Warum ist die lateinische Sprache eigentlich ausgestorben?


Ein interessanter Link!

Mir war überhaupt nicht klar, dass sich bereits in antiker Zeit das gesprochene Latein (Umgangslatein) vom geschriebenen Latein zu entfernen begann, was dann in der Spätantike zum "Vulgärlatein" führte. Einem Wiki-Artikel über "Vulgärlatein" zufolge kann man also Vulgärlatein - mit gewissen Einschränkungen - auch als "Protoromanisch" klassifizieren, aus dem sich dann unter den besonderen Bedingungen der jeweiligen Länder die verschiedenen romanischen Sprachen herauskristallisierten.

Es gibt danach eine direkte Linie, die vom klassischen Latein über das Vulgärlatein zum Italienischen bzw. zu den romanischen Sprachen führt. So lebt das Latein eigentlich im Italienischen (und anderen romanischen Sprachen) weiter, ebenso wie das Althochdeutsche über Mittelhochdeutsch ins moderne Deutsch übergegangen ist.

Wie Konjugationsbeispiele im Wiki-Artikel "Vulgärlatein" zeigen, hat interessanterweise das Spanische die größte Nähe zum Vulgärlatein und nicht das Italienische, wie man annehmen könnte.
 
Von den zwei Konjugationen würde ich mich nicht blenden lassen.

Da ich kein Sprachwissenschaftler bin, kann ich das nicht beurteilen. So, wie die Konjugationen in Latein, Vulgärlatein, Italienisch, Spanisch und Französisch dort nebeneinanderstehen, ist auf jeden Fall die Nähe der romanischen Sprachen zum Vulgärlatein beeindruckend.

Althochdeutsch und modernes Deutsch weichen da meines Erachtens stärker voneinander ab - kann ich aber auch nicht wirklich beurteilen!
 
Wie Konjugationsbeispiele im Wiki-Artikel "Vulgärlatein" zeigen, hat interessanterweise das Spanische die größte Nähe zum Vulgärlatein und nicht das Italienische, wie man annehmen könnte.


Warum sollte das Italienische eine größere Nähe zum Vulgärlatein haben als das Spanische? Je abgelegener und je isolierter ein Dialekt, desto konservativer verhält er sich im allgemeinen. Die archaischsten Merkmale findet man fast nie im Zentrum einer früheren Sprache, sondern meist in isolierten Randgebieten - vorausgesetzt, sie sind dort nicht extremem Druck durch andere Sprachen ausgesetzt.
Die "archaischste" germanische Sprache ist nicht auf ehemals germanischem Kerngebiet zu finden, sondern in Island.
Die bemerkenswertesten Spuren des mittelalterlichen Deutsch findet man eher in den Alpendialekten als in den zentraleren Regionen.
Und unter den romanischen Sprachen hat wohl das Sardische die altertümlichsten Züge:
Sardische Sprache - Wikipedia

Zwar hat El Quijote recht mit seinem Einwurf, gleichwohl kann man auch die spanischen Konjugationen als gutes Beispiel dafür nehmen, daß einzelne altertümliche Merkmale in den Randgebieten oft besser konserviert werden als in der Zentralregion.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Warum sollte das Italienische eine größere Nähe zum Vulgärlatein haben als das Spanische? Je abgelegener und je isolierter ein Dialekt, desto konservativer verhält er sich im allgemeinen. Die archaischsten Merkmale findet man fast nie im Zentrum einer früheren Sprache, sondern meist in isolierten Randgebieten - vorausgesetzt, sie sind dort nicht extremem Druck durch andere Sprachen ausgesetzt.

Besten Dank für die Erklärung! Zunächst nimmt man als Laie ganz selbstverständlich an, dass sich eine Sprache in ihrem alten Kerngebiet am ursprünglichsten erhalten hat - also Latein bzw. seine Nachfolger in Italien!

Bei der sardischen Sprache schreibt Wikipedia tatsächlich:

Charakteristisch ist zudem der weitestgehende Erhalt des vulgärlateinischen Vokalsystems ...

Wie sieht das denn mit dem Räto-Romanischen aus?
 
