Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Kann man dieses Datum auch durch die zeitliche Bestimmung der gefundenen Knochen bestätigen oder sind diese Messungen zu ungenau?
 
Da hier nicht nur einer, sondern mehrere Autoren und Quellen zusammenkommen, lässt sich das mit dem Jahre 9 ziemlich deutlich belegen. Bei einem hätte man noch "Ups" sagen können.

In Bezug auf Kalkriese wird durch die Münzen des Schlachtfelds sogar umgekehrt ein Schuh draus: da ist nichts dabei, was nach dem Jahre 9 geprägt worden wäre. D. h. wenn aus irgendeinem Grunde alle Quellen zur Varusschlacht verloren gegangen wären, könnten wir anhand der Funde auf jeden Fall eine Schlacht im Jahre 9 bei Kalkriese verorten.

Aber gerade die gefundenen Münzen (die jüngsten sollen aus dem Jahre 1 v..CH. stammen) in Kalkriese könnten mit einer zeitlichen Abweichung der Schlacht die Diskussion um Kalkriese um einen weiteren Streitpunkt erweitern. Ich bin ja nun kein Numismatiker, aber wenn die Münzen vor Ort geprägt wurden, dann hat aus meiner Sicht Kalkriese nichts mit der Varusschlacht zu tun, oder die Schlacht fand eben vor dem Jahre 9 statt. Sind die Münzen nicht vor Ort geprägt und man folgt diversen Verbreitungstheorien (4 bis 5 Jahre bis Münzen in Germanien auftauchen) dann hätten wir das gleiche Dilemma.
Wenn die Schlacht allerdings vielleicht 1 oder 2 Jahre früher stattgefunden hat, dann würde das wiederum für Kalkriese sprechen.
Deshalb fallen die Münzen als Beweismittel für Kalkriese aus meiner Sicht eher aus.

Mal abweichend davon stört mich an Kalkriese besonders dieser von den Germanen geschaffene Damm, der aus rein logischer Sicht für eine eventuelle Strategie und Ablauf der Varusschlacht überhaupt keinen Sinn ergibt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber gerade die gefundenen Münzen (die jüngsten sollen aus dem Jahre 1 v..CH. stammen) in Kalkriese könnten mit einer zeitlichen Abweichung der Schlacht die Diskussion um Kalkriese um einen weiteren Streitpunkt erweitern. Ich bin ja nun kein Numismatiker, aber wenn die Münzen vor Ort geprägt wurden, dann hat aus meiner Sicht Kalkriese nichts mit der Varusschlacht zu tun, oder die Schlacht fand eben vor dem Jahre 9 statt. Sind die Münzen nicht vor Ort geprägt und man folgt diversen Verbreitungstheorien (4 bis 5 Jahre bis Münzen in Germanien auftauchen) dann hätten wir das gleiche Dilemma.
Wenn die Schlacht allerdings vielleicht 1 oder 2 Jahre früher stattgefunden hat, dann würde das wiederum für Kalkriese sprechen.
Deshalb fallen die Münzen als Beweismittel für Kalkriese aus meiner Sicht eher aus.



Nun haben die Münzen allerdings Gegenstempel, z.B. das umstrittene VAR, welches als Varus gedeutet nur während der Zeit der Statthalterschaft des Varus auf die Münzen gekommen sein kann (7-9) und den Stempel IMP mit lituus (Amtsstab der Auguren). Wenn man Den Kienast zu Rate zieht, dann kommt man auf die Verleihung der Augurenwürde an Augustus in den Jahren 6 und 8. Die Gegenstempel müssten also alle zwischen den Jahren 6 und 9 aufgebracht worden sein. Hinzu kommen noch die C.VAL-Stempel, die aber von allen am umstrittensten sind, da wir von Numonius Vala keinen Vornamen überliefert haben.

