Ritualisierte Kriegsführung

Reinecke

Aktives Mitglied
Hallo,

bei meiner Beschäftigung mit der Militärhistorik ist mir folgendes immer wieder aufgefallen: In manchen Zeiten scheint sich das Kriegswesen einer Epoche/Kultur in festgelegten Bahnen zu bewegen; es nahm fast den Charakter eines Rituals an, in dem jeder eine festgelegte Rolle oder Funktion ausübte, auch wenn der Ausgang natürlich offen blieb. Wenn es nicht um Krieg ginge wäre ich fast versucht, es mit einem sportlichen Wettkampf zu vergleichen...

Ich möchte an ein paar Beispielen erläutern, was ich meine:

Den Begriff „ritualisiert“ habe ich im Forum kürzlich im Zusammenhang mit der klassisch-griechischen Phalanx verwandt (Danke nachträglich für den Grünen in dem Zusammenhang... ;)). Das Buch „Die Kriege der griechischen Antike“* macht das an sieben Punkten fest, die tatsächlich lange Zeit über das militärische Geschehen in großen Teilen Hellas' dominierten:

*Hrsg Joachim Hack; teilweise interessant, aber mE nicht unbedingt zu empfehlen, außer in diesem Punkt; und die miese Sicht auf Alexander ist interessant...

1. Formelle Kriegserklärungen, Waffenruhen und Verträge

2. Religiöse Rituale, Opfer u.ä. Vor dem direkten Aufeinandertreffen

3. Kampfhandlungen sind auf Frühjahr und Sommer und Tageslichtzeiten beschränkt

4. Schnelle Beendigung des Tötens nach Entscheid der Schlacht; lange Verfolgungen waren unüblich. Während der Schlacht bot der große Schild, der Helm und der Panzer einen hinlänglichen Schutz, so dass die Zahl der Toten und Verweundeten recht niedrig gelegen haben dürfte.

5. Vereinbarung über die Gefallenen; auch den Besiegten wurden normalerweise erlaubt, ihre Toten zu bergen, ohne dass diese geschändet wurden; die Bitte, dies tun zu drüfen, galt auch als Eingeständnis in die eigene Niederlage.

7. Begrenzung der Technik; lange Zeit dominierten die Hopliten als schwere, in der Phalanx fechtende Infantrie das Kriegsgeschehen alleine; effektive Leichtbewaffnete gab es vor dem 5. Jh. praktisch gar nicht, Reiter dienten nur zur Aufklärung. Damit blieben die Kampfhandlungen vornehmlich auf das Zusammentreffen der beiden Phalangen beschränkt.

Solange alle Beteiligten sich diesen „Regeln“ unterwarfen war es möglich, dass Krieg eine nahezu alltäglich Sache war und durchaus als das Mittel der Wahl begriffen wurde, um Meinungsverschiedenheiten oder Landstreitigkeiten zwischen zwei oder mehreren poleis zu entscheiden, ohne dass dies regelmäßig zur Verheerung weiter Landstriche oder zum Tod unzähliger Menschen geführt hätte. In dieser Hinsicht scheint mit dem Aufstieg Athens seit den Perserkriegen und v.a. dem peloponnesischen Krieg eine eklatante Brutalisierung des Kriegsgeschehens eingetreten zu sein.

Das zweite Beispiel stammt aus einer völlig anderen Zeit, anderen Kultur und anderem Kontinent: Die Stämme der Bantu bzw Nguni, die im 18. Jh. im südöstlichen Afrika lebten, betrieben nach allem, was ich darüber herausfinden konnten, ebenfalls eine stark ritualisierte Kriegsführung. Hierbei spielten Wurfspeere, entstanden aus Jagdwaffen, eine große Rolle; Zweikämpfe zwischen führenden Persönlichkeiten scheint es öfters gegeben zu haben, aber direkte Nahkämpfe mit vielen Beteiligten (und Opfern) waren sehr selten. Damit einher geht aber wieder die „Normalität“ des Krieges: Er scheint recht oft geführt worden zu sein.

Auch hier setzt übrigens später eine erhebliche Brutalisierung ein; hierfür einfach nach Mfecane oder Shaka googeln...

Als drittes Beispiel möchte ich die gleiche Zeit in Europa anführen: Die sog. Lineartaktik. Diese ist im Gegensatz zu Bsp 1 und 2 hervorragend belegt und untersucht, evtl erhellt dass (über 2.500 Jahre oder 25.000 km hinweg) etwas.

Auch in Europa wurde im 18. Jh. der Krieg nach „Regeln“ geführt, die von der zur Verfügung stehenden Bewaffnung und der gesellschaftlichen Situation bedingt waren; Schlachten liefen nach einem fest eintrainierten Schema ab, an dem schon geringe Veränderungen (Friedrichs schiefe Schlachtreihe bspw) „revolutionär“ wirkten. Der „kleine Krieg“ abseits des Schlachtfeldes nahm zwar eine gewisse Rolle ein, aber selten eine wirklich kriegsentscheidende.

Auch damals spielten Verträge, Kriegserklärungen etc. eine große Rolle: Der Hof bzw die Regierungen bestimmte, wann sich wo welche Truppen schlugen, und diese stellen die Kampfhandlungen ein, wenn die Regierungen sich einig wurden; der Kabinettkrieg ist wohl das Schlagwort. Und auch im 18. Jh. wurde Krieg vorwiegend in der warmen Jahreszeit und tagsüber geführt. Dank der Notwendigkeit, die stehenden Heere zu versorgen (und wenig Anlass/Möglichkeit zur Desertion zu nutzen), und dem daraus resultierenden Magazinal-System war auch die „Restbevölkerung“ weniger betroffen als bei Kämpfen zwischen Armeen, die sich „aus dem Land heraus“ versorgen müssen.

