrede.
 
Vorgeschichte

Mein Grossvater stammte aus einer Stadt im damals russischen Teil Polens. Kalisch/Kalisz genauer gesagt, an der damaligen Grenze zum Deutschen Reich. In Kalisch lebten überwiegend Polen, es gab eine größere jüdische Minderheit und eine kleinere deutsche.

Er war einer von 10 Geschwistern, zwei seiner Brüder gingen vor dem Ersten Weltkrieg nach England, einer nach Frankreich und mein Opa 1912 nach Berlin, mit knapp über 20 Jahren. Als Arbeitsemigrant, wie man heute sagen würde.

In Berlin war er Hilfsarbeiter beim Bau der U-Bahn. Er war wohl recht geschickt, und da er von zuhause aus deutsch verstand, wurde er sozusagen als Übersetzer eingesetzt.

Als der Krieg ausbrach galt er als russischer=feindlicher Ausländer und wurde zunächst interniert. Nach einigen Wochen wurde er dann in die Altmark verbracht, wo er, immer noch als Kriegsinternierter, auf einem Gutshof als Landarbeiter arbeiten musste.

Das war für ihn etwas Neues, er kam aus der (Klein-)Stadt, seine Eltern hatten gerade mal einen Garten. Er war als Lsndarbeiter kein großes Talent, aber eben als Übersetzer zu gebrauchen.

Auf dem Gutshof gab es eine Magd, junge, ledige Mutter, der Vater/Verlobte, war im Krieg gefallen. Diese Magd stammte aus Oberschlesien, der polnischen Minderheit. Ihr Großvater war allerdings aus Lothringen (kam wohl als Bergarbeiter), deshalb trug sie einen französischen Nachnamen.

Die beiden verliebten sich und als der Krieg vorbei war, durften sie auch heiraten. 1920, 22, 25 (mein Vater) und 28 bekamen sie 3 Söhne und eine Tochter, der "mitgebrachte" Sohn war Jahrgang 17.

Meine Großmutter war, als Oberschlesierin, preussische Staatsangehörige (eine einheitliche deutsche gab es noch nicht!), mein Großvater war staatenlos, da er sich nie um eine polnische Staatsbürgerschaft bemüht hatte. Aufgrund dessen, dass die Väter ihre Staatsangehörigkeit an die Kinder weitergaben, waren auch die 4 Geschwister, darunter mein Vater, staatenlos.

Zuhause wurde deutsch gesprochen. Wollten die Eltern etwas unter sich besprechen, wechselten sie ins polnische. Mein Vater verstand wohl nur Bruchstücke und Schimpfwörter auf polnisch.

Die Familie zog häufig um, länger als 2-3 Jahre blieb sie auf keinem Gutshof in der Altmark. Zuletzt blieb sie in einem winzigen Kaff hängen, auf dem Gut der Grafen von B., dass war allerdings schon 1943.

Die Familie hatte einen Außenseiterstatus, polnisch, katholisch. Mein Vater redete nie darüber, aber ich gehe davon aus, dass er als "Polacke" gehänselt wurde.

1931 kam er in die Schule. Das zweite, wichtige Ereignis, an das sich mein Vater erinnerte, war die Einbürgerung 1932. Polnischstämmige wurden schon vor der Machtergreifung sehr selten naturalisiert. Leider ist es mir bislang nicht gelungen, an die Akten zu gelangen.

Mit 10 Jahren, 1935, wurde mein Vater, blond, blauäugig, Pimpf im Jungvolk und erlebte wohl erstmals so etwas wie Anerkennung als Gleichwertiger. Zumindest schwärmte er von dieser Zeit.

Kurz vor Kriegsausbruch 1939, begann er eine Lehre als Hufschmied. Pferde würden ja immer gebraucht werden. Vom Krieg bekam er wenig mit, sein älterer Bruder, war aber schon Soldat bei der Wehrmacht (der noch ältere Halbbruder war durch eine Fußbehinderung a la Goebbels untauglich).

Wo dieser Bruder seinen Dienst tat, ist mir nicht bekannt, nur, dass er in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet und dort 1946 verstarb.
 
Oktober 1941 bewirbt sich mein Vater als Freiwilliger zur Waffen-SS. Mit 16 Jahren und 6 Monaten. Deutschland war bis dahin anvalken Fronten siegreich (von der Luftschlacht um England mal abgesehen, aber im Bewusstsein derMenschen damals zählte das nicht als Niederlage).

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Das ist die erste Seite seines Lebenslaufes, die zweite ist nur angefangen.

Warum wollte er ausgerechnet zur Waffen-SS? Es gab wohl zwei Gründe.

Erstens, Hufschmied war nicht der Traumberuf meines Vaters. Er wollte zur Schutzpolizei, genauer gesagt zur Motorradstaffel in Berlin, die "Weißen Mäuse", die vor den Staatskarossen fuhren. Die Polizei unterstand Himmler. Aufnahmebedingung für die Polizei war die freuwillige Meldung zur Waffen-SS. Nach dem Endsieg durfte man dann zur Schupo.

Der zweite, unterschwellige Grund war, meine Vermutung, zu beweisen, dass man ein echter Deutscher war und eben kein minderwertiger "Polacke".

1941 wurde noch nicht jeder, der nicht bei 3 auf den Bäumen war, bei der Waffen-SS angenommen. Den obligatirischen Ariernachweis für eine Familie zu erbringen, die aus Kongresspolen stammte... Kalisch war damals dem Warthelandgau zugeordnet, also vom Reich annektiert.

Mit einigem Stolz erzählte uns unser Vater später, dass er sogar den "großen Ariernachweis" bis 1800 erbracht hatte.