Mal abweichend davon stört mich an Kalkriese besonders dieser von den Germanen geschaffene Damm, der aus rein logischer Sicht für eine eventuelle Strategie und Ablauf der Varusschlacht überhaupt keinen Sinn ergibt.
Natürlich: Er macht die Engstelle zwischen Berg und Moor zum Nadelöhr, in dem ungeordnete Soldaten eher das Heil in der scheinbar möglichen Flucht suchen, als im Anrennen an den Wall.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mal abweichend davon stört mich an Kalkriese besonders dieser von den Germanen geschaffene Damm, der aus rein logischer Sicht für eine eventuelle Strategie und Ablauf der Varusschlacht überhaupt keinen Sinn ergibt.
Das würde ich nicht so sehen wollen. Die römischen Truppen waren den Germanen was Taktik, Ausbildung u. Diziplin angeht um einges voraus.
Führt man sich nun vor Augen, dass diese Wallkonstruktion, als eine militärische Taktik eingesetzt wurde um z.B. Fluchtwege zu blockieren und die Römer damit auch daran zu hindern ihre Formationstaktik wirklich ausführen zu können, würde ich mal sagen, dass jener Wall sehr wahrscheinlich zum Erfolg der Schlacht beigetragen hat.
Man kann daraus m.E. auch ersehen, das jene Menschen, die diese Schlachtfeld vobereiteten besonders gut mit der röm. Militärtaktik vertraut waren und genau wussten wie man gegen diesen Gegner vorgehen musst.
 
Natürlich: Er macht die Engstelle zwischen Berg und Moor zum Nadelöhr, in dem ungeordnete Soldaten eher das Heil in der scheinbar möglichen Flucht suchen, als im Anrennen an den Wall.

Dazu bedarf es aber entweder der genauen Kenntnis des Marschweges im Vorfeld oder einer gezielten Einflußnahme auf den Marschweg entweder durch involvierte Führer oder aber gezielter Ein-/Angriffe um den Marsch in eine Richtung zu lenken.
Bis auf die Variante mit einem involvierten Führer halte ich das für sehr unwahrscheinlich, da die Möglichkeit, einen Troß von etwa 30.000 Leuten und 20 km Länge in "grauer" Wildnis zielgenau zu leiten, mir recht wage vorkommt.
Deshalb bin ich der Meinung, daß in Kalkriese eher ein statisches (geplantes) Gefecht stattgefunden hat und kein so ein mobiles (spontanes) Geschehen wie nach den Überlieferungen, auch wenn die Streuung der Funde anders gedeutet werden kann.
Damit möchte ich jetzt nicht behaupten, daß Kalkriese nicht der Ort der Varusschlacht ist, aber wenn ja, dann gibt es etliche Fehlinterpretationen durch die Chronisten oder durch die aktuelle Forschung. Denn für mich deutet das auf eine größere, bereits seit einiger Zeit bestehende Konfliktsituation hin. Das wiederum könnte einen Gesinnungswechsel des Arminius (der vielleicht nach Jahren der Duldung römischer Aktionen einfach genug davon hatte) und das ihm entgegengebrachte Vertrauen seitens Varus erklären. Dies würde dann in der Folge auch seinen "Befreierstatus" für Germanien eher rechtfertigen, als diese relativ "plötzliche" Varusschlacht mit dem anschließenden "verschleierten" Befreiungskampf.
Bitte nicht soviel Wert auf die Adjektive in "" legen. Ist nur zur besseren Verständigung über meine Sichtweise.

Was die Münzen mit Gegenstempel ( dachte, daß diese mit dem genannten Münzalter identisch wären) betrifft, bleibt doch aber eigentlich immernoch ein Interpretationsspielraum von 1 bis 2 Jahren, der nie gelöst werden kann.
 
Dazu bedarf es aber entweder der genauen Kenntnis des Marschweges im Vorfeld oder einer gezielten Einflußnahme auf den Marschweg entweder durch involvierte Führer oder aber gezielter Ein-/Angriffe um den Marsch in eine Richtung zu lenken.
Bis auf die Variante mit einem involvierten Führer halte ich das für sehr unwahrscheinlich, da die Möglichkeit, einen Troß von etwa 30.000 Leuten und 20 km Länge in "grauer" Wildnis zielgenau zu leiten, mir recht wage vorkommt.

Genau das berichtet aber in Ansätzen Velleius Paterculus und ziemlich deutlich Cassius Dio:
"Und so kam es dann auch. Zuerst gaben ihm die Verschworenen beim Aufmarsch das Geleit, dann beurlaubten sie sich, um die angeblich verbündeten Kontingente zu sammeln und ihm damit rasch zur Hilfe zu kommen.
Sie übernahmen aber nur die Führung ihrer schon bereitstehenden Truppen und griffen, nachdem sie allerortens die dort befindlichen, zuvor erbetenen Garnisonen niedergemacht hatten, den Feldherren selber an..."

