Eyre Crowe im britischen Foreign Office

Turgot

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Fuer die Tatsache, dass Deutschland sehr prosperierend war spricht eine Radiodoku des Deutschlandfunks

http://www.deutschlandfunk.de/der-weg-in-den-ersten-weltkrieg-grossbritannien-und.724.de.html?dram:article_id=272939

"Durch permanentes Nörgeln", "Schikanen und Beleidigungen" versuche sich Deutschland, so Crowe, bei jeder Gelegenheit Vorteile zu verschaffen. Lediglich eine absolut unnachgiebige Entschlossenheit, britische Rechte und Interessen in jeder Region des Globus zu schützen, werde den Respekt der deutschen Regierung und der deutschen Nation gewinnen.

Der britische Außenminister Sir Edward Grey empfahl sie Premierminister Sir Henry Campbell-Bannerman und anderen hohen Ministern die Erkenntnisse von Crowe. Sie entsprachen nämlich einer in den führenden Kreisen der britischen Außenpolitik weitverbreiteten Auffassung.
Dahinter verbarg sich gewiss auch das geradezu sensationelle Wirtschaftswachstum Deutschlands. In den Jahren von 1860 bis 1913 vervierfachte sich der deutsche Anteil an der weltweiten Industrieproduktion, während der britische Anteil um ein Drittel sank. "

Crowe war ein notorischer Deutschenhasser und hat seinen nicht gering zu veranschlagenden Einfluss im Foreign Office für eine antideutsche Außenpolitik Großbritannien eingesetzt.

Interessant ist, das im Deutschen Reich 1913 noch 35% der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig waren. In Großbritannien waren es lediglich 11%.
 
Crowe war ein notorischer Deutschenhasser und hat seinen nicht gering zu veranschlagenden Einfluss im Foreign Office für eine antideutsche Außenpolitik Großbritannien eingesetzt..

Ist hier OT:

Das ist mE überspitzt formuliert, und Ausfluß des Literaturstreits um Crowes Memorandum von 1907, das (von Grey initiiert) in den Entscheidungsbereichen der britischen Politik zirkulierte. Ich verweise auf Zara Steiners Anlayse des Personals des Foreign Office, Keith Niellsons Arbeiten zur Politikgeschichte und anderen in der internationalen Literatur (Fergusons wieder mal ausgenommen, da er sich iW auf selektierte und negativ "gedeutete" Zitate von Crowe bezieht.

Man muß hier den Zeitenwandel berücksichtigen, und die Professionalisierung und Entpersonalisierung ("bottom up" statt "top down") der britischen Außenpolitik. Hier fand ein Generationenwechsel statt, Ausbildung spielte eine größere Rolle, und auch ein System- bzw. Verfahrenswechsel, den zB Zara Steiner beschreibt. Die Bedeutung von Memoranden stieg: breite Analysen mit Prämissen und natürlich Beeinflußung durch Schlußfolgerungen. Rose oder Schöllgen beschreiben das nur unvollständig, und verdichten hier mE unzulässig bzw. grenzen diesen Kontext aus.

Bei Crowe Emotionen wie Haß hinein zu interpretierten, findet keine Grundlage. Hier spielten auch keine Phobien eine Rolle, gegen Deutschland oder meinetwegen auch Rußland oder Frankreich (bei weiteren Beispielen der "neuen" Generation), sondern Lageanalysen und Grundüberzeugungen über Bedrohungen oder Chancen der britischen Politik. Crowe war ohne Zweifel höher gebildet und international erfahrener als andere im Foreign Office, mit scharfer Analytik und auch Kompromißlosigkeit in dem Bestreben ausgestattet, Politiklinien zu bestimmen. Rose geht völlig an der Sache vorbei, seine "minutes" als unsinnig lang zu bezeichnen, oder in die Nähe von Egozentrik zu rücken.

Die Grundüberzeugungen Crowes, selbstredend probritisch und ansonsten gegen alle:

1. Jedes kontinentale Bündnis zwischen Deutschland und Rußland wird letztlich Frankreich ebenfalls einbeziehen und England mittelfristig bedrohen

2. Großbritannien kann in der Verbindung von europäischer Politik und asiatischem "Great Game" gegen Rußland nicht standhalten, somit muß zwingend eine Verständigung mit Rußland zur Ausschaltung dieser Bedrohung her.

3. Großbritannien muß die Entente mit Frankreich und Rußland unter allen Umständen aufrechterhalten*, und sich dafür auch klar positionieren, mit einer Politik der Stärke und klaren Linien gegen beide und natürlich gegen Deutschland.** ... ***

4. In diesem Kontext basiert Großbritanniens Sicherheit und die des Empire ausschließlich auf einer Flotte, die jedem Rüstungswettlauf standhalten muß, egal wieviel Geld das kosten würde.

In dem Sinne trat er - und da wird das Fundamentale sichtbar - auch für eine Politik der Stärke gegen Rußland auf, so zB 1912/14 in der Krise um Persien, die als strategische Bedrohung für Indien gewertet wurde. Überdies war Crowe im Kontext seiner Zeit wie viele auch mit darwinistischen Zügen geprägt, Politik als "struggle for survival" (in dem Fall bezogen auf das "Empire") zu verstehen. In dem Sinne war er auch ein "Falke" (-> Rose) bzw. Hardliner, wo er Bedrohungen für das Empire sah (und das betraf alle, nicht nur Deutschland).

