Abdankung Kaiser Franz II.

@Götz

Mit der deutschen Bundesakte von 1815 war es aus meiner bescheidenen Sicht endgültig, auch staatsrechtlich, für das HRR aus, faktisch und natürlich staatsrechtlich auch schon früher, und zwar durch die Rheinbundakte:

Vergl.: Artikel I bis III

Rheinbunds-Akte (1806)

Vergl.: Artikel I, dort insbesondere das Wort "vormals".

Deutsche Bundesakte (1815)

M.
 
Nach Hartung, Dt. VerfG., 8./9. A., 1950/1969, S. 162, habe Preußen noch im Sommer 1806 versucht, die Kaiserwürde weiterzuführen (was dann aber nach der verlorenen Schlacht v. Jena hinfällig wurde).

Das ist so nicht korrekt, Preußen hat nicht die Krone des HRRDN fortführen wollen:
"Nach der Etablierung seines Vertragssystems in Süddeutschland zielte N. darauf ab, das gesamte Reichssystem abzuschaffen. Hierzu übte er jetzt Druck auf Wien aus, die Krone des HRRDN niederzulegen. Aus zwei Gründen...: erstens, wei mit der Konstitution des Rheinbundes der südliche Reichsteil bereits von Wien losgebunden sei, und zweitens, weil der nördliche Reichsteil sich ohnehin seit 1795 dem preußischen politischen Kurs untergeordnet habe. Da das Alte Reich de facto nicht mehr existiere, habe Wien ... keinen Grund, an einen inhaltslosen Titel festzuhalten. Daher beabsichtigte N. auch nicht, die deutsche Kaiserkrone für sich in Anspruch zu nehmen." [1/ Seite 115]

Daraus ergibt sich, dass N. und sein Außenminister erkannt hatten, dass Preußen eine sehr selbständige - und auch aggressive - Politik zur Vergrößerung des preußischen Einflusses betrieb. Sicherlich auch daran erkennbar, dass nur Kurbrandenburg dem HRRDN angehörte und Preußen bisher neutral gegenüber Frankreich geblieben war.

Der am Gleichgewichtsprizip orientierte Talleyrand wollte ein neues Gleichgewicht auf dem Kontinent schaffen und plante dazu neben dem Rheinbund einen äquivalenten Nordbund, nämlich einer nord confédération du de l'Allemagne. "Der Außenminister schlug vor, Preußen durch die Bildung einer norddeutschen Gegenkonföderation unter der Herrschaft eines preußischen Kaisers in das neue System verstärkt mit einzubeziehen, um dadurch das politische Übergewicht des französisch gesinnten Bundes in Mitteleuropa auszugleichen." [1/Seite 119]

Neben den beiden deutschen Bünden sollten das in Pressburg befriedete Österreich und Friedensverträge mit Rußland und England Gleichgewicht und Frieden auf dem Kontinent bringen, aber bekanntlich fanden Jena und Auerstädt, später Tilsit statt.

Grüße
excideuil

[1] Bernstein, Amir D.: Von der Balance of Power zur Hegemonie – Ein Beitrag zur europäischen Diplomatiegeschichte zwischen Austerlitz und Jena/Auerstedt, Duncker & Humblot, Berlin, 2006
 
@Götz

Mit der deutschen Bundesakte von 1815 war es aus meiner bescheidenen Sicht endgültig, auch staatsrechtlich, für das HRR aus, faktisch und natürlich staatsrechtlich auch schon früher, und zwar durch die Rheinbundakte:

Vergl.: Artikel I bis III

Rheinbunds-Akte (1806)

Vergl.: Artikel I, dort insbesondere das Wort "vormals".

Deutsche Bundesakte (1815)

M.


Schön, dass so schnell schon eine Reaktion erfolgt.
Möchte auch nicht oberlehrerhaft wirken, aber irgendwie ist der Einleitungssatz „schief“ (zweimal „staatsrechtlich“ in unterschiedlichem Zshg.). Kann ja vielleicht noch erläutert/korrigiert werden.

Zum eigentlichen Problem:
Wie kann ein „Teilstaat“ (wenn man den Rheinbund der Einfachheit halber mal so charakterisieren will) die Souveränitätsrechte des „Gesamtstaates“ HHR wirksam absprechen bzw. dessen Rechtspersönlichkeit aufheben ?

Mir ist schon bewusst, dass die (schriftliche) Verfassungslage zu diesem Zeitpunkt (06.08.1806) eher dürftig ist – trotz der ebenfalls formal zumindest merkwürdigen „Verkündung“ der Kronniederlegung (was ja vor den Reichsstag gehört hätte, wo auch immer der hätte stattfinden
sollen) kann die bloße Erklärung abtrünniger Territorien nicht zur Auflösung des (vorherigen) Gesamtstaates führen.
Und wie gesagt, dies blieb ja auch offiziell nicht ganz ohne Widerspruch/Protest.
Aber wahrscheinlich gehören diese grundsätzlichen Fragen und Problemstellungen, die in diesem Zshg. auftauchen in einem gesonderten Faden.
Sollte es den bereits geben, wäre ich um Hinweis dankbar – bin ja erst seit heute angemeldet und kann nicht alle Themen/Beiträge kennen.
Götz zum Gruß
 
Das ist so nicht korrekt, Preußen hat nicht die Krone des HRRDN fortführen wollen:
"Nach der Etablierung seines Vertragssystems in Süddeutschland zielte N. darauf ab, das gesamte Reichssystem abzuschaffen. Hierzu übte er jetzt Druck auf Wien aus, die Krone des HRRDN niederzulegen. Aus zwei Gründen...: erstens, wei mit der Konstitution des Rheinbundes der südliche Reichsteil bereits von Wien losgebunden sei, und zweitens, weil der nördliche Reichsteil sich ohnehin seit 1795 dem preußischen politischen Kurs untergeordnet habe. Da das Alte Reich de facto nicht mehr existiere, habe Wien ... keinen Grund, an einen inhaltslosen Titel festzuhalten. Daher beabsichtigte N. auch nicht, die deutsche Kaiserkrone für sich in Anspruch zu nehmen." [1/ Seite 115]

Daraus ergibt sich, dass N. und sein Außenminister erkannt hatten, dass Preußen eine sehr selbständige - und auch aggressive - Politik zur Vergrößerung des preußischen Einflusses betrieb. Sicherlich auch daran erkennbar, dass nur Kurbrandenburg dem HRRDN angehörte und Preußen bisher neutral gegenüber Frankreich geblieben war.

