Oesterreich(-Ungarn) - bis wann und wie noch zu retten?

Star

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Gute Nacht zusammen.

Ich habe mich kuerzlich wieder vermehrt mit der Thematik Erster Weltkrieg befasst und bin hierbei auf deren Unvermoegen gestossen sowohl ihren eigenen Staat innenpolitisch, als auch im Krieg und der Diplomatie aussenpolitisch zu konsoldieren.
Da dies heute bekannter Fakt ist, stellt sich mir die Frage bis zu welchem Jahr und vor allem mit welchen Mitteln diese Debakel haetten verhindert werden koennen. Was waren, nicht die grossen Fehler im grossen Krieg, sondern die Fehler im vornerein.
Was ist mit der Moeglichkeit eines Ausgleichs zu Russland?
Hatte das spaete Oesterreich-Ungarn sogar finanzielle Probleme?
War der Plan um und mit Erzherzog Franz Ferdinand zu den Vereinigten Staaten von Grossoesterreich eine verpasste Gelegenheit innenpolitisch Festigung zu erreichen, auch wenn dies weiterhin andere Kronlaender aussen vor gelassen haette?
Wie haette man der militaerischen Schlagkraft Staerkung zukommen lassen koennen? Immerhin haben die Deutschen das auch in wenigen Jahrzehnten nach der Reichsgruendung geschafft, auch wenn deren "Zusammenschluss" aus Deutschen bestand.
Woran mangelte es moeglicherweise sogar irreparabel in Oesterreich(-Ungarn)?
In diesem Zusammenhang sehe ich auch schon die Schwaechen der Oesterreicher gegen Friedrich den Grossen, Napoleon, spaeter gegen Bismarcks Preussen, muss man da nicht eventuell schon frueher ansetzen?

Fuers erste war es das schon.
Freue mich ueber konstruktive Beitraege.
Ciao!
 
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Woran mangelte es moeglicherweise sogar irreparabel in Oesterreich(-Ungarn)?

1. Kein Konzept zur "Modernisierung der Gesellschaft.
- kein Abau von Schicht- bzw. Klassenunterschieden
- kein modernisiertes Bildungssystem

2. Kein Konzept zur Industriealisierung.
- mangelhafte Industriepolitik
- mangelhafter Ausbau der Infrastruktur (Eisenbahn etc.)

3. Kein Konzept für das "Nation-Building"
- kein ausreichender Aufbau einer kollektiven nationalen Identität

4. Kein ausreichendes föderatives System in Ö-U
- Polizeistaat statt Demokratisierung
- keine Anpassung der politischen Institutionen
- Unterdrückung von Strömungen aus den Teil-Republiken, problematisch: Ungarn!!

5. keine leistungsfähige militärische Organisation
- kein kompetentes Personal durch erhöhte Schulbildung
- keine ausreichende nationale Identität
- nicht angemesses Material für die Kriegsführung

Insgesamt ein komplexes Bündel, das in der Folge des "Wiener Kongresses" eine restaurative und repressive Tendenz zeigte und die Modernisierung gezielt und intendiert verhinderte.

Und gerade weil es zu keiner evolutionären Entwicklung im 19. Jahrhundert der einzelnen Teilbereiche kam, erfolgte die Anpassung als eine bruchhafte revolutionäre Entwicklung als Folge des WW1.

Vergleich zu dieser Sichtweise Mann und/oder Acemoglu.

http://books.google.de/books?id=-DmpXJ60UzsC&printsec=frontcover&dq=michael+mann,+sources+of+power&hl=de&sa=X&ei=Lc_bUe-8G4btsgacr4D4Dg&ved=0CEUQ6AEwAQ#v=onepage&q=michael%20mann%2C%20sources%20of%20power&f=false

http://books.google.de/books?id=ELo...a=X&ei=Ds_bUcGGAYzItAaw9oGwDQ&ved=0CEQQ6AEwAA
 
