War Friedrich II. wirklich der "Große"?

Das Kantonatssystem verringerte sicherlich Desertionen.
Wenn ein Soldat desertierte, war es übliche Praxis, einen Verwandten als Ersatz einzuziehen, jedenfalls wurde der Ersatz aus dem Heimatdorf des Desertierten rekrutiert, was für eheblichen sozialen Unfrieden sorgen konnte. Ein als Landeskind geworbener Deserteur konnte sich nach seiner Flucht kaum mehr in seinem Heimatort blicken lassen und musste auf wichtige soziale Kontakte verzichten.
Ich dachte, man legte dann auch Soldaten bisweilen in die Häuser der entsprechenden Familien zumindest in Friedenszeiten, was dann schon eine bedeutende Belastung für die Betroffenen bedeutete.:grübel:
 
@Brissotin: Ich dachte, man legte dann auch Soldaten bisweilen in die Häuser der entsprechenden Familien zumindest in Friedenszeiten, was dann schon eine bedeutende Belastung für die Betroffenen bedeutete.:grübel:

Das sogenannte Bürgerquartier wurde im 18. Jh. durch die Kasernierung abgelöst.

Aus Tante Wikipedia:
In der Neuzeit begann der Kasernenbau gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit dem Aufkommen von sogenannten stehenden Heeren insbesondere in Frankreich unter Ludwig XIV. Zuvor waren die Soldaten in Bürgerquartieren untergebracht.
Ab dem 18. Jahrhundert wurden in größerem Umfang Kasernen gebaut, die in Deutschland (besonders Preußen) jedoch zumeist nicht als Mannschaftsunterkünfte, sondern als Wohnhäuser für Soldaten und ihre Familien eingerichtet waren. Darin hatte jede Familie eine Stube und eine Kammer, in der der Soldat mit seiner Frau und Kindern sowie gelegentlich weitere junge Soldaten lebten.
 
Das sogenannte Bürgerquartier wurde im 18. Jh. durch die Kasernierung abgelöst.
Nicht überall. Bei uns auf dem Lande gab es zwar auch Truppen aber eben keine Kasernen, dass es Kasernen gab war das Neue aber beides bestand nebeneinander fort. So ist mein Kenntnisstand. Wenn Truppen in eine Gegend zum Manöver rückten gab es dort natürlich auch Einquartierungen oder auf dem Wege dorthin. Das Vorgehen war unterschiedlich. Im 18.Jh. gab es noch große Zeltlager, wie man sie z.B. auf Gemälden im HGM Wien sieht, am Ende des Jahrhunderts verschwanden diese wieder und provisorische Bauten (Laub-, Stroh- und Bretterhütten) wurden nur errichtet, wenn man längere Zeit an einem Ort war.

Als konkretes Beispiel denke ich an die Dragoner des Regiments von Posadowsky, die in Wriezen und Umgebung sowie in Schwedt lagen.
 
Im Militärstaat Hessen Kassel gab es in der Hauptfestung Ziegenhain keine Kaserne, und die Rekruten für Amerika mußten in Privatquartieren, später zum Teil im Rittersaal des Schlosses untergebracht werden, was die Militärbürokratie seit 1777, als die Festung Rekrutendepot wurde, nicht mehr ruhig schlafen ließ, wegen der Desertionsgefahr. Um das zu verhindern, war die Wasserfestung sehr gut geeignet, weil jeder Deserteur 2 40 m breite Wassergräben und einen kilometertiefen Kordon überwinden mußte. Im Winter besaß die Garnison sogar einen eigenen Eisbrecher, der von den Zivilisten getreidelt werden mußte.

Mit zunehmender Dauer des Krieges wurden die Rekruten offenbar unzuverlässiger, und der Festungskommandeur von Gohr schrieb, "dass es schwierig sei, mit wenigen Unterofficiers Ordnung unter so vielen bösen Kerlen zu halten. Seume schreibt in seiner Biographie: "meine Gefährten waren ein kassierter preußischer Husarenoffizier, ein entsprungener Mönch aus Würzburg und ein entlaufener Musensohn aus Leipzig.