Der am Gleichgewichtsprizip orientierte Talleyrand wollte ein neues Gleichgewicht auf dem Kontinent schaffen und plante dazu neben dem Rheinbund einen äquivalenten Nordbund, nämlich einer nord confédération du de l'Allemagne. "Der Außenminister schlug vor, Preußen durch die Bildung einer norddeutschen Gegenkonföderation unter der Herrschaft eines preußischen Kaisers in das neue System verstärkt mit einzubeziehen, um dadurch das politische Übergewicht des französisch gesinnten Bundes in Mitteleuropa auszugleichen." [1/Seite 119]

Neben den beiden deutschen Bünden sollten das in Pressburg befriedete Österreich und Friedensverträge mit Rußland und England Gleichgewicht und Frieden auf dem Kontinent bringen, aber bekanntlich fanden Jena und Auerstädt, später Tilsit statt.

Grüße
excideuil

[1] Bernstein, Amir D.: Von der Balance of Power zur Hegemonie – Ein Beitrag zur europäischen Diplomatiegeschichte zwischen Austerlitz und Jena/Auerstedt, Duncker & Humblot, Berlin, 2006

Der von mir zit. Historiker Hartung hat aber genau die Formulierung gewählt
"die Kaiserwürde weiterzuführen".
Wenn diese eine andere Qualität hätte haben sollen, so ist der gute Mann wohl etwas ungenau gewesen.
Daher Danke für die weiteren Ausführungen.
Götz zum Gruß.
 
Schön, dass so schnell schon eine Reaktion erfolgt.
Möchte auch nicht oberlehrerhaft wirken, aber irgendwie ist der Einleitungssatz „schief“ (zweimal „staatsrechtlich“ in unterschiedlichem Zshg.). Kann ja vielleicht noch erläutert/korrigiert werden.

Zum eigentlichen Problem:
Wie kann ein „Teilstaat“ (wenn man den Rheinbund der Einfachheit halber mal so charakterisieren will) die Souveränitätsrechte des „Gesamtstaates“ HHR wirksam absprechen bzw. dessen Rechtspersönlichkeit aufheben ?

Mir ist schon bewusst, dass die (schriftliche) Verfassungslage zu diesem Zeitpunkt (06.08.1806) eher dürftig ist – trotz der ebenfalls formal zumindest merkwürdigen „Verkündung“ der Kronniederlegung (was ja vor den Reichsstag gehört hätte, wo auch immer der hätte stattfinden
sollen) kann die bloße Erklärung abtrünniger Territorien nicht zur Auflösung des (vorherigen) Gesamtstaates führen.
Und wie gesagt, dies blieb ja auch offiziell nicht ganz ohne Widerspruch/Protest.
Aber wahrscheinlich gehören diese grundsätzlichen Fragen und Problemstellungen, die in diesem Zshg. auftauchen in einem gesonderten Faden.
Sollte es den bereits geben, wäre ich um Hinweis dankbar – bin ja erst seit heute angemeldet und kann nicht alle Themen/Beiträge kennen.
Götz zum Gruß

@Götz

Vllt. mag die Formulierung etwas "schief" klingen, dann sorry.

Bei Deinem Beitrag sind zwei unterschiedliche Betrachtungen angezeigt, einmal die historische Sicht. Mit der Kronniederlegung von Franz II. hat aus histotischer Sicht, das HRR aufgehört zu existieren. Fragestellung die bleibt, hat es auch staatsrechtlich aufgehört zu existieren? Bleiben wichtige Staatsgrundgesetze des HRR weiterhin bestehen, w.z.B. die "Goldene Bulle" oder der Westfälische Frieden. Mit der "Rheinbundakte" verneinen die teilnehmenden Völkerrechtssubjekte impliziet die Existenz des HRR, vielmehr verstoßen diese Völkerrechtssubjekte gegen elementare völkerrechtliche Grundlagen des HRR. Mit der Bundesakte von 1815 ordnen die teilnehmenden Völkerrechtssubjekte ihr zusammenwirken neu, das HRR wird von diesen Völkerrechtssubjekten, die tw. auch Reichsstände des HRR waren, nur noch mit dem Vorsatz "vormals" verwendet und sie nehmen keinen Beziug auf Staatsgrundgesetze des HRR. Damit erkennen sie an, daß das HRR perdu ist. Spätestens die Bundesakte legitimierte den staatsrechtlichen Untergang des HRR.

Beispiel: Wären die beteiligten Völkerrechtssubjekte von einer Weiterexistenz des HRR ausgegangen, hätten in der Bundesakte alle Standeserhöhungen nachträglich nach Reichsrecht genehmigt worden sein müssen, wurden sie aber nicht, sondern sie wurden stillschweigend als existent anerkannt.

Weder der Rheinbund noch der Deutsche Bund waren "Teilstaaten" sondern Staatenbünde.

Beim Deutschen Bund tritt der Souveränitätsanspruch des Staatenbundes im Wesentlichen nur beim Präsidium und im Instrument der "Bundesexekution" zu Tage.

M.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir ist schon bewusst, dass die (schriftliche) Verfassungslage zu diesem Zeitpunkt (06.08.1806) eher dürftig ist – trotz der ebenfalls formal zumindest merkwürdigen „Verkündung“ der Kronniederlegung (was ja vor den Reichsstag gehört hätte, wo auch immer der hätte stattfinden
sollen) kann die bloße Erklärung abtrünniger Territorien nicht zur Auflösung des (vorherigen) Gesamtstaates führen.
Das ist eben eines der Probleme. Vor welchen Reichstag hätte die Niederlegung der Krone denn gehört? Schon zum Zeitpunkt der Verkündigung der Niederlegung war ein Großteil der Gesandten der Reichsstände vom Reichstag abgereist.

Der eine Historiker, den ich oben zitierte, bezeichnete die Schrift zur Niederlegung als juristisch gut gemacht.

De Facto wäre die Frage gewesen, wie denn Preußen bzw. der Kurfürst von Brandenburg hätte das Reich weiterführen sollen. Die Niederlegung der Krone im Zusammenhang mit der Auflösung des Reiches hätte man nicht akzeptieren können. Aber wie wäre denn die Nachfolge verlaufen? Im Grunde hätte es die Alternative gegeben, dass die Kurfürsten einen neuen Kaiser hätten wählen müssen, notfalls eben unter Ignorierung der "Austritte" der anderen Reichsfürsten. Generell waren offiziell weder der König von Böhmen, noch die Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg noch von Sachen noch von Hessen ausgetreten. Im Falle der Vakanz der Krone wäre wohl die Autorität erstmal an den Kurfürsten von Sachsen gefallen. Der sächs. Kurfürst (Friedrich August I.) hatte schon vordem als Reichsvikar fungiert.
Der Knackpunkt war, dass die Lehensnehmer, also die übrigen Reichsfürsten, rechtlich ohnehin keine Legitimation hatten, aus dem Reich auszutreten. Das Reich war ja kein lockerer Staatenbund, sondern war eben auch den Gesetzmäßigkeiten des Lehenswesens unterworfen.
 
