Inflation 1919-1923

nebben

Neues Mitglied
Hallo,

aus welchen Gründen wurde die Inflation 1919-1923 von den politisch Verantwortlichen akzeptiert, und welche Folgen hatte sie für die Bevölkerung?

Danke.
 
Kannst Du etwas näher erläutern, was Du mit den ersten beiden Hinweisen ("politisch Verantwortliche, akzeptiert") meinst?
 
Man könnte die Frage übersetzen in:

Welche positiven Wirkungen hatte die Inflation für die Regierung, abgesehen davon das sie sich sehr negativ ausgewirkt hatte?

Die Frage hat uns unser Prof gestellt.

Ein Faktor ist, dass sich die Verschuldung durch die Inflation verringert hat.

ein anderer, den verstehe ich nicht, dass es soziale Gründe gab:

Kriegsheimkehrer konnten beschäftigt werden

Kannst du damit was anfangen?
 
1. Nun ja, aus dem von mir verlinkten Text:

Während die Inflation für Millionen von Zeitzeugen ein traumatisches Erlebnis war, gab es einige Profiteure. Da die Reichsbank der Industrie laufend kurzfristige Kredite aus der vermehrten Banknotenausgabe zur Verfügung stellte, konnten viele Unternehmen ihren Besitz mit Hilfe der fortschreitenden Geldentwertung erweitern. So baute etwa der Großindustrielle Hugo Stinnes durch die Aufnahme hoher Schulden sein Wirtschaftsimperium auf. Gemäß dem Grundsatz "Mark = Mark" konnten Kredite, die in höherwertigem Geld aufgenommen worden waren, mit entwertetem Geld zurückgezahlt werden. Schulden lösten sich in nichts auf. Ein noch größerer Profiteur war jedoch der Staat. Seine gesamten Kriegsschulden in Höhe von 164 Milliarden Mark beliefen sich bei der Währungsumstellung am 15. November 1923 auf gerade einmal 16,4 Pfennige.

Unternehmenserweiterungen führen eigentlich zu höheren Beschäftigungszahlen. Welches Gewicht dem in der Entwicklung zukam, kann ich jedoch nicht sagen. Vielleicht besorgst Du Dir Arbeitslosenziffern aus der Zeit, um abschätzen zu können, wie die Entwicklung war, denn:
"Die Inflation beschleunigte Rationalisierungsprozesse in privaten und öffentlichen Unternehmen, die in der Regel mit der Freisetzung von Arbeitskräften endeten."
Die Weimarer Republik - Google Bücher

In dem hier verlinkten UTB dürfte sich eine Literaturliste finden lassen, die Dir weiterhilft, das nur erwähnte zu vertiefen.

2. Als Student sollte Dir klar sein, dass Deine Eingangsfrage eine völlig andere ist als Deine neu formulierte im letzten Beitrag. Eingangs hattest Du Politikern vorgeworfen, sie hätten wissentlich nichts gegen die Inflation unternommen.
Das scheint folgendes Thema zu berühren:

"Die Frage ob die Reichregierung den drastischen Geldwertverfall mit voller Absicht als Propagandawaffe im Reparationskonflikt mit den Alliierten einstzte, bleibt ebenso umstritten wie..."
Die Weimarer Republik - Google Bücher
 
Kriegsheimkehrer konnten beschäftigt werden
Kannst du damit was anfangen?

Eher nicht.

Die Beschäftigung hing iW von der gewerblichen Wirtschaft ab, und die rauschte mit einem kurzen timelack im Zuge der Inflation abwärts.

Einzelheiten: Statistisches Jahrbuch 44. Jg. (1924/25).

Möglw. beruht die Frage auf dem Anstieg der über die Krankenkassen vermerkten Beschäftigung (Feb 1923 von 10 um plus 2 Mio - muss mE an der Statistischen erfassung liegen), die danach bis Dezember auf 8,9 absank.

Ähnliche Entwicklungen der Kurzarbeit, der Arbeitssuchenden pro 100 offene Stellen, der gemeldeten offenen Stellen 1923 insgesamt.
 
"Die Frage ob die Reichregierung den drastischen Geldwertverfall mit voller Absicht als Propagandawaffe im Reparationskonflikt mit den Alliierten einstzte, bleibt ebenso umstritten wie..."

Dass mit der wirtschaftlichen Lage argumentiert wurde, kann doch nicht in Zweifel gezogen werden.

Ich frage mich daher, worauf sich eigentlich die "Absicht" beziehen soll.

Vermutlich nicht auf die Geldentwertung als solche, die zwingend den Kriegsschäden und der Kriegsverschuldung nachfolgte. Das Hochfahren der Druckmaschine - nach geplatzten Anleihen - diente der Bezahlung der laufenden Gehälter und Pensionen.
 
"Die Frage ob die Reichregierung den drastischen Geldwertverfall mit voller Absicht als Propagandawaffe im Reparationskonflikt mit den Alliierten einstzte, bleibt ebenso umstritten wie..."
Ich habe noch mal geschaut, aber ich konnte im UTB keine Quellenangabe finden. (Vielleicht von Google unterschlagen.) Eigentlich wäre an der Stelle eine Fußnote fällig gewesen.
„Strittig“ hatte ich als Hinweis auf den Forschungsstand verstanden. Die Diskussion kenne ich zwar nicht. Ich hatte aber angenommen, sie sei unter Historikern bekannt.

