Wann ist ein Staat totalitär?

Eine andere interessante Frage ist: "Warum überhaupt?"

In unserer naiven Rationalität würden wir sagen: Es sollte dem "Staat" doch genügen, wenn wir Steuern zahlen und keinen Aufruhr machen; also: "Ewiger Landfriede", "Reichspfennig", basta!

Irgendwie funktioniert ein Staat nicht so - ich weiß allerdings nicht, warum nicht... Ein Staat will meist wie eine Glucke seine Bürger oder Untertanen detailliert zu ihrem "Glück" zwingen: Von der Wiege bis zur Bahre, vom Montag bis Sonntag, von 7 bis 7. Die Konstruktion eines "totalitären" Staats war wohl selten sofort darauf angelegt, Bürger/Untertanen wie eine Zitrone auszupressen oder ihr "Aufstandspotenzial" zu begrenzen.

Dies ergab sich nur sehr schnell, wegen der in ideologisch überregulierten Staaten üblichen verfehlten Wirtschaftpolitik.

Erst der nächste (verzweifelte) Schritt sind dann die häufig beobachteten Unterdrückungsmaßnahmen: Enteignung und Terror.

Mit einigem Glück bricht danach ein totalitäres Regime zusammen.

Warum? Vielleich ist es einfach nur Machtgier? Vielleicht kommt noch ein missionarischer Gedanke dazu (die perfekte klassenlose Gesellschaft schaffen, die rassisch reine Gesellschaft schaffen etc.). Vielleicht geht es auch einfach nur darum, sich die eigenen Taschen füllen zu wollen? Oder eine Kombination von allem? Ich denke, beim Warum kommt es auf den Einzelfall an.

Interessant finde ich auch, dass Totalitäre Regime so schrecklich effektiv sein können. Man denke doch nur mal daran, wie lange hierzulande darüber debattiert wird, ob ein neues Kohlekraftwerk gebaut werden soll oder nicht. Das mag zwar den Vorstellungen einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft entsprechen, aber effektiv ist das nicht!

Und z.B. in China? Da wird das Ding einfach gebaut. Ein paar Bauern, deren Hütten im Weg stehen? Zwangsumgesiedelt und die Hütten platt gemacht! Proteste von Umweltschützern? Niedergeknüppelt oder schlimmeres. Demokratisch ist das nicht aber doch sehr effektiv.
 
In der Theorie klingt das toll und logisch, wenn man es jedoch auf die Praxis anwenden möchte.................. *haare'rauf*
Genau! Es gibt diese dummen "Mischformen":
- Ein Diktator "erfindet" oder "adaptiert" eine Ideologie, und verstrickt sich selbst darin.
- Diktatoren neigen zu psychischer Instabilität (um es mal vorsichtig zu formulieren)
- "Begrenzter Terror" verselbstständigt sich
Mir kam da Robespierre in den Sinn...

Auf der anderen Seite muss "Totalitarismus" nicht immer offensichtlich "böse" sein. Viele fundamentalistische Kleingruppen ("Sekten") leben in so einer Struktur, obwohl dieser Begriff - da sehr negativ besetzt, und vorrangig auf Großgruppen bezogen - selten darauf angewendet wird: etwa im frühkolonialen Amerika die Quäker, Mennoniten, insbesondere die Amish,..

Ich denke hier nicht an Sekten, die "nur" ihren religiösen Freiraum nutzen, sondern an "staats-ignorante". Letztlich ist dieser Konflikt, keinen Staat - also faktisch: einen eigenen Staat - haben zu wollen der Anlass für Auswanderungen; das frühe Amerika hat diese Tendenzen durchaus gefördert ("no government")
 
Interessant finde ich auch, dass Totalitäre Regime so schrecklich effektiv sein können. Man denke doch nur mal daran, wie lange hierzulande darüber debattiert wird, ob ein neues Kohlekraftwerk gebaut werden soll oder nicht. Das mag zwar den Vorstellungen einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft entsprechen, aber effektiv ist das nicht!

