Florentiner gleich Italiener?

Avangate

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Da Florenz lange eine Republik war (1189 - 1532) und später zum Großherzugtum Toskana gehörte stellt sich mir die Frage ob man die Florentiner in jener Zeit auch als Italiener bezeichnen konnte.

Besonders interessiert mich auch die Begründung der Antwort.

Vielen dank für Eure Hilfe.

LG,
 
Wie sagte Fürst Metternich 1847? "Italien ist ein geographischer Begriff" - ähnlich Deutschland wurde Italien erst im 19. Jhdt. geeint. Davor waren die Italiener zwar auch Italiener, aber es gab halt kein Italien.
 
Daraus schließe ich: wir aus dem 21. Jahrhundert können die florentinische Bevölkerung durchaus als Italiener bezeichnen.

Würden die Menschen in Florenz sich, bevor Italien geeint wurde, auch als Italiener bezeichnen? Oder kannten sie diesen Begriff da noch nicht?
 
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Florentiner bezeichnen sich auch heute noch als Florentiner, der Lokalpatriotismus ist in Italien stark ausgeprägt. Sie haben sich aber auch schon früh als Italiener gefühlt, zumindest ab Dante. Mit einem Nationalgefühl im heutigen Sinn kann man dies aber nicht vergleichen, ein solcher Gedanke war bis zur französischen Revolution vollkommen unbekannt.
 
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@ Rovere: interessant. Im Vergleich fühlen sich viele Schweizer in erster Linie als Bürger ihres Kantons. Irgendwie gibt es da mehr Tradition als im (zwar guten) modernen Bundesstaat von 1848. Früher war ja die alte Eidgenossenschaft ein (sehr loser) Staatenbund, die sich in erster Linie militärisch gegenseitig unterstützten (wenn sie nicht gerade aufgrund von Reisläuferei (Söldnerdiensten) gegeneinander kämpften...
 
Lokale Verwurzelung

Daraus schließe ich: wir aus dem 21. Jahrhundert können die florentinische Bevölkerung durchaus als Italiener bezeichnen.

Würden die Menschen in Florenz sich, bevor Italien geeint wurde, auch als Italiener bezeichnen? Oder kannten sie diesen Begriff da noch nicht?

Ich sehe es ähnlich wie Rovere. Ein modernes Nationalgefühl als Italiener dürfte den meisten Einwohnern Italiens in Mittelalter und früher Neuzeit weitgehend fremd gewesen sein. Es war wohl ähnlich wie bei den Deutschen auch! Man sah sich als Florentiner, Venezianer, e.t.c. Nur außerhalb Italiens fühlten die Menschen sich mehr als Italiener denn als Mitglieder ihres politischen Heimatortes, wo ich wieder Parallelen mit den damaligen Deutschen sehen kann.

Man kann das recht gut im Buch "Im Namen Gottes und des Geschäfts" über den gut dokumentierten Lebensweg des florentinischen Kaufmanns Francesco di Marco Datini (1335-1410) nachvollziehen. Einerseits zeigt es die teils sehr enge kooperation von italienischen Kaufleuten untereinander, andererseits wird in einem Vergleich zu einer anderen Quelle berichtet, wie nach einem Verbrechen rasch ein "Ausländer" in Florenz gelyncht wurde. Dem "Ausländer" wurde nichts nachgewiesen, es reichte anscheinend, dass er ein Venezianer (Ausländer!) war und gerade als Sündenbock taugte...
 
Ich denke, das Problem ist ähnlich, wie bei einem Hanseaten z.B. oder einem Badener (sagt man so?), die beide darauf pochen, in erster Linie dies zu sein, wobei man heute allerdings schon auch sagen muß, daß Florenz schon früh sein Chinatown hatte, dann von Menschen aus dem Süden überlaufen wurde, und ein sozusagen echter Florentiner sagt heute, es gebe deren nur noch ganz wenige. Dasselbe gilt für Mailand, Turin und wohl auch Rom. Zu Zeiten Dantes mag dies anders gewesen sein, da er ja als Schöpfer der einheitlichen italienischen Sprache gilt, oder besser gesagt, sein überragendes Werk, "la divina commedia", hat die florentinische Sprache zur Nationalsprache gemacht. Unter dem Großherzog Leopold II. von Habsburg mag es wieder anders gewesen sein, obwohl Florenz zum Unterschied der anderen oberitalienischen Besitztümer von Habsburg, eine weitgehende Autonomie hatte.
 
