1. Gottsched als Kritiker der Schminkpraxis und Vertreter einer bürgerlichen Gegenbewegung:
a) Der Mode wird die Vernunft entgegengesetzt:
„Eine lange Gewohnheit ist stärker, als die gründlichste Vorstellung aller Weltweisen: und die Mode, dieses phantastische Ungeheuer, ist vermögender, als alle Klugheitsregeln. Die Menschen wollen davon nichts hören und wissen.“
Tadlerinnen Nr.1, S. 215
b) Die vorherrschende Mode wird als unhygienisch charakterisiert:
„Sordine sieht nicht viel apetitlicher aus, als dieser Pedant. Auf ihrem Halse klebet eine zehnfache Pomade, welche eben so oft mit dickem Puder überschüttet worden. Unter ihrem Haarputze stecket ein alter Pantoffel, damit sich das Hinterhaupt, wie ein kleiner Thurm, in die Höhe strecken möge. Man sieht bisweilen an ihren Schultern das grobe
und schwarze Hemde, neben den feinsten Spitzen hervorgucken. Nach ihren Händen sollte man sie für eine Müllers Tochter halten; denn die Klenen [?], damit sie sich, anstatt der Kugelseife, wäschet, kleben ihr zwischen den Fingern. Doch trägt sie kein Bedenken, am Tische, im Vorschneiden, alles ohne Gabel, mit bloßer Hand, anzugreifen: in der festen Meynung, es werde den gegenwärtigen Mannspersonen alles besser schmecken, wenn sie es zuvor mit ihren Alabasterpfötchen angcfasset. Ihr Rock ist unten herum mit einer Spitze von trockenen Kothflecken verbrämet. Ihre Schuhbänder sind hanfene Bindfäden, und ihre Handschuhe wollen sichs durchaus nicht ansehen lassen, daß sie jemals weiß gewesen. Fürwahr, ich irre entweder; oder Sordine kann eine recht schmutzige Pedantinn heissen.“
Tadlerinnen Nr.2, S. 434
c) Besonders der Zeitaufwand wird aufs Korn genommen. Dem werden bürgerliche Tugenden entgegengestellt. Die tugendhafte Frau verwendet ihre Zeit für Bildung und häusliche Pflichten:
„Sie übt sich nicht bey jedem Worte, das sie sagt, eine besondere Bewegung mit dem Haupte oder mit den Händen zu machen: und ihre natürliche Artigkeit gefället doch jedermann. Sie verderbt ihre Zeit nicht mit unnützem Aus- und Ankleiden, Schmücken und Balsamieren, Waschen und Pudern; sondern kann sie zu Hausgeschäfften und Lesung nützlicher Bücher anwenden. Daher hält sie nun jedermann nicht nur für ein angenehmes, sondern auch für ein wohlgezogenes und tugendhaftes Frauenzimmer.“
Tadlerinnen Nr.1, S.57
„Corinna ist von ganz anderer Gattung. […]
Sie schläget die Haare bald so, bald anders aus. Jetzt kräuselt sie einen Busch derselben, sie schmieret ihn mit Jeßminöl, sie streuet den Puder darüber. Doch er steht nicht recht: sie kämmet alles wieder aus, und sangt von neuem an. Auch dieses geräth ihr nicht: allein sie wird nicht überdrüßig, drey bis viermal eincrley Arbeit zu thun. In anderthalb Stunden sind die Haare fertig. Darauf sieht sie nicht anders aus, als eines Müllers Magd, die einen halben Tag in dem dicksten Staube gestanden. Sie schabet den Puder mit Messern vom Gesichte, und wenn sie die Kleider ausschüttelt, wird der Boden ihres Zimmers weißer, als die Straße ist, wenn es eine Nacht durch geschneyet hat. Gefällt es ihr, ein schwarzes Fleckchen auf das Gesicht zu legen, so kostet es auch eine halbe Stunde, ehe sie mit sich selbst eins wird, wo es liegen soll.“
Tadlerinnen Nr.1, S. 57
Da sich die Schrift gerne des Mittels der Übertreibung bedient, muss man sich wohl Brissotin Einschätzung anschließen, dass hier Klischees geschildert werden.
Neben dem moralischen Zweig der Schminkkritik, der sich besonders in den Wochenzeitschriften wie den oben zitierten wieder findet, gab es laut Dane recht bald auch einen medizinischen Zweig in den „nützlichen Sammlungen“. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts finden sich vermehrt Rezepte für Schminken, die ausdrücklich als ungefährlich deklariert wurden. Als vollständigste Sammlung gilt Johann Bartholomäus Trommsdorffs „Kallopistria“ (1805).