Er schrieb von einer geplanten Meuterei im Rekrutendepot, bei der er angeblich der Anführer war. Diese Revolte ist tatsächlich historisch. Die Soldaten wollten den Unteroffizieren einen Schlaftrunk verabreichen und die Torwachen überwältigen. Allerdings bekamen die Militärs Wind davon und erließen Befehl, dass alle Soldaten bei Zapfenstreich ausgezogen in den Betten liegen mussten. wer sich nicht daran hielt, wurde sofort verhaftet. Vor dem Tor hatte man eine Kanone postiert, weshalb die Verschwörer ihren Plan aufgaben.

Um 1830 wurde die Garnison aufgelöst und es wurden die Festungswerke als Gefängnis genutzt. Heute befindet sich dort die JVA Schwalmstadt, wo von 1973- 1975 u. a. Andreas Bader saß.

1994 oder so, ereignete sich dort ein spektakulärer Gefängnisausbruch, eigentlich eher ein Gefängniseinbruch. Um einen Gefangenen zu befreien, hatte man sich kurzerhand auf einem Truppenübungsplatz bei Marburg einen Panzerspähwagen geborgt, mit dem die Ausbrecher dann bis zum A 5 anschluss nach Alsfeld fuhren
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn ein Soldat desertierte, war es übliche Praxis, einen Verwandten als Ersatz einzuziehen,
Stimmt. Und dann gab es noch die von Brissotin erwähnten Einquartierungen.
Hatte ich irgendwie vergessen - war wohl auch beides nur eine gewisse Zeit lang üblich.

Stephan Schwenke "Die gezähmte Bellona?" Bürger und soldaten in den hessischen Festungs- und Garnisonsstädten Marburg und Ziegenhain"
Kannte ich noch nicht, weil mich diese Rezension abgehalten hat:
sehepunkte - Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaften - 5 (2005), Nr. 5

Aber vielleicht besorge ich es mir mal per Uni-Bibliothek, fürs Anschaffen ist es mir etwas zu teuer.
Danke für den Tip.
 
Das Buch läßt im letzten Drittel etwas nach, weil der Autor seine Thesen leider nicht weiter ausführt.

auch bei historicum net hat man es ziemlich verrissen

Der Autor hat allerdings eine Fülle von Archivalien bearbeitet, und das Buch enthält durchaus interessante Detailinformationen, weshalb ich es insgesamt schon für einen Gewinn halte, zumal mich Marburg und die Schwalmregion auch sehr interessieren.
 
Hatte ich irgendwie vergessen - war wohl auch beides nur eine gewisse Zeit lang üblich.
Soweit mir bekannt waren das Maßnahmen einer Art von Erpressung wie es sie noch im frühen 19.Jh. gab und z.B. von den Franzosen angewendet wurden, welche auch unter vielen Deserteuren gerade in deutschsprachigen Departements zu leiden hatten.

Aber wir wollen zu Friedrich selbst retour kommen.

Bei dem von mir zitierten Augenzeugen scheint es schon um eine Überlegung am Anfang seiner Berliner Zeit zu gehen, ob der König nun wirklich ein Großer war. Mir scheint er durchaus andersartige Argumente dem entgegen zu stellen. Es fragt sich, wie wir erörterten ob er ein großer König war. Wenn er in den anderen Augen ein Tyrann war, widerspräche dies doch schon dem Bild eines großen Königs oder sind so viele "Große" in einer weiter verbreiteten öffentlichen Meinung auch Tyrannen gewesen? Vielleicht kommen wir damit auf den Punkt zurück, den Scorpio schon verdeutlichte, eben dass die Anforderungen an einen "Großen" der Geschichte zusehends höher geschraubt und das Betrachtungsfeld zu dieser Einordnung sogar ausgeweitet wurde. Zum anderen finde ich beachtlich eben, dass die Zeitgenossen z.B. einen Louis le Grand so titulierten, während heute dieser Beiname kaum noch Anwendung findet und wenn dann eben oft als Hinweis auf die Meinung der Zeitgenossen und auf seinen eigenen Anspruch. Es wäre eine gute Frage, ob in der Meinung über Friedrich II. nicht vielleicht auch eine Rolle neben den Historikereinschätzungen über ihn spielte, dass Joseph II., der ab 1765 seinem Vater als Kaiser folgte, seinen grundsätzlichen Kontrahenten Friedrich aber doch schätzte und eben anders als seine Mutter nicht verteufeln konnte.
 