Seinen Lebenslauf habe ich von der Deutschen Dienststelle (WASt) erhalten, als ich 1994 anlässlich des bevorstehenden 70. Geburtstages meines Vaters nach dem Ariernachweis gefragt hatte. Leider liegt dieser nicht mehr vor.

Trotz seiner nicht sehr arischen Vorfahren wurde mein Vater angenommen. 184 groß, blond, blauäugig sah er einfach arisch genug aus.

Ich finde es immer noch ungewöhnlich, dass auf drm Höhepunkt der Macht der Nazis ein eigentlich polnischer Junge in die Waffen-SS aufgenommen wurde.
 
Am 30.05.1942 trat mein Vater seinen Dienst an, wenige Wochen nach seinem 17. Geburtstag.
Hier sein Werdegang laut Akten bei der WASt:

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Die Ausbildungseinheit in Prag gehörte zur berühmt-berüchtigten Totenkopf-Division, die sich zum Teil aus den Wachmannschaften der KZ rekrutierte.

In Prag wurde mein Vater zum Funker ausgebildet, nach der infanteristischen Grundausbildung. Noch nahm man sich dafür 6 Monate Zeit.

Neben seiner Erkrankung an Diphterie war ein anderes Ereignis "Höhepunkt" seiner noch sehr kurzen soldatischen Karriere.

Am 4.6.42 erlag Reinhard Heydrich seinen Verletzungen. Nachdem er im Hradschin aufgebahrt lag, wurde der Leichnam am 7.6. mit großem militärischen Geleit zum Flughafen überführt. Dem Leichenwagen folgte ein ganzer Konvoi mit Hitler an der Spitze.

Am Straßenrand standen Ehrenposten Spalier. Auch mein Vater, grade eine Woche Soldat. Die schwarze SS-Paradeuniform bekam er am Vortag ausgehändigt, den Präsentiergriff mussten er und die anderen Rekruten in 2 Tagen erlernen.

Näher ist mein Vater Hitler und anderen NS-Größen nie gekommen.
 
Nach Prag und vor Nürnberg bekam mein Vater Heimaturlaub. Beim Besuch seiner Eltern traf er auf einen äkteren französischen Kriegsgefangenen. Sein Onkel, der seinen äkteren Bruder auf Ehrenwort besuchen durfte.

Nürnberg war nur eine kurze Zwischenstation, bis der Transport zur neuen Stammeinheit erfolgen sollte.

Mein Vater hatte das Glück, zur neu aufgestellten 10. SS-Panzerdivision "Frundsberg" zu kommen (Anfang 43 noch keine Panzerdivision, den Namen Frundsberg sollte sie auch erst später bekommen).

Als Funker kam er in die Nachrichtenabteilung, zum erweiterten Divisionsstab gehörend. Dieser war in Angoulême stationiert, in der Nähe von Bordeaux.

Außer dem Stab war von der Division kaum etwas vorhanden, schon gar keine Ausstattung. Ich habe vor einigen Jahren mal die von den Amerikanern erbeuteten Divisionsakten durchgeflöht (leider finde ich die nicht mehr im Internet), nach meinem Vater gesucht.

Die Berichte, die zu Anfang verfasst wurden, sprechen Bände. Selbst die Ausstattung der Feldküchen musste in Frankreich "gekauft" werden (Anführungszeichen, weil ich nicht einschätzen konnte, wie realistisch die gezahlten Preise waren).

Mein Vater war damit beschäftigt, autofahren zu lernen. Einen kleinen LKW. Und das Leben in Frankreich zu genießen. Als Funker war er wohl seltenst in irgendwelchen Übungen.

Angoulême war die erste Station, danach kam St. Jean-de-Luz bei Biarritz, im Juli/August 1943 nicht der schlechteste Ort im Krieg. Inklusive Ausflüge nach Spanien(!), was ihm gar nicht gefiel.

Danach kam die Ecke um Marseille, dort erfolgte, laut Wiki die Vollausstattung mit italienischen "Beutewaffen", und im Herbst wurde die Division nach Nordfrankreich verlegt, dem vermuteten Einsatzgebiet. Genauer Lisieux in der Normandie.

Die 9. und 10. SS-Panzerdivision sollten nämlich die erwartete Invasion abwehren.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Zum ersten Kampfeinsatz kamen beide Divisionen, dann aber doch an der Ostfront bei Tarnopol.

Mein Vater war inzwischen von der 10. Nachrichten-Abteilung, einer Divisionstruppe, zum 21. Panzergrenadierregiment versetzt worden, in die dortige Nachrichtenkompanie.

Das hab ich in den NARA-Rollen (meine o.a. Internetquelle, NARA Files T0354 Rolls 150-153, einen direkten Link zu den National archives zu erstellen, war mir nicht möglich) herausgefunden. Die einzige namentliche Erwähnung meines Vaters, die ich unter mehreren tausend Seiten finden konnte.

Er hatte wieder Glück, zwar war das Regiment kämpfende Truppe, der Regimentsstab aber doch weit genug weg vom Schuss. Nach den Erzählungen meines Vaters hat er selbst auch nie auf andere geschossen.

Erwähnenswert fand mein Vater die tagelangen Bahntransporte, den gut organisierten Ende März nach Osten und den hastigen im Juni 44 zurück nach Frankreich.

An den Gefechten war mein Vater wieder nicht beteiligt. Er war wohl wieder dem Divisionsstab zugeordnet und diente im Begleitkommando des Divisionskommandeurs Harmel. Sein vorgesetzter Unteroffizier war Eddie Zalewski, der, als die Sache mit Grass herauskam, die lockere Frundsbergkameradschaft leitete, dazu später mehr.