Und wenn man den Bogen weiter spannen will, in die Julikrise 1914: genau das Fehlen dieser klaren Linie und der Politik der Stärke - Signal über den Kriegseintritt Großbritanniens im Fall des großen europäischen Krieges - wird im Nachgang als ein Faktor gesehen, der der deutschen Seite nicht die Risiken der Juli-Eskalation glasklar machte. Natürlich gab es gute Gründe für das Fehlen dieser Positionierung, als wichtigem auch den, dass das vor dem August 1914 vermutlich nicht mehrheitsfähig im Kabinett und in der britischen Öfentlichkeit gewesen wäre. Das deutsche "Wackeln" gegen Schluß der Krise mit Blick auf Großbritannien mag aber ein Indiz dafür sein, dass diese harte britische Positionierung den Verlauf hätte verändern können.

Enger zum Thema:
Das oben nur angerissene Memo Crowe basierte auch auf ökonomischen Analysen: so wurde der ökonomische Aufschwung Deutschlands von ihm ohne weiteres als vorteilhaft für Großbritannien gewertet, iSv Handelswettbewerb und liberalistischem Laissez-faire als Fundamentalüberzeugung. Das kann man alles kritisieren, muß es aber im Kontext seiner Zeit sehen. In diesen Kontext ist auch seine Perzeption von der deutschen Wirtschaftskraft zu stellen, die zeitgemäß weniger von tiefschürfenden ökonomischen Analysen, als vielmehr von ein paar "highlights" im Sinne üblicherweise ausgewählter Kennzahlen zu verstehen ist. Diese Wahrnehmungen - thanepower hat es oben schon mit Blick auf die Finanzlage zum ausfruck gebracht - sind scharf von Realitäten zu trennen. Richtig ist in jedem Fall, dass er das Deutsche Reich als wirtschaftlich stark und wachsend verstand, ebenso wie übrigens noch stärker das Russische Zarenreich.

Zum BIP später.

* bzw. herbeiführen, wenn man seine Standpunkte vor 1904 und 1907 zugrunde legt. auch bei dieser "Herbeiführung" war er der klaren Überzeugung, dass das für Großbritannien nur mit gezeigter Stärke gegen Rußland und Frankreich möglich sein (und als Kind seiner Zeit schließt das natürlich die Akzeptanz ein, militärisch zusammenprallen zu können).

** das bedeutet in seiner Logik zwingend, dass keine wachsweichen Verständigungen mit dem Deutschen Reich möglich sind, die die französische und russische Positionierung zu den Interessenausgleichen gefährden können, und die umgekehrt nichts zur Sicherheit Großbritanniens beitragen können (was zweifelsohne eine richtige und nachvollziehbare Analyse darstellte). Diese würde die Absprachen erschüttern, zunächst Rußland und mittelfristig dann Frankreich auf die deutsche Seite ziehen.

*** was zum Beispiel dazu führte, dass er sich als Gefahr der Schwäche gegen den Rückzug der RN aus dem Mittelmeer als falsche Signale gegen Frankreich und Großbritannien aussprach. Solche Beispiele gibt es für den Fall Crowe viele.
 
[FONT=&quot]Hmh, selbst George Monger schreibt, das Eyre Crowe den antideutschen Flügel, vielleicht Hass das falsche Wort, im Foreign Office zuzurechnen ist. Crowe hatte einen unerschüttlichen Argwohn gegenüber dem Deutschen Reich. So schrieb er beispielsweise, wenn Deutschland die Chance erhielt, die Programmatik der Alldeutschen zu realisieren, so würde dies die deutsche Regierung mit ihrer gewohnten Energie auch tun. Des Weiteren behauptet er, dass das Deutsche Reich gute Beziehungen zu Großbritannien nur aus der Position der Stärke sprich Hegemonie anstreben würde. Besuche von Deutschen in England betrachtete er mit Unbehagen und mehr noch wenn deren Aufnahme freundlich war. Crowe war sehr heftig besorgt, das es dem Reich gelingen könnte, die Entente Cordiale aufzulösen und durch eine deutsch-britische Vereinbarung zu ersetzten.[/FONT]

[FONT=&quot]Vielleicht verspürte er keinen Hass, aber eine starke Ablehnung wohl doch.[/FONT]
 
Bei Konad Canis, Der weg in den Abgrund heisst es beispielsweise zu Crowe: "Der antideutsche Zug dommnierte durchaus besonders im Foreign Office mit Hardinge, Eyre Crowe, Bertie und Nicolson, das vom Parlament weitgehend unabhängig intern die Außenpolitik steuerte." (1)

Crowe seine Behauptung in der genannten Denkschrift von 1907, dass das Deutsche Reich Großbritannien seit 1890 regelmäßig erpresse, geht wohl doch ein wenig an der Realität vorbei. ein Sandersen hätte wohl anders geurteilt. Und doch stieß Crowe seine Denkschrift auf Interesse.

