thanepower
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Eine zentrale Frage der Interpretation historischer Ereignisse betrifft das Verhältnis von „Struktur“ und “Individuum“ (Agent). Die Fragestellung findet sich intensiver diskutiert in der angloamerikanischen historischen Soziologie bzw. im Bereich einer konstruktivistisch orientierten Historiographie.
Eine Beantwortung dieser Fragestellung können Historiker im Bereich der „narrativen Historiographie“ solange erfolgreich aus dem Wege gehen, wie sie die Frage nach einer systematischen Erklärung der „Motive“ (agent-zentriert) oder „historischen Konstellationen“ (struktur-zentriert) außen vor lassen und sich auf die Deskription beschränken. Im anderen Fall sind es ad-hoc-Erklärungen, die über den Einzelfall hinaus selten eine Erklärungskraft verfügen.
Im Gegensatz dazu steht der Versuch einer systematischen Erklärung der Verhaltensweise von historischen Akteuren im Kontext ihrer historischen Situation.
Das Problem zwischen Struktur und Agent findet seine Entsprechend in der Diskussion zwischen Vertretern einer historischen Makro-Soziologie und einer historisch-orientierten Mikro-Soziologie. Dabei ist anzumerken, dass sich beide im weiteren Sinne an einer verstehenden Soziologie weberscher Ausrichtung orientierten und als „Neo-Weberianer“ mehrheitlich eingeordnet werden.
Der Ausgangspunkt des Konflikts lässt sich beispielsweise an den Arbeiten von Michael Mann und von Theda Skocpol illustrieren.
http://de.wikipedia.org/wiki/Theda_Skocpol
http://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Mann_%28Soziologe%29
Im Rahmen von „States and Social Revolutions“ und von „Social Revolutions in the Modern World“ entwickelt Skocpol eine makrosoziologische Erklärung von Revolutionen, speziell am Beispiel von Frankreich, Russland und China.
Diese Sichtweise wurde beispielsweise von Hunt (Symbole der Macht. Macht der Symbole) und Sewell (Blanning: The Rise and the Fall oft the French Revolution, S. 285) als nicht ausreichend kritisiert, da sie der Ideologie als zentrale Größe zu Erklärung der antagonistischen Zielsysteme der historischen Akteure und dem damit zusammenhängendem Interpretations- bzw. Handlungsspielraum nicht ausreichend gerecht wird.
http://books.google.de/books?id=l7A...ved=0CDkQ6AEwAA#v=onepage&q=lynn hunt&f=false
http://books.google.de/books?id=d7B...a=X&ei=E6tNULa0CKaB4ATw14CYDA&ved=0CDQQ6AEwAA
Bei Mann liegt ebenfalls ein – ursprünglich – stark makrosoziologisch geprägter Ansatz vor, der beispielsweisen im Rahmen von „Fascists“ mikrosoziologisch differenziert wurde. Mann bietet ein „IEMP-Modell“ (I = Ideology, E= Economy, M=Mlitary, P=Political), mit dessen Hilfe eine Erklärung der Entstehung und Entwicklung von Gesellschaften ermöglicht werden soll.
Eine explizite Kritik der nicht ausreichenden Fundierung seiner, an Weber orientierten Theorie, formuliert explizit Kieser (Mann`s microfoundations: adressing neo-Weberian dilemmas: in: An Anatomy of Power , Hall et l. eds.). Eine Nichtberücksichtung der subjektiven Handlungsoptionen der Akteure führt dazu, dass die Akteure die ausführenden Organe historischer Strukturen sind und sozialer Wandel vollzieht sich unabhängig von gesellschaftlichem Handeln.
http://books.google.de/books?id=ERE...=0CFYQ6AEwBg#v=onepage&q=michael mann&f=false
Als Ausgangspunkt für die Einführung des „Agents“ (das handelnde historische Subjekt) in die Erklärung historischer Ereignisse dient die Unterscheidung Webers unterschiedlicher Verhaltensstile im idealtypischen Verständnis. Und umfaßt das „instrumentelle“, das „wert-orientierte“, das „habituelle“ und das „emotionale“ Verhalten, die in der Realität als permutierbare Mischformen auftreten (Weber: Wirtschaft und Gesellschaft).
