Stellenwert von Kunst & Künstler in der Antike

R

Rackham

Gast
Bei diesem Thema bin ich bisher auf widersprüchliche Einschätzungen getroffen:

Auf der einen Seite scheint es eine abwertende Haltung gegenüber dem bildenden Künstler zu geben, der als "Banause" dem Handwerk und körperlicher Arbeit zugerechnet wird. Auf der anderen Seite gibt es durchaus Persönlichkeiten wie Apelles oder Zeuxis, die in antiken Überlieferungen Erwähnung finden.

Ähnliches bei Platon, in der Sekundärliteratur finde ich sowohl eine tendenziell positive Bewertung in Bezug auf die Person des Dichters (die Aussagen sind wohl auf Ion bezogen) als auch den Verweis darauf, daß Dichtung für ihn Täuschung gewesen sei und er den Dichter aus seinem Idealstaat ausschließen wollte (-> "Politeia").

Im letzteren Falle habe ich die Vermutung, daß Platon einfach seine Meinung geändert hat, im ersten Fall könnte es natürlich eine rückwirkende Verklärung durch die Überlieferung sein, die sich nicht so sehr an Alltagsrealitäten orientiert.

Hat sich jemand von euch schon mal intensiver mit dem Thema beschäftigt und andere Informationen bzw. Erklärungen?
 
Ich glaube, man muss hier zwischen der allgemeinen Bewertung und der der Philosophen unterscheiden. (Wie es doch auch heute einen großen Unterschied in der Bewertung der Kunst gibt zwischen dem "Mann auf der Straße" und den Kunstkritikern und dann nochmal der katholischen Kirche.)

Die Haltung des Zeuxis finde ich dabei aufschlussreich: als er berühmt wurde, verschenkte er seine Bilder, um seine anti-banausische Haltung kundzutun. Obwohl er gleichzeitig für das Anschauen seiner Bilder Geld verlangte - das war aber kein Widerspruch!

Wenn ich das griechische Fühlen recht verstehe, dann ging es wohl darum: Jemand, der ein Kunstwerk schuf, um von ihm zu leben (d.h. Geld dafür zu nehmen), war banausisch. Wenn aber einer z.B. den Pindar bat, seinem Sohn ein Siegergedicht zu schreiben, oder wenn der Künstler nichts mit der Hand tun musste außer sie aufzuhalten :), dafür aber Geld erhielt - wie Zeuxis bei seiner Helena -, oder wenn einer von reichen Leuten Zuwendungen erhielt, dann war er ein Künstler. Homer war deshalb so angesehen, weil er von den Fürsten gerufen und ausgehalten wurde. Und die Tragödiendichter, weil sie im Wettbewerb gewannen, nicht, weil sie für Geld dichteten.

Bei den Philosophen ist es nun wieder etwas Besonderes, das ganz sicher vom griechischen bzw athenischen Gemeindenken unterschieden ist: Der Philosoph strebt nach vernünftiger Klarheit, der Künstler vertieft sich in den Mythos und damit ins Irrationale (s. Plat.Pol.378ff). Das war im Grunde Platos Position, die aber doch in sich widersprüchlich ist, weil er ja selbst begnadeter Schriftsteller und Mythenerzähler war. Oft merkt man den "anti-subjektivistischen" Zug, den dann der alte Plato bis zum Extrem betreibt: die Schönheit bestehe eben nicht in den Schöpfungen der Künstler, sondern in der Sittlichkeit, die aber ändere sich nicht, daher wird die unbewegliche Kunst Ägyptens gelobt (Plat.Nom.656b-657c). Dagegen wird der Künstler als einer dargestellt, der dem Betrachter bzw Zuhörer Lust verschaffen möchte; dies aber widerstrebt dem objektivistischen Schönheitsideal des greisen Philosophen.

Ganz interessant finde ich hierbei die Zuspitzung bei Plotin, der sich ja bekanntlich nicht portraitieren lassen wollte mit dem Argument, er möchte nicht noch von dem Abbild, das er selbst sei, ein weiteres Abbild schaffen, das dann vollends zu einem Schatten verkommt.
 
Sicherlich hat sich der Stellenwert im Laufe der Antike auch durchaus gewandelt und in Zeiten der Archaik spielte sie sicher eine schwächere Rolle. Aber zur Blütezeit der Antike, muss die Kunst und auch der Künstler einen hohen Stellenwert im Leben der Alten gehabt haben. Sonst wären uns nicht solch zahlreiche Namen erhalten geblieben, wenn sie mit einfachen Handwerkern auf einer Stufe gestanden hätten. Und hätte die Kunst und deren Künstler nur eine untergeordnete Rolle gespielt, wären sicherlich nicht solche Unsummen als Entlohnung bezahlt worden, um von einem ganz bestimmten Künstler ein Kunstwerk zu erhalten.
 