@Brissotin, du hast ja so recht. Worüber seit 200 Jahren kontrovers debattiert wird, werden wir hier auch nicht lösen. Da der Alte Fritz aber im Volksbewusstsein seitdem als "der Große" existiert, sollte man es dabei belassen. Unsere armen ach so überforderten Schüler kommen sonst noch mit dem Staufer Friedrich II. in Konfusion.
 
@Brissotin, du hast ja so recht. Worüber seit 200 Jahren kontrovers debattiert wird, werden wir hier auch nicht lösen. Da der Alte Fritz aber im Volksbewusstsein seitdem als "der Große" existiert, sollte man es dabei belassen. Unsere armen ach so überforderten Schüler kommen sonst noch mit dem Staufer Friedrich II. in Konfusion.
Unsere lieben Schüler haben hiermit jedenfalls dann einen Thread wo recht erschöpfend, wie ich meine, die Pro- und Kontraargumente formuliert und zusammengetragen wurden. Dann kann man bei ähnlich gearteten, und das kommt oft vor, Fragen, einfach auf diesen Thread verweisen, den wir gern weiterführen, wenn noch ergänzende Aspekte und vor allem zeitgenössische Ansichten dazu kommen.:yes:
 
Unsere armen ach so überforderten Schüler kommen sonst noch mit dem Staufer Friedrich II. in Konfusion.
Ich mache ja sonst nicht gerne auf allgemeinen Kulturpessimismus incl. Klagen über die Jugend von heute ...
Aber man kann sich wohl glücklich schätzen, wenn ein Schüler überhaupt einen der beiden kennt. Und noch seltener dürften die sein, die beide kennen und damit überhaupt Gelegenheit zur Konfusion derselben haben ...
 
Ich mache ja sonst nicht gerne auf allgemeinen Kulturpessimismus incl. Klagen über die Jugend von heute ...
Aber man kann sich wohl glücklich schätzen, wenn ein Schüler überhaupt einen der beiden kennt. Und noch seltener dürften die sein, die beide kennen und damit überhaupt Gelegenheit zur Konfusion derselben haben ...
Also beide kamen bei uns im Unterricht dran, mit Schwerpunkt natürlich auf Preußens Fritze. Gewisse Konfusion hatten wir allerdings schonmal, weil der Fragende mal selber scheinbar nicht formulieren konnte, welchen Friedrich II. er denn meinte. http://www.geschichtsforum.de/f75/suche-text-von-friedrich-ii-seinen-neffen-14906/
 
Da der Alte Fritz aber im Volksbewusstsein seitdem als "der Große" existiert, sollte man es dabei belassen.
Und hier kommen wir zu einem Aspekt der bist jetzt in der Diskussion (vom Eingangsstatement mal abgesehen) gefehlt hat, der Mythos Friedrich der Große nach seinem Tod.
Denn die Verehrung des "Alten Fritz" zu Lebzeiten hielt sich durchaus in Grenzen. Was schrieb Mirabeau der in Berlin weilte als Friedrich starb?
"Es herrscht Totenstille, aber kein Trauer. Man zeigt sich benommen ohne Kummer. Man sieht keine Gesicht, das nicht den Ausdruck von Erleichterung, von Hoffnung trüge."

Aber nur 20 Jahre später wird - zu Beginn der Freiheitskriege (welch Zufall!) - der Mythos Friedrich ausgegraben.
Der König einer außerhalb des HRR gelegenen Provinz der privat französisch sprach und voller Verachtung war für die in seinen letzten Lebensjahren beginnende Blüte deutscher Kultur und Literatur wird im 19. Jhdt. zu einer Art Gründungsmythos "kleindeutscher" Größe.
Preussen will Deutschland einen und im vom nationalen Rausch erfassten Europa braucht man nationale Mythen. Vor allem das junge Preussen hats dabei nicht leicht, muss es ja mehrere Konkurrenten überstraheln. Vor allem Habsburg das sich schon seit 400 Jahren in kaiserlichem Glanz sonnen kann. Aber auch Wittelsbach, Wettin oder die Welfen die sich alle rühmen können Kaiser- oder Königskronen in ihre Familien geholt zu haben die älter und ehrwürdiger sind als die des erst 1701 kreierten "König in Preussen".