Anno Domini 1720

Unterhalten sich zwei Spanier. Sagt der eine zum anderen:

"Der Italiener vermag aus dem Liebesapfel (Tomate) hervorragende Soßen für seine Speisen zu kreieren. Obgleich jene Zierpflanze bisher nur zu medizinischem Zwecke genutzt wurde. Da drängt sich mir die Frage auf, ob bei ihm immer alles mit rechten Dingen zuging..."


Was meint ihr, sollte jener Italiener nun doch vielleicht besser als Florentiner, Römer oder von mir aus auch als Venezianer betitelt werden, denn als Italiener? :grübel:
 
Auch wenn das Beispiel fiktiv ist, möchte ich ein bisschen schlauschieten: Die Tomate war den Spaniern von Beginn an als essbare Frucht bekannt, die erste schriftliche Erwähnung der Tomate ist von 1541, also elf Jahre nach der Eroberung Tenochtitlans. Darin beschreibt der anonyme Autor, wie sie einem Fluss zum Essen gegeben werden. Die nächste Erwähnung stammt von Farncisco Cervantes von 1560 (hat nichts mit meinem Schöpfer zu tun) und der beschreibt den Geschmack der Tomate.
Der Begriff Liebesapfel für Tomate stammt aus dem Französischen. der italienische Begriff Pomodoro (goldener Apfel) kommt daher, weil die ersten Tomaten die nach Italien gelangten, einer gelb-oragenen Rasse angehörten.
 
Danke El Quijote. Jetzt bitte noch meine Frage bezüglich des Italieners beantworten und ich ziehe den Hut vor dir. ;)
 
Machiavelli spricht im "Il Principe" eindeutig von Italienern und zählte sich (Florentiner) dazu.
 
Aus der "Geschichte von Florenz" von Machiavelli:

In diesen Zeiten war Italien voll englischer, deutscher und bretagnischer Söldlinge, die zum Teil von den bei verschiedenen Veranlassungen ins Land gekommenen Fürsten gedungen, zum Teil von den Päpsten während ihres Aufenthaltes in Avignon dahin gesandt worden waren. Mit diesen kämpften die italienischen Fürsten ihre Kriege durch, bis Lodovico da Cento, ein Romagnole, aufstand und eine Schar italienischer Soldtruppen bildete, die er die Kompagnie des heiligen Georg nannte. Die Tapferkeit und Manneszucht dieser Truppen minderte den Ruf der fremden Söldlinge und verschaffte den Italienern Berühmtheit, so daß von da an die Fürsten in ihren Fehden ihrer sich bedienten.
 
Hier habe ich es gefunden: Machiavelli zitiert Petrarca im Kapitel 26 vom Fürsten:

Virtù contro a furore
Prenderà l'arme, e fia el combatter corto;
Ché l'antico valore
Nell'italici cor non è ancor morto.


und spricht auch von den Italienern als solche:

E non è maraviglia se alcuno de' prenominati Italiani non ha possuto fare quello che si può sperare facci la illustre casa vostra, e se, in tante revoluzioni di Italia e in tanti maneggi di guerra, è pare sempre che in quella la virtù militare sia spenta.

Ich erinnere mich auch an andere Texte von Autoren aus dem 15. und 16. Jahrhundert in dem über die Verhältnisse zwischen Spaniern und Italienern gesprochen wurde, als Neapel und Sizilien noch zum Spanischen Königreich gehörten. Ich möchte meinen dass ein primitives Nationalgefühl vorhanden war, das sich hauptsächlich über die Sprache bildete.
Machiavelli hat es eindeutig in diesem Sinne gemeint, da er sogar das "italienischen Herz" und den "Italischen Geist" beschwörte und anrief und die Italiener aufrief sich an ihre römischen Vorfahren zu erinnern.
 
Es ist schon angebracht von "Italienern" zu sprechen, da eine Abgrenzung nach Außen (vorallem zu den Deutschen) im Mittelalter immer wieder Teil der politischen Rhethorik war.
Folgender Auszug stammt aus einem Brief der Mailänder Bürger an ihre Verbündeten im Sieg über die Truppen Kaiser Barbarossas in der Schlacht bei Legnano:

"Geliebte Landsleute,
schreibt den Triumph über die deutschen Eindringlinge nicht unseren Waffen zu. Der Loorbeer des Sieges gebührt der Gemeinschaft aller Italiener, deren stolzer Wille sich gegen die Knechtschaft erhoben hat."