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5. keine leistungsfähige militärische Organisation
- kein kompetentes Personal durch erhöhte Schulbildung
- keine ausreichende nationale Identität
- nicht angemesses Material für die Kriegsführung
1.-4. sehe ich auch so
bei 5. allerdings "jein"

vom ersten Drittel des 19. Jh. bis in die Zeit der Brisanzkrise hinein musste der österreichische Festungsbau (in dieser Zeit nicht nur militärisch notwendig trotz des hohen Aufwands, sondern zugleich auch Prestigeobjekt) im Vergleich zum preussischen bzw. dann später kaiserreichischen Festungsbau etwas kleinere Brötchen backen, was insbesondere den massiven Ausbau mit Steingewölben betrifft (solche entstanden in Österreich in geringerem Ausmaß) - dennoch stemmte man um 1833-38 das Großprojekt Festung Franzensfeste ? Wikipedia und bald darauf das gewaltige Riesenprojekt des Festungsvierecks von Verona Das Festungsviereck an Mincio und Etsch ? Wikisource Verona und die erstaunliche Festung Komorn Festung Komorn | Österreichische Gesellschaft für Festungsforschung / Austrian Society for Fortification Research

der österr. Oberingenieur von Verona, Franz von Scholl, erarbeitete ein architektonisches Bauprogramm, dass Stärke und Kraft aussagen sollte mit bewußter Anlehnung an klassizistische Archiktektur, vergleichbar mit der klassizistischen Großfestung Koblenz (vgl. Hackelsberger, das Festungsviereck Verona-Peschiera-Mantua-Legnano)

waren diese gigantischen Militärbauten des 19. Jhs. trotz aller Mühen bei weniger starker Wirtschaftskraft Österreichs (vgl.Hackelsberger) immerhin militärisch seinerzeit modern und fest genug, so vermochte Österreich-Ungarn im späten 19. und frühen 20. Jh. in Sachen kostspieligem Festungsprogramm durchaus mit Frankreich, Deutschland und Russland mithalten: dies belegen die gewaltigen Beton-Gürtelfestungen mit ihren Panzerkuppeln wie Pula, Przemysl, Bucht von Kotor, Krakau (Krakau ist wie Pula nahezu vollständig erhalten!)

...freilich saß in diesen modernen Großfestungen ein Militär, wie es etwas überzeichnet Capek in seinem Roman "der brave Soldat Schwejk" karikierte... :):)
 
Militärisch war Österreich doch recht leistungsfähig, da sehe ich kein grundsätzliches Scheitern.

Für mich ist aber der Umbau 1867 der entscheidende Punkt. Die Stellung der Ungarn und damit die offensichtliche Benachteiligung der Slawen konnte in den nächsten 50 Jahren nicht entsprechend den politischen Notwendigkeiten angepasst werden.
 
Na ja, was heisst militaerisch leistungsfaehig.
Weder gegen Preussen, noch Italien, noch Serbien, noch Russland hat man so wirklich dominiert.
Oder sehe ich das falsch?
Wie gesagt; auch zurueck in der Geschichte gegen Napoleon oder Friedrich II. war das nicht anders.
 
Na ja, was heisst militaerisch leistungsfaehig.
Weder gegen Preussen, noch Italien, noch Serbien, noch Russland hat man so wirklich dominiert.
Oder sehe ich das falsch?
Wie gesagt; auch zurueck in der Geschichte gegen Napoleon oder Friedrich II. war das nicht anders.
Leistungsfähig muss ja nicht siegreich heißen oder würdest Du die Deutsche Armee im ersten Weltkrieg nicht als leistungsfähig bezeichnen?

Ich sehe die österreichische Armee als Stabilisator an, aber es reichte halt nicht.
 
1.-4. sehe ich auch so
bei 5. allerdings "jein"

vom ersten Drittel des 19. Jh. bis in die Zeit der Brisanzkrise hinein musste der österreichische Festungsbau (in dieser Zeit nicht nur militärisch notwendig trotz des hohen Aufwands, sondern zugleich auch Prestigeobjekt) im Vergleich zum preussischen bzw. dann später kaiserreichischen Festungsbau etwas kleinere Brötchen backen, was insbesondere den massiven Ausbau mit Steingewölben betrifft (solche entstanden in Österreich in geringerem Ausmaß) - dennoch stemmte man um 1833-38 das Großprojekt Festung Franzensfeste ? Wikipedia und bald darauf das gewaltige Riesenprojekt des Festungsvierecks von Verona Das Festungsviereck an Mincio und Etsch ? Wikisource Verona und die erstaunliche Festung Komorn Festung Komorn | Österreichische Gesellschaft für Festungsforschung / Austrian Society for Fortification Research