Das ist so nicht korrekt, Preußen hat nicht die Krone des HRRDN fortführen wollen:
"Nach der Etablierung seines Vertragssystems in Süddeutschland zielte N. darauf ab, das gesamte Reichssystem abzuschaffen. Hierzu übte er jetzt Druck auf Wien aus, die Krone des HRRDN niederzulegen. Aus zwei Gründen...: erstens, wei mit der Konstitution des Rheinbundes der südliche Reichsteil bereits von Wien losgebunden sei, und zweitens, weil der nördliche Reichsteil sich ohnehin seit 1795 dem preußischen politischen Kurs untergeordnet habe. Da das Alte Reich de facto nicht mehr existiere, habe Wien ... keinen Grund, an einen inhaltslosen Titel festzuhalten. Daher beabsichtigte N. auch nicht, die deutsche Kaiserkrone für sich in Anspruch zu nehmen." [1/ Seite 115]

Daraus ergibt sich, dass N. und sein Außenminister erkannt hatten, dass Preußen eine sehr selbständige - und auch aggressive - Politik zur Vergrößerung des preußischen Einflusses betrieb. Sicherlich auch daran erkennbar, dass nur Kurbrandenburg dem HRRDN angehörte und Preußen bisher neutral gegenüber Frankreich geblieben war.

Der am Gleichgewichtsprizip orientierte Talleyrand wollte ein neues Gleichgewicht auf dem Kontinent schaffen und plante dazu neben dem Rheinbund einen äquivalenten Nordbund, nämlich einer nord confédération du de l'Allemagne. "Der Außenminister schlug vor, Preußen durch die Bildung einer norddeutschen Gegenkonföderation unter der Herrschaft eines preußischen Kaisers in das neue System verstärkt mit einzubeziehen, um dadurch das politische Übergewicht des französisch gesinnten Bundes in Mitteleuropa auszugleichen." [1/Seite 119]

Neben den beiden deutschen Bünden sollten das in Pressburg befriedete Österreich und Friedensverträge mit Rußland und England Gleichgewicht und Frieden auf dem Kontinent bringen, aber bekanntlich fanden Jena und Auerstädt, später Tilsit statt.

Grüße
excideuil

[1] Bernstein, Amir D.: Von der Balance of Power zur Hegemonie – Ein Beitrag zur europäischen Diplomatiegeschichte zwischen Austerlitz und Jena/Auerstedt, Duncker & Humblot, Berlin, 2006


Da ich am Sonnabend (u.a. weil Fußball war) keine Zeit mehr hatte, den Beitrag von „excideuil“
vollständig zu lesen bzw. zu überdenken, möchte ich dies nun nachholen.

1) Da das Lehrbuch zur Dt. VerfG von Fritz Hartung seine erste Auflage im Sommer 1914 erlebte
und auch die letzte weit über 40 J. alt ist, können dort naturgemäß neuere Arbeiten (wie das zit.
Werk v. Bernstein aus 2006) nicht mehr berücksichtigt worden sein – trotzdem gilt der „Hartung“
als Klassiker in der verfassungsgeschichtl. Literatur (auch wenn er von Hause aus Historiker und
eben kein Jurist gewesen ist).
Immerhin sind solche „Klassiker“ relativ leicht zugänglich – im Gegensatz zu Spezialliteratur.
Wobei ich bei dem zit. Bernstein auch nicht weiß, welcher Fachrichtung er angehört; dass es nicht
nur bei Methodenfragen Unterschiede zwischen Juristen und Historikern, sondern auch bei den
Fragestellungen (Themen) gibt, dürfte einleuchten.
Wie in Beitrag # 23 zumindest angedeutet, interessieren mich beim Thema „Niederlegung der dt.-
römischen Kaiserkrone am 6.8.1806“ die (verfassungs-)rechtlichen Komplikationen und Folgerungen.

2) Da aber die Bewertung „historischer“ Vorgänge unter juristischen Gesichtspunkten
logischerweise auch die Berücksichtigung sowohl der zeitgenössischen als auch der aktuellen
„Geschichtsschreibung“ erfordert, sind mir Hinweise, wie den auf Bernstein u.a., immer gerne
willkommen.
Insbesondere wenn man solche Fundstellen kontrovers diskutieren bzw. ganz neue Fragestellungen
ableiten kann. So auch bei Bernstein (auf dessen Werk ich leider noch keinen Zugriff hatte, so dass
ich insoweit etwas im Nebel herumstochern muss):

a) Wenn im ersten Zitat aus der Beurteilung, das Alte Reich habe (es wird wohl auf den Zeitraum
Juli/Anfang August 1806 abgestellt) de facto nicht mehr existiert, die Ableitung erfolgt, Napoleon
habe (somit) nicht beabsichtigt, die deutsche Kaiserkrone für sich in Anspruch zu nehmen, ist diese
Schlussfolgerung für mich nicht unbedingt zwingend bzw. die einzig zulässige. Aber wie gesagt,
liegt mir die Fundstelle nicht vor, so dass es dort ja eventuell Fußnoten bzw. Nachweise für diese
Behauptung gibt.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal den (Juristen) Otto Kimminich, Dt. VerfG, 1970,
S. 286 (ein ebenfalls relativ leicht zugängliches Fachbuch der Juristerei), bemühen.
Danach habe Napoleon ggü. seinem Onkel, Kardinal Joseph Fesch - genau der, mit dem v. Dalberg
kirchenpolitisch gemauschelt hat, im Februar 1806 sein Bestreben nach dem echten
(karolingischen) Kaisertum geäußert – leider gibt auch Kimminich hierfür keine Fundstelle /
Nachweise an.
Aber besonders interessant finde ich die weiteren Ausführungen des von mir zit. Kimminich auf S.
286: „Diese Hinwendung Frankreichs zur Reichs- und Kaiseridee in einem Augenblick, in dem
Deutschland sich anschickte, dieser Idee den Rücken zu kehren und sich einem nationalstaatlichen
Denken zuzuwennden, widersprach völlig den Lehren der Geschichte.“
Des Weiteren S. 287: „Napoleon hatte das richtige Gespür für die Empfindungen des französischen
Volkes, als er sich zum 'Kaiser der Franzosen' krönte. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, d.h.
Herr des Abendlandes, hätte er wohl als Nachfolger des deutschen Kaisers werden können. Vieles
deutet darauf hin, daß er dieses Ziel erstrebte, ...“
Jetzt mag man diese Formulierungen für „pathetisch“ oder für zu undifferenziert ansehen, aber auch
der Kurerzkanzler v. Dalberg schien wohl versucht zu haben, diese Intention bei Napoleon zu
deuten (vgl. Willoweit, Dt. VerfG., 4. Aufl., 2001, S. 228).
Noch nebenbei bemerkt, habe ich an anderer Stelle auf die Geschichtsklitterung Napoleons im
Zshg. mit dem Merowingerkönig Chlodwig hingewiesen.
Zumindest der bloße Verweis auf die Ausführungen Bernsteins, der eine Absicht Napoleons auf die
deutsche Kaiserkrone ablehnt, überzeugt mich daher nicht unbedingt.
Aber das ist eigentlich gar nicht meine Fragestellung. Mich interessiert (wie bereits gesagt)
vielmehr die verfassungsrechtliche Situation Juli/August 1806 und in der unmittelbaren Folgezeit.

