Ich zitiere jetzt mal ausführlich, sonst glaubt Ihr mir vielleicht nicht. Tatsächlich haben wir 2 x Memoiren, wenn auch von Leuten, die sich mit sowas auskennen sollten (Feldmarschällen), und 1 x Propagandaliteratur. Das Buch von Ziff enthält zwar jede Menge Fehler und Übertreibungen, ist aber vor dem Hintergrund der damaligen Zeit zu verstehen, und der eben propagandistisch überhöhten Sorge vor einer Invasion der Achsenmächte in Amerika, d.h. als Aufruf an seine Leser zur verstärkten persönlichen Beteiligung an den amerikanischen Kriegsanstrengungen.
Erich von Manstein, Verlorene Siege, Bernard + Graefe, 16. Auflage 2000.
S. 157: "Als Hitler nunmehr den Plan (nicht den Entschluss) fasste, England auf dem Wege einer Invasion zu Leibe zu gehen, waren keinerlei Vorbereitungen für diese Lösung getroffen. Das Ergebnis ist gewesen, dass man die beste Chance, die Schwäche Großbritanniens sofort auszunutzen, verschenken musste. Die nunmehr in Angriff genommenen Vorbereitungen nahmen soviel Zeit in Anspruch, dass das Gelingen einer Invasion schon aus Witterungsgründen zweifelhaft wurde."
S. 164/165: "Tatsächlich stand England im Sommer 1940 einer Invasion weitgehend wehrlos gegenüber. Eine Wehrlosigkeit, die nahezu vollständig gewesen wäre, wenn Hitler die britische Expeditions-Armee nicht aus Dünkirchen hätte entkommen lassen.
Der Erfolg einer Invasion Englands im Sommer 1940 hing von zwei Faktoren ab:
1. Von einer möglichst frühzeitigen Durchführung, um England noch im Stande der Wehrlosigkeit zu Lande zu treffen und zugleich die günstigen Witterungsbedingungen des Sommers auszunutzen (Wir haben im Juli, August und Anfang September den Kanal zumeist als spiegelglatte See vor uns liegen sehen.)"
2. Von der Möglichkeit, die Einwirkung der britischen Flotte und Luftwaffe im Kanalgebiet für die Dauer des Übergangs und der dauffolgenden Zeitspanne in ausreichendem Maße auszuschalten.
S. 166: "Eins ist sicher. Diejenigen, die in erster Linie bei "Seelöwe" ihre Haut zu riskieren gehabt hätten, die für die Invasion vorgesehenen Teile des Heeres, sind zugleich diejenigen gewesen, die die Vorbereitungen am intensivsten betrieben haben und an die ganze Sache mit der Überzeugung des Gelingens herangegangen sind. Ich glaube dies sagen zu können, weil das von mir befehligte 38. AK in der ersten Welle zum Übergehen bestimmt war, und zwar von Boulogne-Etaples nach Bexhill-Beachy Head. Wir waren von der Möglichkeit des Gelingens überzeugt, ohne die Gefahren gering zu schätzen. Allerdings haben wir die Sorgen der beiden anderen Wehrmachtsteile, insbesondere der Marine, vielleicht nicht genügend gekannt."
S. 167: "Bei Bestehen eines "Kriegsplans", der von vornherein auch die Frage der Niederringung Englands ins Auge fassen musste, hätte ein wesentlicher Teil der technischen Invasionsvorbereitungen bereits vor Beendigung des Westfeldzugs in Angriff genommen werden können. ... Zum mindesten aber würde die Verzögerung des Landungstermins bis in den Herbst nicht eingetreten sein, wenn die deutsche Führung den Entschluss zur Invasion wenigstens zum Zeitpunkt des Niederbruchs Frankreichs, also Mitte Juni und nicht erst Mitte Juli, gefasst hätte. Die Invasionsvorbereitungen sind auf Grund des im Juli ergangenen Befehls im Rahmen des zu jener Zeit überhaupt Möglichen bis Mitte September abgeschlossen gewesen. Ein vier Wochen früher gefasster Entschluss hätte also die Überquerung des Kanals bereits Mitte August ermöglicht.
...
Die Absicht, durch einen wochenlang vor dem frühestmöglichen Invasionstermin beginnenden isolierten Luftkrieg die Luftherrschaft über England zu gewinnen, stellt einen Führungsfehler dar."