Hyokkose schrieb:
Um 1700 schrieb man in aller Regel "Music" mit c. Daneben war auch die Schreibweise "Musique" recht häufig. Als deutsches Äquivalent für den Musicus dürfte "Musicant" damals die gebräuchlichste Bezeichnung gewesen sein, nicht nur für Spielleute, sondern auch für honorige "E-Musiker". Für "Musicker" dürften die Belege aus dem frühen 18. Jahrhundert eher rar sein; daß es solche Belege gibt, bezweifle ich nicht. Die gibt es ja bis zum heutigen Tag - auch für die "Musig" oder gar für die "Musigkanten"...
Ganz recht : "Music" dominiert um 1700; daneben trifft man aber häufiger auch auf "Musick" und "Musicq". Der Ausdruck "Musique" ist mir (außer wenn Französisch citiert wird) in Anspruchsvoller Litteratur noch nie begegnet. Diese Art von französeln gilt in galanten Bildungskreisen als "affectirt". Ja, sogar der Franzose Bonin, welcher als einer der führenden Tanzmeister in Sachsen einwanderte, paßt sich diesem wohltemperierten Gelehrtenteutsch an. Auch in seinem Buch findet man, jenseits der französischen Tanzbegriffsprache, überwiegend Lateinausdrücke.
Aber in dem Maße, wie heute mit Anglicimen affectiert wird (wo's ja "cool" ist, eine "Location" für einen "Event" vorzuweisen), haben damals viele-viele mit Frantzosch um sich geworfen (oft ohne richtig Französisch zu können).
"Musicant" ist absolut passend : wenn man etwa in Walters "Musicalisches Lexicon" schaut, wird man dem CANTUS als etwas nicht unbedingt Vocalspecifischem begegnen, denn eine Cantus kann hier auch eine instrumentaler "Gesang" sein. Den eMusiker gab es damals kaum. An den Höfen stellte man bevorzugt musicalische Lakaien ein (so wie den jungen Geiger Bach zu Weimar), aus denen die Hofcapelle recrutiert wurde und die Sologesangspartien sang häufig die Fürstin, Printzessin daselbst.
"Musig" trifft man jenseits der Bildungslitteratur an - z.B. privaten Briefen, oder in ... ich sag mal massenweisen pseudogalanten Trashdrucken. Aber den "Musicker" findet man durchaus in der Bildunglitteratur. Überhaupt findet man bei reinteutschen Endungen kaum das k ohne c. Meist steht doch in der Mitte und am Ende eines Wortes ck. Was man seltener durchaus finden kann (vor allem in Handschriften) wäre "Musikker". Daß aber "Musicer" ein gar wunderlicher Vogel wäre ging mir im vergangenen December ganz zu recht auf : entweder k, oder ck - oder man orthographiert eben romanisch weiter mit Musicus oder Musicant(e). Aber ich muß nochmals betonen, daß Musicker,bei dieser reinteutschen Endung, absolut Teutsche Normrechtschreibung ist.
"Musigkanten" sind so Manieren, denen man öfters im 16. und frühen 17.Jahrhundert begegnet. Es gibt freilich um 1700 nicht wenige Leute (vor allem in der Provinz), die einen betont altväterlichen Stil schreiben. Madame (von der Pfaltz - ich beiß mir eher die Zunge ab, ehe ich respectlos herum liselottiere) schreibt auch recht altfränckisch/altvätterlich. Wer wirklich auf der Höhe der Zeit orthographierte, richtete sich etwa nach MELETAON oder MENANTES. Aber auch mein verehrter Herr Tanzmeister Gottfried Taubert schrieb ein recht gestochenes Teutsch, auf der Höhe der Zeit. Johann Mattheson ist einige Jährchen jünger, aber ein genauso brillianter Schreiber. Caspar Stieler "Der Spahte" ist nun meine Generation (geboren um 1660) und schreibt nicht ganz so auf der Höhe der Zeit - ist aber allemal ein brillianter Schreiber. Der Jugend wurde damals gern nahe gelegt, solche "Bücher von guhter Qualitet" zu consumieren, um selbst einen guten Stil schreiben zu können. Ich fühlte und fühle mich das selbst mit angesprochen und beobachte mein Teutsch alle Tage mit Argusaugen ...
Und - jetzt kommt der Schlenker hinaus aus dem Offtopic : wer sich vor der galanten Welt nicht zum Narren machen will, sollte stets die lateinische Declinationstabelle dabei liegen haben!
Der Musicus, deß Musici, dem Musico, den Musicum u.s.f. ...
:) :) :)
Hyokkose schrieb:
Der Ausdruck "Kriminaler" bezeichnet einen Kriminalbeamten bzw. Kriminalpolizisten oder sonstigen Krimininalisten. Das Wort "kriminal" bezieht sich allgemein auf Verbrechen sowie deren Bekämpfung und Bestrafung, das Wort "kriminell" beschränkt sich auf Handlungen und Personen, die selbst verbrecherisch sind.
Ich rieche...rieche Umgangssprache. Wenn einer sagt: "Det is'n Kriminaler", ist das doch eine laxe Weglassung - jenseits allen Hochdeutschen. Sprachhistorisch ist "criminal" das lateinische Pendant zum französischen "criminell". Und genauso wurde es auch verwendet. Ein "Kriminalbeamter" ist jemand, der mit "Kriminellen" zu tun hat. Hier hat man den alten Lateinbegriff nicht französisiert - Kriminellbeamter wäre ja geradezu eine selbstbezichtigung. Aber die laxe Verstümmelung "eine Kriminaler" ist mir noch nie untergekommen. In der Umgangssprache würde man ja doch eher sagen "Bulle" bzw. netter "Grüner" oder "det Oje des Jesetzes".

Demoiselle schrieb:
Der Reüber ist ein criminal Subjectum, der ander mögte woll militarische Person seyn.
Demoiselle schrieb:
... Vielleicht ist der Häscher ein Criminator, selber Maleficant, weil der andere womöglich unschuldig ist ...
Meine ironischen Wortspiele sollten hier schon an den Kern gehen: Heute wird die lateinische Urvariante (um 1700 geläufig) für die Executive des Gesetzes verwendet (Kriminal-), während das Französische Pendant schlechterdings für die criminalen Maleficanten herhalten muß. Vielleicht wurde dies ja mit durch die deutsch-französische Feindschaft des 19.Jahrhunderts inspiriert. Der "Criminator" sprang mir vorgestern aus dem lat. Langenscheid ins Auge und ist ein Verleumbner - also durchaus ein maleficantes Subcject. - Polizeihassern wird dies vermutlich aus der Seele sprechen ...