Deshalb bin ich der Meinung, daß in Kalkriese eher ein statisches (geplantes) Gefecht stattgefunden hat und kein so ein mobiles (spontanes) Geschehen wie nach den Überlieferungen, auch wenn die Streuung der Funde anders gedeutet werden kann.

Die Überlieferung berichtet von einem von langer Hand geplanten Überfall!

Denn für mich deutet das auf eine größere, bereits seit einiger Zeit bestehende Konfliktsituation hin.
Das musst Du erklären. Was genau deutet für Dich auf eine bereits seit einiger Zeit bestehende Konfliktsituation hin?


Was die Münzen mit Gegenstempel ( dachte, daß diese mit dem genannten Münzalter identisch wären) betrifft, bleibt doch aber eigentlich immernoch ein Interpretationsspielraum von 1 bis 2 Jahren, der nie gelöst werden kann.

Das eine ist sicher: Vorher können die Münzen nicht in den Boden gelangt sein. Wir haben also einen terminus post quem. Strittig ist allein die Frage, wann dieses post quem anzusetzen ist, 9 oder 15.
Nach wie vor sind aber die Knochen das deutlichste Indiz, auch wenn die geringe Menge gerne bagatellisiert wird.
 
Die Überlieferung berichtet von einem von langer Hand geplanten Überfall!


Das musst Du erklären. Was genau deutet für Dich auf eine bereits seit einiger Zeit bestehende Konfliktsituation hin?
Erst einmal Danke !

Wenn die Aktion so genau und aufwendig geplant und letztendlich sogar durchgeführt werden konnte, dann muß es schon längere Zeit Anlässe dazu gegeben haben. Das folgere ich daraus - je länger man miteinander zu tun hat (in diesem Fall kämpft) um so genauer kennt man die Gegenseite und versucht sich darauf einzustellen. Dürfte in jeder normalen Kriegssituation so sein. Nur mit dieser Erkenntnis kann man den Erfolg planen. Ein fähiger Mann allein reicht dazu in der Befehlskette sicher nicht aus. Schon gar nicht bei zerstrittenen Germanenstämmen. Also muß da schon eine Menge Erfahrung und Kenntnis in der Vorbereitung gesteckt haben, die man nur in der entsprechenden Zeit vorher und in den entsprechenden Aktionen gesammelt haben müßte.
Folglich sind in einem Gebiet vorher andere Kampfhandlungen anzunehmen, was die Zuordnung eines Schlachtfeldes zu einer bestimmten überlieferten Schlacht durchaus erschwert. Zumal ja auch der Ort explizit zwischen Ems und Lippe genannt wird und nicht fast 100 km weiter nördlich. Wenn man nach den Chronisten dem Jahr 9 glauben schenkt, warum dann den Ort in Zweifel ziehen ?
Trotz der Schilderung der Varusschlacht stören mich da rein gefühlsmäßig und logisch etliche kleine Dinge, die ich jetzt nicht erklären kann. Natürlich kann man sich auf ein Gefühl in der Geschichte nicht verlassen, ist mir klar, aber es kann einen leiten. Und so geht es mir mit Kalkriese - ich trau dem Braten einfach nicht, wenn das Jahr 9 wirklich stimmen sollte. Daher meine Frage nach den Münzen.
 
Nach wie vor sind aber die Knochen das deutlichste Indiz, auch wenn die geringe Menge gerne bagatellisiert wird.

Richtig. Die Knochen sind ein eindeutiges Indiz dafür, dass hier einmal Knochen unter die Erde gebracht wurden. Mehr nicht.

Niemand kann belegen, dass sie die gleiche Dauer an der Oberfläche lagen, also zur gleichen Zeit unter die Erde kamen. So lange das nicht geklärt ist, beweisen diese Knochen nur, dass hier einmal Knochen unter die Erde gebracht wurden.