Beide, Harmel und Zalewski habe ich später persönlich kennengelernt, auch das noch später.

Schon aus Tarnopol kam nur ein Teil zurück. Ersatz wurde quasi auf dem Marsch an die Invasionsfront mitgenommen. Keiner von denen hatte mehr eine 6-monatige Ausbildung. Mein Vater war mit 19 Jahren ein erfahrener Soldat.

Nachdem den Alliierten der Durchbruch gelungen war, wurde die Division und mit ihm mein Vater bei Falaise eingekesselt. Auch davon berichtete mein Vater kaum, dafür später Eddi Zalewski.

Ihm zufolge war es eine chaotische Flucht und nur mit viel Glück entkamen sie mit einem der wenigen Fahrzeuge (und der Funkausrüstung) der Gefangennahme. Dafür wurde er (mein Vater als einfacher Sturmmann nicht) ausgezeichnet (mit welchem Orden weiß ich nicht mehr, das Gespräch fand irgendwann Anfang der 90er statt).

Die Reste der Division, knapp über 3000 Mann, sammelte sich Mitte September im Raum Arnheim und sollte von dort Richtung Siegen zur Wiederherstellung abmarschieren.
 
Was dann in und um Arnheim passiert ist, dürfte hier bekannt sein.

Interessant ist, wie sich die Erinnerung meines Vaters dazu verschoben haben. In den 70ern liefen samstags auf dem 3. Programm die deutschen Wochenschauen. Die zur Operation Market Garden war eine, die mein Vater mit uns ansah. Ich war 10 Jahre alt und fasziniert vom deutschen Sieg. Und stolz, dass mein Vater da dabei war.

Seine Erzählung rund um diese Wochenschau kreisten um englische Zigaretten und Schokolade, die von den Flugzeugen abgeworfen wurden und den Deutschen in die Hände fielen.

Nachdem ich ein paar Jahre später mit ihm "A Bridge Too Far" im Kino angesehen hatte, wurden die englischen Barette mit in seine Erzählung aufgenommen, die vorher nie erwähnt wurden.

Wie gesagt, ich bin als Jugendlicher auch Heinz Harmel begegnet, der im Film von Hardy Krüger dargestellt wurde. Zum ersten Mal 1979, zwei Jahre nach dem der Film im Kino lief.

Ich fragte ihn, warum alle außer ihm mit richtigen Namen im Film auftraten. Er hätte das nicht gewollt, sagte er, er habe mit dem Krieg abgeschlossen und wolle keine Publicity (sinn-, nicht wortgemäß).

Trotzdem gab er mir seine "Autogrammkarte" mit persönlicher Widmung, sowas wie "Für Claus, dem Sohn meines treuen Kameraden ...". Leider ist dieses Autogramm verschütt gegangen, sonst hätte ich es euch noch gezeigt.

Nach Arnheim gings dann schon ins Reich, genauer gesagt nach Linnich in der Nähe von Aachen. Keine 50km von dem Ort, in dem ich heute lebe.

Mein Vater hatte wohl seine Klappe nicht halten können und gesagt, was die meisten nur gedacht haben. Wenn ich das richtig zusammenreime, hat er wohl einem Oberscharführer gesagt, was soll der Scheiß noch, hat doch eh keinen Sinn mehr.

Was eigentlich Kriegsgericht und eventuell die Todesstrafe hätte bedeuten können. So aber, abgekämpft und dezimiert wie die Truppe war, blieb es bei der "Bewährung in der Truppe", Versetzung zu einer Panzergrenadierkompanie.

Die konnten einen Stabsheini gar nicht so gebrauchen, aber einen, der Auto fahren kann. Mein Vater wurde also dem Spieß zugeteilt und fuhr die Verpflegung an die Front.

Gegen Ende November gab es einen der vielen Artillerieangriffe auf Linnich. Mein Vater brachte sich in einem Hauseingang in Sicherheit. Sein Auto wurde getroffen, auch das Haus. Er wurde teilweise verschüttet, beide Beine zertrümmert.

1979 besuchte er mit meiner Mutter und mir erstmals Linnich und zeigte uns das Haus, von dem er vermutete, dass es da passiert war. Da von Linnich nicht mehr viel stand nach der Schlacht, war er sich aber nicht sicher, ob es die richtige Stelle war.

Nach der feldmäßigen Erstversorgung, Abbinden der Beine, gings ins Lazarett nach Mönchengladbach, was nicht das nächstgelegene war, aber dafür "ruhiger" und deshalb mit höherer Überlebensrate.

Dort wurdem meinem Vater beide Beine amputiert. Links am Oberschenkel, rechts am Unterschenkel. Mein Vater kannte noch den Namen des Stabsarztes und versuchte ihn zu finden, um ihm zu danken.

Von Mönchengladbach nach Düsseldorf, von dort mit einem Lazarettzug irgendwo in Bayern (ich habs vergessen. Ende April kamen die Amerikaner und mein Vater ging in Kriegsgefangenschaft.
 
Es gab Fälle von Gefangenenerschießungen von Waffen-SS-Angehörigen durch US-Truppen, Fälle von Misshandlungen auch, zumeist im "Eifer des Gefechts". Zumindest ging die Angst um bei den Waffen-SS-Soldaten, was ich später von anderen ehemaligen Soldaten gehört habe. Die SS-Soldaten waren ja durch die am Oberarm eintätowierte Blutgruppe leicht zu identifizieren.