Hyokkose schrieb:
Ich hätte nicht übel Lust, Dir zu einem kompletten Regelwerk zu verhelfen, das nur für Dich ganz allein gilt, nur bin ich hierzu leider auch zu faul.
Ich bin inzwischen recht gut im Reinen und finde meine Regeln recht logisch – logischer als den Duden. Nach wie vor neige ich dazu, bei deutschen Endungen nur eines der lateinischen doppel-r zu übernehmen. Ich werde über eine wasserdichte Ausformulierung einer Begründung jetzt mal in Ruhe nachdenken ...
Ansonsten möchte ich schon selbst activ sein und lasse mich ungern bedienen. Man könnte theoretisch gemeinsam an soetwas arbeiten, aber das müßte dann cooperativer ablaufen und nicht unter dem Vorzeichen eines Gegeneinander. Momentan scheinst Du ständig mit dem Hammer bereit zu stehen, um auf neues Porcelan von mir zu warten. Das kann ich auch als eine Ehre auffassen.
;)
Sehe zumal bislang aber wenig Scherben herumliegen.
 
Tekker schrieb:
Aufgrund der "Metamorphose", die die einzelnen romanischen Sprachen durchgemacht haben, würde ich deren Grundlage - eben Latein - durchaus als ausgestorben klassifizieren wollen.
Ja, ja, ja - und soweit zur lebenden Alltagssprache des Altertums und Frühmittelalters. Etwas anderes ist die Universalsprache Spätlatein - Verkehrssprache in der geistigen und geistlichen Welt. Was eigentlich zu wenig gesagt ist, denn jeder halbwegs gebildete Mensch (also auch der gewöhnliche Stadtbürger) hatte die Lateinschule besucht und konnte sich in der Fremde durchaus mit der universalen Gelehrtensprache Latein verständigen. Diese Sprache unterscheidet sich insofern vom lebenden Latein, indem sie starr ist - nicht mehr im Sprachfluß sich weiterentwickelnd. Das Communicieren war damit noch im frühen 20.Jahrhundert teilweise möglich. Mittlerweile klagen 'catholische Geistliche von der alten Schule' mittlerweile darüber, daß der Nachwuchsclerus kaum noch Latein verstehe. Latein ist im 20.Jahrundert also zum zweiten Mal ausgestorben - als Gelehrtensprache.