b) Unter diesem Gesichtspunkt ist die Fundstelle bei Bernstein doch nicht ganz uninteressant:
Da dort ja auch auf 1795 abgestellt wird – bekanntlich der Separatfrieden Preußens mit Frankreich
zu Basel, wodurch Preußen bewusst gg. Reichsgesetze verstoßen hatte – und in der Diplomatie
schon immer verschlungene Wege gegangen wurden, könnte es daher vorstellbar sein, dass bereits
zu diesem - recht frühen – Zeitpunkt (also ganz ohne Zutun Bonapartes) zwischen Frankreich und
Preußen gewisse Überlegungen in die von Bernstein skizzierte Richtung eines „preußischen
Kaisertums“ - zumindest dem Grunde nach – angestellt wurden ???
Dieser Gedanke ist mir, nachdem ich mehrmals die Fundstelle gelesen habe, gekommen (also ins
„Unreine“ gedacht).
Ich will also keinesfalls die Behauptung aufstellen, bereits anlässlich des Friedensschlusses zu
Basel sei dies explizit und ausführlich auf oberster Ebene diskutiert worden.
Wenn aber in der damaligen französischen Administration die Neutralität Preußens konstatiert
wurde, was spräche dann dagegen, den von mir ganz vage formulierten Gedanken aufzunehmen ?
Es wäre zumindest höchst interessant, gäbe es einen verifizierbaren Zusammenhang zwischen der
preußisch-französischen Politik der Annäherung im Jahre 1795 und dem von Außenminister
Talleyrand entwickelten Plan der „Bildung einer norddeutschen Gegenkonföderation unter der
Herrschaft eines preußischen Kaisers“.
Gedanklicher Ansatz könnte nämlich der nur 10 Jahre zuvor geschlossene „Fürstenbund“ sein, der
ja bekanntlich unter preußischer Federführung mit dem Ziel, der Machterweiterung Österreichs
entgegenzutreten, initiiert wurde.
Dann hätte Preußen tatsächlich den „Todesstoß für das Reich“ (Heinrich Mitteis) gesetzt.
Vielleicht sollte dieser Gedanke aber – allein aus Gründen der Übersicht – in einem separaten Thema verfolgt werden.

Zu den beiden neueren – ebenfalls sehr interessanten und detailreichen - Beiträgen werde ich mich
noch mal gesondert „melden“. Da ich nicht jeden Tag im Netz bin, kann eine Antwort schon mal 1 –
2 Tage dauern; keine böse Absicht !
Auf konstruktive Kritik und Antworten hoffend, Götz zum Gruß.
 
@Götz

Vllt. mag die Formulierung etwas "schief" klingen, dann sorry.

Bei Deinem Beitrag sind zwei unterschiedliche Betrachtungen angezeigt, einmal die historische Sicht. Mit der Kronniederlegung von Franz II. hat aus histotischer Sicht, das HRR aufgehört zu existieren. Fragestellung die bleibt, hat es auch staatsrechtlich aufgehört zu existieren? Bleiben wichtige Staatsgrundgesetze des HRR weiterhin bestehen, w.z.B. die "Goldene Bulle" oder der Westfälische Frieden. Mit der "Rheinbundakte" verneinen die teilnehmenden Völkerrechtssubjekte impliziet die Existenz des HRR, vielmehr verstoßen diese Völkerrechtssubjekte gegen elementare völkerrechtliche Grundlagen des HRR. Mit der Bundesakte von 1815 ordnen die teilnehmenden Völkerrechtssubjekte ihr zusammenwirken neu, das HRR wird von diesen Völkerrechtssubjekten, die tw. auch Reichsstände des HRR waren, nur noch mit dem Vorsatz "vormals" verwendet und sie nehmen keinen Beziug auf Staatsgrundgesetze des HRR. Damit erkennen sie an, daß das HRR perdu ist. Spätestens die Bundesakte legitimierte den staatsrechtlichen Untergang des HRR.

Beispiel: Wären die beteiligten Völkerrechtssubjekte von einer Weiterexistenz des HRR ausgegangen, hätten in der Bundesakte alle Standeserhöhungen nachträglich nach Reichsrecht genehmigt worden sein müssen, wurden sie aber nicht, sondern sie wurden stillschweigend als existent anerkannt.

Weder der Rheinbund noch der Deutsche Bund waren "Teilstaaten" sondern Staatenbünde.

Beim Deutschen Bund tritt der Souveränitätsanspruch des Staatenbundes im Wesentlichen nur beim Präsidium und im Instrument der "Bundesexekution" zu Tage.

M.



Hallo Melchior,
die vorgebrachten Argumente sind mit Sicherheit nicht abwegig, aber ich halte zunächst wenig
davon, zwischen rein-juristisch und rein-historisch fein säuberlich trennen zu wollen.
Ich glaube, das wird praktisch so nicht funktionieren (ob es rein-wissenschaftlich sinnvoll sein mag,
sei hier dahingestellt).

Dafür können wir beide nichts, sondern es folgt m.E. aus der unvollkommenen Rechtslage bzw.
unübersichtlichen Gesamtsituation (auch was die wissenschaftlichen Nachweise angeht).

Allerdings möchte ich doch betonen, dass im (für mich hier allein ausschlaggebenden) Zeitraum
Juli/August 1806 absolut niemand die erst viele Jahre später erfolgte Gründung des Dt. Bundes
vorhersehen bzw. vorwegnehmen konnte, so dass der Versuch, diese unterschiedlichen Ebenen zu
vermischen, zu ungenauen Ergebnissen führt – meine Meinung.
Soll jetzt konkret heißen, dass bestimmte Formulierungen in der RB-Akte und auch solche der
französischen Diplomatie ggü. Franz II. nicht mit späteren Passagen der Bundesakte begründet oder
gar verifiziert werden können – allein schon deswegen, weil 1806 und 1815 ff. unterschiedliche
Personen beteiligt waren (um es mal flapsig zu formulieren: es ist kein Fortsetzungsroman).

Zu meiner Formulierung „Teilstaat“ in Bezug auf den RB: ich denke, dass genau in der juristischen
Sekunde vor Ausfertigung der RB-Akte die daran beteiligten Territorien im Verhältnis zum
„Gesamtstaat“ HHR einen Teilstaat (in Gründung) dargestellt haben.
Und da setzt – wie gesagt – meine eigentliche Überlegung an: wie kann ein abtrünniger (Teil-)Staat
dem verbleibenden (ursprünglichen) Gesamt- oder (je nach Größe) Rest-Staat die Souveränität
absprechen ?