@lynxxx
Keine Frage, dass die Kunstwerke geschätzt wurden. Die Frage zielt vielmehr darauf, inwieweit die Künstler geschätzt wurden!
 
Keine Frage, dass die Kunstwerke geschätzt wurden. Die Frage zielt vielmehr darauf, inwieweit die Künstler geschätzt wurden!

Interessaante Frage, wie man das voneinander trennen kann - die Bewunderung eines Kunstwerks von der Bewunderung für den Erschaffer dieses Kunstwerks.
 
Sicherlich hat sich der Stellenwert im Laufe der Antike auch durchaus gewandelt und in Zeiten der Archaik spielte sie sicher eine schwächere Rolle.

In spätarchaischer Zeit, vereinzelt auch bereits im 6. Jh. v. Chr., begannen Bildhauer ihre Werke mit Signaturen zu versehen, was auf eine entsprechende gesellschaftliche Schätzung zurückgeführt wird. So ist z.B. die Phrasikleia-Kore (um 550 v. Chr.) von einem Parier namens Aristion signiert worden.
 
Dem würde ich noch die Vasenproduktion hinzusetzen, wo man auch ab spätes 6.Jh begann, die Werke zu signieren, bekannte Künstler hierbei wären etwa Tallidas, Timagoras, Amasis oder Exechias, die jedenfalls sind mir bekannt. Oder der berühmte Duris. Allerdings muss man das sehr relativieren: von 70000 bekannten Vasen sind gerade mal 900 signiert!

Der Vasenmaler hatte es da sicher noch schwerer als der Bildhauer, der ja oft heilige Statuen schuf. Er stellte Gebrauchsgüter her und bemalte sie dann künstlerisch, da ist ja selbst der Zweck schon sehr alltäglich.

Der Status des Vasenmalers war eben - wie jeder Künstler - der eines Handwerkers, und das, denke ich, ist der Grund für die Geringschätzung; oftmals war der Maler = der Töpfer und stellte daneben auch Ziegel her. Dennoch haben wohl einige versucht, ihren Status ihrer Kunst anzupassen.

Handwerker hatten schon zu minoischer Zeit eine eigenartige "Doppelnatur": sie waren üblicherweise fahrendes Volk, da ein Dorf einen speziellen Handwerker übers Jahr gar nicht beschäftigen konnte. Dann waren sie einerseits für ihre Fachkenntnisse geschätzt, andererseits aber auch gefürchtet, man dichtete ihnen Magie u.ä. an, und dann, weil eben heimatlos, geächtet, meist lebten sie auch außerhalb der Dorfgemarkung. Der hinkende Schmied Hephaistos scheint mir diese schwankende Wertung gut zu charakterisieren: einerseits war er ein Gott, gleichzeitig aber hässlich und ein Krüppel, hart ausgedrückt. Und der Künstler hat diese ambivalente Einschätzung erstmal geerbt, bis er sich dann langsam davon emanzipiert hat.
 
Für Hephaistios' Behinderung kenn ich die Interpretation, dass körperlich Eingeschränkte ihre Kriegsuntauglichkeit durch Handwerk kompeniserten bzw. auf diese Berufe aufweichen mussten.
Hat Aristoteles nicht einiges über den schädlichen Einfluss von körperlicher Arbeit auf die körperliche Leistungsfähigkeit gesagt?
 
(..) von 70000 bekannten Vasen sind gerade mal 900 signiert!

Der Vasenmaler hatte es da sicher noch schwerer als der Bildhauer, der ja oft heilige Statuen schuf. Er stellte Gebrauchsgüter her und bemalte sie dann künstlerisch, da ist ja selbst der Zweck schon sehr alltäglich.

Der Status des Vasenmalers war eben - wie jeder Künstler - der eines Handwerkers, und das, denke ich, ist der Grund für die Geringschätzung; oftmals war der Maler = der Töpfer und stellte daneben auch Ziegel her. Dennoch haben wohl einige versucht, ihren Status ihrer Kunst anzupassen.

Damit kommen wir eigentlich zu dem Punkt, wann man einen Handwerker als Künstler bezeichnet. Nur weil jemand in Massenproduktion Porzellan bemalt, wertschätzen wir heute auch keinen als einen herausragenden Künstler.
 
@aquilifer
Für die späte Archaik und Klassik überwiegt tatsächlich die Arbeitsteilung, daher hat man gelegentlich 2 Signaturen auf einer Vase, weniger für frühe Archaik, geometrische Zeit usw. Leider kenne ich keine Zahlen darüber, wie das verteilt war, in der Literatur heißt es meistens lapidar "Töpfer und (oder) Maler".

