Man könnte eher argumentieren, dass die Verhinderung eines deutschen Nationalstaats erst einmal friedensstiftend wirkte.
Inwiefern?
- Immerhin brachte das Nichtzustandekommen eines solchen Nationalstates ja auch handfeste Probleme mit sich, was Machtinteressen angeht. Man denke dabei nur an die sächsische Frage, deren Eskalation, wäre diese nicht durch Napoleons Flucht von Elba verhindert worden, sicher keine Kleinigkeit gewesen wäre, sondern in der Konstellation Österreich, Großbritannien und Frankreich vs. Russland und Preußen, ein veritabler, europäischer Flächenbrand.
- Die Rheinkrise 1840 brachte Europa an die Schwelle eines großen Krieges. Das die Regierung Thiers auf französischer Seite an einen deutschen Nationalstaat, statt an die Gliedstaaten des deutschen Bundes Preußen, Bayern und Luxemburg Forderungen nach territorialen Abtretungen herangetreten wäre, wird man für unwahrscheinlich halten dürfen.
- Die Olmützer Punktation 1850 hinter der immerhin auch die Handfeste Drohung eines Krieges seitens Österreich und Russland gegen Preußen stand, so wie die Herbstkrise 1850, die dazu führte, wäre ohne Verhinderung eines, wie auch immer gearteten Nationalstaates auch nicht möglich gewesen.
- Die Frage der Belgischen Unabhängigkeit vom Krg. der Vereinigten Niederlande anno 1830 bot Konfliktstoff für alle in Westeuropa eingebundenen Mächte, zumal bei Frankreichs Ambitionen vermittels dieser Gelegenheit den Zugewinn der Wallonie anzustreben.
- Der Französisch-Sardienisch-Piemontesische Krieg gegen Österreich anno 1859 nach den französisch-sardinischen Erfolgen in der Lombardei und bei Solferino-San Martino, führte dann immerhin zur Mobilisation des deutschen Bundesheeres, unter Einschluss Preußens gegen Frankreich.
Auch das hätte ein größerer europäischer Flächenbrand werden können.
- Der Krim-Krieg in den frühen 1850ern wäre unweigerlich zu einem europäischen Flächenbrand geworden, wäre Österreich auf die Offerten, die beide Parteien an es heran trungen eingegangen, statt sich auf Neutralität und Besetzung der Donau-Fürstentümer festzulegen.
- Die Schleswig-Holsteinische Frage führte ja auch bereits anno 1848 zur Eskalation, als aus der Revolution vielleicht ein Nationalstaat hätte hervorgehen können, den es zu diesem Zeitpunkt jedoch freilich noch nicht gab.
Das alles passierte in den ca. 50 Jahren die zwischen dem Wiener Kongresss und dem Beginn der "Einigungskriege" liegen.
Das ist meine ich, eine ganze Reihe an potentiell gefährlichen Konflikten, die durch das Fehlen eines deutschen Nationalstaates nicht verhindert wurden und mindestens die ersten drei, hätte es, hätte zu diesem Zeitpunkt ein deutscher Nationalstaat existiert, wohl nicht gegeben.
Ich würde meinen, abseits des kolonialen Spielfeldes, dass hier noch keine Rolle spielte, außer vielleicht im Vorfeld der Rheinkrise und beim Krim-Krieg, bedenkt man die Begründung des britischen Standpunktes Hinsichtlich Meerengen und damit Integrität des Osmanischen Reiches, und abzüglich, der orriginär durch die zerfallende Ordnung auf dem Balkan ausgelösten Folgekonflikte, war die Situation in Zentraleuropa und den unmittelbar angrenzenden Regionen, was interne Auseinandersetzungen angeht, nicht weniger konfliktträchtig, als das nach der Reichsgründung der Fall war.
Abseits des kolonialen Spielfeldes, dass zwar stets Ärger brachte, aber aus sich selbst heraus im 19. Jahrhundert, bis zum Ersten Weltkrieg keine größere militärische Auseinandersetzung zwischen größeren europäischen Mächten (außer vielleicht der Italienisch-Osmanische Krieg 1911), welche Krisenhaften Situationen und kleineren Kriege gab es, die für den europäischen Frieden wirklich gefährlich waren?
- Es im Westen die "Krieg-in-Sicht"- und die "Boulanger-Krise", die sicher, das Potential zur Verschärfung gehabt hätten, aber sicherlich auch nicht drastischer, als etwa die Rheinkrise 1840.
- 1877/1878 Russisch-Osmanischer Krieg, San Stefano und Berliner Kongress. Hier hätte es massiv knallen können.
Das war es eigentlich mit tatsächlicher, manifester Kriegsgefahr im Bezug auf Probleme, die nicht aus kolonialen Streitigkeiten oder vom Balkan herrührten.
Die Bosnische-Annexionskrise, der Italienisch-Osmanische Krieg und die beiden Balkankriege, sind dann letztendlich eine Häufung gefährlichen Konflikten, die natürlich bemerkenswert sind und für deren Konstellation ein vorhandener deutscher Nationalstaat als Rückendeckung im Besonderen der Donaumonarchie eine Rolle spielte.
Allerdings nicht für deren Ausgang, der liegt letztendlich in der Schwäche und dem sukzessiven Kollaps des Osmanischen Reiches in Afrika und in Europa. Den wiederrum, hätte es möglicherweise auch ohne ein Deutsches Reich gegeben, genau so, wie möglicherweise, wäre es nie zu einem deutschen Reich gekommen, möglicherweise Frankreich oder Preußen, je nach Großwetterlage und Zugeständnissen, eine aktive österreichische Balkanpolitik zeitweilig gegen Russland unterstützt hätten.
Im Hinblick auf die Konflikte, die aus den Kolonien herrührten, führten diese, wie gesagt niemals ernsthaft zu Krieg, fernhin determinierte die Existenz eines deutschen Nationalstaats ja durchaus nicht, dass und wie er sich kolonialistisch betätigte, außerdem hätte ein Ausbleiben der nationalen Einigung doch keineswegs determiniert, dann nicht Preußen oder Österreich oder ein "Norddeutscher - " oder "Süddeutscher Bund" angefangen hätten sich auch ohne nationale Einigung Kolonien zuzulegen.
Warum sollte ein kleinerer Staat, der jetzt nicht unbedingt alle Individuen vereint, die er seiner "Nation" für zugehörig betrachtet, oder der de facto eigentlich ein nicht zentralisiertes Konglomerat an Einzelstaaten darstellt, nicht fähig sein, sich kolonialistisch zu betätigen und dadurch Konflikte zu produzieren?
Die Niederlande bauten in der frühen Neuzeit ein beachtliches Kolonialreich auf, obwohl die südlichen Provinzen und damit auch das niederländisch-sprachige Flandern bis 1815 nach der Loslösung von Spanien dauerhaft abgetrennt blieben, so dass sich ja durchaus auch da die Vorstellung eines "unvollendeten Nationalstaates", wenn man diese Denkfigur bemühen will, aufdrängt.
Und das hinderte die Niederländer auch so gar nicht daran, sich im Hinblick auf Kolonien und Handelseinfluss veritable militärische Konflikte mit England zu liefern.
Spanien klaubte sich zu einer Zeit zusammen, als innenpolitisch die Länder der aragonesischen Krone durchaus noch ein recht ausgeprägtes Eigenleben führten und von einer inneren Einigung noch kaum eine Rede sein konnte. Die hält ja letztendlich erst mit den Bourbonen im Gefolge des Spanischen Erbfolgekrieges Einzug.
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