der österr. Oberingenieur von Verona, Franz von Scholl, erarbeitete ein architektonisches Bauprogramm, dass Stärke und Kraft aussagen sollte mit bewußter Anlehnung an klassizistische Archiktektur, vergleichbar mit der klassizistischen Großfestung Koblenz (vgl. Hackelsberger, das Festungsviereck Verona-Peschiera-Mantua-Legnano)

waren diese gigantischen Militärbauten des 19. Jhs. trotz aller Mühen bei weniger starker Wirtschaftskraft Österreichs (vgl.Hackelsberger) immerhin militärisch seinerzeit modern und fest genug, so vermochte Österreich-Ungarn im späten 19. und frühen 20. Jh. in Sachen kostspieligem Festungsprogramm durchaus mit Frankreich, Deutschland und Russland mithalten: dies belegen die gewaltigen Beton-Gürtelfestungen mit ihren Panzerkuppeln wie Pula, Przemysl, Bucht von Kotor, Krakau (Krakau ist wie Pula nahezu vollständig erhalten!)

...freilich saß in diesen modernen Großfestungen ein Militär, wie es etwas überzeichnet Capek in seinem Roman "der brave Soldat Schwejk" karikierte... :):)


Der Erfinder des Schwejk heißt Jaroslav Hasek.

Ich muss bei deinem letzten Satz an den Ausspruch einer Wiener witzfigur denken:
"So a schöne armee ham´er g´habt, die Kaiserjäger, die Hoch- und Deutschmeister, und dann haben sie sie in den Krieg g´schickt.


Die Armee war vielleicht noch eine der verbindesten Institutionen der Donaumonarchie, und bei deiner Zitierung eines literarischen Werks musste ich an ein anderes denken, an Theodor Czokors 8. November 1918.

In den Karavanken trifft eine Gruppe von Offizieren aufeinander, die alle aus verschiedenen Kronländern stammen. Als die Nachricht vom Zusammenbruch der Monarchie eintrifft, versucht der Oberst Radolin sie geheim zu unterhalten, kann aber nicht verhindern, dass die Offiziere in ihre Heimat abrücken wollen und erschießt sich. In einer Schlüsselszene stehen die Offiziere am offenen Grab, und die Beerdigung des Oberst steht symbolisch für das Ende der Donaumonarchie:
"Erde aus Ungarn, Erde aus Kärnten, Erde aus Polen, tschechische Erde, slowenische Erde, italienische Erde" und schließlich "Erde aus Österreich".
 
Die Unausweichlichkeit des Endes Österreich-Ungarns bezweifle ich stark. Die Monarchie ist in Folge des Ersten Weltkriegs verschwunden (wie auch im DR und Russland) und auf Wunsch der Entente wurde der mitteleuropäische Raum neu geordnet. Vor allem die Tschechoslowakei beerbte die Multinationalität und Heterogenität des alten Österreichs, mitsamt allen damit verbundenen Problemen. Aber es geht ja nicht um das fait accompli des Herbst 1918, sondern der Eingangs gestellten "Was wäre gewesen wenn..."-Frage, die wie üblich nicht endgültig zu beantworten ist.

Zur oben Behaupteten Rückständigkeit Österreich-Ungarns in wirtschaftlicher, sozialer bzw. politischer Richtung möchte ich auf verschiedenste dazu erschienene Publikation verweisen - die besten Statistiken zur wirtschaftlichen Situation findet man immer noch im Katalog zur großartigen Ausstellung über Kaiser Franz Joseph auf Schloss Grafenegg im Jahre 1987, z.B. Beitrag von Univ. Prof. Alois Mosser - wesentliche These ist das rasant gewachsene BSP - Steigerung zwischen 1870 und 1913 um 86%, dies entspricht einem jährlichen Wachstum von 1,45. Im Vergleich dazu das DR mit 1,51 (ich schreib da jetzt aber nicht alles raus, das ist hier ein Forumsbeitrag und keine Diplomarbeit).