Bei Klaus Wormer, Großbritannien, Rußland und Deutshland steht zu Crowe:
" Sein (Grey, Anmkerung von mir) Amtsantritt wurde 1906 von der antideutschen Gruppe, die das Forreign Office beherrschte, begrüßt.(2)



(1) Canis, Der Weg in den Abgrund, S.179
(2) Wormer, Großbritannien, Rußland und Deutschland, S.68
 
Hmh, selbst George Monger schreibt, das Eyre Crowe den antideutschen Flügel, vielleicht Hass das falsche Wort, im Foreign Office zuzurechnen ist. Crowe hatte einen unerschüttlichen Argwohn gegenüber dem Deutschen Reich. So schrieb er beispielsweise, wenn Deutschland die Chance erhielt, die Programmatik der Alldeutschen zu realisieren, so würde dies die deutsche Regierung mit ihrer gewohnten Energie auch tun. Des Weiteren behauptet er, dass das Deutsche Reich gute Beziehungen zu Großbritannien nur aus der Position der Stärke sprich Hegemonie anstreben würde. Besuche von Deutschen in England betrachtete er mit Unbehagen und mehr noch wenn deren Aufnahme freundlich war. Crowe war sehr heftig besorgt, das es dem Reich gelingen könnte, die Entente Cordiale aufzulösen und durch eine deutsch-britische Vereinbarung zu ersetzten.

Vielleicht verspürte er keinen Hass, aber eine starke Ablehnung wohl doch.

Es kommt halt darauf an, auf wen man sich in der Diskussion um Crowe bezieht. Monger ist die ältere Fraktion, und da war das Abklatschen von Crowe "trendy".

Ablehnung, Argwohn, antideutscher Flügel trifft die Sache schon.

Worum es mir oben ging, war der Kontext dieser Person und die fundamentale (emotionslose!) Basis seiner außenpolitischen Einschätzung. Hier muß man akzeptieren, dass Crowe der festen Überzeugung war, dass ein Bündnis oder eine Entente mit Deutschland iS eines (förmlichen!) Interessenausgleiches für Großbritannien nachteilig sein würde. Nur am Rande sei bemerkt, dass man sich in den kolonialpolitischen Fragen bis 1913 weitgehend verständigt, ausgeglichen und streitlos gestellt hatte (aber eben ohne förmliche "Entente" und Vertrag).

Mit den "Deutschen" oder "Deutschland" hatte das bei Crowe nichts zu tun, sondern mit den gegebenen Konstellationen GB/FRA/RUS, die das Empire sicherten (defensiv!).

Diese Konstellationen -und auch nicht mehr, etwa feste Bündnisse- waren für ihn Fixpunkt, denn sie sicherten den Status Quo für Großbritannien gegen mögliche Aggressionen zu seinen Lasten. Wenn man die Basis wie Steiner, Neilsson etc. akzeptiert, sind seine Memos verständlich: das die

- polemisch überspitzt sind (so funktioniert das im gemischt politisch-bürokratischen professionellen Ablauf des Außenamtes: Mischungen von Fundamentalanalysen und Beeinflußung),
- auch Gefahren überzeichnen,

ist doch völlig nachvollziehbar, wenn es ihm um die Abwehr von Aufweichungstendenzen der Interessenausgleiche mit FRA und RUS ging. Die Polemisierungen sind insoweit intellektuell Vorsatz, nicht "Emotion". Was der Mann mit Sicherheit nicht wollte, war Krieg. Indem er das vermeiden wollte, betonte er genau andererseits, dass man Kriegsbereitschaft auch in Krisen zeigen mußte. Im Prinzip sind das vorweggenommene Verhaltensweisen eines "Abschreckungsmodells", dessen Fehlen etwa einer Appeasementpolitik unter anderen Bedingungen später vorgeworfen wurden.

Schlußendlich hat er mit der "Politik der Stärke" einen plausiblen Ansatz verfolgt: hätte GB gegenüber FRA, RUS und insbesondere DEU in der Julikrise glasklare Signale ausgesendet, wären sowohl der Einstieg in die "calculated risks" eines Bethmann-Hollweg mittels offener Härte als auch die russischen Zuspitzungen (mäßigender Einfluß via Frankreich mit verdeckter Härte) auf andere Bedingungen getroffen.

Mehr Stellschrauben hatte Großbritannien nicht in der Julikrise, wenn man über deren Fehler nachdenkt.

P.S. die Marinekonvention zähle ich dazu bewußt nicht, dazu im anderen thread.
 
Es kommt halt darauf an, auf wen man sich in der Diskussion um Crowe bezieht. Monger ist die ältere Fraktion, und da war das Abklatschen von Crowe "trendy".

Ablehnung, Argwohn, antideutscher Flügel trifft die Sache schon.

Worum es mir oben ging, war der Kontext dieser Person und die fundamentale (emotionslose!) Basis seiner außenpolitischen Einschätzung. Hier muß man akzeptieren, dass Crowe der festen Überzeugung war, dass ein Bündnis oder eine Entente mit Deutschland iS eines (förmlichen!) Interessenausgleiches für Großbritannien nachteilig sein würde. Nur am Rande sei bemerkt, dass man sich in den kolonialpolitischen Fragen bis 1913 weitgehend verständigt, ausgeglichen und streitlos gestellt hatte (aber eben ohne förmliche "Entente" und Vertrag).