Und z.B. in China? Da wird das Ding einfach gebaut. Ein paar Bauern, deren Hütten im Weg stehen? Zwangsumgesiedelt und die Hütten platt gemacht! Proteste von Umweltschützern? Niedergeknüppelt oder schlimmeres. Demokratisch ist das nicht aber doch sehr effektiv.

Das ist aber kein Bsp. für Totalitarismus, sondern einfach ein Bsp. für ein repressives Regime.
 
Da wird das Ding einfach gebaut. Ein paar Bauern, deren Hütten im Weg stehen? Zwangsumgesiedelt und die Hütten platt gemacht!
Das ist vordergründig effektiv, in dem Sinne wie die Pharaonen (wenn auch nur einige wenige) sich eine große Pyramide gebaut haben. Mit Geld geht mehr oder weniger alles.

Ein Privatunternehmer muss dieses Geld durch den Nutzen wiederbekommen (man nennt das heute: einen business case haben); der Staat regelt das durch Steuern.

Die "demokratischen" Diskussionen, die - vielleicht - unseren Staat lähmen, beziehen sich genau auf diese Komponente: den (langfristigen) Nutzen. Ist dieser gegeben, dann sind auch in Deutschland Enteignungen möglich :) Wir in Hamburg verfolgen mit einigem Grausen, wie der Senat sich um den Arbeitgeber Airbus bemüht....

Ein Diktator (oder ein "Superreicher") entscheidet "aus dem Bauch" heraus. So sind die Pyramiden entstanden, die Chinesische Mauer, das Tadj Mahal ... auch das Empire State Building ..
 
Ein Diktator (oder ein "Superreicher") entscheidet "aus dem Bauch" heraus. So sind die Pyramiden entstanden, die Chinesische Mauer, das Tadj Mahal ... auch das Empire State Building ..

Na ja die Hintergründe des Pyramidenbaus und der Chinesischen Mauer sind ja andere.

Beim Taj Mahal und Empire State Building stimmt deine These schon eher :fs:


Kleiner Mod-Hinweis:

Denkt bitte daran, keine Tagespolitik in das Thema reinzupacken.
 
Es ist in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnliches Gebäude: Geplant als Symbol, heute immer noch ein Symbol. Schon die Eingangshalle ist eine Art "Tempel"...

Der Bauherr J.J. Raskob kann etwas überspitzt als einer der Urheber des Börsencrashes von 1929 bezeichnet werden, der viele Amerikaner ins Unglück stürzte. Eine Art Sühne, jetzt das höchste Bauwerk der Welt zu bauen? Es gab 1930 keinen wirtschaftlichen Grund für ein so hohes Bauwerk; auch heute gibt es keinen...

Das erste Plus wurde um 1950 erwirtschaftet, nicht wegen der Mieten, sondern wegen der immensen Einnahmen aus der Aussichtsplattform.
 
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Na ja die Hintergründe des Pyramidenbaus und der Chinesischen Mauer sind ja andere.

Beim Taj Mahal und Empire State Building stimmt deine These schon eher
Es gab keinen besonderen Grund, so etwas wie die drei großen Pyramiden zu bauen; zwei Nummern kleiner wäre auch o.k. gewesen...

Die Wurzeln der Großen Mauer sind unklar; es gab dort schon immer "Wälle".
Shi Huang Ti soll ein Horoskop "Hun wird Dein Reich vernichten" so ausgelegt haben, dass er sich gegen die Nordbarbaren schützen müsse (Wie bei jedem Orakel war natürlich etwas anderes gemeint..)

Die heutige Ming-Mauer aus dem 15./16. Jh. ist vom Preis/Leistungsverhältnis betrachtet eine komplizierte Angelegenheit. Sie verhinderte auf jeden Fall, dass sich Ziegenherden und Esel von einer auf die andere Seite verirren konnten und regulierte den zollpflichtigen Handel. Der Bau kann auch als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in einer Zeit hohen Bevölkerungswachstums verstanden werden. Die Soldaten und Arbeiter empfanden das aber wohl eher wie Sibirien.
 
Ziemlich sicher!

ZDF.de - Projekt Mauerbau
ZDF.de - Zermürbender Dienst an der Mauer

In den Romanen der Mandschu Zeit (Pflaumenblüte in goldener Vase, Traum der roten Kammer,...) wird die "Versetzung" an die Mauer oft als Strafe erwähnt.