Die politischen Reformen, vor allem die Einführung es allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts 1908 in Cisleithanien oder dem mährischen Ausgleich von 1910 ganz zu schweigen. Der Kriegsausbruch verhinderte es zu wissen ob die Reformen gegriffen haben oder nicht.

Meiner Meinung nach ist das stärkste Argument GEGEN die Unausweichlichkeit des Endes Ö-U das Funktionieren des Staates und seiner Verwaltung bis zum Ende des Reiches. Es gab in Ö-U Streiks, Demonstrationen und lokale Aufstände während des Krieges - diese fanden aber genauso im DR oder in Frankreich statt. Sehr empfehlen dazu kann ich den Historiker Heinrich Drimmel "Vom Umsturz zum Bürgerkrieg" in dem die letzten beiden Jahre ausführlich beschrieben werden.

Ein immer angeführtes Argument für die zerfahrene Situation Ö-Us ist die Benachteiligung der Slawen, vor allem der Tschechen. Dabei vergessen wird ua. der galizische Ausgleich von 67 bzw. 1908. Die Böhmen wollten mehr Autonomie, keine Frage. Aber die Idee der vollständigen Unabhängigkeit wurde vor 1914 von einer verschwindenden Minderheit getragen. In den breiten Diskurs kam diese Idee erst 1917/18! Sehr zu empfehlen dazu "Wo ist unsere Heimat" von Pithart, Prihoda und Otahal.

Francois Fetijö führ ich nur der Vollständigkeit halber an - seine These einer Zerschlagung Ö-U nur durch auswärtige Kräfte halte ich für etwas zu "ambitioniert".

Zusammenfassend möchte ich sagen dass aus meiner Sicht (die sich aus Lektüre zur mitteleuropäischen Geschichte des 19. Jhdts bildete) ein Ende Österreich-Ungarns vor dem Jahreswechsel 1917/18 unwahrscheinlich war. Danach setzte ein rascher Errosionsprozess ein, vor allem auch die Überzeugung in Paris, London und Washington mit der Gründung dreier neuer Vielvölkerstaaten (Tschechoslowakei, SHS bzw. Jugoslawien und Rumäniens - nicht zufällig später die "kleine Entente" genannt) Mitteleuropa bündnispolitisch neu zu ordnen.

Die Geschichte ist einen anderen Weg gegangen - es bleiben daher nur Hypothesen.
 
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Nachtrag: die ganze K.u.K.-nostalgische Literatur von Roth, Cszokor, Kuh usw. die den drohenden Untergang schon vor 14 konstruierten entstand ab den späten 20er und vor allem in den 30er Jahren. Da wars schon vorbei mit dem Reich des Doppeladlers...
 
Meiner Meinung nach ist die Habsburger Nostalgie neben Österreich dort am stärksten wo die Menschen am Ärmsten sind oder von Kriegen gebeutelt. Einer meiner Kollegen war sehr geschockt wie der gemeinsame Staat in Tschechien gesehen wird. In Ungarn scheint die Geschichtsschreibung und Gesellschaft auch Anti-Habsburger eingestellt. In Kroatien, der Vojvodina und Bosnien gibt es dagegen Recht viel Nostalgie an die Gute alte Zeit. Ohne Jugoslawien würde das in Kroatien auch anders aussehen.
 
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Die K.u.K.-Nostalgie a´la Sissi & Franzl ist der größere Feind einer objektiven Betrachtung und Bewertung der Habsburger-Monarchie als die Geschichtsverteufelung im Stile des "Temno" von Jirasek.

Ich stoße immer wieder auf beeindruckende Beispiele für DIE kreative Kraft dieses Reiches - einen unglaublich weisen Pragmatismus mit dem Ziel einen Konsens zu finden. (Ich sollte endlich beginnen all das auch aufzuschreiben was mir Historiker und Dissertanten beim Plausch erzählen, dummerweise ist da meisten auchs Bier dabei und ich vergess es dann - tja, auch Rovere erliegt gerne seinen hedonistischen Schwächen, ein typisch österreichisches Schicksal.....)

Ein guter Freund von mir hat kürzlich im Rahmen eines Forschungsprojekt die Protokolle des cisleithanischen Reichsrats von 1880 bis 1914 geordnet und dabei natürlich durchgesehen. Und er war bar erstaunt vom reichen wie auch geordneten parlamentarischen Leben! Die Obstruktionspolitik der Jungtschechen war dabei Episode die sich aber ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat.

