Kommen wir vielleicht nochmal auf Ruriks ersten Punkt zu sprechen, nämlich die ganz wertungsfreie Frage: Gab es auch Frauen, die während der Hexenverfolgung Täterinnen waren - und wenn ja, worin konnte ihre Rolle bestehen?
Wir sollten zwei Ansätze unterscheiden, nämlich die Rolle gesunder, in der Gesellschaft fest integrierter Frauen und die Rolle geistig kranker oder sonstwie beeinflussbarer Frauen.
Für die ersten gälte es, das Ausmaß der bewussten "Instrumentalisierung des pervertierten kollektiven Denkens" zu bemessen, wie Zoka das so schön genannt hat (wir sollten auch nicht vergessen, dass viele schlichtweg daran geglaubt haben dürften dass es Hexen gab und dass sie in ihrem bösen Tun gestoppt werden mussten). Ich denke, es ist unbestritten, dass ein gutgläubiges ebenso wie ein berechnendes Agieren gegen Hexen "hinter den Kulissen" grundsätzlich vorkommen konnte, nur ist es vermutlich unlauter, über die genauen Vorgänge zu spekulieren. Solche Einflussnahmen kommen selten in die Berichte, weil sie zu versteckt sind und unspektakulär scheinen, gerade wenn sie erfolgreich verlaufen. Mit Selbstzeugnissen können wir auch nicht rechnen. Also haben wir dazu einfach keine Quellen und können nicht darüber diskutieren. Leider. Das fände ich nämlich am interessantesten. Hier käme auch das Strukturargument, dass ich an Ruriks ursprünglicher Idee so spannend fand, am ehesten zum Tragen.
Konzentrieren wir uns also auf den zweiten Punkt, wo sich Frauen beispielsweise als Besessene ins Rampenlicht stellen. Hier wurden in der Diskussion zwei mögliche Hauptgründe genannt, nämlich Boshaftigkeit/Machtrausch und Geisteskrankheit. Gerade wenn jemand schizophren war, kann ich mir das durchaus auch in Kombination vorstellen. Immerhin neigen Schizophrene ja in ihren Schüben zu völlig ungefilterten Gefühlen, also beispielsweise auch von Bosheit. Gehört bei manchen Formen stark mit zum Krankheitsbild.
Interessant fand ich - quasi als dritte Möglichkeit - folgendes Detail an dem Paderborner Fall, den Rurik hier netterweise so episch für uns aufbereitet hat:
Die Mädchen schienen überführt, jedoch gaben sie deshalb nicht auf. (...) Die Schwestern bekamen weiterhin krampfartige Anfälle und es begannen nun auch andere junge Frauen dieselben Symptome zu zeigen. Nicht lange und ihre Zahl war in Brakel auf sieben gestiegen.
Nach diesem Skandal wuchs innerhalb Paderborns die Zahl der Besessenen von 7 auf 30 und Anfang Juli waren es bereits 150. Nun zählten auch Vertreter beiderlei Geschlechts zu ihnen. Leute griff man tätlich auf der Straße an. Ein Kapuzinermönch wurde mit einem Stein schwer am Kopf getroffen. Daraufhin wagten sich seine Brüder nur noch mit geweihten Knüppeln auf die Straße, denn die Kapuziner waren bevorzugte Angriffsopfer.
Um es nicht nur bildlich zu sagen, im Sommer 1657 war in Paderborn der Teufel los.
Das scheint mir doch eine Massenhysterie zu sein. Ich habe dazu neulich einen sehr anschaulichen
Artikel gelesen, in dem das in verschiedenen Ausprägungen durchgespielt wird, und ich fühlte mich beim Lesen sehr daran erinnert. Hochinteressant finde ich das im Zusammenhang mit den Hinweisen des Korinthers am Anfang dieses Threads, in denen er die generell bedrückende, bedrohliche Lage mit der kleinen Eiszeit usw. beschreibt. Eine Massenhysterie ist durchaus eine Möglichkeit, auf solchen Druck zu reagieren.