@Themistokles
Für Hephaistios' Behinderung kenn ich die Interpretation, dass körperlich Eingeschränkte ihre Kriegsuntauglichkeit durch Handwerk kompeniserten bzw. auf diese Berufe aufweichen mussten.
Klingt plausibel, aber ich wollte nicht sagen, dass Handwerk hässlich macht, sondern umgekehrt, dass Hässliche Handwerker werden - warum auch immer. (Leute mit Behinderungen mögen mir verzeihen, ich versuche nur, die Gefühlswelt der antiken Griechen wiederzugeben.) Schon bei seiner Geburt fand Mutter Hera den Hephaistos so abstoßend, dass sie ihn den Olymp hinunterwarf. Schönheit hatte ja damals eine besondere Bedeutung, nämlich auch moralisch und sozial "gut" zu sein. Der Umkehrschluss ist zwar logisch falsch, dennoch gang und gäbe: dann ist der Hässliche der moralisch / sozial Fragwürdige. Beispiel wäre Thersites in der Ilias. Auch der Kasten des Kypselos (Kypselos - Wikipedia) zeigt die Ungerechtigkeit als hässliche Frau, auch Eris wird dort hässlich dargestellt.

Zur Figur des Hephaistos noch ein Satz aus Ranke-Graves: "Hephaistos ist hässlich und übellaunig, aber er hat starke Arme und Schultern, und seine Arbeit ist unübertrefflich."
 
Damit kommen wir eigentlich zu dem Punkt, wann man einen Handwerker als Künstler bezeichnet. Nur weil jemand in Massenproduktion Porzellan bemalt, wertschätzen wir heute auch keinen als einen herausragenden Künstler.

Die bemalte Keramik war Feinware und kein einfaches Küchengeschirr.
 
Die Fragestellung des Threads betrifft ja nicht nur die Wertschätzung der Künstler im "gemeinen Volk", sondern auch bei den Philosophen, insbesondere Platon. Ich habe deshalb das X. Buch des Staats nochmal gelesen und will es hier kurz-kurz wiedergeben. Wer selbst lesen will, gugge hier: http://www.opera-platonis.de/Politeia10.html Achtung: Man sollte die Platonische Ideenlehre kennen, sonst versteht man es nicht!

Platon bestimmt zunächst den Wesensbildner. Er (der/das Göttliche) bestimmt die Idee eines Gegenstandes, zB eines Bettes. Anders ausgedrückt: den Plan oder das Muster dieses Bettgestells. Nach seiner Vorgabe werden die Millionen von konkreten Betten gefertigt, und diese von den Werkbildnern, also den Tischlern, die Bettgestelle herstellen. Diesem Handwerker nun folgt der Nachbildner, der Maler also, der das Bettgestell malt. Nicht das Bettgestell selbst steht auf seiner Leinwand, sondern ein Bild des Bettgestells. (Erinnere dich an das berühmte Bild von René Margritte: "Ce n'est pas un pipe".)

So sind all diese Stufen auch Abstufungen der Wahrheit. Der Schöpfer der Idee steht in der Wahrheit, der Nachbildner jedoch in der 3. Stufe, seine Wahrheit ist nur noch ein Schatten.

Das gleiche gilt übrigens auch für den tragischen Dichter, dessen höchste Ausprägung Homer darstellt. Wenn nun Homer nicht Nachbildner, sondern Werkbildner wäre, dann entstünden uns aus seiner Dichtung Wirkliches. Also z.B. Stadtgründungen statt nur Berichte von Stadtgründungen, oder Gesundheit statt Dichtungen über Asklepios' Heilkunst, oder gelungene Feldzüge statt bloßen Gesängen darüber. Homer selbst wäre dann Feldherr geworden statt nur schön über Feldzüge zu schreiben.

Die Folgerung ist zwingend: Homer hat nicht selbst die Tugend geliefert, sondern Schattenbilder der Tugend (600e). Die Nachbildner aber sind der Wahrheit fern - sie stehen ja auf der 3. Stufe -, und da sie auch fern von der wahren Tugend stehen, sind sie notwendigerweise schlecht, unwahr, ungesund. Sie sind das umso mehr, als eine Nachbildung wahrer Tugend die Zuschauer kaum reizen würde! Nur das, was die Sinne aufreizt, wird nachgebildet, d.h. aufgeschrieben, um der Menge zu gefallen. Der Dichter weckt das Gefühl und vernachlässigt die Verunft, daher darf er nicht in Platons Staat mitwirken (605d ff).
[Ich: da kann er froh sein! So sehr ich Platon als Philosoph schätze, so mies finde ich ihn als politischen Theoretiker. Allerdings: die Beschreibung der Schreiberlinge als Nachbildner hat etwas, wenn wir uns süßliche Werke à la Rosamunde Pilcher anschauen. Dennoch trifft Platon IMhO nicht das Wesen der Kunst.]
 
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