2. Die Frage nach dem geschminkten Mann:
a) Es gibt eine bürgerliche Gegenbewegung zu dem Schönheitsideal des Adels. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Beschreibungen bei Gottsched stark überzeichnet sind. Eben Klischees, wie Brissotin schon anmerkte.
„Er bringet eine gute Zeit vor dem Spiegel zu, besieht bald den geschickten Fuß, bald das weiße Angesicht, bald die diamantnen Aermelknöpfe, bald die ganze Stellung des Leibes. Jetzo übet er sich, eine liebliche, bald eine spröde, bald eine verächtliche Mine zu machen.“
Tadlerinnen Nr.1, S. 82
„Die Männer wissen sich so gut als wir zu zieren,
Die meisten haben ja gezwungene Manieren,
Sie krausen ja das Haar, sie schminken, pudern sich.
Es ist mir allezeit gewiß ganz lächerlich,
Wenn ich ein Stutzerchen einmal recht in der Nähe,
Durchs Fenster nach dem Tackt ganz langsam gehen sehe.“
Schaubühne, S.401
„Es hatte nicht an Gegenbewegungen aus den neuen bürgerlichen Schichten gegen die höfische Stilisierung der äußeren Erscheinung gefehlt, in Frankreich weniger, stärker in Deutschland.“
Dane, S.76
b) In der Sekundärliteratur wird darauf hingewiesen, dass sich beide Geschlechter schminkten.
„Die Stilbildende Kraft des Hofes ließ die ausgeprägten Schminksitten im Adel überhaupt sowie im gehobenen wohlhabenden Bürgertum Einzug halten, und zwar bei beiden Geschlechtern.“
Dane, S.69
c) An Hand der Malerei lässt sich dies aber nicht wirklich belegen. Vielleicht, weil es ein „System der Blässe“ gab:
„Auch auf Gemälden der Zeit kann man sehen, daß Frauen in der Regel mit hellerer Haut abgebildet wurden als Männer, und daß die gesellschaftlich höher stehenden Frauen immer eine hellere Haut haben als ihre Dienerinnen.“
Dane, S. 69f.
Bei meiner Suche nach geschminkten Herren in der Kunst ist mir recht bald eine Hürde aufgefallen. Wie soll man an Hand eines Portraits „noble Blässe“ von geschminkter/gepuderter Haut unterscheiden? Der Maler würde doch einen schlecht geschminkten Herren, dessen Blässe auf einem Foto vielleicht sofort als nicht natürliche erkannt würde, dennoch so portraitieren, dass alle Mängel kaschiert werden.
Ich habe ein Pärchen gefunden, dass als Kandidaten für geschminkte Gesichter in Frage kommen. Beide Bilder sind 1790 entstanden stammen von dem englischen Maler Richard Cosway:
http://www.wga.hu/art/c/cosway/m_franks.jpg
http://www.wga.hu/art/c/cosway/gentlema.jpg
Bei der Frau kann man ja davon ausgehen, dass sie geschminkt ist. Vergleicht man sie nun mit dem „Gentleman“, stellt sich die Frage, woran man erkennen soll, ob dessen Blässe nun natürlich oder geschminkt ist.
d) Ich möchte auch gar nicht auf die Sekundärliteratur pochen. Das wäre ein schwaches, ein reines Autoritätsargument.
Was die Verbreitung des Verwendens von Schminke bei Herren betrifft, lässt sich doch aus der Funktion des Schminkens etwas ableiten. Da das Schminken nicht nur ästhetische, sondern eben auch medizinische Ursachen hatte. Da es nicht nur aus Gründen der sozialen Abgrenzung die Reinigung mit Wasser verpönt war, sondern eine regelrechte Angst vor Wasser beschrieben wird, blieb dem adeligen Herren doch nur die „trockene“ Gesichtspflege mit Schminken und Puder oder gar keine. Körpergeruch wurde aber als „Fäulnis“ gedeutet, die ein Anzeichen von Krankheit ist und damit unattraktiv macht. Demnach muss das Schminken bei Herren allein aus hygienischen Gründen (nach dem Verständnis von Hygiene dieser Zeit und Schicht) weit verbreitet gewesen sein.