Im Rahmen seiner Arbeit zur „Protestantischen Ethik“ entwickelt Weber ein generelles Modell von Kultur, als makrosoziologisches Konstrukt, und den spezifischen Handlungsmustern der Angehörigen dieses Kulturkreises.
Diese dynamische Konzept von Kultur, als sowohl das Verhalten seiner Mitglieder strukturierende Größe wie auch durch eben dieses Verhalten der Mitglieder formbare Struktur, erfuhr eine vielfältige Differenzierung. Insbesondere die wissenssoziologischen Arbeiten von Mannheim und seinem Konzept der Generationslagerung als Ansatz für die Erklärung von individueller und kollektiver Modernisierung, die Arbeitern von Archer oder Levin zur systematischen Erweiterung des Kulturbegriffs und die Konstruktion von „Culture und nicht zuletzt die wichtigen handlungstheoretischen Ansätze von Berger & Luckmann, aber auch von Goffmann, inklusive TSI, bilden wichtige Ansätze einer Erweiterung von Weber.
http://en.wikipedia.org/wiki/Karl_Mannheim
http://en.wikipedia.org/wiki/Margaret_Archer
Vereinfacht kann man diesen Ansatz dahingehend beschreiben, dass die Personen einer Epoche (Generationslagerung) mit einem objektiven Set an politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen durch ihre Geburt konfrontiert werden. Durch die Interpretation der damit zusammenhängenden Normen und Wertmaßstäbe, durch ihr Handeln und die kognitive sowie emotionale Verarbeitung der Ereignisse werden zum einen objektive neue Strukturen geschaffen, aber auch neue „Sinnwelten“ entwickelt. In diesem Sinne stellt die Entwicklung einer persönlichen Individualität gleichermaßen ein individuelles wie auch ein kollektives Schicksal dar.
Diese generationsspezifische kulturelle individuelle bzw. kollektive Disposition differenzieren sich durch geschlechts-, schicht-, stände-, klassen-, ethnische- oder Stadt-Land- Sichtweisen.
Vor diesem Hintergrund sollte deutlich werden, wie stark Ideologien nicht selten an eine spezifische historische Konstellation gebunden waren und warum sie in dem jeweiligen Kontext sowohl für die Produzenten der Ideologie (Eliten), aber auch für die Anhänger ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit besessen hat. Dabei dient die Ideologie, definiert als gemeinsame konsensuale, kodifizierte Sicht auf die politische Umwelt, für die Eliten als Instrument der „Homogenisierung“ und für die Anhänger als Instrument zur Erzeugung von Legitimität der Herrschaft der Eliten.
Vor dem Hintergrund dieses weberianischen verstehenden Paradigma für die historische Soziologie bzw. für die „konstruktivistische“ Interpretation von Geschichte erklären sich ein Teil der konträren Diskussion der letzten Jahre. Eine Konfliktlinie, die zwar an Brisanz verloren hat durch das Ende des „Kalten Krieges“ betrifft die „revisionistische“ Interpretation des Stalinismus. Betroffen davon ist die traditionelle Interpretation des Stalinismus im Rahmen von Totalitarismus-Ansätzen durch konstruktivistische Ansätze zur Rekonstruktion des Stalinismus wie auch schon ansatzweise hier im Forum diskutiert.
Relevant ist dieser konstruktivistische Ansatz für die Historiographie nicht zuletzt auch deshalb, weil es die gesellschaftliche Rekonstruktion der historischen Umstände zwingend erforderlich macht. Und damit die subjektiven Sichtweisen der historischen Akteure, ihre Ideologien, ihre rationalen oder irrationalen Annahmen etc. offen legt.
Wie man beispielweise sehr anschaulich dieses im Rahmen von "What Stalin Knew" leisten könnte, in dessen Kontext ein ideologisch gebundenes, subjektiv - ideologisch geprägtes - begründbares, aber objketiv falsches und verheerendes Verhalten beschrieben werden kann.
http://books.google.de/books?id=R-k...QQ6AEwAA#v=onepage&q=what stalin knew&f=false
Somit sind ein Ludwig XIV, ein Robespierre, ein Napoleon, ein Stalin oder ein Hitler m.E. zunächst und vor allem präzise zu „rekonstruierende“ bzw. zu "verstehende" historische Subjekte und erst vor diesem Hintergrund einer angemessenen Rekonstruktion in zweiter Linie die Objekte unserer Bewertungen.