Mein Vater war nicht tätowiert, er hat sich einfach davor gedrückt. Die reihenmäßige Tätowierung als Rekrut hatte er durch seinen Lazarettaufenthalt verpasst.

Trotzdem wurde er von den Amerikanern durch Soldbuch und/oder Erkennungsmarke als SS-Mann identifiziert. Ansonsten hätte es bei der WASt-Auskunft eine Lücke gegeben. Eine besondere, schlechtere Behandlung erfuhr mein Vater dadurch nicht.

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Die Beinamputierten Kriegsgefangenen in Bayern wurden in Herrsching am Ammersee gefangengehalten, in einer der Reichsfinanzschulen, die im Krieg als Lazarett gedient hatte.

Aus der medizinischen und orthopädischen Betreuung hielten sich die "Amis" zurück. Erst hier erhielt mein Vater seine erste Prothese und lernte damit zu laufen.

Für ihn und seine verwundeten Kameraden war es weniger Gefangenschaft als Rehabilitationsaufenthalt. Halt bloß unter Bewachung. Aber selbst da waren die Amerikaner wohl großzügiger.

Mit seinen drei Stubenkameraden hielt mein Vater bis zuletzt Kontakt. Einer wurde Bürgermeister in Schleswig-Holstein, einer übernahm das elterliche Hotel in Hessen, der dritte wurde Postbeamter am Schalter. Nur einer von den dreien war ebenfalls bei der Waffen-SS gewesen.

Als Kind fand ich ihre Geschichten spannend, wie sie sich am Boden mit ihren Armen zu einer bestimmten Stelle am Zaun bewegten, um dort ihre US-Rationen, v.a. Zigaretten, gegen Alkohol eintauschten. Mönche vom nahegelegenn Andechs waren auch sehr "hilfsbereit". Und die Wachleute schauten in der Regel weg.

Hier noch zwei Bilder aus Hersching

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Nach 16 Monaten in Gefangenschaft wurde mein Vater in die Heimat/Altmark/SBZ entlassen. Der Empfang zuhause war kühl, um es vorsichtig zu beschreiben. Meine Großeltern hatten kurz zuvor erfahren, dass der ältere Bruder in sowjetischer Gefangenschaft gedtorben war. Und jetzt kehrte ein Krüppel/zusätzlicher Esser zurück, der in der Landwirtschaft nicht zu gebrauchen war.

Da mein Vater es deshalb bei seinen Eltern nicht aushielt, zog er bei seiner Schwester und seinem Schwager ein. In der Wohnung dtüber lebte eine junge Frau, ebenfalls bei ihrer Schwester, Kriegswitwe mit 5-jährigem Sohn.

Die beiden Schwestern taten sich zusammen und "arrangierten" ein paar "rein zufällige" Begegnungen... so lernten sich meine Eltern kennen und lieben.

Anfang 1947 schulte mein Vater dann in Heiligendamm auf Uhrmacher um. Schmied war ja nicht mehr möglich. Nach einem Jahr war er damit durch und nahm seine erste Stelle bei einem aus Königsberg vertriebenen Uhrmachermeister an (dieser blieb in der Altmaek hängen, weil seine Frau in den letzten Kriegstagen dort ihren Sohn zur Welt brachte).

1948 wurde sich verlobt, trotz heftigster Gegenwehr der beiden Elternpaare. Die einen wollten keinen Kriegsversehrten zum Schwiegersohn, die anderen keine Evangelische.

Trotzdem wurde 1949 geheiratet und in die eigene Wohnung eingezogen. 1950, 11 Monate nach der Hochzeit, dass war für meine Mutter wichtig (ihre Schwestern hatten immer heiraten "müssen") kam mein Bruder zur Welt.

Kurze Zeit später wurde mein Vater verhaftet. Wieder hatte er seine Klappe nicht halten können und das neue und alte Regime miteinander verglichen. Kam nicht gut an, verpfiffen hat ihn ein anderer Geselle im Betrieb.

Als ehemaliger Waffen-SSler stand er sowieso unter Generalverdacht und die nächsten 9 Monate verbrachte er im Knast in Magdeburg

Als in den 70ern Kempowskis Familienchronik "Ein Kapitel für sich" im ZDF lief, erkannte mein Vater seine Situation wieder. Auch da gab es die Figur des schwerbeschädigten SS-Mannes.

Ende 51 wurde er entlassen, mit der dringenden Warnung, sich unterzuordnen. Mein Bruder hatte zwischenzeitlich eine Hirnhautntzündung erlitten, die bleibende Schädenn hinterlassen hatte.

Der ostpreußische Uhrmacher hatte sich, mitsamt des wertvollsten Schmucks, einigem Gold und seiner Familie in den Westen abgesetzt. Der Denunziant hatte den Laden übernehmen dürfen. Ich kann mir vorstellen, wie das Arbeitsklima war.

Sein alter Arbeitgeber hatte sich mithilfe der Wertsachen in Baden-Baden eine neue Existenz aufgebaut und drängte meinen Vater nachzukommen. Nur meine Mutter zögerte, ihre Eltern im Stich zu lassen.

Ende 55 erhielten meine Eltern dann Tipps, dass eine erneute Verhaftung wohl ansteht. Die nächsten Wochen wurden genutzt, um bei Verwandten Fotos und die wenigen "guten Sachen" zu deponieren, damit sie nachgeschickt werden können.

Kurz vor Ostern reisten meine Eltern mit meinem Bruder nach Ostberlin, unter dem Vorwand einer Behandlung in der Charité. Reichsbahner halfen meinem Vater im sog. Selbstfahrer über die Schienen.
 