So bläst man im 19. Jahrhundert den "Alten Fritz" auf bis er groß genug ist um als neunationale Identifikationsfigur zu taugen. "Allein, gegen eine Welt aus Feinden", "Durchhalten bis zum letzten Mann" und ähnliche Parolenn werden mit diesem Friedrichs-Mythos "legitimiert" - bis in den Bunker der Reichskanzlei hinein.

Der historische Friedrich II. kann für seine Nachnutzung natürlich nix. Er war ein bedeutender Herrscher wobei ich zugebe dass er mich durch seine Skrupellosigkeit abstösst, wahrscheinlich fehlt mir als Österreicher auch die notwendige Objektivität und ich bitte um Nachsicht.
Meine Sympathie gilt natürlich Maria Theresia. Als sie starb widmete ihr Matthias Claudius das nachstehende Gedicht.

Auf den Tod der Kaiserin
Sie machte Frieden! Das ist mein Gedicht
War ihres Volkes Lust und ihres Volkes Segen,
Und ging getrost und voller Zuversicht
Dem Tod als ihrem Freund entgegen.
Ein Welterobrer kann das nicht.
Sie machte Frieden! Das ist mein Gedicht


Und wer mit dem Welteroberer gemeint ist dürfte wohl klar sein.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Rovere, dein langer Beitrag reduziert Preußen auf das Militär und zieht quasi eine direkte Linie von Friedrich zu Adolf. Preußen war aber mehr und anders als auswärts von Gegnern des Preußentums gesehen.

Entschuldige bitte, aber bei deinem Beitrag musste ich schmunzeln und an den eigentlich doofen Spruch denken: Österreich hat es glänzend verstanden, Beethoven "einzubürgern" und Hitler zum Deutschen zu machen.:devil:
 
@Rovere, dein langer Beitrag reduziert Preußen auf das Militär und zieht quasi eine direkte Linie von Friedrich zu Adolf. Preußen war aber mehr und anders als auswärts von Gegnern des Preußentums gesehen.
Sorry Balticbirdy, ich glaub du hast meinen Beitrag schlampig gelesen. Ich hab über die Rezeption Friedrichs des Großen im 19. Jahrhundert geschrieben, nicht über den preussischen Militarismus.

Diese Rezeption verstellt den Blick auf den historischen Friedrich, zum einen wird er über alle Maßen verklärt, zur Ikone der Aufklärung (siehe die meisten Beiträge in diesem Thread).
Zum anderen macht man ihn zum Symbol des vor allem militärischen Durchhaltewillens. Und letzteres geht bis Hitler, sogar bis ganz zum Schluss des Dritten Reichs. Eines der wenigen Bilder im Führerbunker war ein Portrait Friedrichs und wir wissen aus Zeitzeugenberichten dass Hitler in seinen Monologen auf ihn Bezug nahm.

Bitte mich jetzt nicht falsch verstehen - zwischen der historischen Person Friedrichs II. und dem Dritten Reich gibt es keinen Kausalzusammenhang.
Zwischen der nationalistischen Interpretation Friedrichs ab dem 19. Jhdt. aber sehr wohl!

Ich glaube man muss Friedrich von den Mythen frei machen, und zwar von beiden Mythen - dem "nationalistischen Großen Sieger" genauso wie vom Mythos des humanen Aufklärers, dem "Philosophen auf dem Thron". Friedrich hatte Verdienste, seine Toleranzpolitik wurde zum Vorblild vieler aufgeklärter Herrscher seiner Zeit. Gleichzeitig war er aber auch ein skrupelloser Aggressor der sein Land im 7-jährigen Krieg bis fast zur totalen Erschöpfung auspresste.

