Poincaré besucht Russland im Juli 1914

Hallo,

hier hab ich noch einen Bericht aus der FAZ:

Vom 20. bis 23. Juli 1914 absolvierte der Präsident der Republik einen Staatsbesuch in St. Petersburg - also unmittelbar vor dem Bekanntwerden des Ultimatums an Serbien, das die Gefahr eines allgemeinen Krieges offenbar werden ließ. Was für Erklärungen hat Poincaré in dieser Situation abgegeben? Im französischen Aktenwerk ist über den Besuch nichts enthalten, was die Herausgeber veranlasst hat, von einer "Anomalie" zu sprechen. Bereits früh habe Poincaré mit der Wahrscheinlichkeit eines allgemeinen Krieges gerechnet. Aus einer Reihe von Indizien glaubt Schmidt den Schluss ziehen zu können, dass der Präsident eine "Zusicherung unbegrenzten Beistandes" gegeben hat. Sein Abschiedstoast habe seinen Standpunkt deutlich gemacht, als Poincaré von einem für beide Mächte verbindlichen "Frieden der Stärke, der Ehre und der Würde" gesprochen habe. Aber vor dem Hintergrund der intensiven Kriegsvorbereitungen in den Jahren zuvor erhalten die Gesten des Petersburger Besuches ihr eigentliches Gesicht. Denn sie bestätigen nur die Politik, die in den Jahren zuvor planmäßig entwickelt wurde.

Fundort: FAZ Abschiedstoast in St. Petersburg

Gruss,

Snork
 
Hallo,
hier hab ich noch einen Bericht aus der FAZ:

Interessante Neuerscheinung!


Etwas bekümmert macht einen die Zusammenfassung.

Der "Frieden in Stärke, Ehre und Würde" ist keinesfalls Scharfmacherei beim Abschiedstoast, oder das One-Way-Ticket für Niki, sondern ein in den Jahren seit Agadir bzw. zu Zeiten der Balkankrise 1912/13 wiederkehrendes Bild Poincarés und somit überhaupt nichts Neues, sondern in den diplomatischen Kreisen hinreichend lange bekannt (so Wilsberg, Terrible Ami, Aimable Ennemi, Kooperation und Konflikt in den deutsch-französischen Beziehungen 1911-1914, S. 76, aus der gleichen Reihe PHS 49).

Anders als Grey hat er intern die These formuliert, dass ein glasklarer Bündniskurs die deutsche Politik von aggressiven Verhalten abhalten würde, wie auch das funktionierende Mächte-Management in der Balkankrise 1912/13 bewiesen hätte. Nach NAF 16027 zum Petersburg-Besuch war man allerdings nun der Meinung, dass die deutsche Regierung sich mglw. nicht länger gegen die öffentliche Meinung im Lande durchsetzen könne und daher das Kriegsrisiko steige (dort, S. 60).

Da bin ich sehr auf Schmidts Interpretation gespannt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessante Neuerscheinung!

Da bin ich sehr auf Schmidts Interpretation gespannt.


dito.

Man findet in der Literatur allerlei Hinweise auf die Anlässlich der Verhandlungen und dem Vertrag von Versailles von der sowjetischen Regierung veröffentlichten "zaristischen" Dokumente. Die diversen doppelten und dreifachen Versprechungen an Japan, Italien, Serbien, die Italiener, die Juden soll alles darin enthalten sein, und der Boinerkarlesche (so wird Poincaré in der württ. Presse der 20er genannt) Blankoscheck

Die Dokumente selbst konnte ich noch nirgends finden.
Allerdings habe ich noch eine schwache Ahnung, wo sie zu finden sein könnten.
Vielleicht kann ich kommende Woche etwas dazu schreiben.
 
Zuletzt bearbeitet:
dito.

