Als Orte Städte wurden

Somit sind infrastrukturelle Aufbauten und die Anzahl der Bewohner, sicherlich Kriterien, die nicht an einen gesellschaftlichen Stand festgemacht werden können, oder an einem Zeitraum. Oder?
Ja, Infrastruktur auf jeden Fall. Aber das Stadtrecht finde ich eben doch etwas zu weit gegriffen.
 
Mein Vorschlag zur Definition:
1) überregionaler Handelsplatz
2) administrative Strukturen (Bischofs- oder Fürstensitz bzw. Eigenverwaltung)
3) Befestigung
4) Vorhandensein spezialisierter Handwerker

Ergänzungen und Korrekturen erwünscht.
 
Interessant ist dies, weil es im Slawenland eigentlich keine urbanen Strukturen gab. Die im Artikel angegebene Einwohnerzahl (100-200) ist angesichts der Siedlungsfläche (um 10 ha) ein Witz. Die Funde zeigen, dass hier Slawen, Wikinger und Franken auf Multikulti machten. Man fand Geweih-, Leder- und Bernsteinverarbeitung. Besonders begehrte Handelsobjekte waren ferner Glas aus dem Rheinland (fränkische Rüsselbecher), Schwertklingen (das war wohl schon Konterbande) und Textilien. Vermutlich handelte man auch mit Sklaven.
Reric ? Wikipedia

Reric ist aber nicht identisch mit dem legendären Vineta, dass eher mehr östlich gesucht wird, oder?

Haithabu könnte tatsächliche den Stadtkriterien entsprechen. Ich denke ein wichtiges Indiz der Abgrenzung zwischen großem Dorf und Stadt ist die Existenz einer größeren Gruppe von Nicht-Selbstversorgern. Dh. Menschen die Güter ihres täglichen Bedarfs nicht selbst produzieren sondern von Dritten erwerben.
Das Bestehen eines Warenumschlagplatzes wäre dafür Voraussetzung. Es ist ja auch kein Zufall dass der Verleihung formaler Stadtrechte meist die Existenz von Märkten vorausgeht.
Macht der Markt die Stadt?

Marktplatz und günstige Lage für Warenumschlag und Handel ist ein wichtiges Kriterium, um aus einem Dorf eine Stadt zu machen.
Tauschhandel unter Nachbarn kann ich mir auch im Dorf vorstellen, in der Größerordnung Körbe gegen Wolle bildeten sich je nach Handwerksgeschick Spezialisierungen. Diese frühen Handwerker waren aber im Dorf immer zusätzlich auch Bauern oder wenigstens Gärtner, sie konnten sich zur Not, wenn ihnen ihre Körbe niemand abnahm, noch selbst ernähren. Im Dorf waren die nötigen Ackerflächen idR vorhanden.
Bei einem Handelsort war wahrscheinlich schon die Lage anders, nicht das Vorhandensein guter Bodenflächen führte zur Ansiedlung, sondern die Lage an Wegekreuzungen, Flüssen und dem Meer.
 
Nein, ganz sicher nicht. Als Lokalisierung von Vineta sind Barth und Usedom/Wolin in der Diskussion. Das geht soweit, dass hier ein "Städtekrieg" um das wahre Vineta (mit Blick auf den Tourismus) tobt.
Vineta-Stadt-Barth - sehen - erleben - erholen an der Ostsee
VINETA FESTSPIELE 2009

Dann hätten wir ja schon 3 "barbarische" Städte in Europa, die nicht auf römisch/byzantinische Gründungen zurückgehen.
Merkwürdigerweise alles Orte, die es heute nicht mehr gibt. Kann das stimmen? Sind vielleicht einige unserer Städte älter und wir wissen es nicht genau, weil die Städte ihre Geburtstage meist auf die Verleihung des Stadtrechts legen und das wurde erst im Mittelalter verliehen weil es erst da die Verleihbehörden dazu gab.

Mein Vorschlag zur Definition:
1) überregionaler Handelsplatz
2) administrative Strukturen (Bischofs- oder Fürstensitz bzw. Eigenverwaltung)
3) Befestigung
4) Vorhandensein spezialisierter Handwerker

Ergänzungen und Korrekturen erwünscht.

Ich sehe die Stadt möglicherweise zu einseitig unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, deshalb würde ich die Punkte 2 und 3 gern noch diskutieren.
 