Mit den "Deutschen" oder "Deutschland" hatte das bei Crowe nichts zu tun, sondern mit den gegebenen Konstellationen GB/FRA/RUS, die das Empire sicherten (defensiv!).

Diese Konstellationen -und auch nicht mehr, etwa feste Bündnisse- waren für ihn Fixpunkt, denn sie sicherten den Status Quo für Großbritannien gegen mögliche Aggressionen zu seinen Lasten. Wenn man die Basis wie Steiner, Neilsson etc. akzeptiert, sind seine Memos verständlich: das die

- polemisch überspitzt sind (so funktioniert das im gemischt politisch-bürokratischen professionellen Ablauf des Außenamtes: Mischungen von Fundamentalanalysen und Beeinflußung),
- auch Gefahren überzeichnen,

ist doch völlig nachvollziehbar, wenn es ihm um die Abwehr von Aufweichungstendenzen der Interessenausgleiche mit FRA und RUS ging. Die Polemisierungen sind insoweit intellektuell Vorsatz, nicht "Emotion". Was der Mann mit Sicherheit nicht wollte, war Krieg. Indem er das vermeiden wollte, betonte er genau andererseits, dass man Kriegsbereitschaft auch in Krisen zeigen mußte. Im Prinzip sind das vorweggenommene Verhaltensweisen eines "Abschreckungsmodells", dessen Fehlen etwa einer Appeasementpolitik unter anderen Bedingungen später vorgeworfen wurden.

Schlußendlich hat er mit der "Politik der Stärke" einen plausiblen Ansatz verfolgt: hätte GB gegenüber FRA, RUS und insbesondere DEU in der Julikrise glasklare Signale ausgesendet, wären sowohl der Einstieg in die "calculated risks" eines Bethmann-Hollweg mittels offener Härte als auch die russischen Zuspitzungen (mäßigender Einfluß via Frankreich mit verdeckter Härte) auf andere Bedingungen getroffen.

Mehr Stellschrauben hatte Großbritannien nicht in der Julikrise, wenn man über deren Fehler nachdenkt.

P.S. die Marinekonvention zähle ich dazu bewußt nicht, dazu im anderen thread.


Monger steht mit seiner Einschätzung aber durchaus nicht allein. Ich habe ja oben namhafte Historiker genannt. Es ist doch so, das bei Crowe und seinen Gesinnungsgenossen eine vollkommen übertriebene Nervosität gegenüber den Deutschen zu konstatieren ist. Immer wieder wurde sich Sorge darüber gemacht, wie wirkt dies oder das in Paris. Das nahm ja schon groteske Züge an, beispielsweise durfte eine königlich Musikkapelle nicht nach Deutschland, da sich die antideutsche Fraktion über den Eindruck auf Paris sorgte.Und man dürfe ja nicht den Eindruck erwecken, als sei man nicht bündnistreu, so das man sich im Prinzip durch die Entente eigentlich der der notwendigen Handlungsspielräume für eine professionelle Außenpolitik begeben hat. Bismarck hätte es so ausgedrückt: Ich kann kein Schach spielen, wenn 12 Felder schon von vornherein blockiert sind. London war nicht mehr flexibel genug. Und eines sollte bei allem nicht übersehen werden. Es war die Triple Entente die sowohl das Deutsche Reich als auch Österreich-Ungarn immer mehr in die Enge getrieben haben.

Die Sorge über die Bündnistreue führte letzten Endes dazu, dass man seinen Verbündeten dazu riet, „fest zu bleiben“, was Frankreich dann in der Julikrise gegenüber Petersburg praktizierte. Diese Politik der Stärke, war eben nicht der Weisheit letzte Schluss. Unberücksichtigt blieb eigentlich dabei, dass beispielsweise es Frankreich war, was formell gültige Verträge gebrochen hat. Dass das Auftreten des Deutschen Reiches vollkommen destruktiv und kontraproduktiv war, ist unstrittig.

Ja, Großbritannien hätte seine Verbündeten deutlich machen müssen, das der geplante lokale Krieg Österreich-Ungarns kein Anlass ist, einen Flächenbrand auszulösen. Das wäre die Bremsfunktion. Gegenüber Berlin wären ebenfalls unmissverständliche Äußerungen nötig gewesen und das hätte möglicherweise stark ernüchternd gewirkt, wobei mir immer noch schleierhaft ist, wie man überhaupt auf die Idee gekommen ist, das Großbritannien bei einen Angriff auf Frankreich bzw. Belgien neutral bleiben würde.
 
Eyre Crowe hat ja in seiner Denkschrift von 1907 behauptet, dass das Deutsche Reich praktisch seit 1890 England regelmäßig erpresst habe.

Interessant finde ich, das, als sein Schwager Henry Spencer Wilkinson Bündnisvorschläge mit dem Deutschen Reich ventilierte, das war 1897, diese von Crowe gebillgt worden sind.
Es war der Burenkrieg und dessen negatives Echo in Deutshland und Wilhelms berühmte berüchtigte Krüger Depesche die Wilkinson wieder Abstand von seinen Gedanken nehmen ließen. Es vertrat die absurde Behauptung, das Deutsche Reich wolle Großbritannien über die Burenrepubliken in Südafrika beerben. Wilkinson führte später aus, das die Hauptgedanken seines Buches Eingang in Eyre Crowes Denkschrift von 1907 gefunden haben. (1)

(1) Hollenberg, Englisches Interesse am Kaiserreich
 
Mit den "Deutschen" oder "Deutschland" hatte das bei Crowe nichts zu tun, sondern mit den gegebenen Konstellationen GB/FRA/RUS, die das Empire sicherten (defensiv!).