Tekker schrieb:
Wenn du so willst - ja! Nur wurde die niederländische Hochsprache auf der Grundlage eines anderen deutschen Dialekts gebildet.
Du sprichst meinen Hintergedanken aus, welchen selbst El Quijote - trotz seines unbestritten exorbitanten Specialwissens - nicht wird entkräften können: Es gab eigentlich nie eine deutsche Nation! Die einen nennen uns Allemannen, die anderen Germanen, wir selbst Teutonen - warum sollte man nicht auch Kimbern oder Cherusker sagen ... - Ja, wissen wir den eigentlich wer wir sind??
In einer Tagesmeldung von 1700 las ich damals in der Columne des Chur=Cölnischen Correspondenten erstaunt, es stünde in Frage, wie "diese Nation" (Chur=Cöln!) in der Frage der Spanischen Thronfolge stehe. In den Folgemonaten begegnete mir der Begriff "Nation" noch öfters und erschien mir bald völlig natürlich - eben im Zusammenhang mit Reichsfürstentümern. Die Teutsche Einigkeit wurde eigentlich aus dem Conflict mit Frankreich geboren: Teutsch war alles nichtfranzösisch beherrschte, was aus dem alten Frankenreich hervor gegangen war. Entweder Frankreich hätte alles dominiert, oder man mußte sich eben zusammenraufen. Das ähnelt nicht wenig den heutigen Palästinensern, welche ihre Identität aus dem Gegensatz mit Israel schöpfen.
Die Niederländer werden sich bedanken, aber eigentlich ist ihre Sprache tatsächlich einer von vielen Teutschen Mundarten gewesen. Wenn man den Engländern folgt, die uns ja Germanen nennen und spricht von germanischen Dialecten, wird diese These stimmiger. - Aber so offtopic ist das Thema gar nicht mal ... ich betone ja immer, Latein sei Jahrhunderte lang bei uns Hauptsprache gewesen. Und gerade weil der deutsche Sprachraum ansonsten keine einheitliche Sprache besaß, war die abendländische Universalsprache Latein bei uns so bedeutsam.
Mittelhochdeutsch ist zudem (das hatte ich gestern ausgelassen) keine Universalsprache gewesen, sondern eine des Bildungsadels. "Althochdeutsch" ist hinwieder ein Phantasieproduct der Sprachforschung, denn es gibt hier kaum Quellen. Niemand weiß eigentlich recht, was diese 'Sprache' ausgemacht hätte; man bezeichnet so - in Bausch und Bogen - einfach jenes, was vor dem Mittelhochdeutschen gewesen sein soll. Freilich ist Mittelhochdeutsch die erste (halbwegs) einheitliche deutsche Sprache - universal aufs wenigste in höfischen Kreisen. Aber sie war während der Gotik mit der wirklichen Universalsprache Latein nicht zu vergleichen (auch wenn sie das Deutsche später stark prägen sollte).
Die übernationale Universalsprache Latein war in Deutschland deshalb auch als innerdeutsche Universalsprache so bedeutsam, weil die deutsche damals kaum entwickelt war. Richtig vorrangetrieben wurde das Deutsch eigentlich erst ab dem Beginn des 17.Jahrhunderts, wo sich Sprachgesellschaften (v.a. die Fruchtbare Gesellschaft) gründeten. - Falls Zweifel aufkommen, kann ich gerne mal frühe deutschsprachige Schriftquellen citieren: Zum ersten für Laien kaum lesbar und verständlich, zum anderen sind die gedanklichen Inhalte darin doch wenig complex gewesen. Und so reibt sich der heutige Deutsche verwundert die Brille, angesichts des Phänomens, daß er (selbst mit dürftigem Französisch oder Englisch) französisch- und englischsprachige Incunabeln recht passabel lesen kann. Dahingegen sich selbst Kundige zuweilen nicht wenig mit deutschen Incunablen quälen. Und mhdt. Wörterbücher helfen nicht immer : es gibt im Mittelhochdeutschen so schrecklich viele Variationen, daß man gar nicht weiß, wo einem der Kopf steht. Und 'Althochdeutsch' - wie schon gesagt - gibt es eigentlich überhaupt nicht. Es gilt demnach für das Mittelalter auf jeden Fall:
ERGO LINGVA LATINA LINGVA TEVTONICA EST : QVONIAM LINGVA GERMANIA NON EST / PVNCTVS.
-
Tekker schrieb:
Weiteres OT: Das lange "s" gefällt mir auch nicht übel, und mein "daß" werde ich mir sicher erhalten wollen...
ſ
Es spricht Dein >das lange "s"< schrieb:
He! ... Haaallo, ich bin noch da! Ich lebe immerfort lustig weiter als Uuunicode ... :)
Man raunt, die Herren Engelländer hätten schon im 17.Jahrhundert angefangen, das lateinische ſ zu meucheln.
Ich versuch mal die Kurve zum Nichtofftopic zu kriegen :: indem nämlich das Spätlatein seinen besonderen Charme auch seinen Ligaturen verdankt. Das ſ steht hier nicht allein, ganz besonders hübsch finde ich die ct-Ligatur (wo eine kleiner Bogen vom c zur Spitze des t hinaufführt. Das Auge freut sich über solche kleinen Spielereien nicht wenig. Und so scheinen mir z.B. auch die Serifenwegrationalisten echte Schreibtischtäter gegenwärtiger Schulbanköde zu sein. Latein darf eben nicht nur rational sein - Latein kann auch anregende Spielerei sein! Die Pädagogen haben das Latein zu einer staubigen, drögen Masse verkommen lassen. Ist es da ein Wunder, daß die Welt von heute lieber mit Anglicismen spielet? Die leben wenigstens!
-
@Dieter
Ich meine schon, daß die Eingangsfrage geklärt ist: Die alte Universalsprache Latein wurde von der neuen Universalsprache Englisch verdrängt. America hat das Europäisch-Römische Reich längst abgelöst. Das ist aber nicht Schuld der USA, sondern liegt daran, daß wir bereitwillig zur Seite getreten ist, um dem Neuen Platz zu machen (und es neugierig aufzugreifen). Die Abendländer wissen selber, daß mit ihnen nichts mehr los ist und betäuben sich darüber mit americanischem Trash ...
:richter:
You know what I mean? Latin ist out and the american style is in now. That's the reason why latin had to die - yeah!
Ok ... "Dead Latin Blues": 1,2-1,2,3,4 ...
:serenade::banana::trompete:​
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie sieht das denn mit dem Räto-Romanischen aus?


Das Rätoromanische gilt ebenfalls als "konservative Randsprache", die "viele archaische Elemente bewahrt".

Rätoromanisch

Im phonologischen System scheint mir allerdings das Sardische noch ältere Züge zu bewahren. Besonders beeindruckend ist der Erhalt der velaren Aussprache des "c" (Wikipedia bringt das Beispiel "centum" -> "kentu"), d. h. daß das Sardische in diesem Fall die klassische Aussprache bewahrt, also die sonst im restlichen Vulgärlatein feststellbare Entwicklung nicht mitgemacht hat .
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ganz recht : "Music" dominiert um 1700; daneben trifft man aber häufiger auch auf "Musick" und "Musicq". Der Ausdruck "Musique" ist mir (außer wenn Französisch citiert wird) in Anspruchsvoller Litteratur noch nie begegnet.


Die Schreibweise "Musique" ist mir in verschiedenen amtlichen Dokumenten ohne französischen Hintergrund begegnet, geschrieben sicher nicht in literarischer Absicht, aber von wahren Meistern der Schreibkunst. Hier handelt es sich weder um private Briefe noch um "galante Trashdrucke".
Die Schreibweise sollte aber auch Musikinteressierten, die nicht in Archiven stöbern, geläufig sein:
AG Johann Sebastian Bach
www.bach.de | Johann Sebastian Bach | Leben | Leipzig


"Musicant" ist absolut passend : wenn man etwa in Walters "Musicalisches Lexicon" schaut, wird man dem CANTUS als etwas nicht unbedingt Vocalspecifischem begegnen, denn eine Cantus kann hier auch eine instrumentaler "Gesang" sein.


Der Hinweis auf den "cantus" ist absolut unpassend, denn dieser Begriff hat etymologisch nichts, aber auch gar nichts mit dem Musikanten zu tun.


Ein "Kriminalbeamter" ist jemand, der mit "Kriminellen" zu tun hat. Hier hat man den alten Lateinbegriff nicht französisiert - Kriminellbeamter wäre ja geradezu eine selbstbezichtigung.


