Stellung des Henkers in der Gesellschaft des Mittelalters

G

Gast

Gast
Hallo zusammen,

mir wurde vor kurzem von einer Stadtführung in Mölln berichtet, dabei wurde in der Kirche auf einen erhöhten Sitz hingewiesen.
Dieser war laut Stadtführerin der Sitz des örtlichen Henkers, der nicht gleichzeitig mit der Gemeinde geweihten Boden betreten durfte, weshalb er auch vor dem Priester und der Gemeinde anwesend sein mußte. Ebenso mußte er nach dem Gottesdienst warten, bis alle die Kirche verlassen hatten.
Seine Familie war ebenso geächtet wie er, seine Kinder konnten nur in entfernte Ortschaften heiraten, da auch jeder Ehepartner in die Ächtung mit eingeschlossen wurde.
Nun stellen sich mir einige Fragen:
1. Ist so ein erhöhter Sitz für den Henker üblich gewesen, oder handelt es sich um eine regionale Besonderheit?
2. War der Henker immer allgemein bekannt im Ort? Ich bin bisher davon ausgegangen, daß der Henker ein ortsansässiger Handwerker war, dessen Gesicht jedoch bei der Hinrichtung maskiert wurde, sodaß niemand mit Sicherheit sagen konnte, um wen es sich handelt. Oder bin ich in dieser Ansicht zu sehr von schlecht recherchierten Romanen und Filmen ausgegangen?
3. Wann gilt ein kirchlicher Boden als "geweiht"? Wird der Boden durch das Betreten oder bestimmte Handlungen des Priesters geweiht? Wird der Boden einer Kirche entweiht, wenn bestimmte Personen ihn betreten? Oder geht es in dem Beispiel nur um das "gemeinsame" Betreten des Bodens?
Vielen Dank und viele Grüße
Teleri
 
Gast schrieb:
1. Ist so ein erhöhter Sitz für den Henker üblich gewesen, oder handelt es sich um eine regionale Besonderheit?

Ich tippe auf eine regionale Besonderheit. Es wundert mich allerdings nicht, denn der Henker/Scharfrichter (der auch meist als Abdecker tätig war) galt als "unrein" bzw. "unehrlich" und wurde in vielfältiger Weise diskriminiert. Sein Haus befand sich in der Regel außerhalb der Stadtmauern; er wurde nicht in die Bürgerschaft aufgenommen, und die "anständigen" Bürger pflegten keinen Verkehr mit ihm. Mitglieder aus Henkersfamilien heirateten in der Regel nur untereinander.


Gast schrieb:
2. War der Henker immer allgemein bekannt im Ort? Ich bin bisher davon ausgegangen, daß der Henker ein ortsansässiger Handwerker war, dessen Gesicht jedoch bei der Hinrichtung maskiert wurde, sodaß niemand mit Sicherheit sagen konnte, um wen es sich handelt. Oder bin ich in dieser Ansicht zu sehr von schlecht recherchierten Romanen und Filmen ausgegangen?
Das dürfte Unsinn sein, zumindest hierzulande kannte jeder den Henker.



Gast schrieb:
3. Wann gilt ein kirchlicher Boden als "geweiht"? Wird der Boden durch das Betreten oder bestimmte Handlungen des Priesters geweiht?
Eine Kirche wird geweiht durch eine priesterliche Weihehandlung (Kirchweihe), die üblicherweise von einem Bischof vollzogen wird.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Kirche durch das Betreten durch einen Henker "entweiht" wurde.
 
Zu 1. Es gab in der Tat in einigen Regionen besondere Plätze für den Henker u.ä. Volk, aber "erhöht" waren diese meistens nicht, eher nur leicht isoliert.

Zu 2. Da der Henker nicht nur zur Exekution diente sondern auch Folterung, Reinigungsaufgaben und andere unliebsame Dinge zu tun hatte, war es gar nicht möglich, ihn nicht zu kennen. Ich glaube, in den USA kam es in einigen Regionen dazu, dass der Henker eine Kapuze trug, um sein Antlitz zu verbergen und anonym zu bleiben. Im europäischen Mittelalter war derartiges nicht üblich. Es gibt viele Abbildungen von Hinrichtungen der Zeit, meistens von Enthauptungen mit dem Schwert. Du kannst die Henker normalerweise klar erkennen. Dies entspricht auch der Realität.