Wann, von wem und warum bleibt vollkommen offen.
 
je länger man miteinander zu tun hat (in diesem Fall kämpft) um so genauer kennt man die Gegenseite und versucht sich darauf einzustellen. Dürfte in jeder normalen Kriegssituation so sein. Nur mit dieser Erkenntnis kann man den Erfolg planen. Ein fähiger Mann allein reicht dazu in der Befehlskette sicher nicht aus. Schon gar nicht bei zerstrittenen Germanenstämmen. Also muß da schon eine Menge Erfahrung und Kenntnis in der Vorbereitung gesteckt haben, die man nur in der entsprechenden Zeit vorher und in den entsprechenden Aktionen gesammelt haben müßte.
Die Römer waren 9 n. Chr. seit gut zwanzig Jahren beständig in Germanien anwesend, die Cherusker hatten ihnen (gerade erst) Hilfstruppenkontingente gestellt. Klar kannte man sich.

Zumal ja auch der Ort explizit zwischen Ems und Lippe genannt wird und nicht fast 100 km weiter nördlich.
Nein, Tacitus drückt sich weitaus ungenauer aus: Germanicus befand sich zwischen Ems und Lippe, als er "in der Nähe" des Varusschlachtfeldes war. Das heißt aber nicht, dass das Varusschlachtfeld zwischen Ems und Lippe lag.

Trotz der Schilderung der Varusschlacht stören mich da rein gefühlsmäßig und logisch etliche kleine Dinge, die ich jetzt nicht erklären kann. Natürlich kann man sich auf ein Gefühl in der Geschichte nicht verlassen, ist mir klar, aber es kann einen leiten. Und so geht es mir mit Kalkriese - ich trau dem Braten einfach nicht, wenn das Jahr 9 wirklich stimmen sollte. Daher meine Frage nach den Münzen.

Butter bei die Fische!
 
Richtig. Die Knochen sind ein eindeutiges Indiz dafür, dass hier einmal Knochen unter die Erde gebracht wurden. Mehr nicht.

Niemand kann belegen, dass sie die gleiche Dauer an der Oberfläche lagen, also zur gleichen Zeit unter die Erde kamen. So lange das nicht geklärt ist, beweisen diese Knochen nur, dass hier einmal Knochen unter die Erde gebracht wurden.

Wann, von wem und warum bleibt vollkommen offen.

Stimmt mehr oder weniger. Wichtig ist ja vor allem, dass die Knochen mehrere Jahre lang unbestattet geblieben sind. Ich habe irgendwas von 5 bis 10 Jahre gelesen.

Wenn wir nun anhand der Funde eine Schlacht zwischen Römern und Germanen annehmen, dann fällt es schwer die Knochen gefallenen Germanen zuzuweisen, denn: Warum hätten die die Knochen so lange liegen lassen sollen? Und warum dann doch bestatten sollen.

Und wenn es Römer gewesen sind, dann passt das wunderbar zum Szenario Varusschlacht. Denn wenn es die pontes longi gewesen wären, welche Römer hätten nach 20 n. Chr. diese Knochen bestatten sollen?
 
Laut Gutachten sollen die Knochen zwischen mehreren Monaten bis zu zehn Jahre an der Oberfläche gelegen haben.
Tierverbiss findet i.d.R. schon in der ersten Nacht statt. Bleichung durch UV-Licht setzt bereits nach teilweiser Verwesung bzw. Tierfraß ein. Mehr konnte an den Knochen nicht festgestellt werden.
Das obere Limit von 10 Jahren ergibt sich aus der Tatsache, dass nach dieser Zeit die Knochen an der Oberfläche bereits zerfallen wären.

Nimmt man nun einmal an, bei Kalkriese hat die Schlacht an den Pontes -longi stattgefunden, also 15 n.Chr.. Dann könnten im folgenden Jahr die vom Angrivarierwall bzw. der Weser zurückziehenden Truppen des Germanicus diese Engestelle erneut passiert haben und Gebeine ihrer Kameraden aus dem Gemetzel des Vorjahres in Gruben rasch unter die Erde gebracht haben.
Dieses Mal nicht in feierlicher Beisetzung mit Tumulus, sondern unspektakulär in Einzelgruben. So, wie es in Kalkriese vorgefunden wurde.
 