Eine Beantwortung dieser Fragestellung können Historiker im Bereich der „narrativen Historiographie“ solange erfolgreich aus dem Wege gehen, wie sie die Frage nach einer systematischen Erklärung der „Motive“ (agent-zentriert) oder „historischen Konstellationen“ (struktur-zentriert) außen vor lassen und sich auf die Deskription beschränken. Im anderen Fall sind es ad-hoc-Erklärungen, die über den Einzelfall hinaus selten eine Erklärungskraft verfügen.
Im Gegensatz dazu steht der Versuch einer systematischen Erklärung der Verhaltensweise von historischen Akteuren im Kontext ihrer historischen Situation.
Das Problem zwischen Struktur und Agent findet seine Entsprechend in der Diskussion zwischen Vertretern einer historischen Makro-Soziologie und einer historisch-orientierten Mikro-Soziologie. Dabei ist anzumerken, dass sich beide im weiteren Sinne an einer verstehenden Soziologie weberscher Ausrichtung orientierten und als „Neo-Weberianer“ mehrheitlich eingeordnet werden.
Der Ausgangspunkt des Konflikts lässt sich beispielsweise an den Arbeiten von Michael Mann und von Theda Skocpol illustrieren.
http://de.wikipedia.org/wiki/Theda_Skocpol
http://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Mann_%28Soziologe%29
Im Rahmen von „States and Social Revolutions“ und von „Social Revolutions in the Modern World“ entwickelt Skocpol eine makrosoziologische Erklärung von Revolutionen, speziell am Beispiel von Frankreich, Russland und China.
Diese Sichtweise wurde beispielsweise von Hunt (Symbole der Macht. Macht der Symbole) und Sewell (Blanning: The Rise and the Fall oft the French Revolution, S. 285) als nicht ausreichend kritisiert, da sie der Ideologie als zentrale Größe zu Erklärung der antagonistischen Zielsysteme der historischen Akteure und dem damit zusammenhängendem Interpretations- bzw. Handlungsspielraum nicht ausreichend gerecht wird.
http://books.google.de/books?id=l7A...ved=0CDkQ6AEwAA#v=onepage&q=lynn hunt&f=false
http://books.google.de/books?id=d7B...a=X&ei=E6tNULa0CKaB4ATw14CYDA&ved=0CDQQ6AEwAA
Bei Mann liegt ebenfalls ein – ursprünglich – stark makrosoziologisch geprägter Ansatz vor, der beispielsweisen im Rahmen von „Fascists“ mikrosoziologisch differenziert wurde. Mann bietet ein „IEMP-Modell“ (I = Ideology, E= Economy, M=Mlitary, P=Political), mit dessen Hilfe eine Erklärung der Entstehung und Entwicklung von Gesellschaften ermöglicht werden soll.
Eine explizite Kritik der nicht ausreichenden Fundierung seiner, an Weber orientierten Theorie, formuliert explizit Kieser (Mann`s microfoundations: adressing neo-Weberian dilemmas: in: An Anatomy of Power , Hall et l. eds.). Eine Nichtberücksichtung der subjektiven Handlungsoptionen der Akteure führt dazu, dass die Akteure die ausführenden Organe historischer Strukturen sind und sozialer Wandel vollzieht sich unabhängig von gesellschaftlichem Handeln.
http://books.google.de/books?id=ERE...=0CFYQ6AEwBg#v=onepage&q=michael mann&f=false
Als Ausgangspunkt für die Einführung des „Agents“ (das handelnde historische Subjekt) in die Erklärung historischer Ereignisse dient die Unterscheidung Webers unterschiedlicher Verhaltensstile im idealtypischen Verständnis. Und umfaßt das „instrumentelle“, das „wert-orientierte“, das „habituelle“ und das „emotionale“ Verhalten, die in der Realität als permutierbare Mischformen auftreten (Weber: Wirtschaft und Gesellschaft).
Im Rahmen seiner Arbeit zur „Protestantischen Ethik“ entwickelt Weber ein generelles Modell von Kultur, als makrosoziologisches Konstrukt, und den spezifischen Handlungsmustern der Angehörigen dieses Kulturkreises.
