Man war im Mittelalter nicht dumm und war sich des Problems, welches die Folter mit sich brachte, vollauf bewusst und berücksichtigte dies, indem man sie regulierte. Es bringt allerdings nichts, dies ausschließlich aus heutiger Perspektive zu beurteilen. Um das Inquisitionsverfahren nicht nur zu verurteilen, sondern auch zu verstehen, muss man einiges wissen.
In einem ordnungsgemäßen Untersuchungsverfahren wurde zunächst befragt, dann wurden, wenn man dem Angeklagten nicht glaubte, die Instrumente gezeigt, wenn er dann immer noch nicht gestand, kam es zur peinlichen Befragung, ergo Folter. Gefoltert werden durfte nur ein Mal. Nach der Folter musste der Delinquent das Geständnis wiederholen. Wenn er es widerrief, durfte er nicht erneut gefoltert werden. Der Scharfrichter, der auch für die Folter zuständig war, hatte dafür zu sorgen, dass der Delinquent a) bei Bewusstsein blieb (sonst konnte man ihn nicht befragen) und b), dass er keine bleibenden Schäden davontrug (von Psychologie, und dass Schäden nicht nur körperlich sein könnten, hatte man damals keine Ahnung). Es galt nämlich mit der Einführung des Inquisitionsverfahrens die Unschuldsvermutung. Allerdings hatte man außer der Folter kein Instrumentarium, die Wahrheit herauszufinden. Nicht umsonst sind aus dem SpätMA Beschwerden von Badern und Ärzten erhalten, die gegen die Scharfrichter gerichtet waren, die Nachts heimlich Patienten behandelten. Die Scharfrichter hatten nämlich aufgrund ihrer Praxis in der Wundversorgung mehr Kenntnisse, als die eigentlichen Ärzte und die Menschen wussten das (allerdings waren Scharfrichter Unehrliche, mit denen man eigentlich nicht verkehrte).
Also: Die Folter - aus heutiger Sicht selbstverständlich zu verurteilen - war gegenüber dem willkürlichen Gottesurteil ein Fortschritt, die Angeklagten erhielten erstmals Rechte! Körperliche Schäden wusste ein guter Scharfrichter schon aus eigenem Interesse zu vermeiden. Ein Gottesurteil dagegen endete immer tödlich. Man muss betrachten, was vorher war, nicht was heute ist. Fingerabdruck und DNA-Vergleich kannte man noch nicht. Nach mittelalterlichem Verständnis war auch eine Zeugenaussage nur dann möglich, wenn der Zeuge den Tatvorgang auch wirklich gesehen hatte.
Nehmen wir an, ein mittelalterlicher Zeuge sah zwei Personen in einen Raum gehen, heraus kommt eine Person, die zweite Person wird bestialisch zugerichtet tot im Raum aufgefunden, Türen und Fenster gab es nicht.
Heute würde man sagen: Klarer Fall, Person A hat Person B getötet. Das war im Mittelalter nicht so. Da galt, das Person A und Person B zwar gemeinsam in den Raum hineingingen, aber was dann in dem Raum passierte, hatte ja niemand gesehen.
Im Gottesurteil musste Person A nun ihre Unschuld durch einen Kampf oder eine Probe beweisen. Im Inquisitionsprozess wurde Person A befragt und ggf. gefoltert (die Folterung war eine Eskalationsstufe des Untersuchungsverfahrens, sie wurde nicht zwingend angewendet), um herauszufinden, ob Person A, Person B getötet hatte. Denn für das Mittelalter war auch die Möglichkeit real, dass der Teufel selbst, der eben nicht an die Gesetze der Physik gebunden war, für den Zustand von Person B verantwortlich war, ohne das Person A etwas damit zu tun hatte.