David Irving, The Rise and Fall of the Luftwaffe. The Life of Field Marshall Erhard Milch, Little, Brown & Co. 1973.
Ich habe leider nur diese englischsprachige Ausgabe. Irving berichtet auf S. 91/92 von einem Zusammentreffen zwischen Milch und Göring in dessen Sonderzug "Asien" am Abend des 5. Juni 1940, nachdem Milch den mit Wracks übersäten Strand von Dünkirchen besucht hatte:
"Göring asked what conclusions he would draw. 'I would recommend,' said Milch, 'that this very day all our air units - of both the Second and Third Air Forces - should be moved up to the Channel coast, and that Britain should be invaded immediately." The navy would eventually have to be brought in to transfer the ground forces to southern England, but the highly mobile Luftwaffe could go over as they were. Their paratroops would have to capture a few vital airfields in southern England and the Luftwaffe would then immediately fly in fighter and Stuka squadrons to operate from them - just as they had in the Norwegian campaign. They had several hundred transport aircraft available and these could ferry over two or three divisions of troops with fighter escort. Obviously, Milch continued, it would be a great gamble without armour or heavy artillery for this spearhead; but he was convinced for the next few days the British army would be incapable of combating a really determined landing. He warned Göring, 'If we leave the British in peace for four weeks it will be too late.'
But Göring thought it could not be done. He may well have been right. He later explained, 'I had only one paratroop division, and even that I had to work up almost clandestinely, as I could make no headway with my demand for four such divisions against the demands of the army. Had I had these four divisions at the time of Dunkirk, I would have gone across to Britain immediately.'
Milch saw in this hesitance the High Command's first decisive mistake, and he laid most of the blame on his old enemy Admiral Raeder. He had gained the impression that Raeder had made no preparations for an invasion of England, and that to stall for time he now insisted that air supremacy must first be won by the Luftwaffe."
William B. Ziff, The Coming Battle of Germany, Hamish Hamilton 1942.
S. 36/37: "At this point, Hitler himself, competely misjudging the real value of the sequence of events which had ensued, made that mistake, tragic to his hopes, which cost him the World. As Hannibal is said to have cried "O, Cannae! Cannae! after his neglect to occupy defenceless Rome had rendered the victory of Cannae sterile, Hitler could well weep, "O, France! France!"
Instead of swinging all his resources for an immediate crossing of the Channel at whatever cost, allowing the inept French, under Weygand, to solidify themselves behind a new line of defence on the Somme, he reverted to classic startegy. He proceeded to pursue and destroy the French Army, leaving the breathless British virtually to themselves. Had he thrown his divisions over in boats and barges under a canopy of planes and preceded by an advance guard of bombers, in an all-out effort, he would have paid a fearful price, but his success would seem to have been assured. His ultimate victory over the French was inevitable in any case."
Zu Manstein ist zu sagen, sofort heißt zunächst mal sofort, und das bedeutet eben Juni 1940, auch wenn er den in Frage kommenden Zeitraum dann streckt. Ein Befehl zur Invasionsvorbereitung im April 1940 hätte in seiner Logik im Juni 1940 zum Abschluss geführt. Und jeder Tag des Zuwartens bedeutet neue Waffen aus den britischen Rüstungsfabriken und neue ausgebildete Soldaten.
Milch und Ziff nehmen "immediate" absolut wörtlich und betonen den vorhandenen Zeitdruck. Göring hat vielleicht schon recht, aber möglicherweise mit dem falschen Argument, weil er auf "seine" Fallschirmjäger abhebt. Raeder kriegt von Milch die A-Karte.
Allen dreien, auch dem "Luftwäffler" Milch, ist gemeinsam, dass sie einen längeren strategischen Luftkrieg (zu dem die Luftwaffe ja eh nicht in der Lage ist) als Voraussetzung für eine Landung in England ablehnen.
Ich frage das hier, weil eben alle in die selbe Kerbe hauen, was ich nicht nachvollziehen kann. Klar, wenn alle "Heutigen" derselben Meinung sind, kommt eine Diskussion nur schwer zustande. Aber vielleicht kann jemand noch ein paar Fakten nachschieben, etwa zur im Juni 1940 tatsächlich in Großbritannien vorhandenen Truppenstärke.
Danke, und Grüße, Holger