Dann hätten wir ja schon 3 "barbarische" Städte in Europa, die nicht auf römisch/byzantinische Gründungen zurückgehen.
Da gibt es noch ein paar mehr.
Birka ? Wikipedia
Weliki Nowgorod ? Wikipedia
Ralswiek ? Wikipedia

Jomsburg ? Wikipedia
(könnte Vineta sein).
Adam von Bremen schildert sie im 11. Jahrhundert als eine der größten und reichsten Städte Europas, er nannte die Stadt Jumme. Es sei „die größte Stadt, die Europa birgt“, sie biete „für Barbaren und Griechen in weitem Umkreis einen viel besuchten Treffpunkt“.

Interessant: Man fand überall arabische Silbermünzen in Mengen, in Birka sogar eine kleine Buddha-Statue.
 
Zuletzt bearbeitet:
Auf eine kurze Frage, ohne genauere Definition, was inhaltlich darunter zu verstehen sein könnte, habe ich ein Beispiel vorgeschlagen, das meiner Meinung nach als Stadt gelten könnte.
Will man tiefer einsteigen, wird man nicht umhin kommen, Merkmale dafür zu definieren, was unter einer Stadt verstanden werden soll.
Eher formal: Stadt- und Marktrecht. Dann können aber allerhand "Käffer" drunter fallen.
oder: "Urbanität" = gewisse Größe, Kultur, gebildete Schicht, repräsentative Bauten, erhebliche Bedeutung des Handels....

Weil ich eher in die 2. Richtung tendiere...

Wenn nach dieser Definition - "Urbanität" = gewisse Größe, Kultur, gebildete Schicht, repräsentative Bauten, erhebliche Bedeutung des Handels - nicht zumindest Köln dazuzurechnen ist, dann bin ich wohl nicht präzise genug bei der Anwendung jener Definition...
:fs:
 
Wenn nach dieser Definition - "Urbanität" = gewisse Größe, Kultur, gebildete Schicht, repräsentative Bauten, erhebliche Bedeutung des Handels - nicht zumindest Köln dazuzurechnen ist, dann bin ich wohl nicht präzise genug bei der Anwendung jener Definition...
:fs:
Aber auch schon im 10. Jhdt.?
 
Aber auch schon im 10. Jhdt.?

Soweit mir bekannt ist, liegt ein diesbezüglicher "Tiefpunkt" bei der normannischen Plünderung und Brandschatzung (Winter 881/82), nach dem es aber wohl spätestens ab etwa um 900 herum wieder aufwärts ging.
Vor der normannischen Plünderung und Brandschatzung jedenfalls war Köln bereits nach den genannten Indikatoren mE entsprechend "urban" einzustufen - was bei einer alten Römerstadt mE aber nicht so ungewöhnlich ist -, auch wenn ein Rückgang der Bevölkerungszahl zu verzeichnen sowie Handel und Handwerk seit dem 6. Jh. v.a. hinsichtlich Exportbedeutung nicht mehr so stark wie vorher ausgeprägt waren.

Für einen Überblick dazu muß hier zunächst Wikipedia genügen: Geschichte der Stadt Köln ? Wikipedia
 
Da mir solche Dinge immer wieder keine Ruhe lassen, habe ich mich noch einmal im direkten Umfeld der Liudolfinger/Ottonen (denn deren Zeit liegt nun einmal hauptsächlich auch gerade im 10. Jh.) ein wenig umgesehen.

Da wäre zunächst Halberstadt als Missionsstützpunkt aus fränkischer Zeit, den Karl der Große zum Bischofssitz erhob und der dann im 10. Jh. u.a. deswegen nicht zum Erzbistumssitz wurde, weil Otto I. diesbezüglich Magdeburg den Vorrang einräumte:
Halberstadt ? Wikipedia
Und da ich Magdeburg im diesem Zusammenhang bereits erwähnte:
Magdeburg ? Wikipedia
DEUTSCHE STAEDTE Magdeburg Geschichte
Bistum Magdeburg: Geschichte

Etwas unschlüssig bin ich bspw. bei Quedlinburg, inwiefern man die - sicherlich nicht zu vernachlässigende - Bedeutung als Königspfalz (und damit verbunden: Herrschaftssitz) in ottonischer Zeit bereits bzgl. urbaner Struktur o.ä. charakterisieren kann:
Geschichte Quedlinburgs ? Wikipedia
Weltkulturerbe Quedlinburg - 1000 jährige Geschichte der Stadt Quedlinburg
Geschichte des Mittelalters für ... - Google Buchsuche
 
Münster
Dortmund
Duisburg
Alles Städte mit Pfalzen Hintergrund, die den Sprung ins städtische in der Epoche geschafft haben.
Hamburg, ganz wichtig...
 