Diese dynamische Konzept von Kultur, als sowohl das Verhalten seiner Mitglieder strukturierende Größe wie auch durch eben dieses Verhalten der Mitglieder formbare Struktur, erfuhr eine vielfältige Differenzierung. Insbesondere die wissenssoziologischen Arbeiten von Mannheim und seinem Konzept der Generationslagerung als Ansatz für die Erklärung von individueller und kollektiver Modernisierung, die Arbeitern von Archer oder Levin zur systematischen Erweiterung des Kulturbegriffs und die Konstruktion von „Culture und nicht zuletzt die wichtigen handlungstheoretischen Ansätze von Berger & Luckmann, aber auch von Goffmann, inklusive TSI, bilden wichtige Ansätze einer Erweiterung von Weber.
http://en.wikipedia.org/wiki/Karl_Mannheim
http://en.wikipedia.org/wiki/Margaret_Archer
Vereinfacht kann man diesen Ansatz dahingehend beschreiben, dass die Personen einer Epoche (Generationslagerung) mit einem objektiven Set an politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen durch ihre Geburt konfrontiert werden. Durch die Interpretation der damit zusammenhängenden Normen und Wertmaßstäbe, durch ihr Handeln und die kognitive sowie emotionale Verarbeitung der Ereignisse werden zum einen objektive neue Strukturen geschaffen, aber auch neue „Sinnwelten“ entwickelt. In diesem Sinne stellt die Entwicklung einer persönlichen Individualität gleichermaßen ein individuelles wie auch ein kollektives Schicksal dar.
Diese generationsspezifische kulturelle individuelle bzw. kollektive Disposition differenzieren sich durch geschlechts-, schicht-, stände-, klassen-, ethnische- oder Stadt-Land- Sichtweisen.
Vor diesem Hintergrund sollte deutlich werden, wie stark Ideologien nicht selten an eine spezifische historische Konstellation gebunden waren und warum sie in dem jeweiligen Kontext sowohl für die Produzenten der Ideologie (Eliten), aber auch für die Anhänger ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit besessen hat. Dabei dient die Ideologie, definiert als gemeinsame konsensuale, kodifizierte Sicht auf die politische Umwelt, für die Eliten als Instrument der „Homogenisierung“ und für die Anhänger als Instrument zur Erzeugung von Legitimität der Herrschaft der Eliten.
Vor dem Hintergrund dieses weberianischen verstehenden Paradigma für die historische Soziologie bzw. für die „konstruktivistische“ Interpretation von Geschichte erklären sich ein Teil der konträren Diskussion der letzten Jahre. Eine Konfliktlinie, die zwar an Brisanz verloren hat durch das Ende des „Kalten Krieges“ betrifft die „revisionistische“ Interpretation des Stalinismus. Betroffen davon ist die traditionelle Interpretation des Stalinismus im Rahmen von Totalitarismus-Ansätzen durch konstruktivistische Ansätze zur Rekonstruktion des Stalinismus wie auch schon ansatzweise hier im Forum diskutiert.
Relevant ist dieser konstruktivistische Ansatz für die Historiographie nicht zuletzt auch deshalb, weil es die gesellschaftliche Rekonstruktion der historischen Umstände zwingend erforderlich macht. Und damit die subjektiven Sichtweisen der historischen Akteure, ihre Ideologien, ihre rationalen oder irrationalen Annahmen etc. offen legt.
Wie man beispielweise sehr anschaulich dieses im Rahmen von "What Stalin Knew" leisten könnte, in dessen Kontext ein ideologisch gebundenes, subjektiv - ideologisch geprägtes - begründbares, aber objketiv falsches und verheerendes Verhalten beschrieben werden kann.
http://books.google.de/books?id=R-k...QQ6AEwAA#v=onepage&q=what stalin knew&f=false
Somit sind ein Ludwig XIV, ein Robespierre, ein Napoleon, ein Stalin oder ein Hitler m.E. zunächst und vor allem präzise zu „rekonstruierende“ bzw. zu "verstehende" historische Subjekte und erst vor diesem Hintergrund einer angemessenen Rekonstruktion in zweiter Linie die Objekte unserer Bewertungen.
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