Kurz und gut - das letzte halbe Jahrhundert von Ö-U gibt deutlich mehr her als Sachertorte und Mayerling. Es ist aber nicht im historischen Bewusstsein, es gibt ja kaum Dokus drüber und falls ja, dann ist es anekdotisches zum Kaiserhaus.
 
Militärisch war Österreich doch recht leistungsfähig, da sehe ich kein grundsätzliches Scheitern.

Für mich ist aber der Umbau 1867 der entscheidende Punkt. Die Stellung der Ungarn und damit die offensichtliche Benachteiligung der Slawen konnte in den nächsten 50 Jahren nicht entsprechend den politischen Notwendigkeiten angepasst werden.

Die letzten Kriege Österreich-Ungarns gingen verloren. Im Weltkrieg hat man sich gegen die Italiener behauptet, ansonsten ging ohne deutsche Unterstützung nicht wirklich viel.
 
In Südosteuropa ist es vor allem eine empfundene kulturelle Überlegenheit gegenüber dem Osmanischen Reich. Für die Bosniaken gilt dies freilich nicht, aber für die Kroaten und Teile der Serben schon.
 
Die Unausweichlichkeit des Endes Österreich-Ungarns bezweifle ich stark.

Im Prinzip ähnelt die Diskussion der Frage, ob der Zusammenbruch der UdSSR unausweichlich war.

In beiden Fällen war er sicherlich nicht unausweichlich, aber wichtige Reformen kam entweder gar nicht oder sind zu spät eingeführt worden. Und führten in Kombination mit externen Ereignissen zum Niedergang.

Folgt man der Argumentation in "Why Nations fail", dann ist es im Fall von Ö-U die Kombination aus einer nicht leistungsfährigen politischen Organisation und einem nicht ausreichend entwickelten industriellen Potential, das den Niedergang erklärt.

So weisen sie darauf hin, dass beispielsweise das Weben von Stoffen noch bis 1918 teilweise per Hand betrieben wurde.

Why Nations Fail: The Origins of Power, Prosperity and Poverty - James A. Robinson, Daron Acemoglu - Google Books

Österreich war bis 1914 eines der größten und auch bevölkerungsreichsten Länder, aber in seiner Modernisierung hinkte es wie Russland anderen westeuropäischen Ländern hinterher.

Und diese Rückständigkeit, so weist Turgot m.E. zu Recht darauf hin, führte in wichtigen Schlachten / Kriegen im zu einer Unterlegenheit gegenüber den Rivalen.
 
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James. A. Robinson verweist auf die wirtschaftliche Rückständigkeit absolutisitscher Systeme des 19. Jahrhunderts gegenüber frühdemokratischen Staaten. Ich kann dieser These grundsätzlich zustimmen, verstehe nur nicht was das mit der Ausgangsfrage dieses Threads zu tun hat? Nach der Revolution 48/49 wandelt sich der österreichische Kaiserstaat in einen konstitutionellen Staat, das Silvesterpatent 1851 leitet die neoabsolutistische Phase ein (geprägt aber von zahlreichen Wirtschaftsreformen wie der Gewerbefreiheit von 1859) die ab dem Oktoberdiplom 1860 wieder in Richtung konstitutioneller Monarchie geht und ab 1867 Fakt ist.
Das ganze im Verbund mit einer rasanten Entwicklung von Industrie und Forschung. (Da lass ich mal die kulturelle Explosion aussen vor....)

Österreich-Ungarn zeichnete ein gewaltiges Ost-Westgefälle aus, das ist richitg. Aber weite Teile de Cisleithanischen Gebieten, vor allem den Industriezentren in Böhmen und Schlesien, waren längst mit Westeuropa gleichgezogen. Eine Gleichsetzung Ö-Us mit dem zaristischen Russland ist sowohl wirtschafts- wie verfassungsgeschichtlich nicht zulässig.
 
Und diese Rückständigkeit, so weist Turgot m.E. zu Recht darauf hin, führte in wichtigen Schlachten / Kriegen im zu einer Unterlegenheit gegenüber den Rivalen.