Diese Konstellationen -und auch nicht mehr, etwa feste Bündnisse- waren für ihn Fixpunkt, denn sie sicherten den Status Quo für Großbritannien gegen mögliche Aggressionen zu seinen Lasten. Wenn man die Basis wie Steiner, Neilsson etc. akzeptiert, sind seine Memos verständlich: das die

- polemisch überspitzt sind (so funktioniert das im gemischt politisch-bürokratischen professionellen Ablauf des Außenamtes: Mischungen von Fundamentalanalysen und Beeinflußung),
- auch Gefahren überzeichnen,

ist doch völlig nachvollziehbar, wenn es ihm um die Abwehr von Aufweichungstendenzen der Interessenausgleiche mit FRA und RUS ging.

Das beschreibt aus meiner Sicht die relativ rationale britische Haltung im Vorfeld von 1914. Von GB gingen m.E. die geringsten aktiven Impulse aus, den WW 1 "anzuschieben".

Zudem soll, ergänzend zu der Darstellung von Silesia, mit Darwin ein weiterer Aspekt der britischen innenpolitischen Fraktionierung hinzugefügt werden.

Der Konflikt zwischen den klassischen "Blue Wather" "Strategen", wie beispielsweise Leopold Amery, die sich durchaus mit einem von Deutschland kontrollierten Kontinentaleuropa anfreunden konnten (Darwin, S. 307) und der Fraktion, die in einer einseitigen Verschiebung der Machtbalance auf dem Kontinent, auch eine Rückwirkung und somit eine gravierende Beeinträchtigung der britischen Handelsinteressen sahen. Die letztlich zu einer Gefährung bzw. Instabilität des britischen Empire führen würde.

Unfinished Empire: The Global Expansion of Britain - John Darwin - Google Books

Diese primär strategische ökonomische Sichtweise unterlegt beispielsweise Peter (Britische Kriegsziele und Friedensvorstellungen, S. 99 ff in: Der Erste Weltkrieg, Michalka (Hg)) der britischen Motivation. Und erklärt diese Begründung für eine wichtige Motivation, sich in 1914 für den Kriegseintritt zu entscheiden und beruft sich dabei auf Lloyd George und seine "War Memories".

David Lloyd George ? Wikipedia

Bei Mombauer findet sich dieser Gedankengang in einer ähnlichen Form ausformuliert. Aus ihrer Sicht war die zentrale Frage der britischen Regierung vor 1914, wer aus der Sicht der britischen Interessen über den eigentlichen Krieg hinaus der bedeutsamere Verbündeter sein würde. Und natürlich indirekt als Garant für den Fortbestand des Empire agieren könnte.

Es war eine geopolitische Sicht auf die strategischen Konstellationen, die sich gravierend von der Sicht der betroffenen Kontinentalnationen unterschied.

So befürchtete London, im Falle eines siegreichen Krieges, gewonnen durch ein Bündnis aus R und F, dass vor allem Russland ein extrem gefährlicher Gegner für die britischen Interessen in Fernost (Indien etc.) bzw. auch im mittlern Osten (Persien etc.) wäre. Und das galt es zu verhindern!

Diese potentielle Bedrohung der politischen und wirtschaftlichen Interessen des britischen Empire vor 1914 durch Russland und Frankreich wurde als deutlich gefährlicher eingeschätzt, wie die Bedrohung durch die Achsenmächte. Man hat somit mit Russland koaliert, weil man sich durch Russland bedroht sah. Das ist der eine zentrale Aspekt für die britische Sicht.

The Origins of the First World War: Controversies and Consensus - Annika Mombauer - Google Books

Dieser relativ neutralen bzw. auch opportunistischen "Bedrohungsanalyse" wurde jedoch durch die deutsche Wirtschaftspolitik, die "Risikoflotte", durch die Forderung nach Neutralität bei dem Krieg gegen F und R zusätzlich aggressive Momente hinzugefügt, die auch als aktive Bedrohung gegen GB und der "Pax Britannica" interpretiert worden sind. Und das ist der andere zentrale Aspekt für die britische Entscheidung gegen die Achsenmächte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Eine gewisse Fahrlässigkeit darf Großbritannien schon attestiert werden. Man sah im Foreign Office nämlich durchaus die Gefahren, die mit der Einengung der Deutschen verbunden waren, aber die häufig sehr "bedeutenden" imperialisitischen Interessen des Empire überwogen eben diese Wahrnehmung.