Ich hab mich jetzt durch einige der angegebenen Links durchgelesen am interessantesten dabei fand ich den über Köln und möchte daher beim Beispiel der Rheinmetropole bleiben.
Köln war zwar im 10. Jhdt. eine bedeutendes Siedlung rund um den Hof eines mächtigen Bischofs. Aber aus meiner Sicht noch keine Stadt - von einer solchen würde ich erst ab dem 11. Jahrhundert sprechen und als sichtbare Zäsur den Aufstand der Bürger 1074 gegen den Bischof nehmen.
Das Bestehen einer kulturellen Identität als Gruppe - auch wenn man diese vielleicht noch nicht als Stadtbürger bezeichnen kann - halte ich als Voraussetzung für eine "Stadt".
Die ab dem 12. Jhdt. "verliehenen" Stadtrechte dokumentieren ja meist nur einen bereits existierenden Zustand, die Stadtgründungen des späten Hochmittelalters gehören sowieso in ein anderes Thema.

Das Kriterium eines Mindestmaßes an kommunaler Selbtsorganisation sollte unbedingt erfüllt sein, ein solches ist auf Grund der dürftigen Quellenlage nur schwer festzustellen (am ehesten noch durch Aufstände gegen den Lehensherrn). Um beim Beispiel Köln zu bleiben würde ich meiner Meinung nach noch nicht von einer Stadt im 10. Jahrhundert sprechen, sondern von einer großen Siedlung. Den Beginn der "Stadt" Köln würde ich in die Mitte des 11. Jhdts. ansiedeln.
 
Du meinst also, Dorfbewohner hätten keine gemeinsame kulturelle Identität gehabt und sich nicht selbst organisiert?
 
Du meinst also, Dorfbewohner hätten keine gemeinsame kulturelle Identität gehabt und sich nicht selbst organisiert?
Ja, das meine ich. Wenn wir von der Herausbildung von Städten aus Siedlungen an der Wende vom Früh- zum Hochmittelalter reden meine ich genau das.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, das meine ich. Wenn wir von der Herausbildung von Städten aus Siedlungen an der Wende vom Früh- zum Hochmittelalter reden meine ich genau das.
... das ist ein hoch interessanter Gedanke.
Aber - müsste dann in "den Dörfern" nicht auch heute noch das Fehlen einer "gemeinsame kulturelle Identität" zu beobachten sein. Oder haben sich die Dorfgemeinschaften seither so grundlegend geändert, das nichts mehr davon zu spüren ist?

Gruss Pelzer


.
 
Aber - müsste dann in "den Dörfern" nicht auch heute noch das Fehlen einer "gemeinsame kulturelle Identität" zu beobachten sein. Oder haben sich die Dorfgemeinschaften seither so grundlegend geändert, das nichts mehr davon zu spüren ist?
Nein, das glaub ich nicht, dazu ist nicht nur die Zeitspanne zu gewaltig.
 
Der Knackpunkt bleibt also weiterhin die Definitionsfrage, was unter einer Stadt zu verstehen sei.

Die Formalität Stadtrecht hilft da nicht, weil die später eingeführt wurde, als man schon eine klare Vorstellung von "Stadt" hatte.

Persönliche Freiheit der Bewohner ist auch nicht das entscheidende Kriterium, das hat timotheus gezeigt.

Die von Balticbirdy genannte Stadtbefestigung ist m. E. auch kein echtes Kriterium - es gab unbefestigte Städte und befestigte Dörfer.

Und schon gar nicht kann ich bei "Identität und Selbstorganisation" zustimmen - die sind auch bei Dörfern m. E. schon ganz früh stark vorhanden.

Ich sehe drei wesentliche Kriterien:

1.) Service für das Umland.
"Service" mal recht allgemein gehalten, dazu gehören Roveres Stichworte "arbeitsteilige Gesellschaft, Geldwirtschaft, Warenumschlag" oder Balticbirdys "überregionaler Handelsplatz / administrative Strukturen / Vorhandensein spezialisierter Handwerker".
Ich würde noch Funktionen wie Gerichtsbarkeit, Politik, Bildung oder Kultur nennen.
Wobei natürlich selten alle diese Aspekte erfüllt sind.

Aber wichtig ist eben, daß die Stadt nur mit einem Umland denkbar ist, dem sie Funktionen anbietet (auch Städte mit überregionaler Bedeutung / Fernhandel haben erst einmal ein regionales Umland).