Diese Überlegung bezieht sich nämlich nicht nur auf den konkreten Vorgang Juli/August 1806
bezügl. HHR, sondern auch, um jetzt einen moderneren Begriff einzuführen, auf die
völkerrechtliche Bewertung späterer Autonomiebestrebungen in Europa und auch der restl. Welt.
Ich möchte nämlich keinen Streit um des Kaisers Bart führen (wahrscheinlich war Franz II. sogar
bartlos, dafür schön gepudert.......), sondern der Frage nachgehen, ob möglicherweise 1806 eine Art
Präzedenzfall geschaffen wurde, der auf spätere (zumindest cum grano salis) vergleichbare
verfassungsrechtl. Zäsuren Anwendung finden kann (nur so als Stichwort: 08.05.45).

Das ist jetzt eine etwas verkürzte Darstellung des Hintergrundes meiner Überlegungen, kann aber
gerne vertieft werden – Götz zum Gruß.
 
a) Wenn im ersten Zitat aus der Beurteilung, das Alte Reich habe (es wird wohl auf den Zeitraum
Juli/Anfang August 1806 abgestellt) de facto nicht mehr existiert, die Ableitung erfolgt, Napoleon
habe (somit) nicht beabsichtigt, die deutsche Kaiserkrone für sich in Anspruch zu nehmen, ist diese
Schlussfolgerung für mich nicht unbedingt zwingend bzw. die einzig zulässige. Aber wie gesagt,
liegt mir die Fundstelle nicht vor, so dass es dort ja eventuell Fußnoten bzw. Nachweise für diese
Behauptung gibt.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal den (Juristen) Otto Kimminich, Dt. VerfG, 1970,
S. 286 (ein ebenfalls relativ leicht zugängliches Fachbuch der Juristerei), bemühen.
Danach habe Napoleon ggü. seinem Onkel, Kardinal Joseph Fesch - genau der, mit dem v. Dalberg
kirchenpolitisch gemauschelt hat, im Februar 1806 sein Bestreben nach dem echten
(karolingischen) Kaisertum geäußert – leider gibt auch Kimminich hierfür keine Fundstelle /
Nachweise an.
Aber besonders interessant finde ich die weiteren Ausführungen des von mir zit. Kimminich auf S.
286: „Diese Hinwendung Frankreichs zur Reichs- und Kaiseridee in einem Augenblick, in dem
Deutschland sich anschickte, dieser Idee den Rücken zu kehren und sich einem nationalstaatlichen
Denken zuzuwennden, widersprach völlig den Lehren der Geschichte.“
Des Weiteren S. 287: „Napoleon hatte das richtige Gespür für die Empfindungen des französischen
Volkes, als er sich zum 'Kaiser der Franzosen' krönte. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, d.h.
Herr des Abendlandes, hätte er wohl als Nachfolger des deutschen Kaisers werden können. Vieles
deutet darauf hin, daß er dieses Ziel erstrebte, ...“
Jetzt mag man diese Formulierungen für „pathetisch“ oder für zu undifferenziert ansehen, aber auch
der Kurerzkanzler v. Dalberg schien wohl versucht zu haben, diese Intention bei Napoleon zu
deuten (vgl. Willoweit, Dt. VerfG., 4. Aufl., 2001, S. 228).
Noch nebenbei bemerkt, habe ich an anderer Stelle auf die Geschichtsklitterung Napoleons im
Zshg. mit dem Merowingerkönig Chlodwig hingewiesen.
Zumindest der bloße Verweis auf die Ausführungen Bernsteins, der eine Absicht Napoleons auf die
deutsche Kaiserkrone ablehnt, überzeugt mich daher nicht unbedingt.
Aber das ist eigentlich gar nicht meine Fragestellung. Mich interessiert (wie bereits gesagt)
vielmehr die verfassungsrechtliche Situation Juli/August 1806 und in der unmittelbaren Folgezeit.

Zunächst ein paar Worte zu Bernsteins Buch. Es ist seine Dissertation und wurde in der Reihe "Historische Forschungen" als Bd. 84 von Duncker & Humblot veröffentlicht. Es ist sündhaft teuer (74 Euro) und ich bin froh, dass es in meiner Umgebung Menschen gibt, die ein hoher Preis zu Geburts- und Feiertagen nicht abschreckt.

Zur Niederlegung der Krone des HRRDN:

"Der kaiserliche Resignationsakt ging über den Würdenverzicht hinaus. Die Absicht des österreichischen Kaisers war es schließlich, nicht nur die Kaiserkrone niederzulegen, sondern das gesamte Reichssystem aufzulösen. In diesem Sinne gab Franz II. in der vorletzten Passage der Deklaration bekannt: "Wir erklären [...] dass wir das Band, welches uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reiches gebunden hat, als gelöst ansehen [...] und die [...] bis jetzt getragene Kaiserkrone und geführte kaiserliche Regierung, wie hiermit geschieht, niederlegen". Mit dieser Formalität schaffte er das seit Jahrhunderten wacklige politische Konstrukt in einem Zug ab." [1/Seite 117]
In der Fußnote dazu heißt es:
"Dabei verletzte Franz I. die Reichsverfassung, die eine Ratifizierung der kaiserlichen Erklärung im Regensburger Reichstag verlangte." [1/Seite 117]
Damit war das HRRDN formaljuristisch wohl nicht aufgelöst.
Mit Konsequenzen bei den Verhandlungen zum Nordbund:
"Für den Kürfürsten (Friedrich August III.), den Verfechter des Ancien Régime, war die offizielle Reichsauflösung gegenstandslos, weil die Bekanntmachung des römisch-deutschen Kaisers vom Regensburger Reichstag nicht ratifiziert worden war. Darum kritisierte er zunächst die Bezugnahme auf die Reichsauflösung in der Projektpräambel und verlangte (Art. 2), den Beitritt zum norddeutschen System von einer eventuellen Rangerhöhung abzukoppeln. Kursachsen befürwortete eine provisorische Organisation, solange sie den Reichsrahmen nicht sprengen würde. ... In Dresden registrierte man wohl, dass der Reichsrahmen bereits zersetzt war, aber man wollte dies aus einer Anhänglichkeit an die alten Formen nicht anerkennen." [1/Seite 147]
Die Verhandlungen Preußens mit Sachsen verliefen im Sande ...

Der Reichsgedanke trat dann wieder bei Jena zutage, als Sachsen durch Minister Loß erklärte, "dass das casus foederis gemäß dem alten Erbverbrüderungsvertrag (1614) eingetreten sei" [1/Seite 216] und Sachsen der preußischen Armee 20000 Mann zur Verfügung stellte.

Grüße
excideuil

[1] Bernstein, Amir D.: Von der Balance of Power zur Hegemonie – Ein Beitrag zur europäischen Diplomatiegeschichte zwischen Austerlitz und Jena/Auerstedt, Duncker & Humblot, Berlin, 2006
 
a) Wenn im ersten Zitat aus der Beurteilung, das Alte Reich habe (es wird wohl auf den Zeitraum
Juli/Anfang August 1806 abgestellt) de facto nicht mehr existiert, die Ableitung erfolgt, Napoleon
habe (somit) nicht beabsichtigt, die deutsche Kaiserkrone für sich in Anspruch zu nehmen, ist diese
Schlussfolgerung für mich nicht unbedingt zwingend bzw. die einzig zulässige.