Du hast es erfaßt. Zwischen "kriminal-" und "kriminell-" besteht ein Bedeutungsunterschied.


Vielleicht wurde dies ja mit durch die deutsch-französische Feindschaft des 19.Jahrhunderts inspiriert.


Nein, der Ausdruck wurde bereits im 18. Jahrhundert entlehnt. Übrigens ist der "Kriminalist" (frz. "criminaliste") ebenfalls eine Übernahme aus dem Französischen und stammt nicht direkt aus dem Lateinischen.


Momentan scheinst Du ständig mit dem Hammer bereit zu stehen, um auf neues Porcelan von mir zu warten.


Mit Verlaub, aber falsche Etymologien und falsches Latein mit Porzellan zu vergleichen, halte ich für äußerst unpassend.


ERGO LINGVA LATINA LINGVA TEVTONICA EST : QVONIAM LINGVA GERMANIA NON EST / PVNCTVS.

Was soll denn eine "Lingua germania" sein? Oder gar ein "Punctus"? Wo hast Du denn dieses schauderhafte Latein her? Aus dem Leben des Brian ("Romanes eunt domus")?


Brian: Romanes eunt domus


Und - jetzt kommt der Schlenker hinaus aus dem Offtopic : wer sich vor der galanten Welt nicht zum Narren machen will, sollte stets die lateinische Declinationstabelle dabei liegen haben!


Und das gilt nicht nur für die galante Welt, wie wir seit Brian wissen...
 

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Das Rätoromanische gilt ebenfalls als "konservative Randsprache", die "viele archaische Elemente bewahrt".

Rätoromanisch

Im phonologischen System scheint mir allerdings das Sardische noch ältere Züge zu bewahren. Besonders beeindruckend ist der Erhalt der velaren Aussprache des "c" (Wikipedia bringt das Beispiel "centum" -> "kentu"), d. h. daß das Sardische in diesem Fall die klassische Aussprache bewahrt, also die sonst im restlichen Vulgärlatein feststellbare Entwicklung nicht mitgemacht hat .

Da kann ich nur sagen: :respekt:
 
Versuch einer ordentlichen Hauß=Arbeit/ gehorsamliche/ von Demoisellen.

