Aachen als karolingische Hauptstadt?

Lutty77

Neues Mitglied
Hi
Ich will nun auch mal mein Debüt in diesem Forum gleich als Themenstarter geben. Natürlich erst nach sorgfältiger Prüfung, ob es dieses Thema schon gibt.
Meine Frage zur Anregung einer mich brennend heiss interessierenden Thematik:
War Aachen zur Zeit der Karolinger eine "Hauptstadt"?

Mit dem Hauptstadtbegriff meine ich zum einen eine Hauptstadt als repräsentativer Ort, Regierungssitz und Verwaltungssitz und zum anderen auch einen Mittelpunkt geistigen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens.
Ich bitte auch um Hinweise und Verweise auf gute Quellen. Selbige reiche ich natürlich auch noch später nach. Hab leider gerade Zeitmangel.

Ich hoffe auf eine interessante Diskussion.
 
Nein, Aachen war ein Palatium, eine Pfalz, und sicher auch eine ganz besondere, denn hier fanden nach Karl die Königskrönungen statt, aber im vom Reisekönigtum der Karolinger geprägten achten und neunten Jahrhundert kann man wohl kaum von einer "Hauptstadt" sprechen (sicher hat der Umstand, dass du selber "Hauptstadt" in Anführungszeichen setzt, einen Grund).
Die königliche Kanzlei (also die "Verwaltung") reiste mit dem König und dank ihr, können wir die Reisewege (Itinerare) der Herrscher in etwa nachvollziehen und über die Regesten gefälschte Urkunden als solche erkennen. Aber ich schweife ab.
KdG selbst wird außergewöhnlich häufig in seiner "Lieblingspfalz" gewesen sein.
 
Seit 795 hat sich Karl d. Gr. fast ständig in Aachen aufgehalten, er war ja auch nicht mehr der Jüngste, nur für diesen Zeitraum bis zu seinem Tode kann man davon sprechen daß Aachen so etwas wie eine Hauptstadt war.
 
El Quijote schrieb:
aber im vom Reisekönigtum der Karolinger geprägten achten und neunten Jahrhundert kann man wohl kaum von einer "Hauptstadt" sprechen (sicher hat der Umstand, dass du selber "Hauptstadt" in Anführungszeichen setzt, einen Grund).

Gleichwohl hatte Aachen zurzeit Karls meiner Ansicht nach Eigenschaften, die den dortigen Hof etwas über die anderen Pfalzen des Reiches heraushoben.
Du hast ja selbst die Rolle als Krönungsort genannt. Dazu kommt noch, dass sich die wichtigen Gelehrten Karls wohl dauernd oder lange in Aachen aufhalten, hier die Hofschule vermutet wird. Ebenso befand sich hier ständig die Hofbibliothek. Da mit Hilfe dieser Institutionen auch direkter oder indirekter Einfluss auf die Verwaltung ausgeübt wurde (z.B. durch die Schriftreform), so kann Aachen, wenn schon nicht als Hauptstadt, so doch als einer der administrativen Mittelpunkte des Reiches gelten.
 
Dazu noch frankenreich
Teil B. Allgemeine und politische Geschichte. Verfassungs- und Institutionsgeschichte, Abschnitt II. Karolingerzeit, Absatz 4. Hof- und Reichsverwaltung; der Hof als geistiges Zentrum
 
Eine eigentliche Hauptstadt gab es nicht und die Verweildauer in den einzelnen Pfalzen war wohl abhängig von der politischen Lage.

So hielt sich Karl der Große in der ersten Hälfte seiner Regierungszeit bis ca.791 hauptsächlich in der Kaiserpfalz zu Worms und den oberrheinischen Pfalzen Ingelheim ,Trebur und Frankfurt auf.Hier fanden wohl auch die Hochzeiten mit der Tochter des Langobarden-Königs Desiderius (770) und mit seiner zweiten Frau Fastrada(783) statt.
Ein Grund war wohl in den Sachsenkriegen zu suchen, die schwerpunktmäßig von der Mainlinie aus geführt wurden und seine Präsenz erforderten.
Erst nach 791 rückte Aachen als Aufenthaltsort in den Vordergrund. Es war also so was wie der Alterssitz von Charlemagne.

Insgesamt sind für die Karolingerzeit 60 Herrscheraufenthalte(und 260 im gesamten Mittelalter) in Worms so wie weitere in den Pfalzen Ingelheim (jedes Jahr zu Ostern),Trebur, Frankfurt ,Speyer und im Reichskloster Lorsch bezeugt, Aachen bringt es m.W. in der gleichen Periode auf eine ähnliche Anzahl von Aufenthalten wie Worms.