Nun, ich denke, die Übernahme der deutschen Kaiserkrone durch Napoleon widerspricht jeder politischen napoleonischen Logik.
Napoleon war Kaiser der Franzosen. Hätte die deutsche Kaiserkrone denn eine Rangerhöhung (im franz. Bürgertum) bedeutet? Oder hätte sie nicht berechtigte Zweifel im franz. Bürgertum über die Mission ihres Kaisers wecken müssen?
Betrachtet man N. Außenpolitik, dann wird nur ein roter Faden deutlich: der Krieg gegen England. Das Lager von Boulogne musste abgebrochen werden, die franz. Flotte wurde vernichtet. Da der Krieg gegen England nicht direkt zu gewinnen war, wurde er auf wirtschaftliches Gebiet verlegt, erreichte seinen Höhepunkt in der Ausrufung des Kontinentalsystems 1806. Schon allein darin zeigt sich, dass die Ambitionen des Kaisers nicht auf Deutschland begrenzt sein konnten. Sein Feldzug in Ägypten, seine Pläne bezüglich Indien zeigen, dass sein Anspruch universeller war, als der seiner Vorbilder. Und so muss man wohl konstatieren, dass seine Forderung zur Auflösung des HRRDN nur dem Zweck diente, die Teile des Reiches in welcher Form auch immer in sein (neues) System zu integrieren.

Grüße
excideuil
 
...die vorgebrachten Argumente sind mit Sicherheit nicht abwegig, aber ich halte zunächst wenig
davon, zwischen rein-juristisch und rein-historisch fein säuberlich trennen zu wollen.
Ich glaube, das wird praktisch so nicht funktionieren (ob es rein-wissenschaftlich sinnvoll sein mag,
sei hier dahingestellt).

...

@Götz

Natürlich konnte 1806 niemand die Deutsche Bundesakte voraussehen. Aber oft "hinkt" das Staatsrecht den tatsächlichen historischen Gegebenheiten hinterher, das ist bis heute so. So besteht das Deutsche Reich fort, kann aber mangels "Organe" sich nicht staatsrechtlich artikulieren.

Vergl. z.B.:

DFR - BVerfGE 36, 1 - Grundlagenvertrag

Das Bundesverfassungsgericht

Eine desaströse rechtshistorische Situation, das Deutsche Reich besteht fort, hat aber keine "Organe", ergo kann es nicht handeln, die Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches, die BRD, verstößt aber offensichtlich hin und wieder gegen die Rechtsnachfolge, das Bundesverfassungsgericht goutiert dieses; eine abstruse und absurde Situation aus der Sicht eines Historikers. Aber das ist ein Thema, aus dem rechtshistorische Dissertationen erwachsen.

Back.

Mit der Unterschrift unter der Rheinbundakte, erkannten die Teilnehmer des Rheinbundes an, daß das HRR offensichtlich erloschen war und begaben sich unter ein französisches Protektorat (Garantiemacht), z.B. Artikel 12.

Aus staatsrechtlicher Sicht wäre das, hätte das HRR weiterbestanden, einfach mal Hochverrat. Aber es gab offenbar keinen Kläger, das Reichskammergericht war ja auch perdu. Im materiellen Rechtssinn, war das HRR offensichtlich für alle handelnden Beteiligten erloschen. Mir ist, was nichts heißen muß, auch keine rechtshistorische Diskussion bekannt, die im 19. Jh. ff. die auf die Fortexistenz des HRR abstellt.

M.
 
Hallo Melchior,
genau die Frage der Übertragbarkeit bzw. Vergleichbarkeit mit späteren Zusammenbrüchen o.
Umstürzen hat bei mir die Überlegungen zur „Rechtsnatur“ des politischen Handelns der
Beteiligten vom Sommer 1806 ausgelöst.
Wie gesagt „cum grano salis“ auch auf die Situation im Mai 1945 bezogen; die in der
staatsrechtlichen Literatur zur Frage des Fortbestands des „Dt. Reiches“ (in welchen Grenzen auch
immer – theoretisch also dieselbe Frage wie beim HRR im Sommer 1806 - ob das Datum 31.12.37
haltbar ist, sei ebenfalls dahingestellt) vertretenen Ansichten sind da schon durchaus kontrovers
(gewesen).

Aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen „Sach- und Rechtslage“ - sprich 03.10.90 – hat auch
diese Frage keinen wirklich aktuellen Bezug mehr; außer man würde aus fragwürdigen Motiven
ganz abstruse „Mindermeinungen“ vertreten.
Aber ganz so letztverbindlich ist die zit. Entscheidung des BVerfG meiner Meinung nach nicht; sie
diente vornehmlich der „politischen Flurbereinigung“, soll heißen um die Fronten in der Debatte um
die Ostpolitik der Brandt-Regierung zu begradigen (oder die Wogen zu glätten).
Insoweit verdient das Urteil zum GrundlagenV auch Zustimmung; von der abstrusen und absurden
Situation (zumindest in Teilbereichen) nicht nur aus Sicht des Historikers, sondern auch des
(Verfassungs-)Juristen oder auch Außenpolitikers ganz abgesehen (volle Zustimmung).

Zu der jetzt wieder mehr rein-historisch zu betrachtenden Frage nach dem Hochverrat
(Staatsstreich): diesen Vorwurf müssten sich seit der 2. Hälfte des 18. Jhdts. in der Tat einige der
„Landesfürsten“ gefallen lassen. Logisch, dass dieses Thema (stillschweigend im breiten Konsens)
„totgeschwiegen“ wurde. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die „zuständigen akademischen
Fachbereiche“ eine offen geführte Diskussion derartiger Fragen ohne tiefgreifende Nachteile
überstanden hätten, s. „Göttinger Sieben“.
Und wer hat am Ende politisch das Rennen gemacht (1866, 1871) ? Richtig: Preußen.

Weder Hegel als Philosoph noch von Savigny als Jurist hätten ihre Karriere an der Berliner Uni
starten und fortsetzen können, wären entsprechende Diskussionen von ihnen ausgegangen; da ist es
schon einfacher in gestelzten Worten über historisch-konkrete Sittlichkeit zu befinden oder die
historische Rechtsschule zu eröffnen (Ironie-Modus beendet).
Mit anderen Worten, wer hätte denn im 19. Jhdt. derartige Diskussionen führen sollen ?
Ach ja, der breiten Masse des Volkes ging es sowieso am Arsch vorbei – Götz zum Gruß !
 