Innerhalb der liberalen Regierung war der Kurs des Foreign Office ja auch nicht unumstritten. Auf dem linken Flügel beispielsweise sah man die entschlossene Unterstützung Russlands seit der Konvention, die eigentlich doch nur der Isolierung Deutschlands dienen könne, als großen Fehler, wenn nicht als Katastrophe an. Ein Beispiel für die Bündnispflege des Foreign Office mag die bosnische Anektionskrise sein. Kiderlen-Wächter hat angeboten gemeinsam zu vermitteln. Grey sah, verkürzt ausgedrückt, aber über das "verlogene Spiel" von Iswolski hinweg. (1)

Rose, Zwischen Empire und Kontinent
 
Zuletzt bearbeitet:
Eine gewisse Fahrlässigkeit darf Großbritannien schon attestiert werden. Man sah im Foreign Office nämlich durchaus die Gefahren, die mit der Einengung der Deutschen verbunden waren, aber die häufig sehr "bedeutenden" imperialisitischen Interessen des Empire überwogen eben diese Wahrnehmung.

Ja natürlich! Was würdest Du denn von der britischen Regierung erwarten. Das war pure, egoistische "Realpolitik", wie sie jede andere Großmacht auch formuliert hat.
 
Das beschreibt aus meiner Sicht die relativ rationale britische Haltung im Vorfeld von 1914. Von GB gingen m.E. die geringsten aktiven Impulse aus, den WW 1 "anzuschieben".

Genau, es ist gerade und einzig die Passivität in dieser Krise und damit zum falschen Zeitpunkt, die nachträglich in die Kritik rückte.

Der "Schlafwandler"-Vorwurf Clarks ist deswegen nicht neu, sondern alter Wein in neuen Schläuchen. Und dieser Vorwurf verkennt völlig die Volatilität der vorher betriebenen Politik gegenüber FRA und RUS. Greys Schaukelpolitik war eine Mischung aus Konservierung der Interessenausgleiche und die hartnäckigen Verweigerung der Verfestigung der Absprachen. Militärabsprachen fanden statt, wurden aber gleichzeitig mit glasklaren Hinweisen versehen, es gäbe weder Automatismus noch Garantie auf britischen Beistand. Gegenüber RUS zeigte man stets eine Mischung aus Nachgiebigkeit, Konfrontation und endloser Verzögerung der Absprachen. Kurzum: man gab soviel, um den Status Quo zu sichern, und keinen Schritt darüber hinaus. Explizit war es kein Ziel britischer Politik, den Zweiverband so zu stärken, dass er Europa dominieren würde.

Diese Gradwanderung aus Handschlag und Zurückweisung verfolgte man 10 Jahre lang. In jeder Krise war es ein Lotteriespiel, wieviel "Beistand" oder "Passivität" man sich leisten konnte, ohne die Konstellation augs Spiel zu setzen. im Zuge der Liman-von-Sanders-Krise stieß man RUS vor den Kopf.

Und diese Schaukelpolitik wurde zunehmend durch russische Ambitionen (und Aggressionen -> Persien) nach dem Wiederstarken ab 1906 erschwert. Im Nachhinein ist man immer schlauer, und mit Schlafwandeln hat diese komplizierte und letztlich versagende Gleichgewichtspolitik gar nichts zu tun gehabt.


Der Konflikt zwischen den klassischen "Blue Wather" "Strategen", wie beispielsweise Leopold Amery, die sich durchaus mit einem von Deutschland kontrollierten Kontinentaleuropa anfreunden konnten (Darwin, S. 307) und der Fraktion, die in einer einseitigen Verschiebung der Machtbalance auf dem Kontinent, auch eine Rückwirkung und somit eine gravierende Beeinträchtigung der britischen Handelsinteressen sahen. Die letztlich zu einer Gefährung bzw. Instabilität des britischen Empire führen würde.

Diese primär strategische ökonomische Sichtweise...

Es gab in der Literatur reichlich Versuche, explizite Nachweise für diese ökonomische Grundorientierung zu finden. Darin sind bislang alle gescheitert, resp. gibt es quellenseitig keine überzeugende Beweisführung. Man kann das lediglich als Grund- oder "Hintergrundrauschen" identifizieren, bis hin zu Mittelmeer-, Meerengen-, Persien- und Bagdadbahnfragen. Natürlich ist der Ausgangspunkt dieser regionalen strategischen Fragen, dass Indien als Säule des Empire begriffen wurde. Wenn man so will, ist das eine primär ökonomische Sichtweise.

Eine Konkretisierung ökonomischer Argumente anhand einzelner Krisen findet sich indes nicht, wie sich im Gegenteil sogar an der Meerengenfrage zeigen läßt. Diese ist nicht - wie in der älteren Forschung - als ein "Fundament" der britischen Politik zu begreifen. Vielmehr zeigt sich hier eine Aufweichung bis zum Weltkrieg: die Frage wurde in ihrer Bedeutung durch die Verfestigung der britischen Ägypten- und Zypernposition vielmehr erheblich relativiert, und in den internen Lageanalysen nicht mehr als zentraler Konfliktpunkt mit Rußland 1913/14 verstanden, sondern als Aspekt des "Nachgebens" (interessanterweise waren es CIB und Royal Navy, die die Rückzugsstrategie im Mittelmeer befürworteten, während das Foreign Office mehr Marinerüstung wollte. Zum Schluß war man damit zufrieden, ggf. nur noch ein Gegengewicht zur österreichischen Flotte zu stellen, und die Blockadeposition im östlichsten Mittelmeer zu behaupten).