Ich muß zunächst zwei Fehler von mir corrigieren:
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(1) Es muß LINGVA GERMANICA heißen - ich war mir ohne Wörterbuch unsicher gewesen, aber es ist doch so wie bei TEVTONICVS.
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(2) Ich habe gestern einen chaotischen Gedankensprung verbrochen, wo mein überdimensioniertes Musikhirn sich in höchst unfüglicher und unschicklicher Manier entäußert hat, was mir äußerst wunderlich vorkommt und zumal unbegreiflich:
Der MUSICANT ist zwar principiell ein 'Music-Cantor', was aber mit der Endung "-ant" natürlich nicht gemeint ist.
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Was die Verwendung im frühen 18.Jahrhundert anbetrifft, so fürchte ich doch, daß mit dem Musicanten ein Dilentantist gemeint ist. Im Frisch (andere Auflage 1719) finde ich den Ausdruck gar nicht. Bei Walter (Musicalisches Lexicon, 1732) erstaunlicherweise auch nicht:
Johann Gottlieb Walther schrieb:
Musico (ital.) Musicien (gall.) Musicus (lat.) bedeutet so wol einen Compositeur, als Executorem; doch leget es der Usus mehr dem Executori, als den Componisten bey. s. Brossard. Diction p.77. Die heutigen Jtaliäner verstehen durch einen Musicum sonst nichts, als einen blossen Sänger. s. Matthesonii Crit. Mus. ... 8. p 91.
-
Sonst findet man bei Walter nur noch den "Musicien de la Ville", sowie die "Musicienne" und das wars : kein Musicant. Ich glaube freilich, daß es letzteres Wort um 1700 dennoch gibt. Man scheint es indeß in gebildeten Kreisen zu verachten - zumal die Endung "-ant" leicht an den Diletanten erinnern mag. Überhaupt scheint die "-ant" Endung weitgehend negativ gemeint zu sein, wenn man sich z.B. den Querolanten vor Augen hält.
Daß Walter den "Musico" [ital.] zu Anfang erwähnt, ist mir um 1700 auch geläufig. Auch wenn man mehr zu lateinischen Ausdrücken neigt, so herrscht bei diesem Berufsstand im Deutschen der italienische Ausdruck vor, das lateinische "Musicus" steht an zweiter Stelle. Ich wunderte mich jahrelang, weil ich "Musico" zunächst für eine lateinische Declination hielt, die fälschlicherweise im Nominativ verwendet zu werden schien. Da ich in Sachen Musik einen recht Französisch-Lullistischen Geschmack (als Tänzerin ganz natürlich) vertrete, tractiere ich das "Musico" freilich etwas stiefmütterlich.
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Verworffene Hausarbeit von Demoiselle schrieb:
Mein Bedürfnis war stets, daß die lateinische Herkunft eines germanisierten Wortes erkennbar und nachvollziehbar bleiben sollte. Auch wenn die Übernahme des lateinischen doppel-r von lateinpädagogischem Interesse ist, so muß ich hier auch Zugeständnisse an den deutschen Sprachgebrauch machen. Es gibt aber Beispiele, wo das doppelte r stehen bleiben muß, weil die Schlußsilbe lateinisch geblieben ist und die lateinische Conjugation dies vorgibt:
-
Current(-Schrift).
-
Hänge ich aber die Silbe "-iren" an, fällt an der Bruchstelle zwischen lateinischem Wortstamm und deutscher Endung ein r weg, weil man im Deutschen doppel-r von je her zu trennen pflegt.
Nach dem ersten r greift also die deutsche Silbentrennung und läßt die Übernahme des weiteren r nicht zu. - Daß das zweite r grundsätzlich flexibel ist, sieht man an verwandten Substantiven (discursus, cursor). Die germanisierte Verbform sollte nach meinem Empfinden an die gesamte Wortfamilie erinnern und hier alle Beziehungsmöglichkeiten offen lassen.
Siehe auch : der Curier
-
Wo ich das rr in einen deutschen Text übernehmen wollte, würde ich lieber gleich die ganze lateinische Conjugation übernehmen, etwa: "Nein, ich agitiere hier nicht : discurro!" - Warum nicht?
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Man kann diesen ganzen Discurs übrigens elegant umschiffen, indem man "discursieren" sagt. Dann bezieht man sich auf lateinische Substantive und beläßt das rr ungemolestiert.
Soweit all jenes, womit ich mir gestern die halbe Nacht um die Ohren schlug. - Aber : warum sollte man der LINGVÆ LATINÆ den Tribut rr nicht gönnen? Meine unausgesprochenen, eigentlichen Bedenken gingen zunächst dahin, daß mir "discurrieren" zu lang vorkam. Damit wäre es weniger eingängig und hätte weniger Chancen auf eventuelle Verbreitung. Außerdem gibt es im Deutschen das Wort "Curier", ein ja Französischer Begriff und das "-ier" daran ist rein Französisch. Daß "-ieren" eines ganz anderen Characters ist, erkennt man klarer, wenn man sich vor Augen führt, daß es in der Frühneuzeit meißt noch "-iren" lautete (was man eigentlich hätte belassen können ...). In den "Curier" kann man auf keinen Fall ein zweites r einfügen. In Wörterbüchern würde man aber ja anmerken, daß der "Curier" Französisch ist, während "discurrieren" Latein mit deutscher Endung ist. In vertiefenden Fachbüchern könnte man dann auch erfahren, wie "-iren" dereinst ebenfalls aus Frankreich kam.
Dann gibt es noch das Französische "curer", bei uns bekannt als curieren und das kommt vom lateinischen curare. Dementsprechend müßte "discuriren" mit "vernachlässigen", bzw. (medicinisch) nicht/schlecht versorgen, übersetzt werden.
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Also doch discurrieren. Die galante Welt hatte mir in diesem Fall vielleicht was Unrechtes beigebracht ...
:(
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Eine gewisse Unzufriedenheit aber bleibt: Ein deutsches Wort, zusammengesetzt aus einem lateinischen Ausgangswort, einer altfranzösischen Infinitivendung und einem deutschen "-en" - welch bunter vogel!
Mit diesem Unbehagen griff ich nach Stieler und Frisch: Caspar Stieler hält in seinem Zeitungssprachewörterbuchanhang von 1695 (in "Zeitungs Lust und Nutz") "discouriren" bereit, das mir eigentlich bekannt vorkommt (wie übrigens auch "Discourse"). Im Frisch (1719) findet sich dann "discourir".
Was das Neudeutsche Wort "diskutieren" angeht, so ist dies ein besonders schriller Gesell, wie mir soeben auffällt: gegenwartsfranzösisches Ausgangswort, combiniert mit altfranzösischer Endung, garniert mit deutschem "-en". Und weil das noch nicht bunt genug ist, wird das Ausgangswort mittels k verfremdet, die altfranzösische Endung hatte man schon zuvor zum "-ieren" erweitert.
-
Am Ende versammelt sich hier ein ganzes vogelhaus, voll lauter bunter Exoten.
-
Bitte sucht euch einen recht hübschen aus ...
;)
 
J.S.Bach schrieb:
derjenigen Wißenschafft ... in der Musique erlanget
J.S.Bach schrieb:
Solche gnädigste Gewehrung meines demüthigsten Bittens wird mich zu unendlicher Verehrung verbinden und ich offerire mich in schuldigsten Gehorsam, iedesmahl auf Ew. Königlichen Hoheit gnädigstes Verlangen, in Componirung der Kirchen Musique sowohl als zum Orchestre meinen unermüdlichen Fließ zu erweisen, und meine ganzen Kräffte zu Dero Dienste zu widmen, in unauffhörlicher Treue verharrend ...

Das Bach so französisch Affectiert, verwundert mich aufs höchste. Denn eigentlich ist er ja derjenige, welcher der galanten Musik den Rücken gekehrt hat. "Kirchen Musique" finde ich eigentlich besonders seltsam. Vielleicht war er einfach ein sehr widersprüchlicher Mensch. Vielleicht mußte er sich aber auch dem französelndem Kleinbürgertum anpassen, weil er eben geringeren Erfolg hatte. Beim Clerus hätte er mit Latein aber sicher mehr Gnade gefunden, als ihm ja beschieden war ...

Bach war übrigens zur Lebenszeit relativ unbedeutend - gegen Telemann eigentlich ein Zwerg. Erst die Nachwelt hat ihn geradezu zum Götzen erhoben. Es ist nun nicht so, daß ich vor Bach annähernd so viel Respect habe, wie vor Telemann, der nicht so eintönig sequenciert und harmonisch wesentlich interessanter componiert.

