Übers Wochenende machte ich meine versprochenen Hausaufgaben und ich kann nur sagen UFF! - Tiefer möchte ich nicht mehr bohren, denn bei der nächsten Bohrung müßte ich sicher einen Einband dazu posten ...
Vor wenigen Minuten fügte ich noch Internetsuchergebnisse hinzu und somit reicht es jetzt wirklich.
)|>>>---------------------------------------]|(O+
Ich habe soeben Bedeutungen der Begriffe
Bourrée und
Jazz nachgeschlagen, bin aber noch völlig unzufrieden:
BOURRÉE
Sowohl der Frisch [1719], als auch moderne Wörterbücher, scheinen mir beschönigend zu glätten. Was mich etwas befriedigt ist der Fund in einem Spanischwörterbuch, welcher eine Parallele sein dürfte :
borracho ist der Säufer und bedeutet als Adjectiv betrunken. In meinem Französischwörterbuch von Serges Medien [1999] findet sich immerhin auch "
bourré, gestopft; voll;
[fam.] blau; voll." Ansonsten vermisse ich die Palette
saufen/ raufen/ Weiber mit Schmerzen - bzw. nehme den Wörterbüchern die gewisse Engelreine nicht ab. Ich habe eine gewisse Vorstellung von Bauernhochzeiten: Alkoholexzesse, Schägereien benebst erotischen Derbheiten. Nicht, daß ich etwa darauf abführe - nein, ich suche nach der tanzhistorischen Ursuppe, welche eben noch nicht der feinen 'Kost' höfischer und bildungsbürgerlicher Bourrées entsprach. Nunja, bei Trautwein [2000] findet sich "
bourru, schroff." Ich suche ja nach Schroffheiten - fern aller galanter Etikette.
Nun zu Leonhard Frisch [1719]: "
Bourras, s.m.
[von bourre]ein grob Tuch." - Ansonsten vermisse ich den ungeschminkten Grobianismus weitgehend auch hier - aber immerhin : "
bourre, ... item das grobe unnütze in den Büchern und Schrifften." Zudem : "
Bourrer,
v.a. ... item prügeln, schlagen, streiten." - "
Bourreler, ... quälen, martern, im figürlichen Verstand meistens." - "
Bourru, e, adj
[s. bourre] (verwirrt) närrisch; eigensinnig."
Lieber Leonhard Frisch, ich vermisse bei Ihnen zuchtlose Wüsteneien! In den betreffenden Bevölkerungskreisen liegen Sexualität und Gewalt (siehe "prügeln, quälen") immerhin dicht beieinander, was ja auch in social problematischen Kreisen des 21.Jahrhunderts noch zu finden ist.
Ansonsten finde ich bei Frisch weitere textile Bedeutungen: Das Stopfen einer Büchse (offenbar Schußpflaster), das Ausraufen von Hasenhaaren durch verfolgende Hunde ect. ...
Aus meiner Zeit in der Bretonenfolkscene erinnere ich mich an Definitionen, die z.B. in die Richtung "Krach, Lärm" gingen. Womit wir von Characteristiken des frühen Jazz nicht weit entfernt wären ...
JAZZ
Hierzu ist zu beachten, daß ursprünglich "Jass" orthographiert worden ist, womit die eigentlichen, frühen Urbedeutungen verknüpft waren. Noch die "Original Dixieland Jass Band" von 1917 kündigte sich auf diese Weise an.
Während meiner Jugend las ich in Jazzlitteratur Definitionen, wonach "Jass" durchaus auch Geschlechtsverkehr bedeutet haben soll. Daneben bedeutet es weitgehend jene Grobheiten, wie ich sie oben unter BOURRÉE aufgeführt habe.
In meinem Englischwörterbuch finde ich Bedeutungen wie : Gedöns, Gewäsch, blödes Zeug, Quatsch; für
jazzy steht : schreiend, wild, auffällig gemustert. Dies als Urbedeutungen anzunehmen, ist aber eine heikle Angelegenheit, denn man kann nie wissen, in wie weit diese Bedeutungen erst im Zuge von Jazzmusikmoden aufgekommen sein könnten. Die Lösung solchen Knotens kann nur ein recht altes Englischwörterbuch leisten ...