So wird es jedenfalls in der Doku "Die Deutschen" wieder gegeben.
Ich finde es auch immer befremdlich, wenn man von einem angeblich komplett unterschiedlichen Nationalgefühl heute und in früheren Jahrhunderten redet, nur weil es jetzt die modernen Nationalstaaten gibt.
Ich möchte doch meinen, dass sich sowohl die Deutschen als auch Italiener in Hinblick auf ihre Geschichte in erster Linie durch ihre Sprache und Kultur definieren, und die Staaten nur letztendlicher Ausdruck dieser Identität sind.
 
Der niederländische Humanist Erasmus von Rotterdam beschreibt um 1500 in seinem bewusst komischen Werk "Das Lob der Torheit" den Chauvinismus seiner Zeit.
An dieser Stelle lobt die personifizierte Torheit die Eigenliebe unterschiedlicher Völker, unter anderem Engländer, Schotten, Deutsche, Franzosen, Griechen, Türken, Juden, Spanier und eben auch die Italiener, die sich offenbar etwas auf ihre Renaissaince einbilden.
"Man kann sogar feststellen, dass die Natur wie den einzelnen Menschen auch den einzelnen Nationen, ja fast jedem Staat eine Art kollektiver Eigenliebe mitgegeben hat...
Die Italiener paradieren mit schönen Künsten und der Beredsamkeit und schmeicheln sich alle mit der Überzeugung, allein auf Erden von der Barbarei verschont zu sein. In diesem Glücksgefühl haben es die Römer am weitesten gebracht, die heute noch wohlig von ihrem alten Rom träumen. Die Venezianer sonnen sich im Bewusstsein ihrer Erlauchtheit.
"
 
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Großherzugtum Toskana gehörte stellt sich mir die Frage ob man die Florentiner in jener Zeit auch als Italiener bezeichnen konnte.

das ist wieder mal eine typisch deutsche Frage :)
alles fein katalogisieren, klassifizieren, einteilen.

Frage das mal hier in Italien jemanden:
Antwort: Achselzucken, komisch, leicht genervt gucken ... und schließlich: "ja, warum denn nicht?" Thema durch.

Der Begriff "ITALIA" ist allerdings ungeklärt. Gegeben hat es ihn schon seit Anbeginn. Man glaubt, es kommt vom Griechischen, das über das Oskische Einzug gehalten hat und ursprünglich VITELIÚ (Land der jungen Rinder) hieß. Macht vielleicht Sinn, denn VITELLO heißt ja "Kalb" auf Italienisch.
Ursprünglich bezeichnete es nur die Region Süditalien, wurde aber immer mehr auf die ganze Halbinsel ausgeweitet.


Würden die Menschen in Florenz sich, bevor Italien geeint wurde, auch als Italiener bezeichnen? Oder kannten sie diesen Begriff da noch nicht?

kannten ihn schon, natürlich.
Wie detailliert man seine Herkunft bezeichnet, kommt darauf an, wem gegenüber man sie ausdrücken will.

Fragt mich ein Deutscher, dann geb ich da normalerweise keine langen Erklärungen ab, sag ich halt, ich bin ein Spaghetti, egal ob ich nun aus Turin oder Palermo bin, ... langt ihm ja meist auch, aber inner-italienisch muß ich es manchmal natürlich genauer spezifizieren ... obwohl meist nicht nötig, man hört es ja an der Aussprache.
Einen Sizilianer, Neapolitaner, Römer, Venezianer oder Mailänder z.B. braucht man nicht lange fragen ... das hört man ja ohnehin sofort.:)

Obwohl es inner-italienisch auch gar nicht so wichtig ist.
Gerade jüngst habe ich rein zufällig erfahren, daß unser Schreinermeister hier im Dorf, den ich schon 15 Jahre kenne, eigentlich Albaner ist und das hübsche Mädel hinter der Bar aus Rumänien kommt. Wen kratzt das genaugenommen schon?

Mit einem Nationalgefühl im heutigen Sinn kann man dies aber nicht vergleichen, ein solcher Gedanke war bis zur französischen Revolution vollkommen unbekannt.

damit ist es auch hier bei uns noch heute nicht weit her.
Der italienische Nationalstaat hat einen denkbar schlechten Start gehabt, und bis heute ist nichts Gescheites draus geworden.
Klassisches Beispiel hier Sizilien: Man hat ja damals bei der Gründung gehofft, jetzt wird es endlich besser als unter der ewigen Fremdherrschaft. War aber Fehlanzeige, aus Rom kam genauso nichts, und wenn, dann war es genauso lästig wie vorher. Dann hat man endlich eingesehen, daß man das Schicksal in die eigene Hand nehmen muß, und genau seitdem haben wir hier die Mafia. Danke also, Nationalstaat und Rom! - das habt ihr echt fein hingekriegt. Hätten wir auch alleine können oder als 51. Bundesstaat der USA meinetwegen ... was man ja tatsächlich lange Zeit ernsthaft wollte. :hmpf:

Daraus sieht man also, wir haben hierzulande andere Sorgen, als ob sich Florentiner nun vorzugsweise Italiener nennen oder auch nicht. Diese Frage ist also rein für wissenschaftliche Studiosi im wohlorganisierten Norden von Belang.