Man findet in der Literatur allerlei Hinweise auf die Anlässlich der Verhandlungen und dem Vertrag von Versailles von der sowjetischen Regierung veröffentlichten "zaristischen" Dokumente. Die diversen doppelten und dreifachen Versprechungen an Japan, Italien, Serbien, die Italiener, die Juden soll alles darin enthalten sein, und der Boinerkarlesche (so wird Poincaré in der württ. Presse der 20er genannt) Blankoscheck

Die Dokumente selbst konnte ich noch nirgends finden.
Allerdings habe ich noch eine schwache Ahnung, wo sie zu finden sein könnten.
Vielleicht kann ich kommende Woche etwas dazu schreiben.

Der Diplomatische Schriftwechsel Iswolskis 1911-1914, Aus den Geheimakten der russischen Staatsarchive, Im Auftrage des Auswärtigen Amtes in deutscher Übertragung, Herusgegeben von Fredrich Stieve, Berlin 1926, Vierter Band, Vom Ende der Balkanwirren bis zum Mord von Sarajewo

Seite 213 Text des Telegrammes Nr. 6 vom 24. Juli 1914 des britischen Botschafters in Petersburg Buchanan: (Dieser Teil soll im englischen Blaubuch fehlen)
"Minister der Auswärtigen Angelegenheiten und französischer Botschafter sagten mir vertraulich, Ergebnis des Besuchs des Präsidenten der franz. Republik wäre gewesen, die folgenden Punkte festzulegen:
1. Vollkommene Gemeinsamkeit der Ansichten über die verschiedenen Fragenm denene die Mächte gegenüberstehen, was die Aufrechterhaltung des Friedens und das Gleichgewicht der Kräfte in Europa und besonders im Osten anbelang.
2. Entschluß, in Wien Schritte zu unternehmen, um ein Verlangen nach Aufklärung oder irgendwelche Aufforderungen zu verhindern, die einer einmischung in die inneren Angelegenheiten Serbiens gleichkämen, das dieses berechtigterweise als einen Angriff auf seine Souveränität und Unabhängigkeit ansehen könnte.
3. Feierliche Bestätigung der durch das Bündnis den beiden Länder auferlegten Verpflichtungen"
 
Seite 213 Text des Telegrammes Nr. 6 vom 24. Juli 1914 des britischen Botschafters in Petersburg Buchanan: (Dieser Teil soll im englischen Blaubuch fehlen)

Hier das britische Original:

"(33673) No. 101.
Sir G. Buchanan to Sir Edward Grey.
St. Petersburg, July 24, 1914.
D. 5:40 P.M.
Tel. (No. 166.) Urgent. R. 8 P.M.

My immediately preceding telegram.
Minister for Foreign Affairs telephoned to me this morning saying that he had just received text of ultimatum presented by Austria at Belgrade yesterday that demands a reply in forty-eight hours. Step thus taken by Austria meant war, and he begged me to meet him at the French Embassy.
*Minister for Foreign Affairs and French Ambassador told me confidentially that result of the visit of the President of the French Republic had been to establish the following points: --

1. Perfect community of views on the various problems with which the Powers are confronted as regards the maintenance of general peace and balance of power in Europe, more especially in the East.
2. Decision to take action at Vienna with a view to the prevention of a demand for explanation or any summons equivalent to an intervention in the internal affairs of Servia which the latter would be justified in regarding as an attack on her so vereignty and independence.
3. Solemn affirmation of obligations imposed by the alliance of the two countries.*"


Alle drei Punkte waren im Übrigen vorher kommuniziert worden und stellten bei Poincaré für die deutsche, russische und britische Seite keine Überraschung dar.

Eine ganz andere Frage (-> Schmidt) ist die der Interpretation der russ.-frz. Allianz durch P.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sag mal silesia, wie bist du an die britischen Texte gekommen?Gruss,Snork

zum Kriegsausbruch 1914:

British Documents on the Origins of the War, 1898-1914
Vol. XI: The Outbreak of War: Foreign Office Documents June 28th-August 4th, 1914 His Majesty's Stationery Office, 1926
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier das britische Original:

"(33673) No. 101.
Sir G. Buchanan to Sir Edward Grey.
St. Petersburg, July 24, 1914.
D. 5:40 P.M.
Tel. (No. 166.) Urgent. R. 8 P.M.