Nachdem meine Eltern ein paar Tage im Notauffnahmelager in Berlin-Maruenfelde verbracht hatten, wurden sie nach Stuttgart ausgeflogen, der einizige Flug meines Vaters.

In Stuttgart holte sie der alte Arbeitgeber meines Vaters ab, nach Baden-Baden. Die ersten paar Monate noch im Barackenlager, dann eine 3-Zimmerwohnung etwas außerhalb.

Obwohl mein Vater seine Verhaftung Anfang der 50er nachweisen konnte und Zeugen bestätigten, dass mit einer weiteren Verhaftung zu rechnen war, wurde er nicht als politisch verfolgt eingestuft und erhielt auch keine Haftentschädigung, was meinen Vater schwer enttäuschte.

Zur Arbeit fuhr mein Vater mit dem Bus oder seinem Selbstfahrer. Als Uhrmacher war er wohl recht gut, er machte zwar nie den Meister, aber die Lehrlinge unterwies er.

Eines Tages holte er sich in einem Tabakladen neue Zigaretten (Peter Stuyvesant). Der Inhaber war kein anderer als sein Regimentskommandeur. Im Krieg war das kein enges Verhältnis, aber man kannte und erkannte sich.

Gebürtiger Steirer ist er in Baden-Baden nach dem Krieg hängengeblieben (für eine Aktion im nahegelegenen Elsass hatte man ihm im Januar 1945 das Ritterkreuz verliehen, dass hab ich aber erst sehr viel später erfahren).

Dieser Mann war Vorsitzender der Kreisgruppe der HIAG, Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit, der Organisation der ehemaligen Waffen-SS-Angehörigen. "Natürlich" konnte mein Vater die Einladung zur Mitgliedschaft nicht ausschlagen.
 
Jetzt komme ich so langsam ins Spiel, denn als Kind und Jugendlicher war ich bei einigen Treffen der HIAG Kreisgruppe mit dabei. Daher kannte ich die meisten Mitglieder auch persönlich und maße mir ein gewisses Urteilsvermögen an.

An der Spitze stand, wie erwähnt, der Regimentskommandeur und ehemals höchste Offizier (Sturmbannführer=Major unter den Mitgliedern, sein Stellvertreter war früher Hauptsrurmführer=Hauptmann.

Überhaupt waren ehemalige Offiziere und Unteroffiziere überrepräsentiert, vermutlich, weil sie nach dem Krieg mehr "zu leiden" hatten in dem Sinne, als ihnen eine Karriere im öffentlichen Dienst und später der Bundeswehr verwehrt blieb und sie eben als Tabaksladenbesitzer ihr Geld verdienen mussten.

Aber nicht alle hatten es so "hart" getroffen. Viele waren selbständige Handwerker oder Geschäftsleute, der Tabaksladen lag nur einen Steinwurf von der Spielbank entfernt in bester Lage.

Einfache Soldaten wie mein Vater waren die wenigsten. Mein Vater war meiner Kenntnis nach der zweitjüngste, das jüngste Mitglied war mit 16 noch dazugekommen.

Die meisten Mitglieder waren alteingesessene Badener, viele "Volksdeutsche" aus Jugoslawien und Siebenbürgen, es gab sogar einen schweizer Kameraden.

Es gab jeden(?) Monat ein offizielles Vereinstreffen. Fest im Jahreskalender für die Ehepartner und Familien waren der Neujahrsball der Kreisgruppe Karlsruhe, gern mit "Prominenz" wie Rudel. An Christi Himmelfahrt dann der Vatertagsausflug mit Familie (ein Höhepunkt des Jahres für mich, mein Vater konnte mit uns ja nicht durch den Schwarzwald streifen.

Einmal im Jahr ging es in ein Schützenhaus
Im Herbst ein Busausflug (ja, die Busse gehörtem auch einem Mitglied), z.B ins Elsass auf den Spuren von Graf Zeppelin 1870 und den Hartmannsweilerkopf, Kaiserstuhl mit Weinprobe, Pfälzer Wald mit Burg Trifels.

Am Volkstrauertag dann auf den kleinen Soldatenfriedhof bei Sinzheim. Ein Pflichttermin meines Vaters, hier lagen Frundsberger, die im gegenüberliegenden Elsass gefallen waren. Einen davon kannte mein Vater.

Im Dezember dann die Weihnachtsfeier.

Es gab nur ein paar andere Kinder, die dabei waren, die meisten Mutglieder waren 10, 20 sogar 30 Jahre älter und hatten bereits erwachsene Kinder. Hier traf ich dann auch auf einen Teilnehmer des ersten Weltkriegs (was ich auch erst später erfuhr).

Für meine Eltern, die als Flüchtlinge ja erstmal keine Freunde und Bekannten hatten war die HIAG (und der VdK) ein erstes "Netzwerk". Unser Zahnarzt war Mitglied, der Architekt unseres Hauses und der Dachdecker (unser Bäcker war zwar auch Mitglied, aber halt auch der nächstgelegene).

Mit einigen entwickelten echte und enge Familienfreundschaften, die auch über den Tod des jeweiligen Mitglieds hinaus anhielten.

Als Kind habe ich die politische Ausrichtung der HIAG nicht hinterfragt. Unter den Mitgliedern gabs SPD-Mitglieder und Stadträte von CDU und Freien Wählern. Aber auch welche, die für die NPD kandidierten.

Als Kind saugte ich die "geschönten" Berichte auf, wer hätte sich schon mit Kriegsverbrechen gebrüstet. Und im "Freiwilligen", dem HIAG-Magazin oder den Büchern vom Munin-Verlag fand man höchstens eine Verharmlosung und Rechtfertigung.