Die Umlandbewohner kommen in die Stadt, um dort zu handeln, weltlichen oder religiösen Spektakel mitzuerleben, eine Schule zu besuchen etc.

Demgegenüber ist ein Dorf eigentlich nur auf sich selber bezogen. Es muß vielleicht Steuern oder Spanndienste nach außen liefern, aber das ist nicht wesentlich, das Dorf käme natürlich auch ohne diese Außenkontakte aus (sogar besser ;-).
Wo Dorfbewohner nicht als selbstversorgende Bauern tätig sind (Schmied, Müller, Pfarrer ...), sind sie im wesentlichen auch nur für das Dorf tätig. Wenn über einem gewissen Maß solche Tätigkeiten auch für Nachbardörfer angeboten werden, ist das Dorf schon auf dem Weg zur Stadt.

2.) Größe
Das wurde bisher gar nicht genannt (auch weil frühe Städte nach unseren Maßstäben gerade zu ärmliche Bevölkerungszahlen hatten).
Aber während ein Dorf eine natürlich Obergröße (abhängig vom Landwirtschafts-Standard der Zeit) durch die vom Dorf aus gut erreichbare Landwirtschaftsfläche hat, ist eine Stadt durch die vielen Nicht-Bauern in der Bevölkerung deutlich größer.

Die Größe ist wohl auch das augenfälligste Kriterium für die Zeitgenossen, eine Stadt ist da, wo deutlich mehr Leute wohnen als in den vielen Dörfern.

Und die Bevölkerungszahl unterscheidet die Stadt auch von anderen Zentren, die "Service für das Umland" anbieten, wie einer Wallfahrtskirche oder der Burg eines Gerichtsherrn.

3.) Veränderungsbereitschaft
Zuletzt will ich ein "weiches" Kriterium umschreiben, das ich für die Mentalität der Städter wichtig halte.

Zur Grundidee eines Dorfes gehört eigentlich, daß sich über die Generationen nichts wirklich ändert. Insbesondere leben im Dorf nur Leute, die dort geboren wurden oder einen dort Geborenen geheiratet haben. in der Praxis gibt es natürlich immer wieder auch Zuzügler - aber diese Ausnahmen gehören nicht zum geistigen Konzept "Dorf".

Im Gegensatz dazu gehört zur Grundidee einer Stadt, daß sie wachsen und sich verändern kann. Neue Leute kommen in die Stadt (auch wenn sie nicht unbedingt bald Bürgerrecht bekommen), die Stadt ist grundsätzlich bereit, mit dieser Veränderung und den Folgewirkungen fertig zu werden.
Auch wenn erst später Rechtskonstrukte wie "Stadtluft macht frei" diesen Prozeß formalisierten, gehörte m. E. die grundsätzliche Offenheit für Zuzug von Anfang an zur Idee einer Stadt.
Ein Mensch zieht nicht (oder fast nie) von einem Dorf in ein anderes, auch nicht von der Stadt in ein Dorf - sondern fast immer von einem Dorf in die Stadt.


Mit diesen drei Grundideen möchte ich konkretisieren, was Rovere mit "Worauf ich hinauswollte ist einen wesentlichen Unterschied zwischen den Lebenswelten "Stadt" und "Land" bzw. "Dorf" herauszuarbeiten" meinte.

Und wenn man die als Kriterien akzeptiert, das ist z. b. die Anwesenheit eines Bischofs überhaupt kein Hindernis, sondern hilft sogar beim Kriterium 1.
Und deswegen sehe ich - auf die Ausgangsfrage bezogen - eine ganze Reihe von Städten im frühen Europa, in Deutschland insbesondere anfangs eben die Bischofsstädte / ehemaligen Römerstädte wie Mainz, Köln, Speier, Trier, Worms, Regensburg ...
 
Ja, es gibt verschiedene Kriterien der Einteilung in diverse Siedlungsformen.

1. Nicht die Größe an sich, sondern die Einwohnerungszahl:
2000 - 5000 Landstadt
5.000-19.999 Kleinstadt
20.000-99.999 Mittelstadt
über 100.000 Großstadt
Städte mit über einer Million Einwohner werden als Millionenstädte bezeichnet.

2. Anordnung der Gebäude z.B. Rundling, Streusiedlung, Straßendorf, Angerdorf, Wurtendorf etc.pp

3. nach Gebäudeanzahl z.B. Gehöft, Weiler (österreichisch Rotte, badisch Zinken), Dorf, Stadt etcpp
 
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