Laut Gutachten sollen die Knochen zwischen mehreren Monaten bis zu zehn Jahre an der Oberfläche gelegen haben.
Tierverbiss findet i.d.R. schon in der ersten Nacht statt. Bleichung durch UV-Licht setzt bereits nach teilweiser Verwesung bzw. Tierfraß ein. Mehr konnte an den Knochen nicht festgestellt werden.

Da zitiere ich doch mal Beitrag 390 dieses Threads, in dem die untersuchenden Anthropologen zu Wort kommen:


Ich finde einen Satz hast Du noch vergessen zu zitieren, der steht sowohl in Birgit Großkopf, Die menschlichen Überrest der Fundstelle Kalkriese Obersch (in Lehmann/Wiegels, Römische Präsenz und Herrschaft im Germanien der augusteischen Zeit) (1), als auch in dem von Dir genannten Band(2):

(1)"Je ausgedehnter der Zeitraum der Oberflächenlagerung ist, desto geringer ist die Menge an Knochen, die zum Zeitpunkt einer späteren Deponierung aufgefunden und eingesammelt werden kann. Nach einem Zeitraum von ca. zehn Jahren sind oberflächlich keine Funde mehr zu erwarten."

Hans-Peter und Margarethe Uerpmann:
(2)"Obwohl Knochen in der Regel die am besten erhaltungsfähige Substanz im Körper von Menschen und Säugetieren sind, unterliegen sie grundsätzlich, wie jede lebendige Substanz dem Prinzip der biologischen Wiederverwertung. [...] Sie können dieser Zerstörung durch Umwelteinflüsse nur dann entgehen, wenn sie rechtzeitig in ein 'knochenfreundliches' Sediment eingebettet [...] werden." (S. 108)
[Lücke von einigen Seiten] "Wenn Tacitus schreibt, dass bei der Bestattung der Gefallenen [...] nicht mehr zwischen Angehörigen und Fremden unterschieden werden konnte, so ist auch dies ein Hinweis auf den Zustand der sterblichen Überreste. Anderes wäre sechs Jahre nach dem Schlachtereignis auch nicht zu erwarten gewesen. Daraus ergibt sich die Frage, ob der zeitliche Abstand zwischen dem Tod der Menschen und Tiere und der Bestattung ihrer Knochen in den Gruben genauer bestimmt werden kann. Derzeit ist uns kein Verfahren bekannt, das hierzu eine ausreichend genaue Aussage zulässt. Empirisch kann man wohl davon ausgehen, dass sich der oben geschilderte, aufgelöste Zustand der Skelette erst nach zwei bis vier Jahren eingestellt haben dürfte. Ab drei Jahren an der Oberfläche beginnen Knochen zu verwittern und zu zerkrümeln. Nach zehn bis zwölf Jahren sind sie in der Regel zu unscheinbaren Fragmenten zerfallen. Insofern sprechen die taphonomischen Beobachten nicht gegen einen zeitlichen Abstand von etwa sechs Jahren, wie er vorliegen müsste, wenn die Knochenruben anlässlich des Besuches der Truppen des Germanicus auf dem ehemaligen Schlachtfeld angelegt worden wären." (S. 112)

Zudem wird immer wieder betont, dass die Bodenbeschaffenheit in Kalkriese alles andere als optimal ist und die Kochen dort erhalten sind, wo der Boden ausreichen mit Kalk gesättigt ist, bzw. Kupfer die Knochen imprägnierte (Maultierknochen im Wallversturz).

Nimmt man nun einmal an, bei Kalkriese hat die Schlacht an den Pontes longi stattgefunden, also 15 n.Chr.. Dann könnten im folgenden Jahr die vom Angrivarierwall bzw. der Weser zurückziehenden Truppen des Germanicus diese Engestelle erneut passiert haben und Gebeine ihrer Kameraden aus dem Gemetzel des Vorjahres in Gruben rasch unter die Erde gebracht haben.
Dieses Mal nicht in feierlicher Beisetzung mit Tumulus, sondern unspektakulär in Einzelgruben. So, wie es in Kalkriese vorgefunden wurde.

Das wäre eine halbwegs akzeptable Spekulation, wenn auch, nach wie vor, das Wort der Anthropologen dagegen steht.
 