Zu 3. Um geweihten Boden zu entweihen müssen dort entsprechende Dinge passieren. Heutzutage ist die Meßlatte vielleicht höher gesetzt, im Mittelalter bezog sich das auf Mord, Schändung und Unzucht, schwarze Messen, manchmal auch auf das vergießen von Blut im allgemeinen und dergleichen mehr.
Das betreten eines "unehrlichen" hat keine Kirche entweiht, ebensowenig die Anwesenheit von "Ungläubigen".
 
Hab zwar die Frage nicht gestellt, muss aber trotzdem zugeben, was gelernt zu haben. Sehr aufschlussreich, die Herren. :hoch:

Und auch wenn folgender Link eher allgemein gehalten ist und zum Thema 'erhoehter Sitz' nichts beitraegt, fand ich ihn trotzdem wert, erwaehnt zu werden - beleuchtet er doch auch ein wenig die psychologische Seite dieses 'Handwerks':


Berufsbild des Henkers

.
 
Danke für die Antworten, jetzt bin ich um einiges klüger. Und durch den Link weiß ich jetzt endlich, was es mit der Kapuze auf sich hat...
Viele Grüße
Teleri
 
Grau ist alle Theorie

Ja, ja, grau ist alle Theorie. Die Henker waren die Außenseiter des Mittelalters und u.a. eben für´s Abdecken und die Prostitution zuständig. Ein Henker war zwar bei Tag ungern gesehen, bei Nacht stellten sich aber auch die Bürger bei ihm ein: Henker galten als die besten Chirurgen, da Gefolterte, sollten sie sich als Unschuldige herausstellen, keine Nachfolgeschäden leiden durften. Aus dem Hochmittelalter sind Beschwerdebriefe an die Räte der Städte belegte, in denen sich Chirurgen genau darüber beschwerten, dass die Leute statt zu ihnen zum Henker gingen.

Andreas

Lit.:
Irsigler, Franz; Lassotta, Arnold: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt. Köln 1984.
Symposion Soziale Randgruppen und antike Sozialpolitik: Soziale Randgruppen und Außenseiter im Mittelalter. Graz 1987.
 
Andreas schrieb:
Henker waren für den "Schutz" der Prostituierten zuständig. Sozusagen die Zu - Hälter des Hochmittelalters.

Interessant. Gibt's da weitere Quellen fuer, ich meine, ausser den beiden, die du oben angefuehrt hast?
 
Hi Parago,

leider kenne ich keine weitere Literatur mehr zum Thema, aber "Freund" google hat mir folgendes geliefert:

http://www.ritterbund-thr.de/Historie/Berufe/henker.htm schrieb:
Der Henker galt ja als der "Unehrlichste aller unehrlichen Leute". Wegen seiner Tätigkeit entwickelte sich ein Berührungs-, Blick- und Interaktionstabu. Dieser Städtische Beamte war nun der "Beschützer" der käuflichen Frauen, dem sie Abgaben leisten mußten. Wollte sich eine ortsfremde Prostituierte in Köln niederlassen, so hatte sie dem Henker eine Gebühr von 4 Schillingen (36 Pfennig) zu entrichten und danach die übliche wöchentliche Abgabe von 6 Pfennig. Die Abgaben waren jedoch nicht einheitlich. Sie richteten sich nach Wohnung und Arbeitsort. Die Frauen, die auf dem Domhof, Heumarkt und "up dem velde" arbeiteten, entrichteten dem Scharfrichter den dritten Teil.

Andreas
 
Leider haben die Herren bei ritterbund-thr.de nur unzureichende Quellenangaben; mich haette halt interessiert, ob es fuer das Zuhaelterdasein Belege gibt, Aufzeichnungen oder so. Danke trotzdem, Andreas.
 
Es wurde ja bereits erwähnt, dass die Henker zu den unehrlichen Berufen zählten und deshalb nur in diesem begrenzten Berufskreis heiraten und arbeiten könnten.

Die Henker waren mit den Schindern eng verbunden (andere Bezeichnungen hierfür sind Wasenmeister, Fallmeister oder Abdecker). Diese sorgten dafür, dass totes Vieh fachgerecht entsorgt wurde. Heute sind das Aufgaben der staatlichen Gesundheitsämter, früher mussten diese Arbeit die quasi Ausgestoßenen der Gesellschaft ausüben.

Wenn z.B. bei einem Bauern ein Pferd oder eine Kuh starb, dann war die Gefahr für einen Seuchenausbruch hoch. Der Kadaver musste also schnellstens entsorgt werden. Dies besorgte der Abdecker. Es war meist üblich, dass er als Lohn den Kadaver behalten und restlos verwerten durfte.