Ich bleibe dabei, daß man in der gebildeten Welt des frühen 18.Jahrhunderts Latein bevorzugt.

Was soll denn eine "Lingua germania" sein? Oder gar ein "Punctus"?

"LINGVA GERMANICA" muß es heißen - ich hätte nicht ohne Langenscheid aus der Hüfte schießen sollen. Ja, PVNCTVS heißt "der Punct", aber vielleicht wäre PVNCTVM besser gewesen, also "einen Punct ..."
Lassen wir den Punct weg und sagen einfach: Die Deutschen hatten keine einheitliche Sprache und hatten Latein bitter von Nöten - soda (ist "soda" besser?). - Aber das ist doch wahr, oder nicht?
 
Zuletzt bearbeitet:
:fs:
Was mir in der Straßenbahn noch eingefallen war:
Mit meinem DEAD LATIN BLUES wollte ich die heutige Weltsprachenlage, sowie ihre Bedeutung für das Latein ein bißchen veranschaulichen. Aber wie geht die Geschichte möglicherweise weiter - d.h. wie ist der Ausblick?
Da fiel mir ein, daß das Latein künftig möglicherweise zum dritten Mal aussterben wird:

Das erste Mal als Alltagssprache der alten Römer, das zweite Mal an der Schwelle zur Moderne als Gelehrtensprache und das dritte Mal vielleicht einmal in Form des Universalenglisch ...

Ich erinnerte mich nämlich an eine Hörfunkreportage, welche der US-Correspondent des rbb unternommen hatte. Dabei ging es um Americanische Kinder, welche Chinesisch lernen. Das soll in den USA nicht wenig verbreitet sein, daß nämlich Eltern zur Erkenntnis gelangen, wie doch die wirtschaftliche Bedeutung Chinas im Wachsen begriffen sei und ihre Sprößling das Geld möglicherweise am besten von dort zu erwarten hätten. Wenn der Correspondent nicht übertrieben hat (wovon ich nicht ausgehe), muß Chinesischlernen regelrecht Mode in den USA sein.
Wie soll man sich da als Abendländer verhalten? Mit aufspringen und mitschwimmen, oder gegenhalten und Latein lernen? Aber ich frage das ganz wertneutral - diese Perspective amüsiert mich zutiefst: Noch schimpft man über Anglicismen - vielleicht kommen irgendwann die Asicismen und alles richtet sich danach.

Das war's für heute:
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Gleiche hatte ich in der Schule mit Russisch. In Zeiten von Glasnost und Perestroika war es "in" Russisch zu lernen, da Russland in Zukunft ja DIE Wirtschaftsmacht/der Wirtschaftspartner sei...
 
Das Gleiche hatte ich in der Schule mit Russisch. In Zeiten von Glasnost und Perestroika war es "in" Russisch zu lernen, da Russland in Zukunft ja DIE Wirtschaftsmacht/der Wirtschaftspartner sei...
Ja, aber da ist was dran. Und man beachte auch den öconomischen Gedanken dabei. Viele Individuen treffen ihre Sprachwahl, weil sie hier wirtschaftliche Chancen sehen. Damit fördern sie die neuen Mächte natürlich und treiben den Proceß um so schneller voran ...

Dagegen nimmt sich mein Folgebeitrag (zuhause geschrieben) reichlich altväterlich aus.
;)
 
Aus einem Brief von Johann Mattheson an Prof. Dr. Heumann: schrieb:
... Haben Ew. HochEdl. in ihrer Minerva mir zu viel Ehre angethan/ so bin ich zu frieden/ daß Sie selbige in ihrem künfftigen Ausspruch ein- und zurück ziehen : weil ich für nichts angesehen werden will/ als was ich wircklich bin. Scilicet uni aequus virtuti atque eius amicis. Nur das eintzige Vorrecht/ als ein jus primarum precum, bitte mir aus/ unaufhörlich mit aller Ehrerbietung und Hochachtung/ auch bey gantz wiedriger/ doch wahrhaffter Sententz/ zu seyn und zu bleiben
Ew. HochEdl. ect.
gehorsamer Diener
Mattheson.
Hamb. den 20. Jul. 1728.
Diesen Brief hatte ich aus Matthesons "Der Musicalische Patriot" (1728) copiert. Daraus sieht man, wes Geistes ein erfolgreicher Musiker zu sein hatte. Bach hatte nicht das Glück, eine so umfassene Ausbildung zu erhalten und er verstrickte sich ja auch in Pietisterei (auch wenn er nicht zu den allerradicalsten zählte), die leider stets mit Beschränktheit einher ging. Mattheson erlangte immerhin den Posten des Music-Directors an der Hamburger Oper, was er ohne classische Bildung nie erreicht hätte: Latein, Latein und nochmals Latein! - Denken wir auch an Händel und Telemann, welche beide zunächst Jura studiert hatten. Händel war nicht glücklich damit, doch im Nachhinein hat sich dies für beide von Vorteil erwiesen.
Was Bach angeht, so vercörpert dieser ja den Beginn einer Entwicklung, welche, von classischer Bildung weg, hin zum musicalischen Fachidiotentum führte. Das begünstigt den Kleingeist, dem man auch bei Mozart begegnet. Die Übertreibung von Virtuosität führt gerade auch bei reinen Instrumentalisten und Sängern dazu, daß man seine Zeit mit stupidem Technikfeilen verbringen muß. Classische Bildung bedeutet Reichtum, während etwa das 'absolute Gehör' eine Verarmung ist, die einer Behinderung gleichkommt (weil Tonhöhe relativ ist). Die lateinische Bildung trat damals schon ziemlich zurück und statt dessen nahm das affectierte Französeln zu. Na, wenn einer einen Text in blendendem Französisch verfaßt : Hut ab! - Aber "Kirchen Musique"?? - Warum schaut Bach nicht einfach in das Musicalische Lexicon seines Schwagers Walter? Da findet sich "Musica Ecclesiastica"; oder er hätte einfach "Kirchen=Music" geschrieben. Schriebe er etwa, er hätte eine "Musique galante" verfaßt, würde man das ohne weiteres acceptieren (obschon "galante Music" eigentlich reichen würde). Aber die stockconservative Kirche mit "Musique" zu verbinden, ist etwa so eloquent wie muselmannische Weinseeligkeit.