Daraus schließe ich: wir aus dem 21. Jahrhundert können die florentinische Bevölkerung durchaus als Italiener bezeichnen.

aber sicher. Und wenn nicht, ... keine Bange, den Florentiners wirds auch völlig egal sein.

Was meint ihr, sollte jener Italiener nun doch vielleicht besser als Florentiner, Römer oder von mir aus auch als Venezianer betitelt werden, denn als Italiener?

von einem Ausländer wird das nicht erwartet.
nach außen hin treten wir als Italiener auf, und landesintern wissen wir schon, wer wer ist und woher er kommt und wie er demzufolge tickt. Alles kein Problem.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
das ist wieder mal eine typisch deutsche Frage :)
alles fein katalogisieren, klassifizieren, einteilen.

Frage das mal hier in Italien jemanden:
Antwort: Achselzucken, komisch, leicht genervt gucken ... und schließlich: "ja, warum denn nicht?" Thema durch..

Obwohl es inner-italienisch auch gar nicht so wichtig ist.
Gerade jüngst habe ich rein zufällig erfahren, daß unser Schreinermeister hier im Dorf, den ich schon 15 Jahre kenne, eigentlich Albaner ist und das hübsche Mädel hinter der Bar aus Rumänien kommt. Wen kratzt das genaugenommen schon?.

Daraus sieht man also, wir haben hierzulande andere Sorgen, als ob sich Florentiner nun vorzugsweise Italiener nennen oder auch nicht. Diese Frage ist also rein für wissenschaftliche Studiosi im wohlorganisierten Norden von Belang..

Was für eine arrogante Schönrederei! Die Mär vom Bel Paese in dem alles senza stress abgeht, oder wie? Und dabei gibt es eine separatistische Bewegung mit mehr als 10% Anteil bei den letzten Wahlen. Ich will da aber gar nicht weiter drauf eingehen, sonst sind wir in der Tagespolitik und die hat im Geschichtsforum nix verloren.

Italien als Überbegriff einer geographischen Region und kulturellen Einheit, eigentlich einer Nation, gibt es schon Jahrhunderte vor dem Risorgimento. Doch genausolang existiert auf der Apeninnenhalbinsel ein ausgeprägter Partikularismus und Regionalismus.
 
Anno Domini 1720

Unterhalten sich zwei Spanier. Sagt der eine zum anderen:

"Der Italiener vermag aus dem Liebesapfel (Tomate) hervorragende Soßen für seine Speisen zu kreieren. Obgleich jene Zierpflanze bisher nur zu medizinischem Zwecke genutzt wurde. Da drängt sich mir die Frage auf, ob bei ihm immer alles mit rechten Dingen zuging..."


Was meint ihr, sollte jener Italiener nun doch vielleicht besser als Florentiner, Römer oder von mir aus auch als Venezianer betitelt werden, denn als Italiener?
Das Beispiel, von den Tomaten abgesehen, finde ich garnicht so schlecht.

Bdaians Anmerkungen fand ich auch ganz gut. Ich denke, es kommt immer darauf an, was man zu welchem Zeitpunkt damit sagen wollte. Und natürlich ist es nicht so, dass eine Stimme, die sich als das und das reklamiert, dannüberbewertet werden müsste.

Historisch gesehen, haben wir also Beispiele, welche zeigen, dass Ausländer die Italiener unter "Italiener" zusammen fassten, während einige Italiener sich insgesamt als Italiener bezeichneten, wenn sie damit etwas wie bei Machiavelli bezweckten, was dann ganz abgesehen davon zu betrachten ist, dass es vielleicht noch keinen italienischen Nationalstaat gab.

Das Gleiche findet man doch auch bei den Deutschen wie auch tejason richtig bemerkte. Während ein paar Theoretiker in ihren Werken zum HRR, die Deutschen zusammenfassend betrachteten, kam es vor, dass die Staaten innerhalb des HRR eine ein eigenes (National-?)Bewusstsein entwickelten.
 
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