Natürlich hast Du Recht. Der Satz ergibt nur Sinn, wenn von einer Seite Förderung, bewusste Verschleppung oder zumindest Duldung der Inflation unterstellt wird. Was soll sonst strittig sein?

(P.S. Das Zitat ist auf Seite 83 ganz unten zu finden)

EDIT: Auf Wikipedia findet sich dieser Satz:
"Die Reparationen trugen zur Inflation in Deutschland insofern bei, als mehr Geld gedruckt wurde, um zum Beispiel den Ruhrkampf zu unterstützen."
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsc...n_Weltkrieg#Inflation_und_Ende_des_Ruhrkampfs
Daraus ließe sich ableiten, dass die Inflation, um den Ruhrkampf zu unterstützen, zumindest billigend in Kauf genommen wurde. Aber ich finde das noch sehr schwammig.
 
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Natürlich hast Du Recht. Der Satz ergibt nur Sinn, wenn von einer Seite Förderung, bewusste Verschleppung oder zumindest Duldung der Inflation unterstellt wird. Was soll sonst strittig sein?
(P.S. Das Zitat ist auf Seite 83 ganz unten zu finden)

Vielen Dank für Deine Ergänzung.

Das "strittig" kann sich unmöglich auf die "Steuerung" der Inflation beziehen. Hierzu gibt es mW auch keinen Historikerstreit.

Das "strittig" bezogen auf den Einsatz gegen die Reparationen macht dagegen keinen Sinn. Selbstverständlich wurde hiermit gearbeitet (so wie später auch in anderer Lage -> Brüning, hierzu gab es allerdings einen "Streit").

Die Formulierung ergibt daher keinen Sinn.

EDIT: die Druckereien betr. Ruhrkampf waren bereits der mangelnden Zahlungsfähigkeit des Reiches geschuldet. Eben so gut hätte man andere Ausgaben des Reiches anführen können (die in toto zu sehen sind und nicht "abgeschichtet" werden können, für den Ruhrkampf war eben kein Geld mehr da).
 
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Noch ein Hinweis zum Schuldenstand nach dem Weltkrieg (vor Reparationen), sowie zu den erheblichen inneren Kriegsfolgelasten, die die Ausgabenseite ab 1919 weiter aufblähten:
http://www.geschichtsforum.de/f63/die-reparationsfrage-der-weimarer-republik-22500/

Bzgl. Publikationen möchte ich noch auf die Deutsche Bundesbank hinweisen (Geld und Währung 1875-1975) sowie auf ein ausgezeichnetes deskriptives Werk zum Ablauf und den Ursachen:

Bresciani-Turroni - The Economics of Inflation, A Study of Currency Depreciation in Post-War-Germany, erschienen 1931.
 
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In diesem Thema und der Verlinkung zu den Reparationen ist die Datenlage weitgehend dargestellt worden. Es fehlen noch die Kriegshaushalte des Deutschen Reiches, dem Ursprung der Verschuldung (die von der Bevölkerung zunächst bis 1918, aber auch über den Krieg hinaus aufgrund mangelnder Erfahrung und einer Inflations-Unempfindlichkeit getragen worden ist).

ZB Roesler, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg (S. 196 ff.), aber auch die entsprechenden Statistischen Jahrbücher für das Deutsche Reich, sowie die schon erwähnten Publikationen der Deutschen Bundesbank 1976:

Saldo ordentliche Einnahmen ./. ordentliche Ausgaben
1914: + 697,6
1915: - 50,7
1916: -944,6
1917: +936,8
1918: -150,4
1919: -2.415,8
[betrifft "gewöhnliche" Posten, allerdings bei den Einnahmen schon inkl. "Kriegsabgaben"]

Außerordentlicher Haushalt inkl. Kriegskosten, sowie inkl. Einnahmen aus Kriegsanleihen:
1914: - 2.198,8
1915: - 3.431,9
1916: - 5.019,8
1917: - 18.983,3
1918: - 13.883,6
1919: - 35.625,4

Diese Defizite sind nach Einnahmen aus Anleihen gerechnet, betreffen also nur die "schwebende" Schuld, dargestellt durch eine kurzfristige Finanzierung ohne Anleihevorgang (->schwebende Schulden außerhalb und innerhalb der Reichsbank).

Darin bereits berücksichtigte Zuflüsse aus Anleihen (= außerordentliche Einnahmen), insbesondere die Kriegsanleihen:
1914: + 4.435,3
1915: + 20.382,0
1916: + 19.658,9
1917: + 23.138,5
1918: + 22.738,2
1919: + 1.293,4

Seit den 4.8.1914 wurden im Reichsgesetzblatt Kreditbewilligungen von rd. 140 Milliarden Reichsmark ausgeschrieben, etwa das 60-fache eine Vorkriegs-Haushalts. Dazu kommen noch fundierte und schwebende Schulden der Haushalte der Bundesstaaten, 1919 etwa 20,5 Milliarden Mark.

Die Schulterung dieser Finanzierungslasten wäre nach 1916 vermutlich nur noch durch einen "Siegfrieden" gelungen. Mit der Niederlage 1918 war das Reich faktisch kreditunwürdig und "überschuldet", inflationär kam dieser Effekt - trotz bereits warnender Stimmen in der Wissenschaft 1920/22 - erst 1923 im Preisniveau an.
 
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