Entschuldige bitte, aber bei deinem Beitrag musste ich schmunzeln und an den eigentlich doofen Spruch denken: Österreich hat es glänzend verstanden, Beethoven "einzubürgern" und Hitler zum Deutschen zu machen.:devil:
Nicht nur "eigentlich doof", sondern hier auch völlig unpassend. :devil:
 
Zuletzt bearbeitet:
Na ja, auch die Habsburger hatten Historiographen, die an ihrem Ruhm strickten, und im 19. Jahrhundert griff auch die Donaumonarchie gerne auf Geschichtsmythen und Herrscherideologie zurück.

Friedrichs Herrschaft war für seine Untertanen sicher ebenso schwer zu ertragen, wie die von Peter I. oder Katherina II. Viele von Friedrichs Edikten wurden einzig und allein durch Zwang durchgedrückt. Er schrieb selbst, dass die Bauern in Oberschlesien nicht besser als Sklaven lebten, und die Junkerherrschaft hat er zweifellos zementiert.

Letztes Jahr war ich mal wieder in Sanssoucci. Da hatte jemand an seinem Grab ein paar Kartoffeln hingelegt. Günther Grass sagte mal, die Einführung der Kartoffel sei bedeutsamer, als der ganze siebenjährige Krieg. Angeblich soll der Preußenkönig Kartoffelfelder bewachen lassen, um die Bevölkerung zu animieren.

Tatsächlich wurde die Kartoffel wie manch anderes seinen Untertanen durch Zwang verordnet, und was sie auf den Geschmack brachte, war nicht der gütige Preußenkönig, sondern die große Hungerkatastrophe von 1770/71. Besonders übel waren die dreisten Aktionen seiner Werber. Die preussischen Werber hatten den schlechtesten Ruf Europas, da sie nicht nur mit List und Tücke, sondern mit offener Gewalt und Kidnapping vorgingen und das auch im "Ausland" praktizierten. In Hannover, in Ansbach- Bayreuth, Hessen- Kassel und anderen Territorien verboten ihnen die Fürsten das Land, und ein bekannter Bandit, Hoyum Moyses tarnte sich und seine Galgenvögel als preußische werber, so dass sie nicht weiter auffielen. Das brutale Spießrutenlaufen der Soldaten hat Friedrich II. nie abgeschafft und nirgendwo war die lange Gasse besser aufgestellt, als in der preußischen Armee. Auch die Folter hat er nicht völlig beseitigt, und Räuber konnten in Preußen durchaus noch legal gefoltert werden.

Sein Anti- Machiavell ist eigentlich ein ziemlich unreifes Werk, zumal er von Machiavelli damals nur Il Principe" kannte. Als Virtuose brachte er es zu einem recht hohen Niveau, und als Philosoph war er mit Sicherheit seiner Tafelrunde ebenbürtig. Er war völlig auf der Höhe der französischen Aufklärung, doch seine Kritik der zeitgenössischen deutschen Literatur war ebenso inkompetent, wie ungerecht. Goethes Götz von Berlichingen fand er einfach nur furchtbar, Lessings Minna von Barnhelm wurde in Berlin abgesetzt, und Schiller, ebenso wie seinen Untertanen Immanuel Kant kannte er kaum dem Namen nach.


Wie du schon sagst, setzte im 19. Jahrhundert eine starke Glorifizierung des Preußenkönigs ein, und er wurde als Gallionsfigur der Deutschnationalen und später der Nazis funktionalisiert. Von den Gebieten, um die er mit Maria Theresia gekämpft hat, ist heute keines mehr deutsch, ebenso wie sein Königreich untergegangen ist.

Im Guten wie im Schlechten hat Preußen die deutsche wie die europäische Geschichte mitgestaltet, und die Preußen haben sich als sehr prägend erwiesen. Selbst die Nordhessen haben sie für fast 80 Jahre zu passablen Beutepreußen gemacht. Jetzt, da Preußen nicht mehr ist und Deutschland demokratisch geworden ist, wird man bei seiner Betrachtung das Augenmerk auf andere "preußische Tugenden", als Schlachtenglanz und Militarisierung richten. Natürlich hatte die religiöse Toleranz in Preußen nicht nur humanitäre Hintergründe, denn Preußen war bei seiner Peuplierungspolitik geradezu auf religiöse Toleranz angewiesen. Administrativ wurde Preußen recht gut regiert, und der Preußenkönig war wegen seiner Detailkenntnisse bekannt und gefürchtet. Friedrich war ein Machiavellist und Hasardeur. Die Eroberung Schlesiens war ein frecher Raub, und Friedrich ging dabei mit der Bedenkenlosigkeit eines Parvenüs vor. In der ihm zuweilen eigenen offenen art, hat er freimütig bekannt, dass er nur um der "Gloire" willen losgeschlagen hat. Dennoch war das im 18. Jahrhundert nicht ganz unüblich, und Preußens Aufstieg zur Großmacht konnte nur gegen und auf Kosten Österreichs geschehen.