Vielleicht ist es mir als Kind nur nicht aufgefallen, aber so gegen Ende der 70er, Anfang 80er traten "neue" Mitglieder hervor, die ganz offen alte Nazis waren. Bei der Weihnachtsfeier wurde dann "Hohe Nacht der klaren Sterne" und das Geläut der Marienkirche zu Danzig abgespielt und bei anderer Gelegenheit die Apartheid in Südafrika mittels rassistischen Argumenten gelobt.

Und der Däne, der auch recht neu war, versuchte Hakenkreuzfahnen an den Mann zu bringen. Was, sofern ich das beobachten konnte, zumindest bei den Treffen nicht gelang.

Das war auch ungefähr der Zeitpunkt an dem mein Vater, auf sanften Druck meiner Mutter austrat. Er war nicht der erste und nicht der letzte, der die HIAG verließ.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mein Vater pflegte noch jahrelang Kontakte mit seinem engsten Freund von damals, ein gleichalter "Kollege", gleicher Rang, gleiche Aufgaben. Dieser kam vom Hochrhein.

Nach seiner Verwundung hatte er keinen Kontakt mehr zu seiner Einheit, es war also nicht klar, ob der andere überlebt hatte oder noch in seiner Heimat lebte. In den 50er/60ern hatten auch noch nicht alle ein Telefon. Also fragte mein Vater, ob die HIAG helfen konnte. Konnte sie, solche Fälle waren Alltag für die.

Von diesem besten Kumpel erfuhr ich dann bei Besuchen von den "lustigen Seiten" als junger Soldat. Wie die beiden richtig alten Wein und Cognac "organisiert" hatten. Von Schwärmereien für junge Französsinen oder wie der Zapfenstreich umgangen wurde. Aber das waren nur Randthemen, wenn man sich traf, vieles drehte sich um den aktuellen Alltag.

Seine alten "Wirkungsstätten" besuchten wir nur zweimal, obwohl der Südwesten Frankreichs auch in meiner Kindheit eine Reise wert gewesen wäre. Wir verbrachten unseren Urlaub fast immer in Bayern. Und einmal fuhren wir da nach Hersching. Das Gelände betreten konnten wir nicht.

1979 las mein Vater dann von einem Veteranentreffen anlässlich des 35. Jahrestages der Schlacht um Linnich im "Freiwilligen". Organisiert von einem örtlichen Geschichtslehrer. Da wollte ich unbedingt mit dabei sein.

Im Hotel angekommen begrüßte uns ein älterer Herr mit "Bist Du das?", und fiel meinem Vater um den Hals. Mein Vater hatte ihn auch erkannt, niemand anderes als Heinz Harmel, der damalige Divisionskommandeur.

Bei einem ersten Bierchen musste mein Vater seine Lebensgeschichte nach Linnich erzählen. Und Harmel klärte uns auf, dass mein Vater ein paar Monate zum "Begleitkommando" Harmels gehört hatte.

Er erzählte uns auch, dass er die damalige "Affäre" zwischen dem Oberscharführer, wohl einem 200% und meinem Vater ohne Kriegsgerichtsverfahren beigelegt habe. Von der Verwundung hatte er wohl noch erfahren, dann aber nichts mehr.

Zum Abend nahm er uns, uneingeladen, einfach mit zum Organisator der Veranstaltung, nach dem Motto, heute fahr ich Dich. Das Du zwischen den beiden galt natürlich erst hier.

Beim Organisator trafen wir dann auf einen ehemaligen Captain der US-Army, Emigrant aus Königsberg, der noch sehr gut deutsch sprach. Als mein Vater erzählte, dass er hier in Linnich seine Beine verloren hatte, entschuldigte sich der Captain bei ihm. Er sei damals Chef einer Artillerie-Batterie gewesen...

Ob genau diese für die Verwundung meines Vaters verantwortlich war, konnte natürlich nicht geklärt werden, aber die Wahrscheinlichkeit war hoch.

Meine Mutter fragte später meinen Vater, warum er so ruhig geblieben sei und er antwortete sinngemäß, der Captain habe doch nur seinen Job erledigt. Noch jahrelang gingen Weihnachtsgrüße hin und her.

Eine andere Begegnung war die mit Eddi Zalewski, seinem vorgesetztem Unteroffizier. Da er im benachbarten Düren lebte, kam er erst zur offiziellen Veranstaltung. Auch mit ihm lag sich mein Vater in den Armen.

Der Kontakt riss danach auch nicht mehr ab, man besuchte sich und selbst nach dem Tod meines Vaters bekam meine Mutter zum Geburtstag immer eine Kleinigkeit.

Der von Zalewski geleiteten Frundsberg-Kameradschaft gehörte mein Vater dann nicht mehr an. Das einzige Treffen, an dem er teilnahm, verließ er vorzeitig. Zu viele alte Nazis, selbst für seinen Geschmack.
 
Letztes Kapitel, wie bin ich damit umgegangen.

Waren die HIAG-Ausflüge als Kind noch ein Höhepunkt des Jahres, fielen mir als Jugendlicher immer mehr unbelehrbare Nazis auf. Ich hab das oben ja schon erwähnt.

Ich konnte als Pubertier auch nicht begreifen, wie man sich, quasi im selben Alter wie ich damals freiwillig und dann noch zur SS melden konnte. Für mich war mein Vater auch ein Nazi. Das war einer der Gründe, warum mein Verhältnis zu ihm lange Zeit schwierig blieb (es gab noch schwerwiegendere, die indirekt mit dem Krieg zusammenhingen)

War mein Vater tatsächlich ein Nazi? Teils-teils und 1941/42 ganz bestimmt.