Die Quellen berichten auch, dass Varus Truppenteile delegiert und über die rechtsrheinische Provinz verteilt hatte. Es spricht auch nichts dagegen, dass wir es bei Kalkriese mit einer entsprechenden Abteilung abseits des Hauptheeres zu tun haben, welche von den Germanen niedergemacht wurde. Wäre nun eine Streitmacht des Germanicus an dieser Stelle vorbei gekommen, hätten sie diese Überreste wohl kaum unbestattet gelassen.

Spekulation - nicht zu beweisen, aber auch nach heutigen Kenntnisstand nicht zu widerlegen. Und hinsichtlich der bisher gefundenen Besitzmarken besser in Einklang zu bringen als der Ort an welchem drei Legionen zu Grunde gingen.
 
Hans-Peter und Margarethe Uerpmann:
(2)"Obwohl Knochen in der Regel die am besten erhaltungsfähige Substanz im Körper von Menschen und Säugetieren sind, unterliegen sie grundsätzlich, wie jede lebendige Substanz dem Prinzip der biologischen Wiederverwertung. [...] Sie können dieser Zerstörung durch Umwelteinflüsse nur dann entgehen, wenn sie rechtzeitig in ein 'knochenfreundliches' Sediment eingebettet [...] werden." (S. 108)
[Lücke von einigen Seiten] "Wenn Tacitus schreibt, dass bei der Bestattung der Gefallenen [...] nicht mehr zwischen Angehörigen und Fremden unterschieden werden konnte, so ist auch dies ein Hinweis auf den Zustand der sterblichen Überreste. Anderes wäre sechs Jahre nach dem Schlachtereignis auch nicht zu erwarten gewesen.
Daraus ergibt sich die Frage, ob der zeitliche Abstand zwischen dem Tod der Menschen und Tiere und der Bestattung ihrer Knochen in den Gruben genauer bestimmt werden kann. Derzeit ist uns kein Verfahren bekannt, das hierzu eine ausreichend genaue Aussage zulässt.
Empirisch kann man wohl davon ausgehen, dass sich der oben geschilderte, aufgelöste Zustand der Skelette erst nach zwei bis vier Jahren eingestellt haben dürfte. Ab drei Jahren an der Oberfläche beginnen Knochen zu verwittern und zu zerkrümeln. Nach zehn bis zwölf Jahren sind sie in der Regel zu unscheinbaren Fragmenten zerfallen. Insofern sprechen die taphonomischen Beobachten nicht gegen einen zeitlichen Abstand von etwa sechs Jahren, wie er vorliegen müsste, wenn die Knochenruben anlässlich des Besuches der Truppen des Germanicus auf dem ehemaligen Schlachtfeld angelegt worden wären." (S. 112)

Danke, dass Du noch einmal den Bericht von den Uerpmanns reingestellt hast.
Aus den von mir fett gedruckten Passagen wird ersichtlich, wie vorsichtig die Anthropologen mit ihren Aussagen sind. Da es kein sicheres Verfahren gibt, behilft man sich mit groben Schätzungen.

Diese Schätzungen sprechen nicht gegen Tacitus´ Überlieferung, nach der die Knochen der Legionäre 6 Jahre an der Oberfläche lagen. Mit anderen Worten: Sie widersprechen den Darstellungen nicht, sind aber keineswegs als Beweis zu betrachten.
 
Nach 6 Jahren gibt es grundsätzlich nicht mehr viel zu bestatten. Dafür werden Tiere gesorgt haben, sei es durch Fraß oder Verschleppen. Was Germanicus noch vorfand und begrub, war vermutlich nicht mehr als ein symbolischer Akt der Pietät für die öffentliche Meinung daheim in Rom.
 
Nach 6 Jahren gibt es grundsätzlich nicht mehr viel zu bestatten. Dafür werden Tiere gesorgt haben, sei es durch Fraß oder Verschleppen. Was Germanicus noch vorfand und begrub, war vermutlich nicht mehr als ein symbolischer Akt der Pietät für die öffentliche Meinung daheim in Rom.

Das glaub ich auch. Wahrscheinlich gab es noch mehrere solcher Gruben, aber die Knochen dürften mit der Zeit wohl verwittert sein.
 