Es war eine geopolitische Sicht auf die strategischen Konstellationen, die sich gravierend von der Sicht der betroffenen Kontinentalnationen unterschied. ...
Diese potentielle Bedrohung der politischen und wirtschaftlichen Interessen des britischen Empire vor 1914 durch Russland und Frankreich wurde als deutlich gefährlicher eingeschätzt, wie die Bedrohung durch die Achsenmächte.
Und in dieser Erkenntnis hat die deutsche Diplomatie komplett versagt. Diese Ambivalenz zwischen kontinentaleuropäischen Konstellationen und globaler Konfrontation war in britischer Sicht ja nichts Neues.

Und hier ist ein Aspekt von zentraler Bedeutung: Informationsgeschwindigkeit. Die Lage von handelnden Akteuren etwa 1880 ist mit 1904/14 nicht mehr zu vergleichen. Der Aspekt ist noch kaum untersucht.


Dieser relativ neutralen bzw. auch opportunistischen "Bedrohungsanalyse" wurde jedoch durch die deutsche Wirtschaftspolitik, die "Risikoflotte", durch die Forderung nach Neutralität bei dem Krieg gegen F und R zusätzlich aggressive Momente hinzugefügt, die auch als aktive Bedrohung gegen GB und der "Pax Britannica" interpretiert worden sind. Und das ist der andere zentrale Aspekt für die britische Entscheidung gegen die Achsenmächte.

Die zugleich unruhige und unzuverlässige, als auch starke und wachsende Großmacht Deutsches Reich. Alle britischen Lage- und Strategieanalysen erkennen diese deutsche Großmachtstellung und ihre Dynamik an. Das läßt sich relativ einfach anhand der wahrgenommenen Bedrohung für Frankreich ablesen. Und das läßt sich an den britischen Befürchtungen für einen deutsch-russischen Kontinentalblock ablesen (womit stets - und das hat nicht mit russophilen Fraktionen zu tun - argumentiert wurde, wenn Russland nachgegeben werden sollte.

Rußland wurde als dynamischer und aggressiver als das Deutsche Reich eingeschätzt. Im Gegensatz zur wirkungslosen deutschen "Risikoflotte" verfügte es jedoch über ein weit größeres, nämlich reales Bedrohungspotenzial für das Empire in Asien. Und genau dieser weit größeren Bedrohung in Gestalt von Russland gab man - rational und defensiv im Sinne eines "Containment" ausgerichtet, durch das wiederum die Beziehung zu Frankreich erheblich aufgewertet wurde - temporär nach.
 
silesia schrieb:
Der "Schlafwandler"-Vorwurf Clarks ist deswegen nicht neu, sondern alter Wein in neuen Schläuchen. Und dieser Vorwurf verkennt völlig die Volatilität der vorher betriebenen Politik gegenüber FRA und RUS. Greys Schaukelpolitik war eine Mischung aus Konservierung der Interessenausgleiche und die hartnäckigen Verweigerung der Verfestigung der Absprachen. Militärabsprachen fanden statt, wurden aber gleichzeitig mit glasklaren Hinweisen versehen, es gäbe weder Automatismus noch Garantie auf britischen Beistand. Gegenüber RUS zeigte man stets eine Mischung aus Nachgiebigkeit, Konfrontation und endloser Verzögerung der Absprachen. Kurzum: man gab soviel, um den Status Quo zu sichern, und keinen Schritt darüber hinaus. Explizit war es kein Ziel britischer Politik, den Zweiverband so zu stärken, dass er Europa dominieren würde
Clark ja auch nicht behauptet etwas neues zu bringen. Er hat im Prinzip den aktuellen Forschungsstand zusammengefasst, der eben klarstellt, das nicht nur das Deutsche Reich Schuld auf sich geladen hat. Auch wenn das einige nicht wahrhaben wollen und weiterhin von einer hauptschuld des Deutschen Reiches palavern, so als ob die Forschung seit Fritz Fischer stehen geblieben wäre.

Letzten Endes war Großbritannien zwecks Erhalt seines Empires auf das Wohlwollen Russlands angewiesen, deshalb hat man sich auch widerwillig beispielsweise auf die Verhandlungen mit dem Ziel einer Marinekonvention eingelassen.

Großbritannien hat sicher, wohl als einzige Großmacht, den Krieg nicht forciert, hat aber seine Verbündeten auch nicht an die Leine genommen oder hat etwas gegen die Isolierung der Mittelmächte getan und das hat die Postion Frankreichs und Russlands schon gestärkt. Und harmlos waren die Briten auch nicht....
 
CEr hat im Prinzip den aktuellen Forschungsstand zusammengefasst, der eben klarstellt, das nicht nur das Deutsche Reich Schuld auf sich geladen hat. Auch wenn das einige nicht wahrhaben wollen und weiterhin von einer Hauptschuld des Deutschen Reiches palavern, so als ob die Forschung seit Fritz Fischer stehen geblieben wäre.

Genau zu diesem Ergebnis kommt er ja so nicht. :winke: Es ist vielleicht nur ein sprachlicher Unterschied, aber "Schuld" diskutiert Clark ja gerade und explizit als nicht brauchbare Kategorie. Sondern spricht auch von Verantwortung.

Und beispielsweise French diskutiert ebenfalls in Anlehnung an Fischer nicht die "Schuld", sondern er greift es als Verantwortung des DR für die Auslösung des WW1 auf.