My immediately preceding telegram.
Minister for Foreign Affairs telephoned to me this morning saying that he had just received text of ultimatum presented by Austria at Belgrade yesterday that demands a reply in forty-eight hours. Step thus taken by Austria meant war, and he begged me to meet him at the French Embassy.
*Minister for Foreign Affairs and French Ambassador told me confidentially that result of the visit of the President of the French Republic had been to establish the following points: --

1. Perfect community of views on the various problems with which the Powers are confronted as regards the maintenance of general peace and balance of power in Europe, more especially in the East.
2. Decision to take action at Vienna with a view to the prevention of a demand for explanation or any summons equivalent to an intervention in the internal affairs of Servia which the latter would be justified in regarding as an attack on her so vereignty and independence.
3. Solemn affirmation of obligations imposed by the alliance of the two countries.*"




Eine ganz andere Frage (-> Schmidt) ist die der Interpretation der russ.-frz. Allianz durch P.

Wenn der Einstieg gefunden ist, geht es schnell.:scheinheilig:

Stieve schreibt, dass das Telegramm im britischen "Blaubuch" enthalten wäre, unter Auslassung der 3 Punkte, "er dem aber abhelfen könne" da sie "uns" (AA?) bekannt wären.
Demnach wäre es später ergänzt worden. Stammt Deine englische Version aus einer 1926er Publikation, oder aus der heutigen "Internet-Version"?


Alle drei Punkte waren im Übrigen vorher kommuniziert worden und stellten bei Poincaré für die deutsche, russische und britische Seite keine Überraschung dar.
Das ist wohl zutreffend.
Eine solche Erklärung ist aber in Erwartung eines ÖU-Ultimatums an Serbien mMn eine unnötige, verfrühte Festlegung.
Keine Ahnung von den diplomatischen Gepflogenheiten des Jahres 1914.
Wo aber ist hier der Unterschied zum viel geschmähten dt. "Blankoscheck"?

Hier haben wir doch den Punkt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Stieve schreibt, dass das Telegramm im britischen "Blaubuch" enthalten wäre, unter Auslassung der 3 Punkte, "er dem aber abhelfen könne" da sie "uns" (AA?) bekannt wären.
Demnach wäre es später ergänzt worden. Stammt Deine englische Version aus einer 1926er Publikation, oder aus der heutigen "Internet-Version"?

Das ist die internet-version.
Wieso sollten hier Abweichungen zur 1926-Publikation vorhanden seien?


Zur "Wichtigkeit" der drei Punkte siehe hier:


Eine solche Erklärung ist aber in Erwartung eines ÖU-Ultimatums an Serbien mMn eine unnötige, verfrühte Festlegung.
Keine Ahnung von den diplomatischen Gepflogenheiten des Jahres 1914.
Wo aber ist hier der Unterschied zum viel geschmähten dt. "Blankoscheck"?
Hier haben wir doch den Punkt.

Ganz genau, das ist der Punkt und da bin ich völlig anderer Meinung. Man kann hier Probleme unter mehreren Aspekten sehen:

Erstens ist die bekannte französische Haltung noch einmal ausdrücklich vor dem Poincaré-Besuch gegenüber Ö-U bekannt gegeben worden. Die Bekräftigung erfolgte vor dem Hintergrund, Ö-U in der Reaktion zu bremsen. Die Folge war allerdings, dass die österreichische Bekanntgabe der Reaktion ggü. Serbien gezielt auf den Abreisezeitpunkt von Poincaré in Petersburg verschoben wurde, um trickreich eine russisch-französische Abstimmung über eine bekannten Text der Note Ö-Us zu verhindern.

Zweitens ist wichtig, dass auch der deutschen Seite diese Bekräftigung des frz.-russischen Militärbündnisses zur Kenntnis gegeben wurde. Bezgl. dieser Adressaten und Verteilerkreise liegt eben keine "Geheimdiplomatie" in Petersburg vor.

Drittens liegt hier diplomatisch nichts Neues in der Deklaration vor (auch wenn das die deutsche Veröffentlichung zielbezogen suggerieren möchte): würde man das nämlich unterstellen, müßte -so mit Schmidt in der oben zitierten Literatur- eine materielle Veränderung des russ-frz. Militärbündnisses zB ggü. dem Status 1912 belegt werden.

