Ich habe ja selbst die 500 Jahre zwischen Ötzis Tod und der Entstehung des Bildsteins von Schnalstal für eine Zeitspanne erklärt, die es höchst unwahrscheinlich macht, dass ein Zusammenhang zwischen Ereignis und Bild besteht. Selbst wenn man das Bild so liest, dass da Person A von Person B in den Rücken geschossen wird, so ist - bei aller räumlichen Nähe - doch die Art der Tötung an sich jetzt nicht so außergewöhnlich, dass man da ein singuläres Ereignis identifizieren könnte.
Gleichwohl muss man natürlich eingestehen, dass das historische Gedächtnis bis ins 20. Jhdt. anders funktionierte, als heute. Heute verbringen wir unsere Abende an Fernseher und Computer, in Singlehaushalten und Kleinfamilien. Wir wissen kaum noch etwas aus dem Leben unserer Großeltern (außer dem, was auf Dokumenten festgehalten ist).
Vor der Erfindung der Massenmedien dürfte man viel mehr erzählt haben und da hörte man eben als Kleinkind das erste Mal die Geschichte, wie Großvater einmal alleine einen Bären getötet hatte und man hörte sie zwar nicht jeden Tag, aber immer wieder und jeder von uns weiß, dass, wenn man ein Erlebnis erzählt, die ersten Male die Erzählung (nicht deswegen der Inhalt) noch variiert, während im Laufe der Zeit die Struktur der Erzählungen sich immer weiter angleicht. Und so hört ein Kind also von seinen Verwandten diese Geschichte immer wieder, wahrscheinlich sogar mit theatralischen Elemente gespickt, also dass der Erzähler etwa brüllt und läuft wie ein Bär. Das Kind wächst heran und bekommt selber Kinder und die Geschichte wird tradiert. Natürlich ist irgendwann nicht mehr klar, wie viele Generationen die Geschichte eigentlich alt ist, aber sie wird wahrscheinlich immer gleich erzählt, weil die früheren Erzähler sie immer gleich erzählt haben und die neuen Erzähler sie von kleinauf gehört haben und daher im Schlaf nacherzählen können. Und so ist es schon plausibel, dass Geschichten auch in mündlichen Gesellschaften über Generationen einigermaßen stabil tradiert werden.