@Ravenik
Chan:
Nun ist dieser Text aber ziemlich spät entstanden, hauptsächlich während der Exilszeit, teilweise auch davor, wobei diese älteren Passagen aber im Exil überarbeitet wurden.
Woher willst Du das so genau wissen?
Ich stütze mich dabei auf eine 19-seitige Seminararbeit an einer katholischen Privatuniversität (Email-Adresse des Verfassers mir bekannt), die sich wiederum auf sechs Fachbücher stützt. Die Arbeit behandelt ausschließlich den Theophanie-Teil, ist also sehr gründlich.
Oder, umfassender gefragt: Woher willst Du wissen, dass all jene Passagen, die für einen Jahwe als Wettergott sprechen, uralt und authentisch sind, und alle, die nicht dazu passen, eben erst später entstanden oder zumindest überarbeitet? Ist es nicht eher so, dass Du aus dem Umstand, dass Passagen nicht zur Wettergott-Theorie passen, ableitest, dass sie jünger sind?
Auch hier beziehe ich mich auf Sekundärliteratur, und zwar relativ abgesichert, da die entsprechenden Einschätzungen von mehreren Fachautoren geteilt werden. So wie ich die Literatur zu diesem Thema bisher gesichtet habe, ist die Wettergott-These eindeutig am verbreitesten, während es nirgendwo dezidiert heißt, dass Jahwe als Kriegsgott begann. In einer Arbeit heißt es z.B., dass die alttestamentlichen Stellen, die Jahwe als Wettergott thematisieren, "älter" seien als alle, die ihm andere Attribute zuschreiben (Kriegs- bzw. Vatergott). Als Beispiele werden die Psalmen 24, 29, 47, 93 und 104 genannt. Auch heißt es, dass Jahwes Wetterkompetenz bis in die Perserzeit hinein bestehen bleibt, exemplifiziert durch Verweise auf die Bücher Haggai und Sacharja. Argumentiert wird auch dahingehend, dass für Ackerbaukulturen, wie es die hebräische nach der Sesshaftwerdung war, ein Wettergott höchste Priorität hatte.
Ich denke, das ist nachvollziehbar. Welchen Sinn hätte es für diese Leute gehabt, Jahwe zum Kriegsgott zu küren? Sie hatten darüber hinaus das Problem, dass sich viele von ihnen nach der Sesshaftwerdung dem Wettergott Baal zuwandten statt dem eigenen Jahwe, weil der Ackerbau nun im Vordergrund stand - und sicher auch wegen der Baalskult-typischen Sexorgien. Was konnte für den Rest der Hebräer, die Jahwe-Verehrer, also näher liegen, als ihren Jahwe ebenfalls als Wettermacher glänzen zu lassen? Der Prozess der Übertragung der Wetterkompetenz von Baal auf Jahwe ist ein typisch synkretistischer, wie er im ganzen Alten Orient gang und gäbe war.
Ein Kriegsgott-Potential hat ein Wettergott allerdings vom Start weg, da er nicht nur Land bewässert, sondern auch Blitze schleudert. Bekanntlich vereinigt Baal Wetter- und Kriegskompetenzen. Nur muss der Schwerpunkt bei Jahwe logischerweise zunächst auf dem Wetteraspekt liegen. Bezeichnend ist der biblische Text über die Auseinandersetzung zwischen Baal und Jahwe, die letzterer für sich entscheidet. Dabei geht es nicht um Kriegs- oder Vatergottkompetenzen, sondern schlicht um das Vermögen, durch einen Blitz vom Himmel herab ein Opferfeuer zu entzünden. Jahwes spätere Attribute als Kriegsgott und Vater- und Schöpfergott werden ebenfalls in synkretistischer Weise von Baal bzw. El entlehnt.
Der ugaritisch-kanaanitische Obergott El (dessen schöpferische und väterliche Züge auf Jahwe übergehen) ist seinerseits ein synkretistisches Abbild des sumerischen Schöpfergottes Enki. Dieser hat im sumerischen Sintflut-Mythos (dem Vorbild des biblischen) eine positive Funktion: Er rettet Utnapischtim und seine Sippe aus den tödlichen Fluten.
@Maglor
Der Grundtenor des Buches ist, dass der jüdische Monotheismus erst später entstand, als gemeinhin angenommen...
Der Polytheismus ist als faktische vorexilische Religionsform der Israeliten in der Fachwelt schon lange akzeptiert. Darüber herrscht auch bei seriösen christlichen Bibelforschern Konsens.
Folgt man dem Vergleich mit Echnaton (den ich nicht aus dem oben genannten Werk zitiere) könnte man ja meinen der gemeinsame Ursprung des Monotheismus sei die Politik.