Die deutsche Publikation konstruiert demnach - typisch für die Verdrängungsliteratur der 1920er Jahre - eine Verschwörungsthese, da die Diplomatie der Mittelmächte über den Standpunkt unmißverständlich informiert waren. Dem Publikum wird dagegen eine Mauschelei präsentiert, die natürlich zum Zweck hatte, die ahnungslosen Mittelmächte über eine frz. Freifahrkarte in den Kriegsbeginn schlittern zu lassen.


Aber ohne Ironie, Schmidt untersucht das natürlich differenziert: Es stellt sich die Frage nach den überhaupt verfügbaren frz. Optionen ggü. Rußland (Bremswirkung bzw. Antizipation der russischen Reaktion versus Wirkung von weichspülten Erklärungen ggü. den Mittelmächten).
 
Das ist die internet-version.
Wieso sollten hier Abweichungen zur 1926-Publikation vorhanden seien?
Zur "Wichtigkeit" der drei Punkte siehe hier:

Im Übrigen gab Buchanan diese Version - er führte außerdem am 24.7.1914 ein gemeinsames Gespräch mit Sasonow und Paléologe (frz. Botschafter St. Petersburg) - bereits 1923 in Band I seiner Memoiren ab (Bericht abgedruckt in BD XI, 101 und zitiert nach Schmidt, Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914, S. 83):

"The french ambassador gave me to understand that France would not only give Russia strong diplomativ support, but would, if necessary, fulfil all the oligations imposed to her by the alliance."

Den materiellen Kern der diplomatischen Lage konnte man somit selbst den Memoiren der Beteiligten entnehmen.

Am 24.7. wurde Paléologe schließlich vom Entschluß des russischen Ministerrates in Kenntnis gesetzt, dass Rußland Serbien nötigenfalls militärisch vor einem Angriff Ö-U schützen werde. Der frz. Beistand wurde bekräftigt!
From Sir G. Buchanan (Telegram) 25 July -- Conversation with M. Sazonof upon Servian position, Russian preparations, attitude of France and Great Britain. Berichterstattung wiederum durch Buchanan, Abdruck in BD XI, 125:
"that he was in position to give his Excellency formal assurance that France placed herself unreservedly on Russias side."

-> das bezog sich nun ausdrücklich auf den Kriegsfall, denn dieses war die Lage:
"Minister for Foreign Affairs then told us that at Council of Ministers held under his presidency, this morning Emperor had sanctioned drafting of Imperial Ukase, which is only to be published when Minister for Foreign Affairs considers moment come for giving effect to it, ordering mobilisation of 1,100,000 men. Necessary preliminary preparations for mobilisation would, however, be begun at once." [ebenda]

siehe auch Schmidt, S. 82-83
 
Herausgegeben von Friedrich Stieve, Berlin 1926, Vierter Band, Vom Ende der Balkanwirren bis zum Mord von Sarajewo

Ich möchte den background dieses Herrn aus dem Auswärtigen Amt (u.a. Gesandter in Riga) nicht unnötig breittreten, aber er ist neben der Legendenbildung aus den 1920er-Jahren zur Kriegsschuldfrage 1914 auch an weiteren Publikationen beteiligt, bei denen er zu späteren Kriegsschuldfragen im Sinne seiner Auftraggeber kommentierend aktiv wurde:

Stieve, Friedrich:
Was die Welt nicht wollte - Hitlers Friedensangebote 1933-1939
Zentralverlag der NSDAP, F. Eher Verlag

oder:
Unsere Feinde, wie sie die Deutschen hassen, 1915
Russland und der Weltkonflikt, 1927
Elfhundert Jahre Verdun, 1943
Wie Frankreich und Russland zum Weltkrieg kamen. [Vortrag von Dr. Friedrich Stieve, gehalten am 26. Februar 1926 in der Münchener Universität. Hrsg. im Auftrage des Akademischen Arbeitsausschusses gegen Friedensdiktat und Schuldlüge von dessen Vorsitzenden Kurt Trampler.]
 