Nachtrag in der Bibliothek: Alle Wörterbücher hier sind verspießert. Helfen konnte immerhin das Internet; demnach sind meine Erinnerungen an Jugendjazzlectüre zutreffend:
Jazz is not a bad word now, but almost certainly is of extremely low origin, referring to copulation before it was applied to music, dancing, and nonsense (i.e., "all that jazz"). If the truth were known about the origin of 'Jazz' it would never be mentioned in polite society . . .
- Zu finden an diesem Loco: -
http://nfo.net/usa/etymol.html
In einer Biographie über Louis Armstrong (welche, aufgrund ihrer Interviewbasis über weite Strecken autobiographische Qualität hat) erfährt man von ständigen Schlägereien, ja Schießereien im Rotlichtmilieu von New Orleans - eben jenes Milieu, in dem Armstrong musicalisch aufwuchs.
Später, in Chicago, erfährt man aus der Autobiographie von Eddie Condon ("Jazz - we called it music") ähnliches: Wie nämlich um 1930 (zur Zeit Al Capones) das Jazzmusikerleben auch nicht ganz ungefährlich gewesen sei. So berichtet Condon von einem angetrunkenen Gangster, welcher sich den Jocus erlaubte, mittels Handfeuerwaffe auf den glitzernden Stachel des Contrabasses zu schießen. Der Gangster fragte den Bassisten gleich darauf, wie groß der Schaden gewesen wäre, den er auch höflich beglich. Das Trauma der anwesenden Musiker wird indeß nicht unerheblich gewesen sein. - Ansonsten waren Jazzmusiker gerade damals Kraftmeier. Schon in New Orleans war es darum gegangen, wer am mächtigsten (ergo am lautesten) blasen konnte. Daneben bestand der Wettbewerb darin, wer auf dem Instrument am höchsten reichte. Gerade Trompeter/ Cornetisten duelierten sich auf das Härteste. Manche Oberlippe hielt solcher Zerreißprobe nicht stand und Blut lief über ein weißes Hemd ("Jazzlips"). Am Ende blieb der nur strahende Sieger auf der Bühne - die anderen trollten sich still von dannen. Es ging schlicht darum, den andern von der Bühne zu blasen - nach dem alten Duelistenmotto "du oder ich"(bis in die späten 30er Jahre stand das Energiebündel Armstrong hier ja unangefochten an der Weltspitze).
FRÜHNEUZEITLICHER BAUERNTANZ
Die beschriebenen Trompeterduelle erinnern mich stark an jene kraftmeierischen Tanzwettbewerbe, wie sie von frühneuzeitlichen Bauerntänzen berichtet werden. Dabei ging es, wie erwähnt, vornehmlich darum, wer die größte Sprunggewalt vorzuweisen hatte. Es ging aber auch darum, wer der Derbste, Leichtsinnigste, Schamloseste unter allen gewesen sei. Den Umgang mit dort anwesenden Frauen critisieren die Tanzmeister des frühen 18. Jahrhunderts in ihren umfangreichen Büchern mit am schärfsten: Man hätte sich Frauen einfach ungefragt gegriffen, um diese unter anderem durch die Luft zu werfen. Außerdem seien "unkeusche/unzüchtige" Vorgänge dabei zu beobachten gewesen. Die Beschreibungen lesen sich geradezu so, als seien diese Frauen Freiwild gewesen - männlichen Nachstellungen vielfach schutzlos ausgeliefert. Wie denn auch Bonin an einer gewissen Stelle seines Buches critisiert, es hätte einer seiner Schüler eine Tanzschülerin "wie eine Bauren=Magd tractirt". Bonins Schülerin, eine vollendete galante junge Dame, bat ihren Tanzpartner daraufhin, er möge sie fernerhin verschonen. Der junge Mann bekam einen roten Kopf und soll den Tanzboden Bonins nie wieder betreten haben.