Was den jüdischen Monotheismus betrifft, denke ich auch so, siehe meinen Post "Genese des Monotheismus". Bei Echnaton trifft das sicher ebenfalls zu. Staat und Religion bilden im Alten Orient seit der Einführung des Gottkönigtums ohnehin ein symbiotisches Paar.
In Juda herrschten klare Regeln, es gibt nur einen König, einen Tempel und einen Gott.
Was den "einen Gott" betrifft: Offiziell ja, aber (wie schon gesagt) nicht faktisch beim Volk. Polytheistische Tendenzen konnten noch bis in die nachexilische Zeit nicht vollständig unterdrückt werden. Die exilischen Priester führten den Untergang Judas auf den ungebrochenen Polytheismus bei den Israeliten zurück. Also muss es diesen bis ins 6. Jahrhundert hinein gegeben haben. Dazu gehörte auch die Partnerschaft von Jahwe und Aschera. Als "Anat" (Baals Schwester, eine Liebes- und Kriegsgöttin im kanaanitischen Pantheon) wurde die Partnerin von Jahwe noch im 5. Jahrhundert v.u.Z. von jüdischen Soldaten in der Militärkolonie Elephantine in Oberägypten verehrt.
Bei all dem sollte auch nicht übersehen werden, dass die Religiösität im Alten Orient mehrere Dimensionen aufweist. Man kann unterscheiden:
1) eine staatliche Ebene (der jeweilige Staatsgott, z.B. Jahwe)
2) eine lokale Ebene (die Stadtgottheit)
3) eine familiäre Ebene (der Familien- oder Sippengott, zu dem der Einzelne ein persönliches Verhältnis hat)
Zu 3):
Es gibt im AT mehrere Hinweise auf private Hausgötter, die neben Jahwe eine Rolle spielten. In 1 Sam 19,12ff. täuscht Davids Frau Michal, die Tochter des Königs Saul, die Verfolger ihres Mannes mit einem Hausgott-Bildnis, das sie so platziert und drapiert, dass die Verfolger es mit David verwechseln. (Natürlich sind die genannten Figuren historisch ungesichert). In Gen 31,19f. führen Jakob und Rahel bei ihrer Flucht ihren Hausgott mit sich. Dieser Gott-Typ, der auch weiblich sein konnte, hatte für Familien eine existentielle Bedeutung. Einige Funde zeigen erotisch gestylte Göttinnenbilder (Amulette). In Jer 44,17-19 gibt es einen Hinweis auf die familiäre Verehrung einer Himmelskönigin vom Typ der ägyptischen Isis.
Vergisst man das bei Überlegungen über Polytheismus vs. Monotheismus und konzentriert sich auf 1), dann fällt ein wichtiges Stück religiösen Lebens dieser Zeit aus der Rechnung heraus.
@Ravenik
Allerdings waren weder der Aton- noch der Elagabal- noch der Sol invictus-Kult monotheistisch. Der Aton-Kult war wenigstens henotheistisch, der Elagabal-Kult hingegen nicht einmal das wirklich.
Was den Aton-Kult betrifft: Die Ägyptologen J. Assmann und E. Hornung sehen das anders. Für sie ist Echnaton ein radikaler Monotheist. Im "Großen Sonnenhymnus" Echnatons heißt es:
Du einziger Gott, außer dem es keinen gibt...
Und:
Du hast den Himmel fern gemacht, um an ihm aufzuleuchten, um alles zu sehen, was du gemacht hast, du allein in deiner Gestalt als lebendige Sonne, glänzend, fern und doch nah. Du machtest Millionen von Gestaltungen aus dir allein...
Echnaton lässt die Tempel anderer Gottheiten schließen und schafft ihre Kulte ab. Er lässt ihre Bilder zerstören und ihre in Stein eingravierten Namen eliminieren. Die Verehrung der Sonne geschieht nicht durch das Volk, sondern einzig und allein durch Echnaton und seine Gemahlin Nofretete. Das Volk nimmt an der Verehrung nur auf dem Umweg über Bilder teil, die das Herrscherpaar von der Sonne angestrahlt zeigen.
Man kann die Sonnenverehrung als Ansatz zu einer Naturphilosophie sehen. Das meint J. Assmann. Für ihn ist der Atonkult nicht der Beginn eines monotheistischen Denkens, vielmehr hätte daraus eine Philosophie in der Art des Thales entstehen können. Man kann es auch unter dem Aspekt sehen, dass das eigentliche Gottesdenken der Ägypter - die Götter und die Menschen und die Welt sind Manifestationen des einen unsichtbaren und wahren Gottes - , dass dieses fast schon brahmanistisch anmutende Denken durch Echnatons Alleinverehrung eines physischen Objekts (Sonne), welches ebenso wie der Unsichtbare Gott die Welt aus sich hervorbringt, ins Archaische pervertiert wurde.
Aber genug für heute. Morgen gehe ich auf die Posts zum Thema Muttergöttin ein.