Bei Königgrätz 1866 siegten die Preußen vor allem wegen des Zündnadelgewehrs und der Nutzung ihres gut ausgebauten Eisenbahnnetzes. Hinterlader und Repetiergewehre nutzte die k.k. Armee relativ spät und unter Widerständen. 1914 erlitt die Donaumonarchie schon zu Beginn des Krieges hohe Verluste innerhalb des Offiziers- und Unteroffierskorps ihrer Friedensarmee. Der Mangel an Maschinengewehren und eine veraltete Militärdoktin mit massierten Frontalattacken sorgten für hohe Verluste. Trotz Teilerfolgen bei Komorovo und Zlczow ging fast ganz Galizien samt Przemysl verloren, wobei die Russen bei den Schlachten um Lemberg von Informationen profitierten, die ihnen der Oberst Alfred Redl verkauft hatte.

Vieles oben gesagte, trifft auch auf die russische Armee zu. Auf die Gegebenheiten des so von keinem Armeestab vorausgesehenen Graben- und Abnutzungskrieg war eigentlich kaum eine Armee vorbereitet, und es dauerte lange und hatte einen überaus blutigen Trial und Error- Prozess zur Folge, bis sich taktische Neuerungen wie Infiltrationstaktik, die Militärs wie Brussilow, Georg Bruchmüller und Oskar von Hutier erprobten durchsetzen konnten. Die Briten mussten, nachdem sie 6 Tage lang die deutschen Stellungen bombardiert hatten, am 1. Tag der Sommeschlacht 50.000 Mann Verluste, darunter fast 20.000 Tote an einem Tag beklagen. Ähnlich erging es den deutschen vor Verdun und den Franzosen 1917 am Chemin des Dames.

Was die Ausrüstung mit schwerer Artillerie betraf, von der sich die Militärs am meisten versprachen, war die k. k. Armee, wenn ich mich nicht täusche, nicht einmal schlecht ausgerüstet und der kaiserlich russischen sogar stellenweise überlegen. Der größte Erfolg der Russen im WK war ja 1916 gar nicht erwartet worden und eher improvisatorisch, als Kollegen Brussilow schwere Artillerie verweigerten, und davon ausgingen, dass für eine erfolgreiche Offensive mindestens eine dreifache artilleristische Überlegenheit notwendig sei.
 
... Eine Gleichsetzung Ö-Us mit dem zaristischen Russland ist sowohl wirtschafts- wie verfassungsgeschichtlich nicht zulässig.

Wenn Du Dir die von Thane eingestellten statistischen Reihen anschaust, hast Du in Bezug auf den Unterschied von Cisleithanien und Transleithanien recht. Andererseits können die Vorsprünge von Cisleithanien die Defizite, in wirtschaftshistorischer Sicht, von Transleithanien nicht überkompensieren.

M.
 
star schrieb:
Was ist mit der Moeglichkeit eines Ausgleichs zu Russland?

Nun ja, im Jahre 1897 erkannte der Ballhausplatz, das die Zeit für eine außenpolitische Verständigung reif sei. Im Zuge des griechisch-türkischen Krieg nahmen beide Mächte eine deeskalierende Position ein und es war Rußland, welches auf die anderen Balkanstaaten einwirkte, damit diese nicht militärisch in den Konflikt eingreifen. Diese Entspannung hielt bis zum Jahre 1908, in dem die Annexionskrise um Bosnien und der Herzegowina Europa in Atem hielt.

Die Entente mit Rußland schien auch innenpolitisch geboten, denn es tobte zwischen beiden Reichshälften ein heftige Auseinandersetzung um die Verlängerung des Ausgleichs von 1867.

Langfristig war ein Ausgleich mit Rußland wohl nicht zu erreichen, es sei denn Österreich-Ungarn wäre bereit gewesen als anerkannte Großmacht abzudanken. Das Prestige war ja schon zu jener Zeit erheblich beeinträchtigt. Die Donaumonarchie galt quasi als Anhängsel des Deutschen Reiches, ob wohl es gerade auf der Konferenz von Algericas im Jahre 1906 das Gegenteil bewiesen hatte.

Und für Rußland galt nach der Niederlage im Jahre 1905 gegen Japan der Balkan als Prestigeobjekt erster Güteklasse.
 
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