Ein großer Unterschied ist, dass die mit der Lineartaktik geschlagenen Schlachten alles andere als unblutig waren. Dennoch wurde im 18. Jh. recht häufig Krieg geführt, und nur selten führte dies zu Zerstörung und Verelendung, wie sie andere Jahrhunderte prägten; am ehesten trifft das noch auf die Gebieten zu, die Friedrich im 7-jährigen Krieg bis aufs Blut aussaugte, um eben diesen zu finanzieren...

Auch die Epoche der Lineartaktik endete übrigens mit einem „großen Clash“, der alle althergebrachten militärischen Regeln, Gepflogenheiten und Erkenntnisse auslöschte, zusammen mit der alten politischen Ordnung und mal wieder ungezählten Menschenleben.

Soweit erst mal; zu was all diese Gedanken führen weiß ich selbst noch nicht, eine Pointe oder Hauptaussage gibt’s daher auch nicht. Interessant finde ich, inwieweit sich hier soziale Voraussetzungen und militärische Notwendigkeit gegenseitig beeinflussen, um eine gewisse „Bändigung“ des Krieges zu erreichen... und wie dann veränderte Voraussetzungen und Notwendigkeiten diese nachhaltig zerstören.

So long fürs erste

Reinecke
 
Sehr interessanter Thread, erstmal Danke dafür, ich hätte allerdings zu Punkt 1 direkt eine Frage:

Wie sah diese formelle Kriegserklärung aus? War diese auch ritualisiert und von festgelegten Formen geprägt wie in der römischen Republik? Oder auch die Kriegserklärungen die Augustus propagandistisch/religiös gefärbt in Szene setzte?
 
Kann ich leider nicht im Detail sagen; es war mWn üblich, formell per Boten den Krieg zu erklären, sobald sich die entsprechenden Gremien der polis dazu entschlossen bzw dafür gestimmt hatten. Ich gehe davon aus, dass es hierbei irgendwelche religiösen Vorschriften oder Gepflogenheiten gab, kann aber auf die schnelle nicht mit Einzelheiten dienen.

Interessant hierbei, dass auch noch nach einer solchen Kriegserklärung verhandelt wurde, sei es per Parlamentär, sei es über neutrale Dritte. Auch gab es eine Art "diplomatische Vertretungen" in Form von "Gastfreundschaften": Ein Bürger der polis X, der (warum auch immer) gute Beziehungen zur polis Y hatte, wurde von der Yner Bürgerschaft damit beauftragt, ihre Interessen in X wahrzunehmen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Griechische Gepflogenheiten und römische Vorherrschaft

Dieser Thread ist ein sehr schönes "Fass", das aufgemacht worden ist. So schön gegliedert lässt sich diese Vorlage fast nicht beibehalten. Bleibt mir nur als Schlagwort, die "ritterlichen Schlachten" des Mittelalters zu nennen, deren schön eingeschliffenen Formenwege durch die Schweizer etwa blutig beendet wurden. Auch die bekannten Reaktionen auf englische Langbogenschützen fallen m.E. in diesen Bereich. (Hoffentlich habe ich nicht einem methodischeren Beitrag die Suppe damit versalzen?)

Interessant hierbei, dass auch noch nach einer solchen Kriegserklärung verhandelt wurde, sei es per Parlamentär, sei es über neutrale Dritte. Auch gab es eine Art "diplomatische Vertretungen" in Form von "Gastfreundschaften": Ein Bürger der polis X, der (warum auch immer) gute Beziehungen zur polis Y hatte, wurde von der Yner Bürgerschaft damit beauftragt, ihre Interessen in X wahrzunehmen.

Sehr richtig. Diese Form der "Schlichtung" von Konflikten schliff sich bei den Griechen sehr tief ein - solange es um Konflikte zwischen "zivilisierten und anerkannten Gegnern handelte" (also vor allem unter Griechen). Im Laufe der römischen Expansion trugen immer mehr griechische Gemeinschaften ihre Anliegen dieser Art an römische Repräsentanten heran, ohne zu bedenken, dass die Römer nicht so relativ "selbstlos" bleiben würden wie unter Griechen üblich, sondern daraus dauerhafte Klientelverhältnisse ableiteten. Das wurde den Griechen wohl sehr lange nicht bewusst...!
Es wurde wichtig einflussreiche römische Patrone zu gewinnen, die genug Einfluss auf die römisch-republikanische Politik nehmen konnten.

Es finden sich aus dieser Zeit sehr viele, meist sehr abfällige Äußerungen römischer Großer über die bei ihnen angeblich "Schlange stehenden", griechischen Gesandten, die sie als Bittsteller und Klienten betrachteten. Ihr Engagement ließen sich die römischen Patrone nachhaltig bezahlen und glaubten danach ein Anrecht darauf zu haben fortan alleiniger Vertreter einer solchen griechischen Polis zu werden. Das sollte einige Irritationen auf beiden Seiten verursachen. Zumal Rom "gebrochene Klientelverhältnisse" teils sehr hart bestrafte. Schon eine eigene "Meinung" konnte ausreichen zu strafen. Als der alte Bundesgenosse Rhodos sich eines Tages wagte als Vermittler für Konflikte im römischen Bereich aufzutreten, verlor es im Anschluss seine vorher bedeutende Rolle im östlichen Mittelmeer. Das Fehlen der traditionell gewordenen, rhodischen Flottendominanz dort ermöglichte erst den dramatischen Anstieg der Piraterie dort, welcher schließlich Pompejus ein Ende bereiten sollte.

Als guter Klientelfürst erwies sich Herodes der Große von Judäa gegenüber Marc Anton und später Kaiser Augustus: Sehr schön nachzulesen im "Judäischen Krieg" des Flavius Josephus. Selbst Familienangelegenheiten oder Nachfolgeregelungen trug er an Augustus heran und ließ sie bestätigen... Immerhin hatte Herodes einiges an "Verschleiß" innerhalb seiner Familie. Auch sein Wechsel aus dem Lager des Marc Anton in jenes von Octavian/Augustus während des Bürgerkrieges war geradezu "Mustergültig"... Aber ich schweife zu sehr ab. Das wird Reineckes schönem Thread nicht gerecht.
 