Danke, dass Du noch einmal den Bericht von den Uerpmanns reingestellt hast.
Aus den von mir fett gedruckten Passagen wird ersichtlich, wie vorsichtig die Anthropologen mit ihren Aussagen sind. Da es kein sicheres Verfahren gibt, behilft man sich mit groben Schätzungen.

Diese Schätzungen sprechen nicht gegen Tacitus´ Überlieferung, nach der die Knochen der Legionäre 6 Jahre an der Oberfläche lagen. Mit anderen Worten: Sie widersprechen den Darstellungen nicht, sind aber keineswegs als Beweis zu betrachten.

Deine Argumentation ist nicht seriös. Welchen "Beweis" willst Du denn sehen? Der beste Beweis, den wir bekommen können, ist die Kongruenz zwischen den römischen Quellen und den archäologischen Befunden. So ist zum Beispiel mit den Funden in Waldgirmes bewiesen worden, dass Cassius Dio nicht bloß Dünnsinn geredet hat, als er von römischen Stadtgründungen in "Germania magna" berichtet hat.

Deine Argumentation ist nicht nur unseriös, sondern auch nicht plausibel. Hätte Germanicus auf dem Rückmarsch von einem Feldzug die Leichen von Legionären gefunden, die im Jahr zuvor gefallen sind, dann wären die noch nicht einmal vollständig skelettiert gewesen. Da hätten immer noch Weichteile dran gehaftet. Und DAS ist bewiesen, denn es hat in moderner Zeit ausgiebige Testreihen zu dieser Frage gegeben. In den USA gibt es "Leichenfarmen", auf denen man tote menschliche Körper unter allen denkbaren Bedingungen den Außeneinflüssen überlässt.

Aus diesen Versuchen lassen sich Rückschlüsse ziehen, die auch für unser Diskussionsthema von Belang sind. Einer davon: Vor zweijähriger Liegezeit gibt es keine vollständige Auflösung des Knochenverbunds. Konsequenz: Wenn eine vollständige Aufösung des Knochenverbunds eingetreten ist, müssen mehr als zwei Jahre vergangen sein. Das schließt die von Dir vorgetragene Germanicus-Theorie aus. Und nach zehnjähriger Liegezeit gibt es gar keine Spuren mehr. Auch das wissen wir aufgrund moderner Untersuchungen. Das ist nicht bloß eine Theorie.

Was haben die Kalkriese-Archäologen also gesagt? Sie sagten: Die Knochen müssen mindestens zwei Jahre, höchstens aber zehn Jahre offen der Witterung ausgesetzt gewesen sein - und noch genauer lässt sich der Zeitraum mit heutigen Methoden nicht eingrenzen. Und daraus machst Du, dass es auch weniger als zwei Jahre oder mehr als zehn Jahre sein könnten. Das nenne ich unseriös!

Wir haben einen archäologischen Befund, der sich mit den historiografischen Quellen deckt. Ein hoher Wert. Aber den lehnst Du ab mit dem Argument, dass es ja auch Umstände gegeben haben kann, die weder historiografisch noch (bis heute) archäologisch gefasst worden sind. Gleichzeitig weist Du Interpretationen (z.B. Kalkriese-Wall ist germanisch) mit dem Argument zurück, dass es darauf keinen historigrafischen Hinweis gebe und dass es deshalb nicht sein könne...

Mir scheint, Du hast einfach eine vorgefasste Meinung.

MfG
 
Deine Argumentation ist nicht nur unseriös, sondern auch nicht plausibel. Hätte Germanicus auf dem Rückmarsch von einem Feldzug die Leichen von Legionären gefunden, die im Jahr zuvor gefallen sind, dann wären die noch nicht einmal vollständig skelettiert gewesen. Da hätten immer noch Weichteile dran gehaftet. Und DAS ist bewiesen, denn es hat in moderner Zeit ausgiebige Testreihen zu dieser Frage gegeben. In den USA gibt es "Leichenfarmen", auf denen man tote menschliche Körper unter allen denkbaren Bedingungen den Außeneinflüssen überlässt.
MfG

Wurden bei dieser Testreihe auch wilde Tiere berücksichtigt? Ich kann mir vorstellen, dass der Gestank auf dem Varus-Schlachtfeld, jeden Wolf, jeden Bären und wahrscheinlich auch noch jede Made Germaniens angezogen haben dürfte.
 
