Mittelalterliche Riesengeschütze

Gegenkaiser

Gesperrt
Hallo,

Unter einem Riesengeschütz sollen nach Schmidtchen Kanonen verstanden werden, die Kugeln von einem Durchmesser von mind. 50 cm verschiessen können (s.u.)

Wie kam es im 14. und 15. Jahrhundert zum riesenhaften Wachstum der Belagerungsgeschütze und warum ging man im 16. Jh. wieder zu Geschützen mit kleineren Kalibern über? Schmidtchen erklärt dies im wesentlichen dadurch, dass die Riesengeschütze sich als nur von begrenztem militärischen Wert erwiesen hätten und so der logistische und finanzielle Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag gestanden habe. Er argumentiert, daß zwei oder drei kleinere Geschütze, die einen Mauerabschnitt unter konzentriertes Feuer nehmen konnten, wirkungsvoller gewesen seien als ein langsam feuerndes Monstergeschütz. Der Übergang zu Eisenkugel mit ihrem dreimal höheren spezifischen Gewicht und entsprechend höherer Durchschlagskraft habe eine weitere Strategie der Überdimensionierung der Steinbüchsen obsolet werden lassen.

Nicht zuletzt hätten die Riesengeschütze, die ja normalerweise Unikate waren und dementsprechend immer Einzellösungen benötigten, im Zuge der Standardisierung der Kaliber seit Maximilian I. sich immer schlechter in die normierten Artillerieparks eingefügt und seien deshalb zum größten Teil in kleinere Kaliber umgeschmolzen worden, so daß heute überwiegend nur schmiedeeiserne Geschütze aus jener Zeit erhalten geblieben sind.

Was denkt ihr waren die Gründe für den Aufstieg und Niedergang dieser Waffen? Und wie sieht es mit dem Repäsentationsaspekt aus?

Eine kleine Liste, die sich hoffentlich noch ergänzen läßt:

Mons Meg ? Wikipedia
Grose Bochse ? Wikipedia
Faule Mette ? Wikipedia
Pumhart von Steyr ? Wikipedia
Dulle Griet ? Wikipedia
Faule Grete ? Wikipedia

Quelle: Volker Schmidtchen: "Riesengeschütze des 15. Jahrhunderts. Technische Höchstleistungen ihrer Zeit", in: Technikgeschichte, Bd. 44, Nr. 2 und 3 (1977)
 
Von den mittelalterlichen Kanonen verstehe ich nicht viel. Schmidtchens Argumentation erinnert mich aber an die Entwicklung der Atombomben im 20. Jahrhundert (und ist insofern für mich zumindest einleuchtend). Da gab es Bomben mit 50 Megatonnen TNT-Äquivalent. Die hätten am ground zero in einem relativ kleinen Radius eine Sprengwirkung entfaltet, die weit über das hinausgegangen wäre, was zur vollständigen Zerstörung nötig geswesen wäre. Deshalb wurden Mehrfachsprengköpfe entwickelt. Die einzelnen Sprengköpfe mit nur einigen Megatonnen oder weniger waren immer noch in der Lage alles unter sich zu zerstören, in der Summe war aber ein viel größerer Radius der Zerstörung zu erreichen.
Auch bei dem was du Repräsentationsaspekt nennst (vielleicht könnte man es auch Imponiergehabe nennen) sehe ich eine Parallele. Mit schierer Masse lässt sich zwar gut prahlen, wenn es aber ernst wird, ist Praktikabilität und nicht nur Effektivität, sondern Effizienz nötig.
Nützt dir zwar direkt nichts. Aber in der Diskussion darf man gelegentlich auch den Horizont etwas erweitern, denke ich. Interpretationen sind auch immer gern etwas vom Zeitgeist geprägt. Carl-Friedrich von Weizsäcker war es glaube ich, der einmal gesagt hat, die Vorstellung , dass die Welt durch einen "big bang" entstanden sei, sei typisch für das Atombombenzeitalter.
 
Was denkt ihr waren die Gründe für den Aufstieg und Niedergang dieser Waffen?

Eine recht gute Darstellung hier: Artillery: an illustrated history of ... - Google Buchsuche S. 45 ff.