Aachen als "Hauptstadt" des Karolingerreiches scheint mir daher eher eine aufgrund der erhaltenen Pfalzkapelle kreierte historische Fiktion des nationalromantischen 19. Jahrhunderts (genau wie die damals verbreitete Mähr,alle mittelalterlichen Kaiser seien dort gekrönt worden ;))





gb
 
KdG suchte ab 795 nach einer Altersresidenz (!), da seine Herrschaft im Reich durch Mittelgewalten, Grafen, Bischöfe, Äbte, Vasallen usw. derart gefestigt war, dass das typisch mittelalterliche Umherziehen beendet werden konnte.
Schon im Itinerar stand Aachen an der Spitze seiner Aufenthalte (auch mit Winterquartier) mit 27 vor Worms mit 16.
Zur Entscheidung Aachens schreibt Dieter Hägermann, "Karl der Große", Propyläen, 2000, S.659/660:
... zugunsten Aachens, das zwar an der Peripherie gelegen, aber durch reiches Krongut und Forsten herausgehoben war, mehr noch durch die warmen Quellen, die bereits in der Spätantike genutzt worden waren. In dieser Villa konnte Karl als höchster Eigenkirchlehrer seines Imperiums mit seinen Baumeistern repräsentative Gebäude wie den Palast, "Lateran", und vor allem das Pfalzstift in Gestalt des singulären Marienmünsters frei errichten, ohne geistlichen Einspruch durch Bischöfe oder Äbte fürchten zu müssen.
 
Interessante Ansichten.
Von den Urkunden, Viten und Chroniken zu urteilen, kann es sowas wie eine Hauptstadt zu der Zeit nicht gegeben haben. Da gebe ich el quijote durchaus Recht.
Mein Blick fällt aber nicht nur auf den Umstand, dass hier Recht gesprochen, sich der Kaiser aufgehalten und gekrönt worden ist. In der Numismatik lassen die Funde nur einen Schluss zu: Hier war der Umschlagplatz, hier wurde verwaltet, ein Hof ernährt und Handel getrieben mit Händlern von Haitabu bis Mesopotamien, von wo er auch einen Elefanten (allerdings nach Paderborn) als Geschenk erhielt.
Aachen muss für die damaligen Menschen schon etwas von einer Hauptstadt gehabt haben. Zweifelsfrei wurden hier Bildungsreform, Finanzreform und die neue Art des Regierens (Botensystem) etabliert. Hier wurde mit Ludwig die Nachfolge Karls geklärt und hierhin schickte Michael aus Byzanz seine Boten.

Es spricht sicher vieles dafür, dass Aachen zwar eine unter vielen Pfalzen Karls des Grossen war, aber doch seit ungefähr der Jahrhundertwende mit dem grossen Wechsel im Militärwesen vom offensiven zum defensiven Charakter, dem Steckenbleiben vieler seiner Reformen, dem (Abhängigkeit fördernden) stärker werdenden Twist mit Byzanz, dem nicht enden wollenden Sachsenkrieg und den gehäuften Todesfällen in seiner Familie kann Aachen meiner Meinung nach als zentraler Punkt und repräsentativer Hauptsitz seiner Regierung und seines Hofes angesehen werden. Da Aachen auch zu der Zeit schon eine Stadt war und immerhin über Jahre einen riesen Hof und zeitweise sogar die Spitzen von Karls stehendem Heer versorgen konnte, kann Aachen sehr wohl als Hauptstadt angesehen werden.

Ich lasse mich gern eines Besseren belehren aber für mich spricht wenig dagegen, dass es eine Hauptstadt war, auch wenn man von besagter Zeit eher von einer Periode ortsunabhängiger Regierung sprach und für diese Zeit die Wechsel des Regierungsortes als charakteristisch bezeichnet.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Lutty77;267[INDENT schrieb:
Es spricht sicher vieles dafür, dass Aachen zwar eine unter vielen Pfalzen Karls des Grossen war, aber doch seit ungefähr der Jahrhundertwende mit dem grossen Wechsel im Militärwesen vom offensiven zum defensiven Charakter, dem Steckenbleiben vieler seiner Reformen, dem (Abhängigkeit fördernden) stärker werdenden Twist mit Byzanz, dem nicht enden wollenden Sachsenkrieg und den gehäuften Todesfällen in seiner Familie kann Aachen meiner Meinung nach als zentraler Punkt und repräsentativer Hauptsitz seiner Regierung und seines Hofes angesehen werden.