Den Krieg hatte er, nach seinen Angaben, schon während eines Heimaturlaubs 1943 verloren gegeben, als er die Bomberströme nach Berlin sah. Bei der Truppe ist er geblieben, wohin hätte er gehen sollen, desertieren, überlaufen, viel zu viel Angst. Außerdem war er doch vereidigt...

Nach dem Krieg dann die Verhaftung in der DDR, weil er die offensichtlichen Parallelen angesprochen hatte. Für den Sozialismus war er damit verloren.

Ich würde meinen Vater der Fraktion "es war nicht alles schlecht, damals" zuordnen. Sein Schock, als er zum ersten Mal von der Euthanasie erfuhr, war echt, ich hab hier darüber berichtet.

Politisch stand er wohl eher bei der CDU, Strauß war aber der einzige Politiker, der ihm da imponierte. Manche Einstellungen, z.B. gegen Ausländer, waren eindeutig rassistisch (als ich ihn bei einer Gelegenheit gefragt habe, wie er mit seinem polnischen Namen früher behandelt wurde, verstummte er, für den Moment).

Was er nie verstanden hat, war die, in seinen Augen ungerechte Behandlung der Waffen-SS. Er hatte buchstäblich seine Knochen hingegeben und das sollte anders bewertet werden als bei Wehrmachtssoldaten. Als in der Reemtsma-Ausstellung die Verbrechen der Wehrmacht thematisiert wurden, sagte er, wo ist jetzt der Unterschied?

Ich habe viel nachgelesen, ob ich irgendeinen dunklen Fleck finde in der Geschichte der "Frundsberg". Ist mir, Gott sei Dank, nicht gelungen. Ich weiß aber, dass das eine Ausnahme war (bis eventuell doch noch das Gegenteil bewiesen wird).



Puh, viel länger und ausführlicher als ich gedacht habe, es musste wohl mal raus. Und Überschrift und Thread passen jetzt auch nicht so richtig.
 
Warum sollte man auch nicht darüber berichten können, war halt so und gehört (leider) zu unserer Geschichte.
Ich finde das gut, wenn man auch über diese Dinge erzählt.
Ich habe mal einen alten Herren kennengelernt, der hatte damals nur die Wahl SS oder Fallschirmjäger.
Er hat letzteres gewählt und war bei Monte Casino mittendrin, davon wollte er nichts mehr erzählen.
Ein Bekannter meines Vaters mußte 44 zur SS. Da konnte man sich kaum noch wehren?

PS:
Ein Großonkel war Ortsbauernführer und mein einer Opa sehr aktiv in der örtlichen SA.
Meine beiden Großväter sind gefallen/vermißt.
Von einem weiß man, am letzten Tag des Kessels von Breslau auf einem Friedhof, russischer Scharfschütze, der war seit 39 dabei, allerdings als Eisenbahner.
 
Zuletzt bearbeitet:
Letztes Kapitel, wie bin ich damit umgegangen.

Waren die HIAG-Ausflüge als Kind noch ein Höhepunkt des Jahres, fielen mir als Jugendlicher immer mehr unbelehrbare Nazis auf. Ich hab das oben ja schon erwähnt.

Ich konnte als Pubertier auch nicht begreifen, wie man sich, quasi im selben Alter wie ich damals freiwillig und dann noch zur SS melden konnte. Für mich war mein Vater auch ein Nazi. Das war einer der Gründe, warum mein Verhältnis zu ihm lange Zeit schwierig blieb (es gab noch schwerwiegendere, die indirekt mit dem Krieg zusammenhingen)

War mein Vater tatsächlich ein Nazi? Teils-teils und 1941/42 ganz bestimmt.

Den Krieg hatte er, nach seinen Angaben, schon während eines Heimaturlaubs 1943 verloren gegeben, als er die Bomberströme nach Berlin sah. Bei der Truppe ist er geblieben, wohin hätte er gehen sollen, desertieren, überlaufen, viel zu viel Angst. Außerdem war er doch vereidigt...

Nach dem Krieg dann die Verhaftung in der DDR, weil er die offensichtlichen Parallelen angesprochen hatte. Für den Sozialismus war er damit verloren.

Ich würde meinen Vater der Fraktion "es war nicht alles schlecht, damals" zuordnen. Sein Schock, als er zum ersten Mal von der Euthanasie erfuhr, war echt, ich hab hier darüber berichtet.

Politisch stand er wohl eher bei der CDU, Strauß war aber der einzige Politiker, der ihm da imponierte. Manche Einstellungen, z.B. gegen Ausländer, waren eindeutig rassistisch (als ich ihn bei einer Gelegenheit gefragt habe, wie er mit seinem polnischen Namen früher behandelt wurde, verstummte er, für den Moment).

Was er nie verstanden hat, war die, in seinen Augen ungerechte Behandlung der Waffen-SS. Er hatte buchstäblich seine Knochen hingegeben und das sollte anders bewertet werden als bei Wehrmachtssoldaten. Als in der Reemtsma-Ausstellung die Verbrechen der Wehrmacht thematisiert wurden, sagte er, wo ist jetzt der Unterschied?

Ich habe viel nachgelesen, ob ich irgendeinen dunklen Fleck finde in der Geschichte der "Frundsberg". Ist mir, Gott sei Dank, nicht gelungen. Ich weiß aber, dass das eine Ausnahme war (bis eventuell doch noch das Gegenteil bewiesen wird).