Die harten Worte überraschen mich etwas.
Aber OK Klotz, Keil.

Das ist die internet-version
dachte ich mir

Wieso sollten hier Abweichungen zur 1926-Publikation vorhanden seien?
Nun, ganz einfach, wenn es keine gäbe, hätte Stieve gelogen/kreativ abgeschrieben usw.
aber so....

Ganz genau, das ist der Punkt und da bin ich völlig anderer Meinung.

Schön, nur zum Punkt äußerst Du Dich nicht.

Wo liegt denn der Unterschied zum kaiserlich deutschen Blankoscheck?
Die Worte zumindest lesen sich sehr ähnlich.
 
Ich möchte den background dieses Herrn aus dem Auswärtigen Amt (u.a. Gesandter in Riga) nicht unnötig breittreten, aber er ist neben der Legendenbildung aus den 1920er-Jahren zur Kriegsschuldfrage 1914 auch an weiteren Publikationen beteiligt, bei denen er zu späteren Kriegsschuldfragen im Sinne seiner Auftraggeber kommentierend aktiv wurde:

Das möchte ich so aber nicht stehen lassen.
Es handelt sich um eine Publikation des Auswärtigen Amtes. (im großen und ganzen eine angesehen Behörde)
Weit überwiegend reine Dokumenten-Sammlung.
Ich habe die 5 Wälzer erst ein paar Tage in meinem Besitz, wage noch kein Urteil.
Aber was ich schon gesehen habe, der unbedingte Willen ÖU´s zum Krieg zB wird durchaus nicht relativiert oder unter den Tisch gekehrt.

Mit einem Federstrich ist diese Publikation nicht weg zu wischen!
 
wieso harte Worte? :confused:

Wir sollten differenzieren: einmal geht es um das britische blue book, welches Ende 1914 entstanden und 1915 publiziert worden ist. Zum anderen geht es um die publizierten Dokumentensammlungen BD.

Die Frage, welche Telegramme im blue book enthalten sind, ist - aber vielleicht sehe ich das ja falsch - irrelevant. Alle "Nationen-books" 1914/15 sind unvollständig, selektiv, und mit dem publizierten Nachkriegsmaterial nicht vergleichbar.

Die Grundsatzfrage (ob die britische oder französische Regierung hier etwas verheimlicht hat) ist der Sache nach auf den Zeitpunkt 23.7.1914 zu verneinen. Umgekehrt wird allerdings ein Schuh daraus: gemäß Wilsberg wurde die Note von Ö-U an Serbien punktgenau gesetzt, nachdem P. abgefahren ist. Daneben kann man die Motivation von Stieve hinterfragen, ein blue book anzuführen, das durch vorliegende Publikationen überholt ist. Das Motiv liegt wohl auf der Hand.

Die weitere angesprochene Frage habe ich oben beantwortet: die französische Großmachtstellung 1914 (wie in vorhergehenden Jahren) basierte auf dem frz.-russischen Bündnis. Auf diesem Bündnisvertrag basierten die Äußerungen in der Julikrise, sie gingen keineswegs darüber hinaus. Die gleichen Äußerungen erfolgten vorab (aus Sicht des St. Petersburger Besuches) gegenüber Ö-U, dass mit dieser Haltung zur Mäßigung gegenüber Serbien angehalten und von einem Angriff abgehalten werden sollte.

Wenn man über einen französischen "Blankoscheck" nachdenken möchte, ist somit der Petersburger Besuch für die "Abgabe" der falsche Zeitpunkt. Vielmehr müßte man sich mE in der Interpretation mit der Reichweite des Zweibundes beschäftigen: war das eine Vertragsbindung mit Haut und Haaren, und wenn ja: war sie beidseitig?
 
Zuletzt bearbeitet:
wieso harte Worte? :confused:

Wir sollten differenzieren: einmal geht es um das britische blue book, welches Ende 1914 entstanden und 1915 publiziert worden ist. Zum anderen geht es um die publizierten Dokumentensammlungen BD.