Mit einem Ochsengespann schleifte er das tote Tier zu seinem Wohnhaus, das zugleich den Abdeckereibetrieb umfasste. Dort wurde das Tier zerlegt. Das Leder wurde an Schuhmacher, Kürschner und Gerber verkauft, Horn und Knochen an Seifensieder und Knopfmacher, usw. Was dann noch übrig blieb, wurde verbrannt oder vergraben.

Da es in der seinerzeit sehr stark landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft relativ häufig zu einem solchen Einsatz kam, waren die Abdecker von großer Bedeutung.

Leider waren sie nicht gerade beliebt. Der dauernde Umgang mit Tod und Verwesung war eben wenig anziehend. Dazu kamen die katastrophalen hygienischen Zustände beim Abdecker zuhause. Krankheiten, Infektionen, Blutvergiftungen - all das sorgte für eine hohe Mortalitätsrate (Ich habe mal in einem Kirchenbuch zufällig die Sterbeeinträge einer Abdeckerfamilie gefunden: In 15 Jahren starben 14 Kinder vor Vollendung des ersten Lebensjahres!)

Zurück zum Henker. Es war ja nicht so, dass jeden Tag jemand hingerichtet werden musste. Gerade auf dem Land oder in kleineren Städten waren Exekutionen relativ selten (wobei es natürlich in manchen Zeiten auch Ausnahmen gab). Einen hauptberuflichen Henker benötigte man daher nicht. Musste tatsächlich mal jemand hingerichtet werden, dann wurde diese Aufgabe dem ohnehin schon verfehmten Abdecker übertragen, der dafür einen gesonderten Lohn erhielt.

Im Übrigen haben die Henker und Abdecker häufig untereinander geheiratet, der Übergang zwischen beiden Berufen war fließend. Dies galt um so mehr, als auch die Angehörigen unter diesen "Bann" fielen. Ein Henkers- oder Abdeckerssohn konnte niemals einen ehrlichen Handwerksberuf ausüben, das war unvorstellbar. Als Alternativen gab es drei Möglichkeiten, wenn ein Sohn nicht den väterlichen Blutberuf ausüben wollte:

1.) Er versuchte sein Glück in der Fremde, wo ihn keiner kannte. Dies war jedoch nicht so einfach, da man in jedem ehrlichen Handwerk die "ehrliche" Abstammung beschwören und oft einen entsprechenden Leumund aufweisen musste. Das Verfahren bot sich daher eher in unruhigen Zeiten an, in denen auf die Einhaltung solcher Vorschriften nicht mehr gar so streng geachtet wurde.

2.) Er konnte versuchen, Schritt für Schritt die unehrliche Abstammung aufzuheben. Ein Abdeckerssohn konnte z.B. Müllersknecht werden, denn auch die Müller gehörten zu den unehrlichen Ständen, waren aber nicht ganz so niedrig angesehen wie die Scharfrichter oder Abdecker. In der nächsten Generation konnte der Müllerssohn bereits einige "ehrliche" Berufe erlernen. Dessen Sohn wiederum war "rein" und "unbelastet".

3.) Viele Scharfrichter hatten sich durch den Umgang mit toten Körpern ein großes medizinisches Wissen angeeignet, das sie auch zu Heilungszwecken nutzen konnten. Der Beruf des Chirurgen ist wesentlich durch das Wissen der damals als Henker tätigen Menschen geprägt worden, die oftmals als Feldscher oder Baderchirurg geendet hatten.


Grüße

Jacobum
 
Die Scharfrichter, die Berufsbezeichnung hätten sie wohl am liebsten gehört, waren tatsächlich meist Henker, Abdecker, Veterinäre und Heilpraktiker in Personalunion. Sie mußten einen gefolterten Delinquenten ja schließlich wieder gesund pflegen, ein Gefangener, der vor der Exekution starb, das wäre eine Blamage gewesen. Dann muß man auch an die schlechte medizinische Versorgung auf dem Land, aber nicht nur dort, denken. Einige Scharfrichter besaßen durchaus hervorragende medizinische Kenntnisse, die von der Schulmedizin durchaus anerkannt wurden. Es umgab die Henker aber auch eine abergläubisch-magische Aura.
Beliebte Objekte waren Stücke vom Strick eines Gehängten und Blut von Delinquenten, das gegen allerlei Gebrechen helfen sollte. Solche abergläubischen Vorstellungen hielten sich bis ins 19. Jahrhundert. Der Verkauf des Blutes wurde übrigens ausdrücklich von den Obrigkeiten gebilligt.
Der Scharfrichter war jedem Kind namentlich bekannt, in der Regel blieb der Job ja in der Familie
Beliebte
 
Dieser Beruf erforderte nicht nur große Geschicklichkeit, sondern auch ein überaus robustes Nervenkostüm. Berichte über Scharfrichter, die die Nerven verloren oder sich Mut antrinken mußten und dann betrunken patzten, sind zahlreich überliefert. Für einen Scharfrichter war das überaus heikel, denn er bekam nicht nur die Hinrichtung nicht bezahlt, sondern mußte im allerschlimmsten Fall auch damit rechnen, von der Menge mißhandelt oder gelyncht zu werden. Häufig passierten solche Zwischenfälle, wenn Frauen oder Mädchen hingerichtet wurden oder Delinquenten sich panisch wehrten.