Interessanterweise lassen sich Tendenzen zu einer solch ritualisierten Kriegsführung auch im römischen Militärwesen finden, wobei die Praxis spätestens ab Marius, mE aber schon weit früher viel mehr von Effizienzdenken geprägt war. Zumindest solange Rom ein Stadtstaat unter vielen war und sich, ähnlich wie die gr. poleis, häufig im Kriegszustand befand, ist es auch naheliegend, dass es ähnliche Phänomene gab; zumal das etruskische Militärwesen sehr stark vom klassisch-griechischen beeinflusst worden war, bis hin zur Übernahme von Aspis und gr. Phalanx. Ebenso spricht auch die römisch-republikanische Manipulartaktik dafür, dass das römische Militär ein Phase durchmachte, die von häufigen, im Prinzip imemr gleich ablaufenden Gefechten gekennzeichnet war.

Ein konkretes Beispiel, bei dem die Römer von vergleichsweise milden Verhaltensweisen profitierten, die sie (zumindest später) so eher nicht an den Tag legten: Die Niederlage gegen die Samniten bei den Caudinischen Pässen; diese endete damit, dass das geschlagene römische Heer unter einem Joch aus Speeren hindurchgehen musste; beschämend und ein offenes Eingeständnis, besiegt worden zu sein, aber nicht dass, was römische Siege späterer Jahrhunderte prägte...
 
Zu mittelalterlicher ritualisierter Kriegführung haben Wissenschaftler um Gerd Althoff geforscht.

Hier wäre auf die Interpretation von Canossa hinzuweisen, aber auch auf die Unterwerfung der sächsischen Großen bei Spier.

Während das Ritual in Canossa wohl noch eingehalten wurde (nicht ohne doch für entsprechende Brüskierungen zu sorgen), war die Gefangennahme der sächsischen Großen ein Versuch, Regelungen überkommener Rituale für eigene Machtzwecke zu nutzen.

Vgl. etwa:

http://de.wikipedia.org/wiki/Sachsenkrieg_(Heinrich_IV.)

Deditio ? Wikipedia
 
Interessanterweise lassen sich Tendenzen zu einer solch ritualisierten Kriegsführung auch im römischen Militärwesen finden, wobei die Praxis spätestens ab Marius, mE aber schon weit früher viel mehr von Effizienzdenken geprägt war.

Ich will nun doch nochmal allgemeiner werden:

Möglicherweise fallen Ritual und Effizienzdenken zusammen? Sprich: "Mach das Effiziente zum Ritual, effiziere das Ritual."

Rituale dürfen schließlich nicht isoliert betrachtet werden, sondern haben ihre Ausstrahlung auf die übrige Gesellschaft (aus der die Rituale auch stammen dürften).

Eine gewagte These wäre, zu behaupten, dass sich ritualisierte Formen von Auseinandersetzungen immer dann ergeben, wenn die entsprechende Gesellschaft kaum von sozialen Veränderungen betroffen ist.
 
Hat eine Weile dauert, sry; ich hab das Thema aber gedanklich noch nicht beendet. :winke:

Ich will nun doch nochmal allgemeiner werden:

Möglicherweise fallen Ritual und Effizienzdenken zusammen? Sprich: "Mach das Effiziente zum Ritual, effiziere das Ritual."

Rituale dürfen schließlich nicht isoliert betrachtet werden, sondern haben ihre Ausstrahlung auf die übrige Gesellschaft (aus der die Rituale auch stammen dürften).

Das ist natürlich richtig. Vielleicht ist einer der Gründe für den Erfolg der Römer dieser Effizienzgedanken, der bis zum Extrem verfolgt wird, der sich über das Militärwesen hinaus auf Logistik, Justiz und andere Felder erstreckt. Allerdings bricht dies mit dem „ritualisierten Krieg“, auf den ich hinaus will: Dieser wird durch solch Denken (meist blutig) beendet, wie ja auch die römische Geschichte bspw in den Punischen Kriegen zeigt, oder wie oben von tejason erwähnt im Zusammentreffen mit griechischen Städten: Das Krieg nicht mit der Vernichtung oder Unterwerfung eines Kontrahenten enden muss, scheint sich den Römern im Gegensatz zu vielen ihrer Feinden nicht erschlossen zu haben...

Eine gewagte These wäre, zu behaupten, dass sich ritualisierte Formen von Auseinandersetzungen immer dann ergeben, wenn die entsprechende Gesellschaft kaum von sozialen Veränderungen betroffen ist.

Das ist tatsächlich ein interessanter Gedanke.

Als Voraussetzung hatte ich mir bisher folgendes gedacht:

Es geht um Rituale, die den von Natur aus gewalttätigen Krieg eindämmen sollen. Dazu gehören eingeschliffene oder von den Umständen begünstigte Verhaltensweise insbesonders der agierenden Militärs, Soldaten, Krieger, Milizionäre, kurz: Kombattanten.

Dazu sollte die Denkweise der beteiligten militärischen Kommandierenden und Mannschaften von einem Kodex geleitet oder durch bestimmte Umstände in diese Bahnen gelenkt werden. Dem käme eine eigene militärische Kaste oder Soldatenstand entgegen. Und tatsächlich kann man den in allen Beispielen erkennen.

Nehmen wir zuerst das Mittelalter, um das ich mich ja im Eingangsbeitrag gedrückte hatte; danke für die Ergänzungen zu dem Thema. Und vielleicht noch die Querverbindung:

http://www.geschichtsforum.de/f48/schlachtlinie-40498/

Dass die Hauptlast der Kämpfe und der Ausgang des Schlachterfolgs im Mittelalter zumeist bei den schweren Panzerreitern lag ist bis zum Siegeszug der Schweizer mE evident; die wenigen Ausnahmen hatten jeweils eigene Ursachen und Einschränkungen, die eine Generalisierung dieser Methoden verhinderten.