Wurden bei dieser Testreihe auch wilde Tiere berücksichtigt? Ich kann mir vorstellen, dass der Gestank auf dem Varus-Schlachtfeld, jeden Wolf, jeden Bären und wahrscheinlich auch noch jede Made Germaniens angezogen haben dürfte.

Insbesondere Wildschweine dürften da den Großteil der Arbeit verrichtet haben. Und: Nein, bei den Testreihen ist meines Wissens nicht der Fraß großer Raubtiere simuliert worden. Da ging es mehr um die Frage, in welcher Zeit eine Leiche welchen Zersetzungszustand erreicht, wenn sie ganz offen liegt, in Plastikfolie oder Teppich eingewickelt ist etc.

Du hast Recht: Tiere werden die Leichen der Soldaten gefressen und sicher auch Teile verschleppt haben. Dass vollständige Skelette gefunden werden, wird schon dadurch unwahrscheinlicher. Man muss dabei nur zwei Punkte bedenken: Wenn Kalkriese der Ort der Varusschlacht war, lagen dort tausende von Leichen. So viel kann keine Schweinerotte, kein Wolf und kein Bär fressen. Und irgendwann sind Leichen dann so weit verwest, dass auch Aasfresser nicht mehr drangehen. Das dürfte spätestens nach einigen Wochen der Fall sein.

In der Phase mag es dann keine vollständigen Skelette mehr gegeben haben, aber es gab immer noch Knochenverbünde. Aasfresser können Extremitäten abreißen und wegschleppen. Die Wirbelknochen und die Rippen zum Beispiel werden aber zusammen an Ort und Stelle zurückbleiben. Und dann dauert es noch viele Monate, bis auch Bänder und Sehnen vollständig verwest sind. In den bei Kalkriese gefundenen Knochengruben ist - bis auf eine Ausnahme - aber nicht nachweisbar, dass mehrere Knochen zu einem Individuum gehörten. Alle Knochen waren zum Zeitpunkt der Bestattung also vollständig voneinander gelöst. Dies haben die Kalkrieser dann "genutzt", um die Zahl der in den Gruben Bestatteten zu ermitteln. Haben sie (nur als Beispiel) fünf rechte Schienbeinknochen gefunden, konnten sie sagen, dass mindestens fünf Individuen dort bestattet worden sein müssen. Die große Masse der Knochen in den Gruben waren aber nicht zuzuordnen und gingen folglich auch nicht in die "Zählung" ein.

Die Ausnahme, von der ich vorhin sprach, betraf übrigens eine Gruppe von Fingerknochen. Die lagen dort im Verbund und gehörten offensichtlich zusammen. Das ist ungewöhnlich, da gerade Fingerknochen schneller vergehen als große Beinknochen und überdies beim Einsammeln leichter übersehen werden. Dass bestattende Legionäre Jahre später sämtliche Fingerknöchelchen einer Hand einsammeln und gemeinsam bestatten, ist also höchst unwahrscheinlich. Die Archäologen haben sich folgende Erklärung dafür gebildet:

In den vorangegangenen Kämpfen ist ein Legionär an der Hand verletzt worden (sicher mit die häufigste Verletzungsart in damaligen Gefechten). Ein "Arzt" hat die Hand verbunden. Bei Kalkriese ist der Verwundete dann gefallen. Der Verband um die Hand hat die Knöchel zusammengehalten, so dass sie fünf Jahre später gefunden und mit Verbandresten bestattet werden konnten. Im Laufe der folgenden 2000 Jahre hat sich der Verband vollständig zersetzt, die Knochen blieben zurück und sind so heute noch als Verbund erkennbar.

MfG
 
Insbesondere Wildschweine dürften da den Großteil der Arbeit verrichtet haben. MfG

Interessanter Einwand, denn vor kurzem sah ich eine Dokumentation über den amerikanischen Bürgerkrieg. Bei Shiloh sollen dort auch die netten Viecher Appetit an Gefallenen entwickelt haben, und Schweine sind wirklich Allesfresser. Ich erinnere mich an einen Massenmörder, der vor einigen Jahren gefasst wurde und der die Leichen entsorgte, indem er sie den Schweinen vorsetzte.
 
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