Das Affectieren hört man z.B. auch bei Charlie Parker: Wenn man aus seinen Improvisationsfloskeln die immergleichen Abwärtschromatischen Scalen streicht, sowie ähnliche Virtuosenfloskeln, bleibt nicht mehr viel übrig. Diese Überlegung war der eigentliche Grund, warum ich mich irgendwann der alten Musik zuwandte: Ich spürte einfach, daß hier nicht der Effect im Vordergrund steht, sondern Geist, mit natürlichem Ausdruck. Und das ist auch der Grund, weshalb ich mich Eingangs für MINERVA ausgesprochen habe. Die Schweinchen aus der Herde des Epicur affectierten einst freilich Latein, später aber Französisch und nun Englisch. Mit Latein kann man diese nervigen Leute vertreiben, das verträgt ihr 'sexy body' nicht.

Gestern bekam ich ja einen Lachkrampf, als der rbb-Hörfunk eine Reportage aus Guben brachte, wo ja der Herr Leichenplastinator zu sein beliebt. Da arbeitete gerade eine blonde Expflegerin an einem "body". Ich meine, man hat ihr das da so beigebracht und ich verstehe, daß sie da mehr verdient, als auf einer Pflegestation. Aber hätte man doch wenigstens CORPVS gesagt! Nein, baby arbeitet an einem body. Wo ist sie nur hin die lateinische Bildung? Oder warum reden die da nicht im ganzen Satz Englisch? oder Chinesisch? Diese affectierten Anglohäppchen bringen mich jedenfalls zum Lachen.

Es ist allerdings nicht so, daß vor 300 Jahren die ganze lateinische Bildung stecken geblieben sei, während heute gar nichts mehr davon auszumachen wäre. Es gab ja vor 300 Jahren jede Menge Leute, denen "Kirchen Musique" genauso natürlich erschien wie jene, die sich heute Milch auf ihren "body" schmieren. Leute die hochgeistig arbeiten und dabei auch ständig in classischer, lateinischer Bildung gründeln, wirken ja eher verborgen. Ich höre ja rbb-Inforadio, weil sich dergleichen Leute da entäußern. Auf den Dudelsendern, wo "sexy baby" ihren "body" u.s.f. ... da ahnt man von diesen Leuten ja nichts. Was man nur nicht machen sollte, ist, Lischen Müller auf der Straße mit lateinischer Bildung confrontieren. Die denkt dann, man käme vom Mond und das gäbe es eigentlich gar nicht wirklich. So war's ja schon immer. Aber daß Latein immer mehr aus dem öffentlichen Bereich verdrängt wird, ist keine Frage. Man kann selbstredend auch mit Chinesisch klug werden ... - Aber bitte im ganzen Satz!!

P.S.: Ich hab's über die Jahre vor mir hergeschoben. Aber jetzt, wo ich die Lehre der alten Tanzmeister durch habe, muß ich unbedingt Matthesons "Critica Musica" (hört, hört : Latein!) lesen. Diesen Mann zu lesen ist mir ein Genuß - das ist eine ganz andere Qualität, als Privatbriefe von Bach.
;)
 
Noch ganz kurz @Hoykkose:

Was Du da bei mir anstreichst, ist ja ok, Hoykkose - ist ja auch Dein Job (hört-hört, Anglicimen, aber gemäßigte Varianten, wie ich finde).
Aber im Boden versinken muß ich deshalb wohl nicht. Ich schreibe ziemliche Mengen (10Finger-blind) und manchmal hau ich halt daneben.

PVNCTVM ist neutrum - das entnahm ich dem Langenscheid erst heute (mein vorheriges pvnctvm war als männlicher accusativ gemeint und daher nur scheinbar correct). Ich dachte immer die Teutonen wären so gescheit und gehen nach dem Latein - hm, wenn ein Ausländer hier studiert und gleichzeitig Deutsch und Latein nachlernen muß, ist das ja grausam!

Zu den criminologischen Affairen: Ich kenne aus der Originalpresse (wiederholt) die Varianten: "criminaler Vorfall/Zufall" oder auch "criminale Affaire" und so schrieb nicht nur ein Correspondent. Man war damals jedenfalls näher am Latein dran, auch wenn es das Wort "criminelle" daneben auch sicher gab (criminelle Affaire wäre ja auch consequenter und sowas wirkt ja auch nicht affectiert).

Auf jeden Fall vielen Dank für die Anregungen!
:)
 
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