Aufstieg (z. T. schon erwähnt):
- höhe Effektivität (Durchschlagskraft, Wirkung)
- psychologischer Faktor
Niedergang:
- Gestehungskosten
- Transportprobleme
- nur bei Belagerungen sinnvoll
- "Risiken und Nebenwirkungen" (Jakob II. von Schottland z. B. wurde von Splittern seines eigenen explodierenden Geschützes getötet)

EDIT: Sehr instruktiv auch: http://www.google.com/books?id=UAL0...brr=3&ei=hWUvSuHrLIWKygSqj8ikBw&hl=de#PPP1,M1 S. 7 ff.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hoi zämä

Ich wäre bei der Beurteilung der Effektivität etwas zurückhaltender. Diese Geschütze verschossen zwar gewaltige (Stein-)Kugeln mit einem Kaliber von über 50cm. Doch Kugeln fliegen sehr instabiel und es war immer Zufall, was getroffen wurde. Und da das keine Explosivgeschosse waren, stanzten sie bloss ein rundes Loch in die Landschaft. Die Wirkung war schon gewaltig, aber bloss auf das, was unmittelbar getroffen wurde. Schon eine Handbreit neben dem Treffer bestand keine Gefährdung.

Die Riesen-Geschütze waren wohl eher etwas zum vorzeigen. Und der Knall war sicher auch nicht ohne. Aber eine wirkliche Gefahr bestand wohl nur für die Kanoniere...

Gruss Pelzer


.
 
Hallo Pelzer ,
sicher waren einigen der Riesengeschütze reine Renomirstücke und wegen ihrer Ungenauigkeit nur zum Beschuss sehr grosser Ziele von Nutzen , abgesehen von der Psychologischen Wirkung.
Das Hauptproblem neben dem hohen Preis war die Unbeweglichkeit und die langsamme Feuergeschwindigkeit .
Ausser für Belagerungen waren sie nutzlos , das hatten sie mit späteren Riesengeschützen gemeinsam , siehe die Deutschen Supergeschütze des WW II wie den Mörser Karl oder das Eisenbahngeschütz Dora .
Ausserdem unterschätzt Du die Wirkung gewaltig , da wurde nicht nur ein Riesenloch gestantzt , die Steikugel zersplitterte bzw. schlug massenweise Splitter aus dem getroffenen Teil der Befestigung .
Also ich hätte da nicht gerne eine handbreit daneben gestanden .
 
... Ausserdem unterschätzt Du die Wirkung gewaltig, da wurde nicht nur ein Riesenloch gestantzt, die Steinkugel zersplitterte bzw. schlug massenweise Splitter aus dem getroffenen Teil der Befestigung.
Natürlich stimmt es schon, dass die Steinkugeln zersplitterten, aber die Splitter flogen wohl nicht allzu weit.
Ich nehme an, dass man schon damals riquochettierte (aufgesetzter Schuss), also den Abprall bewusst einsetzte. Doch solche "Mörser" konnten vermutlich wegen der fehlenden Lafette (und Rückstossdämpfung) nicht flach genug schiessen.


Gruss Pelzer


.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Effektivität etc. der Feuergeschütze - oder präziser: Pulvergeschütze - war vom 14. bis zum 16. Jh. gemessen an der "Konkurrenz" schlecht.

Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, daß sich bis ins 16. Jh. noch das Trebuchet/die Blide/der Tribok allgemein gegen die Konkurrenz der aufkommenden Pulvergeschütze behaupten konnte, da diese noch nicht präziser, wirkungsvoller und effektiver waren. Bis ins 16. Jh. hinein war es mit einem Trebuchet noch möglich, sowohl weiter als auch genauer zu schießen als mit den damaligen "Kanonen" - bei zudem geringerer Ladezeit und geringerer Ausfallanfälligkeit wegen Nässe i.w.S.
Daß sich letztendlich dennoch die Pulvergeschütze durchsetzten, lag nicht nur an der Verbesserung dieser Geschütztypen, sondern v.a. auch daran, daß sie im Vergleich zum Trebuchet leichter zu handhaben waren: der Blidenmeister war ein ausgewiesener Spezialist, und es gab nach 1500 nur noch wenige Experten, die mit Trebuchet/Blide/Tribock umzugehen wußten.
 
Natürlich stimmt es schon, dass die Steinkugeln zersplitterten, aber die Splitter flogen wohl nicht allzu weit.
Ich nehme an, dass man schon damals riquochettierte (aufgesetzter Schuss), also den Abprall bewusst einsetzte. Doch solche "Mörser" konnten vermutlich wegen der fehlenden Lafette (und Rückstossdämpfung) nicht flach genug schiessen.