Die Frage, welche Telegramme im blue book enthalten sind, ist - aber vielleicht sehe ich das ja falsch - irrelevant. Alle "Nationen-books" 1914/15 sind unvollständig, selektiv, und mit dem publizierten Nachkriegsmaterial nicht vergleichbar.

Die Grundsatzfrage (ob die britische oder französische Regierung hier etwas verheimlicht hat) ist der Sache nach auf den Zeitpunkt 23.7.1914 zu verneinen. Umgekehrt wird allerdings ein Schuh daraus: gemäß Wilsberg wurde die Note von Ö-U an Serbien punktgenau gesetzt, nachdem P. abgefahren ist. Daneben kann man die Motivation von Stieve hinterfragen, ein blue book anzuführen, das durch vorliegende Publikationen überholt ist. Das Motiv liegt wohl auf der Hand.

Die weitere angesprochene Frage habe ich oben beantwortet: die französische Großmachtstellung 1914 (wie in vorhergehenden Jahren) basierte auf dem frz.-russischen Bündnis. Auf diesem Bündnisvertrag basierten die Äußerungen in der Julikrise, sie gingen keineswegs darüber hinaus. Die gleichen Äußerungen erfolgten vorab (aus Sicht des St. Petersburger Besuches) gegenüber Ö-U, dass mit dieser Haltung zur Mäßigung gegenüber Serbien angehalten und von einem Angriff abgehalten werden sollte.

Wenn man über einen französischen "Blankoscheck" nachdenken möchte, ist somit der Petersburger Besuch für die "Abgabe" der falsche Zeitpunkt. Vielmehr müßte man sich mE in der Interpretation mit der Reichweite des Zweibundes beschäftigen: war das eine Vertragsbindung mit Haut und Haaren, und wenn ja: war sie beidseitig?


Du schreibst fröhlich um die eigentliche Grundsatzfrage herum....
Jede Menge "Bewertung" und "Einordnung" ..... was soll das denn? Angesichts der bekannten Folgen?


Zynische Zusammenfassung::
Eine Clique, Protagonisten eines Groß-Serbiens (mit insbesondere einem Zugang zum Meer, kurz zuvor gescheitert was dem großen Freund im Osten angelastet wurde, was den wiederum sehr bekümmerte), inszenierte ein Attentat, legte eine sehr zutreffende Spur in serbische Regierungskreise. (Vermutlich ziemlich einzigartig, dass die Hintermänner eines Doppel-Mordes erkannt werden wollten)
ÖU konnte sich das nicht bieten lassen, wäre seine Großmachtstellung futsch gewesen (warum eigentlich? OK, 100 Jahre später versteht man das nicht mehr) Rußland konnte sich das, das nicht bieten lassen ÖU´s, nicht bieten lassen, sonst wäre seine Großmachtstellung futsch gewesen (warum eigentlich? siehe oben) Deutschland hatte nur noch einen zuverlässigen Verbündeten, den konnte es auch nicht hängen lassen oder zurückpfeifen, dann wäre Deutschlands Großmachtstellung futsch gewesen (warum eigentlich? siehe oben) Frankreichs Großmachtstellung beruhte auf dem Bündnis mit Russland, das man deshalb auch voll unterstützen musste, sonst wäre Frankreichs Großmachtstellung futsch gewesen (warum..... ?)
England hatte ein halbes Jahr zuvor mit Deutschland zusammen die letzte Balkankrise bewältigt, jetzt hatte man sich etwas "ungeschickt" verhalten, indem man Verhandlungen mehrfach vehement abstritt, von denen Deutschland zuverlässig wusste. Fielen die Briten als Vermittler auch weg. (wer einmal lügt, und erwischt wird...)
War es schon mal einfacher einen Weltkrieg auszulösen?



Die Grundsatzfrage ist, ob der "Blankoscheck" etwas außergewöhnliches war im Jahr 1914, oder nicht.
Er war es nicht.
 