Innerhalb dieser militärischen Elite galt tatsächlich ein starker Korpsgeist und Ehrenkodex, der eine „zivilisierende“ Wirkung hatte. Gegenüber anderen Kombattanten galt dieser Kodex nur sehr eingeschränkt (wenn überhaupt), aber von diesen wurde idR auch kein energischer Einsatz im Kampf geleistet oder verlangt. Delbrück weist hierbei interessanterweise auf die Kapitel der Ritterorden; ich müsste nachgucken, auf welchen er sich bezieht, aber in seinem Beispiel wird eindeutig gesagt: Nur der gewappnete Kämpfer muss mit allem Einsatz kämpfen, bis die letzte Fahne gefallen ist, ungewappnete Kämpfer können schon sehr viel früher den „taktischen Rückzug“ antreten...

Auch im antiken Hellas wurde die Phalanx nur von einem bestimmten Teil der Bürgerschaft gestellt: Diesmal ist es nicht der Adel, sondern die Mittelschicht, die als Phalanx die Hauptlast der Kämpfe zu tragen hat. Das Prestige, dass die Phalanx dadurch erlangte, führte dazu, dass in vielen Gefechten auch die Oberschicht, Aristokratie, ja selbst die Könige und Heerführer in die Phalanx eintraten (und dann den Quellen nach in erster Reihe fochten...); die Ruhm der Reiterei, auch hier einmal hochangesehen, war z Zt der Persischen Kriege weitestgehend verblasst.

Dass hier die Mittel- und nicht die Oberschicht diese Rolle einnimmt ist interessant; noch zu Zeiten von Homer war dies anders, wie auch noch in späteren Zeiten in rückständigeren Gegenden wie Thessalien: Hier dominierte noch der adilge Kriger, Streitwagenfahrer oder Reiter. Die Rolle des Hopliten ist mE nur durch die relative weite Verbreitung effektiver Schutzwappen innerhalb der polis-Kultur möglich.

Auch der Hoplit ließ sich idR von einem Helfer begleiten; diese wurden als Leichtbewaffnete eingesetzt, mit Wurfspeeren, Schleudern oder einfach geworfenen Steinen. Allerdings wurde auch und gerade von diesen „Halb-Kombattanten“ wenig erwartet; bei bezahlten Söldner-Spezialisten (rhodische Schleuderer, kretische opder skythische Bogenschützen, thrakische Peltasten), oder später den Leichten Truppen des Isokrates mag das anders ausgesehen haben.

Wie gesagt sind meine Quellen über die Zulus und ihre Vorgänger eher dürftig, aber hier waren es wohl die unverheirateten jungen Männer, die traditionell in „Kriegergemeinschaften“ beisammen lebten und daher eigenes Selbstverständnis bezogen. Da wir oben bei den Römer so sehr das Effizienzdenken betont hatten: Was auch immer militärisch zu der Zeit geschah, als unter der Herrschaft des Zulukönigs Shaka Südafrika neu geordnet bzw größtenteils verheert wurde, dies spielt dabei eine große Rolle. Ich will nicht die simplifizierende Version übernehmen, dass dies einfach eine militärischer Neuerung war, aber irgendwas führte dazu, dass man sich nicht m mehr höflich aus größerer Entfernung mit langen Speeren bewarf, sondern sich mit kurzen Speeren auf kürzeste Distanz abstach.

Zu Zeiten der Lineartaktik gab es ebenfalls einen eigenen Soldatenstand; hier waren der Ehrenkodex und die höhere soziale Position zwar auf den Offiziersstand beschränkt, dafür führte dieser aber auch mit eisernem Ton das Kommando. Diese strikte Trennung von Offiziersstand und Mannschaft ist eines der Dinge, die die stehenden Heere des 18. Jh. auszeichnet. Allerdings führten diese sozialen Umstände auch dazu, dass die Heere des 18. Jh. nicht beliebig eingesetzt werden konnten. Sie waren an Magazine gebunden, und sie waren idR zu wertvoll, um sie (wie in anderen Zeiten) zu „verheizen“; dies führte zu einer eher statischen Schlachtführung und wieder zu einer Konzentration auf eben dieses Schlachtfeld, wobei eine allzu große Belastung der Zivilbevölkerung vermieden wird.

Interessant ist dabei, dass dies neben einer gewissen Einschränkung des Krieges auf das Schlachtfeld bzw dessen Umgebung eine Schonung der Kombattanten gewährleistet; zumindest derer, die irgendwie unter den „Ehrenschutz“ irgendeines Kodex fallen. Dem gr. Hopliten boten seine guten Schutzwaffen Sicherheit und die seltenen energischen Verfolgungen nach einer Niederlage, dem Ritter ebenfalls seine Rüstung und die häufige Möglichkeit, sich durch eine Lösegeld das Leben zu erkaufen. Und die englischen Offizieren waren im am. Unabhängigkeitskrieg recht geschockt, dass da irgendwelche Scharfschützen ausgerechnet auf sie schossen, was mWn in Europa eher unüblich war. Hier liegt vielleicht auch das „Geheimnis“ der hohen Verluste: Die Eindämmung durch Umstände und „Rituale“ betrafen im 18. Jh. vielleicht die Offizierskaste und in gewissem Umfang die zivile Bevölkerung; die einfachen Soldaten wurden umso härter und effektiver darauf gedrillt, sich dem Kugelhagel zu stellen, was natürlich zu immensen Verlusten führen kann.

So weit für diesmal; über das mit den stabilen sozialen Verhältnissen muss ich nochmal nachsinnen, obwohl manche Bezugspunkte recht eindeutig sind. :yes:

So long

Reinecke
 
Ich bin gerade nochmal ueber diesen Thread gestolpert und denke mal laut nach, um ihn wiederzubeleben:

Diese "ritualisierte" Kriegsfuehrung klingt nach Verabredung zwischen den Kriegsparteien.
Das mag ich fuer Regelungen wie eine "Kriegserklærung", Behandlung von Verwundeten gelten lassen, aber nicht fuer die Schlacht / die Kriegsfuehrung an sich, also z.B. die von dir genannte Lineartaktik, aber sicher auch bei der Phalanx.
Ich glaube, dass man stets die zuletzt bekannte Strategie und Taktik als die beste, am meisten effektive vorausgesetzt hat, bis irgendjemand davon (erfolgreich) abwich. Innovation in Punkto Waffen, Taktik und Strategie fuehrten zur Verænderung im Krieg und auf dem Schlachtfeld.