Als Friedrichs größte Leistung sehe ich die Abschaffung der Folter und die Etablierung eines preußischen Rechtsstaates. Auf diesem Gebiet spielte Preussen tatsächlich eine Vorreiterrolle und war anderen Territorien um Jahrzehnte voraus, selbst seine Feinde ließen sich davon inspirieren.

Es hat in der deutschen Geschichte Konjunkturen der Preußenverherrlichung, aber auch der Preußenverdammung gegeben, der Titel der Große ist Friedrich dennoch erhalten geblieben, wenn auch niemals unwidersprochen.
 
Lieber Scorpio, dein Beitrag hat mir sehr gut gefallen, ausgewogen stellt er die Leistungen Friedrichs dar ohne die Schattenseiten seines Regimes auszublenden. Dennoch fiel mir vor allem der Eingangsabsatz auf.

Denn auch du findest es vorerst mal notwendig klar zustellen dass auch die Habsburger Geschichtsklitterung betrieben (nona, die ganze Ringstraße probierts)? Ich finde das ziemlich spannend, denn auch die beiden anderen Reaktionen auf meine Friedrich Beiträge bezogen sich (fast) ausschliesslich darauf dass ich aus Österreich bin. Irgendwie nach dem Motto "Kehr mal vor der eigenen Tür".

Ich erlaube mir folgenden Schluss zu ziehen: Der Mythos und die Aura Friedrichs II. als deutsche Identifikationsfigur, gezimmert im 19. Jhdt., wiegt auch heute noch so stark dass auswärtige Kritik daran als ein unziemlicher Akt gesehen wird der zuerst mal zurechtgewiesen wird.
(Ich gebs zu, mir gehts ja genauso wenn jemand über Franz Josef schimpft, nehme mich gleich selbst an der Nase).

Ist aber schon spannend wieviel 19. Jhdt. noch in unseren Köpfen rumspukt, nicht? :grübel:
 
Die Sache mit dem Rechtsstaat ist aber auch nicht bruchfrei.
Echte Rechtsstaatlichkeit setzt eine unabhängige Justiz voraus. Im berühmten Müller-Arnold-Fall griff er, entgegen seinen eigenen theoretischen Abhandlungen und Selbstverpflichtungen, in die Justiz ein.
 
@Rovere: Ich erlaube mir folgenden Schluss zu ziehen: Der Mythos und die Aura Friedrichs II. als deutsche Identifikationsfigur, gezimmert im 19. Jhdt., wiegt auch heute noch so stark dass auswärtige Kritik daran als ein unziemlicher Akt gesehen wird der zuerst mal zurechtgewiesen wird.
(Ich gebs zu, mir gehts ja genauso wenn jemand über Franz Josef schimpft, nehme mich gleich selbst an der Nase).

Das wird es wohl treffen. Ich habe von 1980-1984 in Potsdam studiert, die Unigebäude stehen direkt am Neuen Palais und die Fakultäten sind z.T. rund um Sanssouci verteilt. Hieß im Klartext, wir mussten 3x täglich durch den ganzen Park laufen, um das Seminar zu erreichen. Gerade damals lief in der DDR die öffentliche Diskussion um Preußen. Das Denkmal, dass in Berlin unter den Linden steht, wurde in der Zeit aus der Versenkung geholt und (wieder) aufgestellt. Insofern,@Rovere, bin ich zugegeben auch ein wenig vom Preußenbazillus infiziert. Sollte uns aber nicht abhalten, darüber sachlich zu befinden. Maria Theresia war eine der großen Frauengestalten der Geschichte!
 
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