Puh, viel länger und ausführlicher als ich gedacht habe, es musste wohl mal raus. Und Überschrift und Thread passen jetzt auch nicht so richtig.

Ich denke mal, einen "alten Nazi" den hat jeder Deutsche in der Familie, und wer keinen hat, der muss entweder eine sehr kleine Verwandtschaft haben, oder er lügt sich ein Stück weit in die eigene Tasche.

Mit den alten Knochen zu diskutieren, sich mit ihnen auseinanderzusetzen- das war eine mühsame Angelegenheit. Da flogen auch schon mal die Fetzen und da wurden auch schon mal Dinge gesagt, die man nach 10 Minuten bedauerte, gesagt zu haben. Die alten Knochen die haben schon ein Regiment geführt! Wir hatten es nicht leicht mit ihnen und unter ihnen, aber so manche Diskussion mit uns ist den Alten auch nicht leichtgefallen.

Wir sagten manchmal "alte Nazis", aber so recht stimmte das auch nicht. Autoritär? Zweifellos! Aber Nazis? Die meisten von ihnen sind doch im Laufe der Jahre ganz passable Demokraten geworden, die die Vorzüge der Demokratie durchaus zu schätzen wussten. Wenn man bedenkt, wie tief sich die Kriegsgeneration auf den NS eingelassen hat, so war das doch sehr viel, und sehr viel mehr war vernünftigerweise von der Mehrheit der Kriegsgeneration nicht zu erwarten.

Jetzt, wo man selbst ein gewisses Alter erreicht hat und wo die alle der grüne Rasen deckt, kann man ihnen mehr Gerechtigkeit erweisen.

Ich bedaure manchmal, dass ich Verwandte nicht mehr fragen kann. Bei einigen bin ich mir heute sicher, dass sie mir Auskunft geben würden, ich glaube, ich hätte sie soweit bekommen, dass sie auch zum Holocaust sich geäußert hätten.

Eigentlich schade um all die Dinge, die ungesagt blieben.
 
Von Mönchengladbach nach Düsseldorf, von dort mit einem Lazarettzug irgendwo in Bayern (ich habs vergessen. Ende April kamen die Amerikaner und mein Vater ging in Kriegsgefangenschaft.
Es gab Fälle von Gefangenenerschießungen von Waffen-SS-Angehörigen durch US-Truppen, Fälle von Misshandlungen auch, zumeist im "Eifer des Gefechts". Zumindest ging die Angst um bei den Waffen-SS-Soldaten, was ich später von anderen ehemaligen Soldaten gehört habe. Die SS-Soldaten waren ja durch die am Oberarm eintätowierte Blutgruppe leicht zu identifizieren.
Mein Großvater väterlicherseits war als jugoslawischer Staatsbürger bei der Waffen-SS auf dem Balkan Soldat. Nach der Familienlegende wurden Volksdeutsche zwangsweise von der Waffen-SS rekrutiert. Bei Kriegsende kam er in französischer Gefangenschaft. Auch hier wurden die Waffen SS-Soldaten durch die tätowierte Blutgruppe oder durch eine Narbe an der entsprechenden Stelle erkannt. Nach Erzählung meines Großvaters wurden die SS-Leute dann von den Franzosen schwer misshandelt. In einem speziellen Lager für die gefangenen SS-ler gab es viel zu wenig zu essen. Ob die Franzosen dies absichtlich machten oder ob sie logistisch nicht fähig waren, bleibt für die Nachfahren offen. Mein Großvater hat sich durch Glück durch das Lager gerettet. Auf die Frage, wer Koch sei, hat er sich gemeldet. Obwohl dies gelogen war. Durch die Meldung für Küche hatten sie dann besseren Zugang zu Nahrung als andere Gefangenen.

Irgendwann in den 1980er Jahren habe ich mal gelesen, dass die Franzosen die Misshandlungen und den Hunger absichtlich machten. Sie versuchten junge deutsche SS-Leute für die Fremdenlegion zu rekrutieren. Je schlechter man die Soldaten behandelte, desto eher meldeten sie sich fürs Frankreichs Gloire in den Kolonien. Das Buch war eine Autobiographie eines Soldaten, der von der Waffen SS zur Fremdenlegion kam. Es war aber nicht ein Buch von Peter Scholl-Latour. Titel und Autor habe ich vergessen.

Zu einem späteren Zeitpunkt übergaben die Franzosen das Gefangenlager mit den Waffen-SS-Angehörigen an die US-Armee. Unter französischer Lagerführung starben viele an Krankheiten und dem Hunger. Die US-Amerikaner hätten die Soldaten dann aus Mitleid mit reichlich Essen versorgt. Da wären durch die lange Hungerphase noch einmal viele Gefangenen an dem hochwertigen Essen gestorben, weil sie das nicht vertragen hätten. Auch das ist so von meinem Großvater überliefert.

Meine Großmutter war mit ihrer Mutter und drei kleinen Kindern noch vor dem deutschen Rückzug vom Balkan von Belgrad per Binnenschiff bis nach Linz gebracht worden. Meine Familie sagte immer, eine Flucht de Luxe. In einem ehemaligen Zwangsarbeiterlager in Tirol kamen sie unter. Das Gebiet wurde dann von den Franzosen verwaltet. Mein Großmutter hatte einen slowakischen Vater und eine tschechische Mutter. Der französische Verwaltungs-Chef, ein Colonel XY, stellte meine Großmutter als sein Hausmädchen ein. Die Familie war diesem Colonel dankbar, weil der Colonel Lebensmittel für die Familie meiner Großmutter schenkte. Dadurch kam die Familie durch die Hungerjahre.
 
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