Mit der "Sesshaftigkeit" KdG im Jahre 795 in Aachen wird dies auch zutreffen.
Ob er allerdings einen Twist :banana:mit Byzanz hatte, wage ich zu bezweifeln. Zwist kann ich nachvollziehen.
 
Nun ja,es ging ja nicht nur um Karl,sondern um die gesamte karolingische Epoche, und da würde ich Aachen aufgrund der oben geschilderten Fakten keine Hauptstadtfunktion zubilligen.
 
Untersuchung abgeschlossen

So, ich habe meine Untersuchung vor wenigen Wochen abgeschlossen und fertig geschrieben.
Mein Ergebnis ist nicht ganz eindeutig aber die Frage, ob Aachen eine Hauptstadt zur Zeit Karls des Großen war, bejahe ich. Davor hatte Aachen kaum eine Rolle gespielt, danach nur noch symbolisch oder für die Region um Aachen.
Dieser Hauptstadtbegriff ist nicht im heutigen Sinne zu verstehen.
Indizien, die mich bei meiner Untersuchung beeinflussten:
- Namensgebung der Zeitgenossen, Chronisten, anderen Herrscher und direkten Nachfahren
- Konzept Karls des Großen für Aachen
- architektonische Symbolik
- Mangel an Konkurrenz
- Rechts-, Boten- und Regierungspraxis, sowie Administrationskonzept
- biographische Überlegungen zu Karl dem Großen
- wirtschaftlich, strategisch, geographisch mehr als gute Grundlagen und Voraussetzungen

Vielen Dank für die freundliche Diskussion. Wenn jemand mehr über meine Ergebnisse oder die Indizien erfahren möchte, kann er gern eine PN schicken oder hier die Fragen aufwerfen. Die komplette Arbeit veröffentliche ich hier nicht.
 
Zunächst meinen Glückwunsch für die abgeschlossene Arbeit! :winke:

Noch einige wenige Worte zum Thema. Der Begriff "Hauptstadt" ist natürlich in unserer Zeit ein völlig anderer, als er es zu karolingischer Zeit war, was du ja selbst schreibst. Insofern wundert es mich, dass du diesen Bwegirff gewählt hast, denn ich wurde Aachen eher als "Dauerresidenz" Karls des Großen denn als "Hauprstadt" des Frankenreichs bezeichnen.

Aber wenn du vorab genau geklärt hast, was du in diesem Sinn als "Hauptstadt" verstehen willst, ist das schon korrekt.
 
So, ich habe meine Untersuchung vor wenigen Wochen abgeschlossen und fertig geschrieben.
Mein Ergebnis ist nicht ganz eindeutig aber die Frage, ob Aachen eine Hauptstadt zur Zeit Karls des Großen war, bejahe ich. Davor hatte Aachen kaum eine Rolle gespielt, danach nur noch symbolisch oder für die Region um Aachen.
Dieser Hauptstadtbegriff ist nicht im heutigen Sinne zu verstehen.
Indizien, die mich bei meiner Untersuchung beeinflussten:
- Namensgebung der Zeitgenossen, Chronisten, anderen Herrscher und direkten Nachfahren
- Konzept Karls des Großen für Aachen
- architektonische Symbolik
- Mangel an Konkurrenz
- Rechts-, Boten- und Regierungspraxis, sowie Administrationskonzept
- biographische Überlegungen zu Karl dem Großen
- wirtschaftlich, strategisch, geographisch mehr als gute Grundlagen und Voraussetzungen

Vielen Dank für die freundliche Diskussion. Wenn jemand mehr über meine Ergebnisse oder die Indizien erfahren möchte, kann er gern eine PN schicken oder hier die Fragen aufwerfen. Die komplette Arbeit veröffentliche ich hier nicht.

Vielleicht könntest du deine Thesen etwas deutlicher herausstellen, wir wollen dir hier schon ein Rigorosum bereiten ;)
 
Bin gerade bei einer anderen Arbeit über die alliierte Intervention in Russland und die Bürgerkriegswirren 1917-1920. Daher muss man noch ein wenig Geduld mit mir haben. Eine kurze Übersicht über meine Argumente und die Untersuchung kann ich dann aber gern hier listen. Vielen Dank für das Angebot eines "Rigorosums" :)
 
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