Ich muss zugeben, dass sich meine Kenntnis der "Nördlichen Grenze" vor allem auf die Inhalte der Richter-Di Romane Robert van Guliks stützen :) Aber van Gulik war auch ein guter Historiker...

Und wo wir gerade bei Literatur sind: Werke: Erzählungen. Beim Bau der Chinesischen Mauer
 
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Gängige Definition eines totalitären Regimes ist, wie das nun schon mehrere Mitglieder beschrieben haben, dass sie alle Lebensbereiche durchdringt. Das war im NS-Regime so, dass war in der DDR so.
In lateinamerikanischen Diktaturen oder den Militärdiktaturen in der Türkei, Myanmar und in Griechenland war dem aber nicht so. Hier stützte sich die Elite weniger auf den Rückhalt in der Bevölkerung, sondern auf die Streitkräfte.

Militärdiktaturen schaffen Presse-und Meinungsfreiheit ab.
Damit sind grundlegende Lebensbereiche der demokratischen Freiheit abgeschafft.
 
Hinter einer totalitären Regierung muss eine starke Volksbewegung stehen, die an die totalitäre Ideologie der Regierung glaubt.
 
Wohl eher würde jede Diktatur gern totalitär herrschen wollen.
Glaube ich nicht.
Die meisten "klassischen" Diktaturen (z. B. die typische Militärdiktatur in Lateinamerika) begnügen sich damit, dem Diktator und seiner Clique die Macht und damit die Pfründe zu sichern.
Ein bißchen ideologischer Unterbau im Sinne von "Sicherheit und Vaterland" reicht da.
Um totalitär zu herrschen muß man sich als Diktator viel mehr Mühe geben, muß einen enormen Aufwand betreiben, um die Untertanen zu indoktrinieren und zu kontrollieren.
Und das ist eigentlich alles recht überflüssiger Aufwand, der ja von den Ressourcen abgeht, die der Diktator lieber für sich nutzen möchte.
 
Glaube ich nicht.
Die meisten "klassischen" Diktaturen (z. B. die typische Militärdiktatur in Lateinamerika) begnügen sich damit, dem Diktator und seiner Clique die Macht und damit die Pfründe zu sichern.
Ein bißchen ideologischer Unterbau im Sinne von "Sicherheit und Vaterland" reicht da.
Um totalitär zu herrschen muß man sich als Diktator viel mehr Mühe geben, muß einen enormen Aufwand betreiben, um die Untertanen zu indoktrinieren und zu kontrollieren.
Und das ist eigentlich alles recht überflüssiger Aufwand, der ja von den Ressourcen abgeht, die der Diktator lieber für sich nutzen möchte.

Ich sprach nur vom potenziellen Willen, nicht dass es auch tatsächlich umgesetzt wurde (vlt habe ich mich auch etwas unglucklich ausgedrückt, sry) . Denn letztlich bedarf es ja durchaus einer "überzeugenden" *sprich massenwirksamen* Ideologie und dem Aufwand, den Du richtigerweise erwähnt hast.
Ohne Ideologie und nur mit klassischer Waffengewalt wäre eine Diktatur ja durchaus nur zeitlich begrenzt möglich. Reicht dem einen oder anderen.
 
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Ein Zitat, dass ich heute las:
Im 19. Jahrhundert tritt an die Stelle Gottes und seiner Allmacht über das Schicksal die Geschichte, aber erst im 20. Jahrhundert manifestiert sich der politische Wahnsinn, der aus dieser Substitution entstanden ist. (F. Furet)

Zudem wäre bei totalitären Diktaturen ja eigentlich auch die Frage zu stellen, warum sie an einem bestimmten Zeitpunkt (oder generell) totalitär wird/ist. Bei kommunistischen Diktaturen gab es ja durchaus die Entwicklung von totalitären hin zu eher autoritären Systemen.

Ein nettes Zitat von Beyrau noch:
Totalitäre Herrschaft sei in diesem Sinne als totale menschliche Enthemmung bei gleichzeitig völliger Entrechtung ihrer Aggressionssubjekte zu verstehen.

:fs:
 
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