Allerdings muß man bedenken, daß ein festangestellter Scharfrichter in der Regel aus einer Henkerdynastie stammte, von Jugend auf über Erfahrung verfügte und zudem noch eine Lehrzeit absolviert hatte. Außerdem waren Hinrichtungen oder Folterungen durchaus nicht so häufig, wie viele glauben.

Vom Lohn für Hinrichtungen konnte ein Henker nicht leben, und hauptberuflich waren die meisten Heilpraktiker, Vetrerinäre und Abdecker. Ein Henker verfügte in der Regel über sehr gute anatomische und medizinische Kenntnisse, denn die Scharfrichter mußten einen Delinquenten nach der Folter wieder gesund pflegen und dafür sorgen, daß der Delinquent auch am Gerichtstag noch einigermaßen fit war.
Trinker muß es freilich unter Henkern gegeben haben, daß aber die meisten von ihnen Säufer waren, ist leichter behauptet, als bewiesen.
 
Ich habe einmal von einer französischen Henkersdynastie gelesen (Namen weiß ich leider nicht mehr), die diesen Beruf über fast 250 Jahre in Erbfolge ausgeübt hat. Dort wurden die Söhne das Scharfrichters bereits im zarten Alter von 8 Jahren zu "peinlichen Befragungen" als Zuschauer hinzugezogen, um so langsam an ihre künftige Profession herangeführt und schon in sehr jungen Jahren gegenüber dem Leiden ihrer "Kunden" abgehärtet zu werden.
Was aber nichts daran geändert hat, daß einer aus ihrer Reihe nach jeder durchgeführten Exekution sein Pferd bestiegen hat und stundenlang in der Gegend rund um seinen Wirkungsort wie wild herumgeritten ist; offensichtlich hat er sich mit seinem Handwerk nie so recht abfinden können und ein Ventil für seine psychische Belastung benötigt.
 
Das waren die legendären Sansons, die Scharfrichter von Paris. Die haben den Königsattentäter Damiens, Ludwig XVI., Marie Antoinette, Danton und einige andere bekannte Zeitgenossen hingerichtet. Ein interessantes Dokument ist das Tagebuch des Nürnberger Scharfrichters Franz Schmidt aus dem 16. Jahrhundert.

Wenn Angehörige von Räuberbanden oder Aufständische hingerichtet wurden, dann bekamen die Scharfrichter viel Arbeit, wenn an einem einzigen Tag 20 oder mehr Delinquenten exekutiert wurden. Die Stadt Amsterdam besaß um 1700 keinen eigenen Scharfrichter, so daß einer aus Harlem kommen mußte. Ein berüchtigter Henker war Meister Augustin, der in den Diensten des Truchseß von Waldburg stand. Er soll an einem Tag 100 Bauern mit dem Schwert gerichtet haben. Wenn sich ein Scharfrichtergeselle um eine Stelle bewarb, mußte er eine Probe seines Könnens ablegen. Eine Anekdote berichtete, daß sich einmal drei Bewerber um eine Stelle bewarben. Der erste enthauptete einen Delinquenten mit einem einzigen Hieb. Sein Kollege übertraf ihn und köpfte einen Delinquenten stehend, was besondere Geschicklichkeit erforderte. Der Dritte aber befestigte mit zei Lederbändern eine Erbse am Hals des nächsten Delinquenten, schlug ihm sauber den Kopf ab und spaltete die Erbse. Dieser Bewerber erhielt die Stelle.
 
Ich misch mich mal kurz ein :)

Soweit ich es in Erinnerung habe, gehörte der Henker zu den sozial Verachteten in der mittelalterlichen Stadt. Dies betraf auch den Totengräber oder den Schinder. Kurz: Jeder Beruf der mit Blut zu tun hatte.
Diese Menschen galten als unehrliche Menschen (im Sinne von keine Ehre haben).
So hab ich das zumindestens gelernt :D
 
Zurück
Oben