Die These, der Geldwert müsse von etwas gedeckt werden, dürfte wirtschaftswissenschaftlich überholt sein.
Wenn ich an den Börsenwert mancher Unternehmen denke, habe ich auch meine Zweifel, dass der von etwas gedeckt ist. ABER Wertvorstellungen ergeben sich nun nicht nur aus der Vergangenheit (Vermögens- und Finanzlage) sondern auch aus den Zukunftserwartungen (künftige Erträge).
angrivarier schrieb:
Die DDR war aus heutiger westlicher Sicht sehr weit vom Staatsbankrott entfernt; die Verschuldung war eher lächerlich. ...
Die Blicke sind ja deshalb auf die West-Verschuldung der DDR gerichtet, weil man unter einem Staatsbankrott die Zahlungsunfähigkeit versteht und aus der West-Verschuldung Zahlungsverpflichtungen enstanden, die die DDR schon aus Prestigegründen unbedingt bezahlen musste. Alle anderen Zahlungsverpflichtungen, die gegenüber den RGW-Staaten und die gegenüber der eigenen Bevölkerung, waren irgendwie (macht-)politisch lösbar (am grünen Tisch in Moskau oder per Gesetz).
Ich stimme Dir zu, dass die DDR 1989 nicht Bankrott war. Aber sie war 1989 konkursreif. Ich zitiere mal aus dem in diesem Strang bereits erwähntem "Schürer-Papier":
"Die Zahlungsfähigkeit der DDR ist nicht sicherbar: 1985 wäre das noch mit großen Anstrengungen möglich gewesen. Heute [1989, Gandolf] besteht diese Chance nicht mehr. Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im Jahre 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25-30 % erfordern und die DDR unregierbar machen. Selbst wenn das der Bevölkerung zugemutet würde, ist das erforderliche exportfähige Endprodukt nicht aufzubringen" (zitiert nach Helmut Jenkis in: Heiner Timmermann (Hg.), Agenda DDR-Forschung, 2005, S. 421).
Nach dem Sturz Honeckers beauftragte das Politbüro Schürer, eine Analyse der ungeschminkten wirtschaftlichen Lage der DDR anzufertigen. Diese Analyse wurde im Okt. 1989 neben Schürer von Gerhard Beil, Alexander Schalck-Golodkowski, Ernst Höfner und Arno Donda erarbeitet und wird als "Schürer-Papier" bezeichnet.
angrivarier schrieb:
Gleichwohl stand die DDR Wirtschaft vor dem Kollaps (das hatte aber wenig mit Verschuldung der DDR zu tun), sondern damit, dass die DDR-Wirtschaft als Zentralplanungssystem ohne Wettbewerbsanreize gefahren wurde.
Ich sehe keinen großen Unterschied zwischen Deiner Argumentation zum Fehlen von Wettbewerbsanreizen und meiner Argumentation zu den verzerrten Preisen. Meiner Meinung nach setzt ein Anreizsystem unverzerrte Preise voraus. Worin hätte denn für den Vermieter der Anreiz bestehen können, das Mietshaus instand zu halten, wenn die Miete so niedrig war, dass er die Instandsetzungskosten nicht mehr hereinbekam? Worin hätte für den Schlachter der Anreiz bestehen können, Kaninchen zu schlachten und zu enthäuten, wenn er diese für 60 DDR-Mark vom Züchter einkaufen musste und nur für 15 DDR-Mark an den Verbraucher verkaufen durfte? Der Wettbewerb setzt ein unverzerrtes Preissystem voraus.
angrivarier schrieb:
Oder die Frage anders gestellt: Wäre die DDR auch ohne Verschuldung an die Wand gefahren?
Das ist die zugegebenermassen intellektuell reizvollere Frage. Sie ist zwar auch spekulativer Natur, kann aber die Mechanismen offenlegen, mit denen sich die DDR-Wirtschaft selbst schadete (fern von bösen CIA-Ölpreis-Verschwörungstheorien). Du bejahst diese Frage mit der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit. Ich will dieser Sichtweise nicht entgegentreten und ergänzend auf folgendes hinweisen:
In der DDR gab es zwar auch leistungsfähige Unternehmen mit modernen Maschinen. Aber ein großer Teil der Betriebsmittel der DDR-Unternehmen war heillos veraltet. "Carl-Heinz Janson (1989 Mitglied der Wirtschaftskommission beim Politbüro, Gandolf) berichtete über den Verschleißgrad in der DDR-Wirtschaft wie folgt: In einem Bericht des Sekretariats der Kreisleitung der SED in der staatlichen Planungskommission vom 6. April 1989 wurde darauf hingewiesen, dass 18,5 % des produzierenden Anlagevermögens bereits abgeschrieben und weitere 20 % älter als 20 Jahre seien, das entspräche einem dringend zu erneuernden Anlagewert von 500 Mrd.., was gleichbedeutend sei mit dem Nationaleinkommen von zwei Jahren. >>Der Verschleiß in solchen Dimensionen bewirkte einen Zustand der DDR-Wirtschaft, der das Attribut desolat rechtfertigte<<" (zitiert nach Helmut Jenkis, aaO, S. 431 f.).
Zu diesem hohen Verschleißgrad kam es, weil sich die Preise nicht an den notwendigen Betriebsausgaben orientierten, zu denen eben auch die Anschaffungskosten für neue Maschinen und Anlagen gehören. Infolgedessen blieben diese Anschaffungen aus, so dass sich bis 1989 ein gewaltiger Investitionsbedarf angestaut hatte. In den von diesem Verschleiß betroffenen Betrieben gab es ja bereits zunehmend Arbeitsausfälle. Diese Problematik hätte sich beim weiteren Ausbleiben der erforderlichen Investitionen weiter verschärft, bis hin zum Zusammenbruch der Produktion. Das war das drohende Szenario.
Dieses Problem hätte man nur mit der Nachholung der erforderlichen Investitionen lösen können. Doch spätestens dann hätte die DDR weitere westliche Devisen benötigt. Ob sie diese in der benötigten Größenordnung ohne Vorlage eines Sanierungsprogramms und ohne Mitsprache der Geldgeber bei der Erstellung dieses Sanierungsprogramms bekommen hätte, halte ich für unwahrscheinlich. Aber eigentlich hätte sie ja auch selbst das Interesse haben müssen, wenigstens das "fresh money" effizient einzusetzen. In diesem Falle hätte sie selbst bei der weiteren Kreditvergabe an die entsprechenden DDR-Unternehmen berücksichtigen müssen, welchen Wert, welche Verbindlichkeiten und welche Ertragsaussichten diese hatten. Und an dieser Stelle schließt sich dann der Bogen zu @logos Argumentation.