Verstehe ich das richtig das mit der Zeitpunktsetzung 23.Juli der Versuch unternommen wurde dem anderen Block eine aussenpolitische Schlappe beizubringen? Demnach wäre der Poincarebesuch höchwahrscheinlich auf selbige Motivation zurückzuführen. Also kein Unterschied, wenn das die Intention war.
 
Verstehe ich das richtig das mit der Zeitpunktsetzung 23.Juli der Versuch unternommen wurde dem anderen Block eine aussenpolitische Schlappe beizubringen? Demnach wäre der Poincarebesuch höchwahrscheinlich auf selbige Motivation zurückzuführen. Also kein Unterschied, wenn das die Intention war.

Das hast Du falsch verstanden.

Der Besuch ist Ende 1913 sowie mit Notenaustausch im Januar und März 1914 angesetzt worden. Beteiligt waren nicht nur Frankreich und Rußland, sondern auch Schweden und Dänemarck im Rahmen des Programms. Die Terminierung aufgrund des Zeitfensters Mittel Juli/Ende Juli ergab sich schließlich im Mai 1914. Die Abreise erfolgte unmittelbar nach Abschluss der Budgetdiskussionen in Frankreich.
 
Die Grundsatzfrage ist, ob der "Blankoscheck" etwas außergewöhnliches war im Jahr 1914, oder nicht.
Er war es nicht.
Du lässt den Zusammenhang ausser Acht. Die deutsche Bekräftigung der "Bündnistreue" vom 5./6. Juli 1914 ("Blankoscheck" genannt) wurde von Berlin gegeben, um ÖU zu einem raschen Kriegseintritt gegen Serbien zu motivieren und die durch das Attentat auf den österreich-ungarischen Thronfolger entstandene politische Situation zur europäischen Krise zuzuspitzen mit dem Ziel, dass durch dieses nassforsche Vorgehen, Russland abgeschreckt wird, Serbien zu unterstützen, oder Frankreich abgeschreckt wird, Russland zu unterstützen, oder England abgeschreckt wird Frankreich zu unterstützen, und wobei das Risiko, dass es zu einem großen Krieg zwischen den Großmächten kommt, mindestens billigend in Kauf genommen wurde (Moltke: "je früher desto besser"). Als Poincare 1914 in St. Petersburg war, hat der gar nicht gewusst, dass eine Julikrise gibt.​
 
Du schreibst fröhlich um die eigentliche Grundsatzfrage herum....Jede Menge "Bewertung" und "Einordnung" ..... was soll das denn? Angesichts der bekannten Folgen?

Zynische Zusammenfassung:

Zynismus finde ich da fehl am Platze. Das war auch nicht "drumherumgeschrieben", daher nochmals in Kürze:


1. Es gibt keinen Blankoscheck vom 23.7.1914, sondern einen Bündnisvertrag von 1892ff.

2. anders als Deutschland hat sich Frankreich damit in der Krise bis zum 23.7.1914 nicht bewegt, sondern bestehende Verträge bestätigt.

3. Für Frankreich war der Bündnisvertrag mit Rußland seit 1892 Existenzfrage als Großmacht, in diesem Sinne ist auch die Bestätigung der Geltung des Vertrages vom 23.7.1914 zu verstehen: eine Selbstverständlichkeit.

4. für Deutschland war der "Blankoscheck" eine Überflüssigkeit und ein über vertragliche Bindungen materiell hinausgehender Aktionismus.

5. Frankreich hat die Bekräftigung des Vertrages vor Petersburg in Wien abgegeben, Wien ist der beabsichtigte Adressat! Ziel der Bekräftigung, die in Petersburg wiederholt wurde, ist die Deeskalation in Wien.

6. Es war Wien, das gezielt das Ende des Besuches und damit das Ende direkter schneller Abstimmungen zwischen FRA/RUS abgewartet hat, um die Antwortnote an Serbien zu plazieren.

7. siehe Gandolfs Hinweis.

Von 1. bis 7. ist mE nichts in der Bewertung auszulassen. Welche Gerüchte in Verbindung mit dem Besuch P. in der Nachkriegs-Literatur herumschwirrten, hat bereits der Beitrag von chrdidt gezeigt.
 
Zurück
Oben