Nun, ich denke, die Übernahme der deutschen Kaiserkrone durch Napoleon widerspricht jeder politischen napoleonischen Logik.
Napoleon war Kaiser der Franzosen. Hätte die deutsche Kaiserkrone denn eine Rangerhöhung (im franz. Bürgertum) bedeutet? Oder hätte sie nicht berechtigte Zweifel im franz. Bürgertum über die Mission ihres Kaisers wecken müssen?
Betrachtet man N. Außenpolitik, dann wird nur ein roter Faden deutlich: der Krieg gegen England. Das Lager von Boulogne musste abgebrochen werden, die franz. Flotte wurde vernichtet. Da der Krieg gegen England nicht direkt zu gewinnen war, wurde er auf wirtschaftliches Gebiet verlegt, erreichte seinen Höhepunkt in der Ausrufung des Kontinentalsystems 1806. Schon allein darin zeigt sich, dass die Ambitionen des Kaisers nicht auf Deutschland begrenzt sein konnten. Sein Feldzug in Ägypten, seine Pläne bezüglich Indien zeigen, dass sein Anspruch universeller war, als der seiner Vorbilder. Und so muss man wohl konstatieren, dass seine Forderung zur Auflösung des HRRDN nur dem Zweck diente, die Teile des Reiches in welcher Form auch immer in sein (neues) System zu integrieren.

Grüße
excideuil


Die vorgebrachten Argumente sind mit Sicherheit grundsätzlich stichhaltig, zumindest isoliert
betrachtet.
Weiterhin kann ich mich ja auch nur auf die Redlichkeit des von mir zit. Autors Kimminich
verlassen, der von entsprechenden Äußerungen Napoleons im Verwandtenkreis zum Thema
„Interesse am echten Kaisertum“ (und das ist nun mal das des Alten Reiches) berichtet.
Es ist ja durchaus denkbar, dass öffentliche und private Äußerungen Napoleons zu dieser Frage
auseinanderfallen.

In diesem Zshg. möchte ich auf das im Forum parallel behandelte Thema „Napoleon wollte Kaiser
des HRRDN werden ?“ hinweisen, dort u.a. Beitrag # 2 v. Rovere.
Außerdem sehe ich da keinen echten Widerspruch zu dem angesprochenen „roten Faden“
napoleonischer Außenpolitik.

Gesetzt den Fall, N. wäre es gelungen, formal wirksam die Kaiserwürde des HRR zu erlangen,
was für hitzige und trotzdem kultivierte Beiträge im Plenum des Reichstags wären zwischen N. und
dem Kurfürsten v. Hannover zu erwarten gewesen.......
Jetzt im Ernst: N. hätte diese Bühne bestimmt doch sehr gut zu nutzen gewusst.
Da bekanntlich die Geschichte einen anderen Verlauf genommen hat, ist dieser Aspekt unter dem
Strich dann doch nicht ganz so entscheidend.

Eigentlich wollte ich mit meinem Erstbeitrag (# 20) in Ergänzung zum Beitrag v. jschmidt ja auch
nur darauf hinweisen, dass eben nicht nur der schwedische König gegen das Vorgehen Franz II.
Protest eingelegt hat (daher dann auch die von mir angebrachten Zitate).
Die sich nun anschließende Diskussion hat das Thema doch mit Sicherheit befruchtet (allein schon
wegen der zusätzlichen Literaturhinweise, noch einmal Danke) – Götz zum Gruß !
 
Der Knackpunkt war, dass die Lehensnehmer, also die übrigen Reichsfürsten, rechtlich ohnehin keine Legitimation hatten, aus dem Reich auszutreten. Das Reich war ja kein lockerer Staatenbund, sondern war eben auch den Gesetzmäßigkeiten des Lehenswesens unterworfen.


Interessanter und auch formal-rechtlich beachtlicher Gesichtspunkt; aber glaubt wer, dass hätte gerade einen Habsburger interessiert ?
Götz zum Gruß
 
Interessanter und auch formal-rechtlich beachtlicher Gesichtspunkt; aber glaubt wer, dass hätte gerade einen Habsburger interessiert ?
Götz zum Gruß
Hm, wenn sie es nutzen konnten (siehe Einzug der Ortenau nach Ausssterben der katholischen Linie in Baden), interessierte es sie freilich schon.
Generell finde ich, dass es zumindest ein bisschen bemerkenswert ist, dass Monarchien, und nichts anderes waren die Rheinbundstaaten i.d.R., das Lehensprinzip durch diesen Schritt unterwanderten. Ein paar Jahrhunderte zuvor hätte man vielleicht noch realisiert, dass sich die Untertanen/Lehensnehmer der Reichsfürsten ja durch sowas inspiriert unter Umständen auch nicht mehr an ihre Verpflichtungen erinnern mussten.
 
Hm, wenn sie es nutzen konnten (siehe Einzug der Ortenau nach Ausssterben der katholischen Linie in Baden), interessierte es sie freilich schon.
Generell finde ich, dass es zumindest ein bisschen bemerkenswert ist, dass Monarchien, und nichts anderes waren die Rheinbundstaaten i.d.R., das Lehensprinzip durch diesen Schritt unterwanderten. Ein paar Jahrhunderte zuvor hätte man vielleicht noch realisiert, dass sich die Untertanen/Lehensnehmer der Reichsfürsten ja durch sowas inspiriert unter Umständen auch nicht mehr an ihre Verpflichtungen erinnern mussten.


Mein kurzer Einwurf war auch eher „frivol-ketzerisch“ gemeint.
Und zwar auf folgendem Hintergrund:

Bin jetzt mit Sicherheit kein ausgewiesener Experte in Fragen des Lehnswesens.
Aber dies hat sich doch im Wesentlichen ab dem 9./10. Jhdt. als Reaktion auf das zuvor als
unpraktikabel erkannte fränkische Erbrecht entwickelt.
Das heißt, die eigentlichen Grundlagen des Lehensprinzips liegen weit vor der „künstlichen“
Gründung des Herzogtums Österreich (als Piefke nehme ich mir jetzt mal die Freiheit zu lästern).
Im Prinzip war der Babenberger Markgraf nur ein „Kriegsgewinnler“ in den Tagen des Jahres 1156
und kein aus tiefstem Herzen überzeugter Anhänger dieses „politischen Systems“.

Warum sollten dann 650 Jahre später die damaligen Habsburger geläutert sein ?
Wäre es im Zshg. mit dem Lehensprinzip nicht sogar aufrichtiger und würde für mehr Transparenz
sorgen (gerade auch im Hinblick auf die formal-juristische Bewertung der Ereignisse im Sommer 1806), wenn man nicht schon 1648 das damals knapp 700 Jahre alte Lehensprinzip „zu Grabe trägt“ ???

Die ursprünglichen Strukturen und der „Geist“ dieses Prinzips dürften damals auch nicht mehr das
Papier wert gewesen sein, auf dem die Regelungen des Westf. Friedens geschrieben wurden.

Als Anregung gedacht – Götz zum Gruß !
 
@Götz

"...wenn man nicht schon 1648 das damals knapp 700 Jahre alte Lehensprinzip „zu Grabe trägt“ ???..."