„Nur durch Schminke konnten die sichtbaren Partien der Haut, an die ja kein Tropfen Wasser dringen durfte, rein und glänzend gehalten werden.“
Frey, S.74
„Die von den Medizinern wie den Theologen gleichermaßen verbreitete Angst vor einer inneren Verunreinigung des Leibes und vor den Gefahren der Fäulnis und des Gestanks des Leibes für seine Umgebung [..]“
Frey, S. 69
„ […] innerhalb der Eliten der damaligen Zeit zu sprechen. Die Angst vor dem Wasser war nicht nur in Frankreich, sondern auch in den deutschen Ländern des frühen 18. Jahrhunderts die Grundlage der Praxis der Körperpflege.“
Frey, S.75
3. Die Funktion von Puder, Schminke und Parfüm:
a) ästhetische Funktion
„Zur Schönheit des menschlichen, besonders des weiblichen Körpers gehörte es vor Allem eine helle, zarte und glatte Haut zu haben. Diese drei Signale galten als Signal für Jugendlichkeit.“ Nicht zuletzt dienten Schminke und Puder auch dem Verdecken von Schönheitsmängeln wie Pockennarben etc. Wo die Schminke nicht mehr reichte wurden Schminkpflästerchen benutzt. Besonders um die äußeren Anzeichen der Syphilis zu verdecken, kamen solche zum Einsatz.
Auch für den soziale Funktion ist wichtig, dass die Schminke laut Dane gar nicht natürlich wirken sollte (Dane, S.71).
Die weiße Farbe der Schminke als Synonym für Reinheit und Tugend (Frey, S.74) wird in der Schminkkritik interessanterweise komplett umgedeutet.
b) soziale Funktion
„Der Gebrauch von Schminken war eine von mehreren Möglichkeiten, sich in derselben sozialen Gruppe von anderen Mitgliedern zu unterscheiden und zugleich von anderen Gruppen abzugrenzen.“
Dane, S.73
Zum einen unterstützte die Schminke die „vornehme Blässe“, die von all denen unterschied, die im Freien arbeiten mussten. Zum anderen waren die benötigten Schminkutensilien recht teuer. So boten Schminken unterschiedlicher Qualität auch die Möglichkeit, innerhalb derselben Gruppe den Rang zu signalisieren. „Die einzelnen Symbole der Sauberkeit werden sichtbar am Körper getragen.“ (Frey, S.75) Damit ist jedoch nicht nur die Schminke selbst sondern auch das „Arsenal“ an Pflegeutensilien gemeint, das man mit sich führen musste und die auch gezeigt wurden.
Je aufwendiger die Toilette, desto höher der Rang, da nicht nur die zur Verfügung stehende Zeit, sondern auch Zahl der helfenden Diener ein entsprechendes Vermögen signalisierten.
Die Trockenwäsche der Adeligen hob sie außerdem von den Unterschichten ab, da Wasser als Reinigungsmittel der Armen verpönt war.
c) medizinische Funktion
Wenn ich das richtig verstanden habe, dienten Schminke, Puder und Duftwasser nicht nur der Reinigung des Körpers, sondern auch der Abwehr „fester und flüssiger Schmutzstoffe von außen.“ (Frey, S.70)
Und „da der Geruchssinn nicht nur auf unreine und sündige Orte und Gedanken aufmerksam machte, sondern schlechte Gerüche auch gesundheitliche Gefahren mit sich brachten“, ist auch der Schnupftabak als Schutz vor Krankheit aufzufassen. Da man sich für die anderen der Reinigung unterzog, ist vor diesem Hintergrund die Bedeutung von Zahnpulver und Parfümen verständlich. Und natürlich galt es durch Puder, Duftwasser, Schminke etc. dem „gefährlichen“ Wasser auszuweichen. Besonders die Schminke sollte eine Schutzschicht darstellen. Inwieweit das erfolgreich war, lässt die oben zitierte Kritik erahnen.
4. Wie wurde sich geschminkt?
Ich habe zwei Beschreibungen gefunden, die ziemlich miteinander übereinstimmen. Der Einfachheit halber habe ich die ellenlangen Texte nicht abgetippt, sondern als Bilddateien angehängt. Der erste Text ist von Frey, der zweite von Dane.
- weiß geschminkter Grund
- rote/rosa Highlights, besonders auf den Wangen
- schwarze Farbe zum markieren der Augenlider
- nachzeichnen der Äderchen mit blau
Links und Literatur:
Die vernünftigen Tadlerinnen - Google Bücher
Die vernünftigen Tadlerinnen - Google Bücher
Die Deutsche Schaubühne: Nach den ... - Google Bücher
Der reinliche Bürger - Google Bücher
Die heilsame Toilette: Kosmetik und ... - Google Bücher
Johann Christoph Gottsched: Die Deutsche Schaubühne, Band 6
Johann Christoph Gottsched: Die vernünftigen Tadlerinnen - Der erste Theil, 1726
Johann Christoph Gottsched: Die vernünftigen Tadlerinnen – Der andre Theil
Gesa Dane: Die heilsame Toilette, Wallstein, Göttingen 1994
Manfred Frey: Der reinliche Bürger, Vandenhoeck & Ruprecht 1997