Wenn man also ueber viele Jahrzehnte bei einem bestimmten "Ritual" blieb, lag es einfach daran, dass sich niemand so schnell fand, etwas neues auszuprobieren, dass erfolgreicher war als das bisherige "Ritual".
Gab es so etwas, musste man sich darauf einstellen --> Es gab eine Ænderung im Ritual.

Gruss, muheijo
 
Das mag ich fuer Regelungen wie eine "Kriegserklærung", Behandlung von Verwundeten gelten lassen, aber nicht fuer die Schlacht /
ich neige auch zu der Ansicht, dass Kommentkämpfe mit glimpflichem Ausgang eher dem Tierreich vorbehalten sind (((welches sich da evtl. etwas ... hm ... humaner verhält))) - sofern glaubwürdige Quellen vorhanden sind, pflegten Schlachten nicht eben wenige Opfer/Gefallene zu hinterlassen; ich habe nicht den Eindruck, dass schöngeistig-humane Reglements jemals direkte Kriegshandlungen (also das gegenseitige totmachen) gemildert hätten
 
ich neige auch zu der Ansicht, dass Kommentkämpfe mit glimpflichem Ausgang eher dem Tierreich vorbehalten sind (((welches sich da evtl. etwas ... hm ... humaner verhält))) - sofern glaubwürdige Quellen vorhanden sind, pflegten Schlachten nicht eben wenige Opfer/Gefallene zu hinterlassen; ich habe nicht den Eindruck, dass schöngeistig-humane Reglements jemals direkte Kriegshandlungen (also das gegenseitige totmachen) gemildert hätten

Dagegen eine Stelle aus der Historia Roderici:
Cum uero rex Sanctius Zemoram obsederit, tunc fortune casu Rodericus Didaci solus pugnauit cum XV militibus ex aduersa parte contra eum pugnantibus, VII autem ex his erant loricati, quorum unum interfecit, duos uero uulnerauit et in terram prostrauit omnes que alios robusto animo fugauit.
Übersetzung:
Als aber der König Sancho Zamora belagerte ~da begab es sich~, dass Rodrigo Díaz allein mit 15 gegen ihn kämpfenden Soldaten vom gegnerischen Lager kämpfte, 7 von diesen waren aber mit Kettenhemden ausgerüstet, von denen er einen tötete, zwei aber verletzte und zu Boden warf, die anderen schlug er mit starkem Herzen in die Flucht.

Was können wir dieser Quelle entnehmen? Es war möglich, dass einer gegen eine Gruppe von 15 kämpfte. Kämpften sie gleichzeitig gegen ihn oder jeder einzeln? Das können wir der Quelle nicht entnehmen. Wir können angesichts der Überzahl vielleicht davon ausgehen, dass er gegen jeden der 15 einzeln kämpfte bzw. vielleicht sogar nur gegen die drei ersten, und dass die restlichen Kämpfer dann vielleicht gar nicht mehr antraten oder, wenn er gegen alle gleichzeitig kämpfte, die Gegner sich gegenseitig behinderten und er so relativ zu Beginn ein paar Treffer landen konnte, die seine Gegner erschreckten, aber das ist alles Spekulation. Das Verhältnis der Getöteten zu den Lebenden ist jedenfalls hier 1:14.
(Und, was aber mit unserer Diskusson wenig zu tun hat: Nur knapp die Hälfte der Kämpfer trug Kettenhemden. Oder muss man statt "nur" vielleicht "immerhin" sagen?)

Direkt im Anschluss finden wir folgende zwei Sätze:

Postea namque pugnauit cum Eximino Garcez uno de melioribus Pampilone et deuicit eum.
Pugnauit quoque pari sorte cum quodam Sarraceno in Medina Celim, quem non solum deuicit, sed etiam interfecit.


Danach kämpfte er mit Jimeno Garcez, einem der Besten Pamplonas und besiegte ihn.
Er kämpfte auch mit vergleichbaren Glück mit einem gewissen Sarrazenen in Medinaceli, den er nicht nur besiegte, sondern auch tötete.
Aus dieser Stelle mag man ersehen, dass es eben nicht normal war, dass man die Gegner erschlug, denn sonst würde das nicht extra betont. Und dann noch mal eine richtige Schlacht:

Interea namque rex Aldefonsus nuntium eum pro paria sua ad regem Sibille et ad regem Cordube misit.
Tunc uero Almuctamit rex Sibille et Almudafar rex Granate erant <inimici.
Et cum rege Granate erant> Garsias Ordonii et Fortunius Sanctii, gener Garsie regis Pampilonensis, et Lupus Sanctii, frater Fortunii Saggez, et Didacus Petriz unus ex maioribus Castelle.
Vnusquisque istorum cum sua militia uenerunt pugnaturi contra regem Sibille.
Cum autem Rodericus Didaci [et] uenerit <ad> Almutamiz, statim reuelatum est ei regem Granate cum auxilio Christianorum uenire super Almutamiz et super regnum suum.
Tunc misit litteras ad regem Granate et ad Christianos, qui cum eo erant, quod amore domini sui regis Aldefonsi contra regem Sibille non uenirent nec regnum eius intrarent.
Ipsi autem in multitudine sui exercitus confidentes, preces eius non solum audire noluerunt, sed etiam eos omnino spreuerunt.
Venerunt itaque depredantes omnem terram illam usque ad castrum, qui dicitur Capra.
8. Quod autem Rodericus Didaci audiens et ueritate certa cognoscens eis statim cum exercitu suo obuiam exiit ibi que cum eisdem bellum crudele conmisit; quod utique bellum inter se permixtum durauit ab hora diei tercia usque ad sextam.
Facta est autem ibi maxima strages et interfectio exercitus regis Granate tam Sarracenorum quam Christianorum, donec omnes deuicti ac confusi fugierunt a facie Roderici Didaci.
Captus est igitur in eodem bello comes Garsias Ordonii et Lupus Sanctii et Didacus Petri et alii quam plures illorum milites.
Habito itaque triumpho, Rodericus Didaci tenuit eos captos tribus diebus.
Tandem abstulit eis temptoria et omnia eorum spolia et sic permisit eos absolute abire.
Übersetzung:
Inzwischen schickte König Alfons seinen Boten, um seinen Tribut einzufordern zum König von Sevilla und Córdoba. Damals aber waren Al-Mu'tamid, der König von Sevilla und Al-Muzaffar, der König von Granada Feinde. Und mit dem König von Granada waren García Ordóñez, Fortún Sánchez aus dem Geschlecht des Königs García von Pamplona, Lope Sánchez, der Bruder des Fortún Sánchez und Diego Pérez, einer von den Größten Kastiliens. Diese kamen mit ihren Soldaten, um den König von Sevilla zu bekämpfen.
Als aber Rodrigo Díaz zu Al-Mu'tamid kam, wurde ihm sofort erzählt, dass der König von Granada mit Hilfe der Christen über al-Mu'tamid und über sein Reich komme.
Da schrieb er Briefe an den König von Granada und die Christen, die bei ihm waren, dass sie, aus Liebe zu ihrem Herren König Alfons nicht gegen den König von Sevilla vorrückten (Q: kämen) und nicht in sein Reich einfielen (Q: einträten).
Diese aber, in Vertrauen auf die Größe ihres Heeres, wollten auf seine Bitte nicht nur nicht hören, sondern sie verachteten sie auch ganz und gar.
Sie kamen daher jenes Land plündern bis zur Burg, welche Cabra genannt wird.Als Rodrigo das aber hörte und die Wahrheit sicher wusste, kam er ihnen mit seinem Heer entgegen und kam mit ihnen zum grausamen Schlacht (Q: Krieg) zusammen; in der Schlacht (Q: Krieg) kämpften alle durcheinander (etwas frei übersetzt) und sie dauerte von der dritten bis zur sechsten Stunde des Tages.
Es wurde dort die größte Niederlage und viele aus dem Heer des Königs von Granada, sowohl Sarrazenen als auch Christen wurden erschlagen, solange bis alle besiegt und verwirrt im Angesicht Rodrigo Díaz' flohen.
Gefangen wurde also in dieser Schlacht der Graf García Ordóñez, Lope Sánchez und Diego Pérez und viele andere ihrer Soldaten. Rodrigo Díaz feierte seinen Triumph und hielt sie drei Tage lang gefangen.
Dann nahm er ihre Zelte und alle ihre Beute und so erlaubte er ihnen uneingeschränkt wegzugehen.
Es gibt in der Historia Roderici noch eine ähnlich verlaufende Schlacht, gegen Berenguer Ramón II. und die Katalanen und Südfranzosen, in der Rodrigo wiederum die Gefangenen nach fünf Tagen in die Freiheit entlässt.


 
@ElQ - ist in den von dir zitierten Texten schon die literarische Gestaltung der Auseinandersetzungen zwischen Gruppen als Stilisierung zu heroischen Einzelkämpfertaten (typisch für die mittelalterliche Epik) anzunehmen?
Einen anderen, nämlich sehr tödlichen Ausgang hat die Episode von Gotenkönig Tejas Einsatz im Kampf gegen Narses´ Truppen am Ende des Gotenkriegs von Prokop: zwar hebt Prokop den heldenhaften Einsatz Tejas als Kämpfer in vorderster Reihe hervor, aber die Kampfhandlungen selber sind ein recht rücksichtloses Abschlachten inklusive Speerhagel (da wirkt nichts von "edlen" Ritualisierungen beeinflusst)
Interessant zu diesem Thema ist das Kapitel über den Krieg in Scheibelreiters "barbarische Gesellschaft": merowingische Kriegsscharen scheinen alles andere als zimperlich gewesen zu sein.

interessantes Thema, da freilich die überlieferten Opferzahlen bei Kriegen/Schlachten ofmals auch literarisch stilisiert waren - die Heere nach der Römerzeit, also die "barbarischen" Heere waren ja kleiner geworden: theoretisch müsste dann die Zahl der Opfer bei Schlachten statistisch abgenommen haben? Allerdings meint H. Wolfram zu den italischen Gotenkriegen, dass diese derart verheerend waren, dass sich die ital. Bevölkerung nicht mehr davon erholen konnte.

ob vielleicht "edle" Kommentregeln eher bei vor allen Augen ausgetragenen Zweikämpfen galten, aber dann im Schlachtgetümmel selber nicht?
 
@ElQ - ist in den von dir zitierten Texten schon die literarische Gestaltung der Auseinandersetzungen zwischen Gruppen als Stilisierung zu heroischen Einzelkämpfertaten (typisch für die mittelalterliche Epik) anzunehmen?

Eigentlich nicht. Ich würde die Stelle mit den 15 gegnerischen milites jedenfalls nicht verwerfen. Wie der Stoff dann später umgestaltet wurde, kann man am Epos sehen. Die vorliegende Quelle ist historiographisch, schmucklos und ohne literarischen Anspruch.
 
Ich glaube, dass man stets die zuletzt bekannte Strategie und Taktik als die beste, am meisten effektive vorausgesetzt hat, bis irgendjemand davon (erfolgreich) abwich. Innovation in Punkto Waffen, Taktik und Strategie fuehrten zur Verænderung im Krieg und auf dem Schlachtfeld.