Gruss Pelzer


.
Schiess mal so eine Steinkugel in eine, wie es damals üblich war, Formation von Soldaten.
Die kleine Knuspernuss hat da schon einigen Schaden angerichtet.
Kann ich sowieso nicht verstehen, was die sich dabei dachten, in Formation aufzutreten.
"Hase lauf zickzack", wäre doch viel besser.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Hase lauf zickzack", wäre doch viel besser.
Dann stell Dir mal das mit 10.000 Mann vor! Welche Durchschlagskraft soll denn eine aufgelöste Formation haben? Wie soll man sie effektiv bewegen?

@ Gegenkaiser
Also ich sehe das so: Der Bau der Riesengeschütze war erst einmal das Naheliegenste der Entwicklung kleiner Büchsen bis hin zu Mauerbrechern. Klar kupferte man dann auch voneinander ab. Man hörte von der enormen Wirkung der Geschütze und übernahm diese dann. Andererseits wurde die Kriegsführung zur Zeit von Maximilian wieder beweglicher. Wenn Truppen rasch von Ort zu Ort zogen und besonders schnell Stadt um Stadt nahmen, wurde das anders verzeichnet.
Vielleicht spielen da auch noch andere Faktoren hinein wie die Entwicklung der Städte und ein Widererstarken von Feudalherren, die dann anders als die Städte ausgedehntere Feldzüge unternahmen, während sich die selbstbewussten Städte oft speziell gegen ein Ziel - meinetwegen "Raubritter"nest - richteten.
 
florian,
bei einem Geschossdurchmesser von bis zu 80 cm , war so ein Schuss gegen Feldtruppen auch nicht wirkungsvoller als der eines normalen Geschütz .
Die Reichweite war gering , das Nachladen dauerte ewig und im besten Fall schiesst du 2 Reihen aus der Formation , bevor dann nachgeladen ist hat der Feind die Stellung überrannt .
Mit den frühen Feuerwaffen war ein Zickzack wohl kaum möglich abgesehen von der geringen Treffgenauigkeit .
Auch die bis zu 6m langen Spiesse eigen sich dafür überhaupt nicht .
 
Einen Grund für die Riesengeschütze im 14. und 15. Jahrhundert sehe ich auch in der Pulverqualität. Zu dieser Zeit benutzte man noch fein gemahlenes Pulver. Das brennt weniger schnell ab und der Druckaufbau im Rohr erfolgt verhältnismäßig langsam. Die Kugel musste schwer sein, damit sie träge genug ist und das Pulver vollständig abbrennen kann. Zudem hatte man die Steinkugel mit Keilen fixiert.
Pulvergeschütze setzten, soweit ich weiß, als erste die Hussiten erfolgreich in der Feldschlacht ein.
 
...bei einem Geschossdurchmesser von bis zu 80 cm, war so ein Schuss gegen Feldtruppen auch nicht wirkungsvoller als der eines normalen Geschütz.
Diese Riesen-Mörser waren sicher als Belagerungsgeschütz vorgesehen, Mauerknacker sozusagen. Gegen Fusstruppen sind sie völlig unbrauchbar - ausser zur Abschreckung!

Den "Fortschritt" brachten dann der Einsatz von Kartätschen. Dazu brauchts dann aber keine Riesen-Geschütze, da reichen ganz normale Kanonen... Und die Wirkung ist verherend


Gruss Pelzer


.
 
Diese Riesen-Mörser waren sicher als Belagerungsgeschütz vorgesehen, Mauerknacker sozusagen. Gegen Fusstruppen sind sie völlig unbrauchbar - ausser zur Abschreckung!
Mörser sind aber eher Steilfeuergeschütze, die Bomben verschießen. Man konnte aber auch glühend gemachte Eisenkugeln in eine Stadt schießen, um so ein Feuer hervorzurufen. Steinkugeln heiß machen (?), ich weiß nicht, die zerspringen nachher wegen innerer Spannungen.
Seit wann man Bomben verschoss, weiß ich leider nicht. Bekannt müssten sie schon recht früh gewesen sein, denn schon die Mongolen benutzten solche, als sie im 13. Jahrhundert in Japan landeten. Allerdings schleuderten sie die Granaten mit der Hand.
 
Mörser sind aber eher Steilfeuergeschütze, die Bomben verschießen.
Mörser sind Geschütze mit im Verhältnis zum Kaliber kurzen Rohr.
Diese Riesen-Geschütze mussten hoch schiessen, da der Rückstoss sonst wohl nicht zu bändigen war. So gesehen handelt es sich hier eigentlich um Haubitzen...