Was wäre dann mit den geistlichen Reichsständen passiert, insbesondere den katholischen; die hatten keine Kids, jedenfalls keine legitimen, irgendwie war jedenfalls bis 1803, das Lehnsrecht für die geistlichen Reichsstände nicht ganz unwichtig.

M.
 
@ Melchior:


Als ursprünglich gelernter aber (dank der KiSt.-Belastung in der BRD) inzwischen ausgetretener
Protestant würde ich in Bezug auf die geistlichen Kurfürsten (deren Territorium ja wegen des
umstrittenen „geistlichen Vorbehalts“ altgläubig bleiben musste/sollte) sagen: Pech gehabt, Arsch
abgewischt und ab dafür !

Denn (und jetzt wieder „seriös“) im Gegensatz zur Blütezeit des Lehenswesens (also 12./13. Jhdt.)
hatte die römische Kurie doch machtpolitisch keinen wirklichen Einfluss mehr auf die
tagespolitischen Querelen und taktischen Spielchen während der Verhandlungen zum Westf.
Frieden.
Glaubt einer, der Franzose hätte dem Römer den Marschalldienst geleistet oder gar die Schweden
hätten eine ähnliche Einflussmöglichkeit Roms wie im Hochmittelalter akzeptiert ???
Ich zumindest kann mir das nicht vorstellen; ergo was hätte denn auf Seiten der geistlichen
Reichsstände ein Protest gegen die tatsächliche Auflösung des 1648 nur noch auf dem Papier
existierenden Lehnswesens genutzt ???

Dass 1648 eine echte Zäsur dargestellt hat, dürfte wohl unbestritten sein – aber was ist denn
letztlich dabei rausgekommen ?
Das „konfessionelle Ergebnis“ hat lediglich die Positionen v. 1555 bestätigt (gut die Calvinisten
waren jetzt mit im Boot – tolle Leistung für 30 J. Krieg).
„Territorial“ war das HRR schlechter aufgestellt und „verfassungsrechtlich“ (was ja mein
eigentliches Anliegen ist) gab es das „Monstrum“ (v. Pufendorf).
Und da bei „Wegfall“ der geistlichen Kurfürsten (und erst Recht der niederen Pfaffen) als
„Reichsstände“ (weil nur darum wäre es ja gegangen) diese natürlich bettelarm geworden wären;
klar – man hatte ja keine Rücklagen gebildet (vielleicht liegts ja am Feiertag: aber heute lässt sich
mein Ironie-Modus nicht ausschalten), wären doch findige Juristen bereits 1648 auf ähnliche
Ausgleichsmaßnahmen wie anlässlich der RHD gekommen.
Denn welchen konsruktiven Einfluss hatten die geistlichen Stände noch bis 1806 ? Auf die
Machtpolitik zwischen 1648 u. 1806 keinen echten; das wurde ja wohl ausschließlich von den
großen Landesherren und dem Ausland bestimmt.

Also wem hätte es damals geschadet, das wahrscheinlich schon 1500 überholte (alte) Lehnswesen
auch offiziell ad acta zu legen und sich 1648 eine „modernere“ Variante zur Begründung eines
Staatswesens in der Mitte Europas zu überlegen ?
Schade dass der Schwedenkönig die Verhandlungen zum Westf. Frieden nicht mehr erlebt hat, so
dass alles Weitere Spekulation oder Wunschträumerei bleibt.
Noch eine schönen Restfeiertag – Götz zum Gruß !
 
Das ist eben eines der Probleme. Vor welchen Reichstag hätte die Niederlegung der Krone denn gehört? Schon zum Zeitpunkt der Verkündigung der Niederlegung war ein Großteil der Gesandten der Reichsstände vom Reichstag abgereist.


Wg. der Vikarsstellung v. Kursachsen: Leipzig; wäre historisch und logisch naheliegend.
Ist aber bekanntlich reine Theorie....
 
„Kurzer Einschub“:

Viele der zuletzt angesprochenen Details (oft nur oberflächlich angekratzt) haben jetzt natürlich
nichts mehr mit dem Eingangsbeitrag des Themenstarters zu tun.
Sofern dieser überhaupt noch den weiteren Verlauf verfolgt hat (sind ja bereits 3,5 Jahre her), wird
er sich wohl auch fragen, was sich alles aus seiner Fragestellung „entwickelt“ hat.
Wäre wohl geschickter, wenn einige der grundsätzlicheren Fragen separat verfolgt würden (außer
den Moderatoren wäre eine solch vielfältige Diskussion nicht unrecht – halt auf die Gefahr, dass
man sich „verzettelt“).

Da es ja ursprünglich um die „Abdankung“ von Franz Zwo ging und ich mir aus grundsätzlicheren
Überlegungen die Frage nach der verfassungsrechtlichen Wirksamkeit (Legitimität) seines Schrittes
vom 06.08.1806 gestellt habe (bzw. der gesamten Vorgänge im Sommer d.J.), würde ich gerne ein
kurzes Fazit zur „juristischen“ Seite des Gesamtkomplexes ziehen wollen:

1) Sowohl die maßgeblichen Beteiligten an der RB-Gründung (Juli 06) als auch die Reaktion des
Kaisers verstießen gegen damals geltendes Reichs- bzw. Verfassungsrecht (auf welchen historischen
Grundlagen dieses auch immer gestanden haben mag). Formal betrachtet waren alle damaligen
Vorgänge und Maßnahmen somit rechtswidrig.

2) Franz Zwo hat darüber hinaus auch noch „einfachgesetzlich“ gegen seine eigene
Wahlkapitulation v. 1792 verstoßen (in der er sich verpflichtet hatte, den Bestand des Reiches zu
schützen bzw. verlorene Gebiete „dem Reiche wiederzuverschaffen“ zit. nach Hermann Conrad, Dt.
Rechtsgeschichte, 2. Bd., 1966, S. 111).

3) Die Frage nach den Gründen hierfür zu stellen, würde sicherlich den Rahmen üblicher
Forenbeiträge sprengen; wahrscheinlich wird man aber aufgrund der politischen Entwicklungen
nach 1815 annehmen können, dass zumindest die beschriebenen Rechtsverstöße aufgrund
(vielleicht auch nur stillschweigender) Übereinkunft der in Wien versammelten Staatsmänner
gleichsam konkludent geheilt wurden – Schuldzuweisungen unterblieben u.U. deshalb, weil man
sich an den Spruch erinnerte, wer im Glashaus sitzt....

4) Für meine (wenn man so will) isolierte verfassungsrechtliche Fragestellung, bliebe höchstens zu
klären, ob man die Vorgänge im Sommer 1806 nicht doch als eine Art Präzedenzfall ansehen kann;
was aber nichts mehr mit dem eigentlichen Gegenstand des Themenstarters zu tun haben dürfte.
Einen schönen Brückentag – Götz zum Gruß.
 
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