Wenn man also ueber viele Jahrzehnte bei einem bestimmten "Ritual" blieb, lag es einfach daran, dass sich niemand so schnell fand, etwas neues auszuprobieren, dass erfolgreicher war als das bisherige "Ritual".
Gab es so etwas, musste man sich darauf einstellen

das alles trifft auf die "förmliche Belagerung" im Festungskrieg aus der Zeit von Vauban bis in den Ersten Weltkrieg zu - die Belagerung freilich folgte sozusagen wissenschaftlichen Effizienzritualen, man berechnete sogar, wie lange es bis zur Breschierung / Eroberung dauerte bzw umgekehrt konnte der Festungskommandant sich ausrechnen, wann er kapitulieren würde nach dem Anlegen der ersten Parallele durch die Belagerer.
(zwar wollten sich manche Festungen nicht regelkonform erobern lassen, aber prinzipiell funktionierte diese gleichsam ritualisiert im Ablauf erscheinende Spezialform der Kreigsführung - jedenfalls dort, wo eine Festung tatsächlich berannt wurde; variable Größen wie Artillerietechnik und die fortifikatorischen Reaktionen darauf haben am Ablauf der Belagerung im wesentlichen im genannten Zeitraum nichts geändert)
 
Es hat lange gedauert, aber mit der Zeit haben sich bei mir ein paar neue Gedanken zu diesem Thema eingefunden. Danke aber erst mal für die interessanten Beiträge inzwischen.

Eine gewagte These wäre, zu behaupten, dass sich ritualisierte Formen von Auseinandersetzungen immer dann ergeben, wenn die entsprechende Gesellschaft kaum von sozialen Veränderungen betroffen ist.

Hierüber habe ich lange gebrütet. MMn ist eine gewisse Art gesellschaftlicher Stabilität notwendig, damit sich dass, was ich mit „ritualisierter Kriegsführung“ meine, möglich ist. Ob sich so etwas dann gesetzmäßig entwickelt („immer“) ist noch mal eine weiter gehende Behauptung. ;)

Ein Ritual beruht immer auf Konventionen, auf aus irgendwelchen Gründen anerkannten Regeln, warum etwas auf eine bestimmte Art und Weise gemacht wird. Krieg hat gemäß Clausewitz und anderen Theoretikern und Praktikern immer eine Tendenz zur Radikalisierung, indem die drohende Niederlage, so sie tatsächlich oder imaginiert Leben und Existenz der Kriegsführenden und ihrer Familien betrifft, schlimmer erscheint als jede scheinbar notwendige Handlung, wie grausam sie auch sein mag. Dies ist, absolut verkürzt dargestellt, das eigentlich Dilemma, vor dem ich bei dieser Frage stehe.
Meine (weiterhin vorläufige) Antwort wäre, dass derartige Kriege dann möglich oder wahrscheinlich werden, wenn sie die Grundlagen der betroffenen Gesellschaften nicht angreifen und in Frage stellen oder umzustürzen drohen.

Da Rituale Zeit benötigen, um sich zu entwickeln, wären also über längere Zeiten besagte „gewisse gesellschaftliche Stabilität“ notwendig, bei der Kriege zwar geführt werden, diese aber keinen grundsätzlichen gesellschaftlichen Veränderungen herbeiführen. Das impliziert u.a., dass selbst die unterlegene Partei nicht in ihrer Existenz gefährdet ist, auch wenn dies für das Leben der einzelnen Kriegsführenden naturgegeben nicht gilt. Kurz gesagt: Kriege durften keine allzu großen Auswirkungen haben, außer für die, die Leben oder Angehörige verloren, oder deren Besitz verloren ging; aber wäre dies nicht eher die Ausnahme geblieben, die erwähnte Tendenz zur Radikalisierung wäre mE zum Tragen gekommen, bzw ist das eigentlich auch in der Geschichte immer wieder, früher oder später.:grübel:

Diese "ritualisierte" Kriegsfuehrung klingt nach Verabredung zwischen den Kriegsparteien.
Das mag ich fuer Regelungen wie eine "Kriegserklærung", Behandlung von Verwundeten gelten lassen, aber nicht fuer die Schlacht / die Kriegsfuehrung an sich, also z.B. die von dir genannte Lineartaktik, aber sicher auch bei der Phalanx.

Es geht weniger um konkrete Verabredungen, sondern um gemeinsame Gepflogenheiten aller Beteiligten, die auch ohne spezifische Absprachen zu einem halbwegs akzeptierten Verhaltenskodex führen. Dabei ist impliziert, dass konkrete Absprachen (also Verhandlungen) zwischen den Parteien prinzipiell möglich und verlässlich sind, ohne „ehrabschneidend“ zu sein.

So konnten Griechen untereinander Verhandlungen führen und Kriege beenden (wenn sie denn wollten). Gegenüber den Persern war das zur Zeit der Perserkriege nur möglich, indem man sich unterwarf; dass zeigen die Beispiele Thebens und Athens. Im 18. Jh. waren Friedensschlüsse unter europäischen Kriegsparteien eigentlich immer möglich, ohne dass eine Seite in ihrer Existenz gefährdet war (was die „Großen“ angeht, die die entscheidenden Parteien in den großen Kriegen waren). Verhandlungen und Verträge mit außereuropäischen Mächten sahen da anders ab, davon können nordamerikanische Indianer oder Chinesen ein Lied singen...

Eine weitere Voraussetzung ist also ein gewisser gemeinsamer kultureller Rahmen, auf Grund dessen Gedankenaustausch, Verhandlungen und beiderseits verlässliche Verträge überhaupt erst möglich werden.

Wenn man also ueber viele Jahrzehnte bei einem bestimmten "Ritual" blieb, lag es einfach daran, dass sich niemand so schnell fand, etwas neues auszuprobieren, dass erfolgreicher war als das bisherige "Ritual".
Gab es so etwas, musste man sich darauf einstellen --> Es gab eine Ænderung im Ritual.

ME beeinflussen nicht neue militärische Tricks die Weltgeschichte, sondern soziale Änderungen führen zu militärischen Neuerungen. Das Zusammenspiel aus sozialen Veränderungen und den daraus ermöglichten militärischen „Revolutionen“ ist es, dass die Weltgeschichte umkrempeln kann.
Sowohl in der Antike als auch im 18. Jh. war es nicht der „Trick“ mit der schiefen Schlachtordnung, der die große Wende brachte, obwohl damit Schlachten gewonnen wurden (Leuktra u. Leuthen, klingt sogar ähnlich...).