Gruss Pelzer


.
 
Mörser sind Geschütze mit im Verhältnis zum Kaliber kurzen Rohr.
Diese Riesen-Geschütze mussten hoch schiessen, da der Rückstoss sonst wohl nicht zu bändigen war. So gesehen handelt es sich hier eigentlich um Haubitzen...
Gruss Pelzer

Ich habe gelesen, dass solche Riesengeschütze, die man auch Legstücke nannte, eine sehr aufwendige Bettung benötigten. Also, man schüttete viel Erdreich hinter dem Geschütz auf und stützte es mit starken Hölzern ab. Es gab keinen Rücklauf. Danach war keine Höhenrichtung ohne aufwendige Arbeiten mehr möglich. Es sollte alles schon beim ersten mal stimmen.
Zu groß darf die ballistische Kurve aber nicht gewesen sein, wenn man eine Stadt oder Burgmauer zum Einsturz bringen wollte. Ist der Auftreffwinkel zu spitz, prallt die Kugel ab.
 
Ich habe gelesen, dass solche Riesengeschütze, die man auch Legstücke nannte, eine sehr aufwendige Bettung benötigten. Also, man schüttete viel Erdreich hinter dem Geschütz auf und stützte es mit starken Hölzern ab. Es gab keinen Rücklauf. Danach war keine Höhenrichtung ohne aufwendige Arbeiten mehr möglich. Es sollte alles schon beim ersten mal stimmen.
Zu groß darf die ballistische Kurve aber nicht gewesen sein, wenn man eine Stadt oder Burgmauer zum Einsturz bringen wollte. Ist der Auftreffwinkel zu spitz, prallt die Kugel ab.
...und wenn man bedenkt, dass die Kugel mit Lumpen, Holzkeilen und Sand im zu grossen Rohr zentriert werden musste. Da musste man bei der Treffgenaugkeit schon etwas tolerant sein! :grübel:


Gruss Pelzer


.
 
Die Treffgenauigkeit wird sicher für heutige Vorstellungen miserabel gewesen sein. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Stückmeister seine z.B. "Faule Grete" sehr genau kannte. Das Setzen der Kugel war sicher ein Kunststück für sich. Auch den Grad der Feuchtigkeit und damit die Wirksamkeit des Pulvers einzuschätzen war mit viel Erfahrung verbunden. Wenn man das aber alles im Gefühl hat und gut über den Daumen peilen kann, bekommt man bestimmt einen akzeptablen Schuss hin.
Andererseits kann man nicht immer alles treffend abschätzen und da wird auch vieles daneben gegangen sein. Vielleicht besaßen wegen dieser Launenhaftigkeit die Riesengeschütze oft Frauennamen.
 
Dann stell Dir mal das mit 10.000 Mann vor! Welche Durchschlagskraft soll denn eine aufgelöste Formation haben? Wie soll man sie effektiv bewegen?
Das stimmt schon. Aber wie die sich damals aufgestellt haben, konnte man ja gar nicht danebenschiessen. Da brauchte man ja nicht mal zu ziehlen. Einen hat es immer getroffen.
 
Was hier noch nicht erwähnt wurde, sind zwei technologische Entwicklungen die zu kleineren Kalibern führten: Die durchsetzung von Eisenkugeln und die Verbesserung des Pulvers. Bei Eisenkugeln war auch eine kleinere Kugel durch die höhere Dichte und Härte effektiver gegen Mauerwerk und flog auch weiter (günstigeres Masse/Querschnitt -Verhältnis).

Eine Kugel im früheren Kaliber aber aus Eisen, wäre nicht mehr zu handhaben gewesen und hätte einen zu hohen Druck in der Kammer erzeugt. Es sind schon so sehr viele Steinbüchsen geplatzt, eine hat dabei einen König von Schottland getötet.

Das verbesserte Schießpulver ab Mitte des 15. Jahrhunderts beschleunigte noch den Trend zu kleineren Kalibern.

Noch die Bemerkung, dass bei einer Legebüchse der strukturelle Stress des Rohrs viel größer als bei einem Laffetierten Stück ist, bei dem der Rücklauf die Energie aufnimmt. Das führte auch zu verkürzter Lebensdauer, bzw. zu geringeren Ladungen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben