chrischris
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Herodot, Thukydides und Diogenes Laertius berichten davon, dass Thales von Milet die von Milet aus sichtbare Sonnenfinsternis vom 28. Mai 585 v.Chr. „vorausgesagt“ hat und zwar in Form einer öffentlichen Ankündigung. Nach neueren Forschungen dürfte dies falsch sein. Er hat vielmehr die nur wenig Jahre später stattfindende, einem anderen Saroszyklus angehörende Sonnenfinsternis vom 16. März 581 v. Chr. angekündigt. Wahrscheinlich ist, dass er nur einen ungefähren Zeitpunkt angab, etwa in der Formulierung, sie werde „vor dem nächsten pan-ionischen Fest“ stattfinden. Die Wissenschaftshistoriker sind sich bis heute uneins, ob bzw. wie Thales zu solchen Berechnungen damals schon in der Lage gewesen sein soll. Plausibel ist folgende von Dmitri Panchenko (Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg) in einem Aufsatz im Journal of the History of Astronomy veröffentlichte Überlegung: Thales sei wahrscheinlich am Hof des Pharaos Necho (610 - 595 v. Chr.) assyrischen Astronomen begegnet, die angesichts der ständigen Attacken der Chaldäer und Meder auf ihr Königreich Assyrien an den ägyptischen Hof geflüchtet waren. Thales könnte über sie von den im 8. und 7. vorchristlichen Jahrhundert von chaldäischen Priestern aufgezeichneten Sonnenfinsternissen und deren 54-Jahre-Saros-Zyklen erfahren haben. Die Priesterastronomen hatten noch keinen Begriff des Saros-Zyklus. Warum ein 54-Jahreskreislauf stattfand, war ihnen unbekannt. Aber sie hatten bereits ein Beobachtungswissen um das Faktum und hielten es über die Jahrhunderte in ihren Aufzeichnungen penibel fest. Thales jedenfalls wurde genau in diesem Jahr (585) wegen seines überragenden Geistes der erste Grieche, dem man den Rang eines „Weisen“ zubilligte. Hier fällt die Kluft auf zwischen der theoretischen Leistung (die, wenn Panchenkos Überlegungen zutreffen, eigentlich recht triviale Überlegungen, streng genommen nur tradierte Beobachtungen zur Grundlage hat) und dem veröffentlichten Nimbus des prophezeienden Weisen.
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