Es war das anders aufgebaute, monarchische Makedonien mit seiner überlegenen Armee, die weit mehr auf Berufssoldatentum beruhte als die Bürgerheere Hellas, bzw die tiefgreifenden sozialen Änderungen der französischen Revolution, die den stehenden Söldnerarmeen der Fürsten wieder ein auf Wehrpflicht beruhendes Massenheer entgegenstellen konnte. Eine auf den ersten Blick und in diesem Aspekt gegenläufige Entwicklung, was zeigt, wie komplex die Vorgänge seien können.

ich neige auch zu der Ansicht, dass Kommentkämpfe mit glimpflichem Ausgang eher dem Tierreich vorbehalten sind (((welches sich da evtl. etwas ... hm ... humaner verhält))) - sofern glaubwürdige Quellen vorhanden sind, pflegten Schlachten nicht eben wenige Opfer/Gefallene zu hinterlassen; ich habe nicht den Eindruck, dass schöngeistig-humane Reglements jemals direkte Kriegshandlungen (also das gegenseitige totmachen) gemildert hätten

Das ist natürlich richtig; gefährlich ist besonders bei dem Thema jede Romantisierung. Allerdings gibt es Hinweise, dass Kriege nicht immer mit der gleichen Konsequenz geführt wurden, Hartnäckige Verfolgungen waren sowohl bei Phalanxgefechten als auch in den Schlachten, die mit der Lineartaktik geschlagen wurden, nicht die Regel. Das kann sowohl soziale als auch ganz praktische Ursachen gehabt haben, dass Ergebnis bleibt sich gleich. Sowohl im Mittelalter als auch im 17./18. Jh. gab es Gepflogenheiten, v.a. auf Lösegeld beruhend, die zumindest die wertvollsten Kombattanten schützten. Es geht mir mitnichten um eine ethische „Zähmung“ des Krieges, ob die möglich ist bezweifle ich selber zutiefst. Ich finde es interessant, dass es scheinbar Zeiten gibt, in denen die sozialen und militärischen Gegebenheiten selber einer Radikalisierung oder Totalisierung des Krieges entgegenstehen. Bis zur nächsten großen Umwälzung, natürlich...

Eine Bemerkung zum Tierreich, da dekumtland es ansprach: Bei den „Kriegen“ der Schimpansen ist beobachtet worden, dass hier von „Ritualisierung“, zB Unterwerfungsgesten, nichts zu erwarten ist, wenn es um Männchen geht. Diese wurden bei Auseinandersetzungen ohne Mitleid traktiert. Von Weibchen hingegen ist mWn beobachtet worden, dass diese sich der siegreichen Gruuppe anschließen durften.
 
Ein Ritual beruht immer auf Konventionen, auf aus irgendwelchen Gründen anerkannten Regeln, warum etwas auf eine bestimmte Art und Weise gemacht wird. Krieg hat gemäß Clausewitz und anderen Theoretikern und Praktikern immer eine Tendenz zur Radikalisierung, indem die drohende Niederlage, so sie tatsächlich oder imaginiert Leben und Existenz der Kriegsführenden und ihrer Familien betrifft, schlimmer erscheint als jede scheinbar notwendige Handlung, wie grausam sie auch sein mag. Dies ist, absolut verkürzt dargestellt, das eigentlich Dilemma, vor dem ich bei dieser Frage stehe.

Das ist dann wohl - flapsig ausgedrückt - die Frage danach, inwieweit Gesellschaften bereit sind, hergebrachte Verhaltensweisen zu Gunsten eines möglich erscheinenden Erfolges im Krieg aufzugeben. Anders gewendet: Wann reichen kriegerische Motive aus, gesellschaftliche Konventionen zu brechen und neue zu etablieren? Im Augenblick der Schlacht wird - für allem für den Teilnehmenden - jedes Mittel recht sein. Aber danach? Und aus einer höheren Warte heraus?

Der Umgang Heinrichs IV. mit den Sachsen nach deren Unterwerfung hat beispielsweise enormen Unmut auch bei seinen engsten Verbündeten hervorgerufen, da er nicht die hergebrachte Milde hat walten lassen. Hier schien trotz einer reichsweiten kriegerischen Auseinandersetzung die Rückkehr zur Tradition das stärkere Motiv gewesen zu sein.

Robespierre wäre evtl. auch ein Beispiel: Mit seinen eigenen Mitteln geschlagen, um zumindest halbwegs zur alten, die Gesellschaft nicht völlig ins Chaos stürzenden Tradition zurückkehren zu können.

Der Einsatz von Gaswaffen im Ersten Weltkrieg und der (zumindest zunächst auf europäischen Kriegsschauplätzen) anschließende Verzicht darauf könnte auch interessant sein.

Schließlich der Einsatz von atomaren Waffen im zweiten Weltkrieg und die sich anschließende (und unter einer enormen Drohkulisse aufgebaute) stille Vereinbarung, diese Waffen im sich anschließenden Kalten Krieg dann doch nie zu nutzen, weil die Welt dann eine andere wäre?

Es ist mir klar, dass ich jetzt nur Beispiele aus recht instabilen gesamtgesellschaftlichen bzw. globalgesellschaftlichen Situationen gebracht habe und insofern meiner eigenen These zu widersprechen scheine. Andererseits habe ich den Eindruck, dass sich - anders als Clausewitz dies für den Einzelfall sieht - neben den direkt kriegerischen Motiven immer auch möglicherweise stärker Kräfte gesellschaftlicher Beharrung durchschlagen, die eben an der Tradtion, am Ritual, festhalten, weil dies - Niederlage hin oder her - eben dazu beiträgt, das gewohnte Lebensumfeld so gut als möglich zu erhalten. Und das dürfte ein stärkeres Motiv sein, als das, einen Krieg zu gewinnen.
 
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