Doch zurück zum Bauren=Volck: Hier ließe sich gewiß mehr herauskitzeln. Ich vermute stark, daß auch Bauernmusikanten sich damals Duelle geliefert haben werden. Um Trompeter hat es sich dabei gewiß nicht gehandelt. Ich tippe hier vornehmlich auf Fiedler (neben z.B. Dudelsäcken), denn die Geige ist allerorten das bevorzugte Instrument gewesen. Geigerduelle findet man im 17. und 18. Jahrhundert ja auch in höfischen und bürgerlichen Kreisen. Große Componisten, wie Corelli, Vivaldi, sowie später Paganini, sind immer wieder Geigenvirtuosen gewesen. Die Musik, welche sie schrieben, war oft darauf gemünzt, den rechten musikalischen Hintergrund zu erhalten, vor dem sich als Geigenvirtuose glänzen ließ. Hier ging es nicht darum, wer am lautesten spielte, sondern wer die ausgefeilteste Technik vorzuweisen hatte. Der damals sehr populäre Telemann ließ sich übrigens bevorzugt von den ländlichen Geigern Polens anregen ...
Auch galante Tänzer standen in einem Wettbewerb der Virtuosität, um zu beweisen, daß sie wahrhaft "en Maitre" tanzten. All das hatte sehr viel mit musicalischer und tänzerischer Improvisation zu tun. Was man heute vielfach nicht wahrhaben will, weil freies Spielen in der sogenannten "Klassik" kaum gelehrt wird und der sogenannte "Barocktanz" zu toten Schablonen erstarrt ist.
FAZIT AUS DEN PARALLELEN
Parallelen zwischen Bourrée (sowie natürlich anderen Tänzen) und Jazz ergeben sich auch in den culturhistorischen Umdeutungen: Aus der derben Praxis bäurischer Tanzexzesse erwuchs jene Inspiration, welche in manierlich galante Musik und Tanzart (höfisch, bürgerlich) mündete. Aus den prahlerischen New-Orleans-Tönen der Südstaaten-Bordelle erwuchs letzlich interlectuell abgehobener Modern Jazz: Der Bebop-Trompeter bläst weniger laut, sondern mit deutlich leichterem Ansatz - dafür concuriert er wiederum stärker im Hinblick auf Virtuosität. Man könnte hier auch allerhand Tänzerisches beisteuern, was die heutige Disciplin Jazzdance erklären würde. Eine solche Zeitreise würde einen sicherlich in das eine oder andere Striptease-Local führen (wobei Striptease an sich wohl noch das Harmloseste sein würde) ... - Schaun wir uns lieber den Tap Dancer (Stepper) an: Aus dem ursprünglichen
RAM-BADAM-RUMS-DIBUMS entwicklelt sich letztlich ein
ricke-ticke-rrrrracke-tacke-brrrrrrrrrrrrrrrrrrrt ... - Die Tanzgeschichte scheint manchmal ein Dorf zu sein, wo man alten Bekannten öfters begegnet.
Es gibt hier aber noch eine Parallele zwischen dem 17./18. Jahrhunder und dem 20ten: Zusammen mit dem Jazz, auch in Vermischung, kamen immer wieder lateinamerikanische Tänze und Klänge auf. Im 17.Jahrhundert entspricht dies etwa der Sarabande und der Chaconne. Zwar ist die Sarabande ziehmlich auf harmlos geglättet worden, dafür besitzen die Chaconnes des frühen 18.Jahrhunderts häufig immer noch ein ziemliches Feuer und kommen teilweise recht fetzig daher. Die Verharmlosung ursprünglicher Stile kann man getrost als Verspießerung sehen - wie in obigem englischsprachigen Citat erwähnt:
"If the truth were known about the origin of 'Jazz' it would never be mentioned in polite society . . ."
In beiden Fällen - Bourrée/Jazz - wurden rohe Urklötze zu verfeinerten, scheinbar makellosen 'Sculpturen' umgearbeitet. Hier scheiden sich die culturhistorischen Geister: Die einen sehnen sich zurück nach der Ursuppe/Gosse, die anderen bevorzugen geläutertes Virtuosentum. So findet ein jeder Geist sein angestammtes Element, in dem es ihn frei zu sein dünkt. Mich deucht indeß, man solle nichts von all dem ausblenden.