British Economic and Strategic Planning: 1905-1915 - David French - Google Books

Und bei Fischer ist die Diskussion über Verantwortung ja auch in die "Sonderweg-These" eingebunden, die sehr stark auf die innenpolitische Verkrustung abzielt. Und diese komplexe Argumentation von Fischer fällt bei den meisten Betrachtungen zu ihm mittlerweile einfach hinten runter.

Aber wir sind uns sicherlich einig, dass es ein kollektives Versagen in 1914 war. Und ich stimme da allerdings auch Clark zu, der dennoch Fischer in "Schutz" nimmt und deutlich macht, dass die Quellen und ihre historische Bedeutung, auf die sich Fischer bezieht, weiterhin ihre Relevanz besitzen.

Das gilt natürlich auch für die aussergewöhnlich kenntnisreichen Arbeiten von Röhl.

In diesem Sinne wird die Zuspitzung der alleinigen Verantwortung, wie Fischer zugeschrieben, für das DR relativiert, aber aus meiner Sicht ist damit nicht das historische Urteil vom Tisch, dass dem DR (inkl. Ö-U) und KW II einen substantiellen Teil der Verantwortung für den Ausbruch zuschreibt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Unterscheidung zwischen Schuld und Verantwortung in der Bewertung Clarks kann ich nur zustimmen:
http://www.geschichtsforum.de/687271-post48.html
(damals aufgrund der englischen Ausgabe)

Gleiches gilt für den Hinweis auf Fischer: zum Zeitpunkt seiner Publikation gab es eine tradierte Ablehnung der deutschen Verantwortung, angefangen bei der Verdrängungsliteratur der Weimarer Republik, der Leugnung im Dritten Reich und der weitgehenden Ausblendung nach 1945. Diese Verkrustung hat Fischer aufgebrochen, was auch Clark würdigt.

Mal als Gegengewicht zu Clark diese Publikation, die in Deutschland in der öffentlichen Diskussion (wie übrigens auch andere internationale Forschungen) kaum zur Kenntnis genommen wird:
The Three Emperors: Three Cousins, Three Empires and the Road to World War One - Miranda Carter - Google Books

und andere mehr.
 
Auf der Seite des Duden finden ich für das Wort Schuld folgendes Synonym: Verantwortung. Aber ich möchte mich nicht wirklich um Worte oder Begrifflichkeiten streiten.:winke: Ich denke, wir wissen was wir meinen.

Es gibt meines Erachtens nach eine Verantwortung (Schuld) für den unmittelbaren Ausbruch des Großen Krieges und dann darüber hinaus für dessen Ursachen. Für den Ausbruch hat das Deutsche Reich dank seiner katastrophalen Diplomatie in der Jukikrise schwere Schuld auf sich geladen. Aber auch Frankreich und insbesondere Russland haben einiges zu verantworten. Großbritannien hat hier sicher noch die geringste Verantwortung von den Großmächten. Bei den Ursachen allerdings sieht m.E. nach die Verteilung doch anders aus.
 
Die zugleich unruhige und unzuverlässige, als auch starke und wachsende Großmacht Deutsches Reich. Alle britischen Lage- und Strategieanalysen erkennen diese deutsche Großmachtstellung und ihre Dynamik an. Das läßt sich relativ einfach anhand der wahrgenommenen Bedrohung für Frankreich ablesen.

Richtig! Eine wichtige Stimme, die auch eine Bewertung der Haltung von GB bzw. von Grey ermöglichte, waren die Ausfürhungen des ehemaligen Botschafters Fürst Lichnowskys von 1912 bis 1914 in London.

Karl Max von Lichnowsky ? Wikipedia

Seine Ausführungen, die in der Dokumentation von Röhl zu finden sind, sind in einer Reihe von Punkten interessant und relevant.

1. Er kommt von London nach Kriegsausbruch zurück und anstatt sein "Versagen" durch eine kriegsorientierte Sicht von GB bzw. von Gry zu erklären und somit zu entschuldigen, passiert genau das Gegenteil.

Er entlastet die englische Position und er entlastet Grey in seiner Formulierung der britischen Politik.

Er kennzeichnet Grey als rationalen Politiker, der gegenüber dem DR durchaus verständigungsbereit war, in den Grenzen, die ihm vor allem das Bündnis mit Frankreich setzte.

2. Insgesamt beschreibt er die Haltung in GB, also unter den Eliten, als durchaus positiv bis neutral gegenüber dem DR, unterstreicht die hohe Bedeutung des Handels zwischen beiden Ländern, die auch GB, im Falle eines Krieges, empfindlich getroffen hätte.

3. Unter dem Strich hält er die Politik von Ö-U, unterstützt durch die Haltung des DR, für den wichtigsten Mechanismus, die den WW1 auslöste.

Und schreibt abschließend: "Die Kernfrage ist aber nicht: Hat Grey den Krieg gewollt? [Was Lichnowsky verneint]...sondern: "Haben wir den Krieg gewollt? (S. 58).

Zudem ist auffallend, dass die Argumente sich seit ca. 100 Jahren nicht grundsätzlich verändert haben.

Zwei deutsche Fürsten zur Kriegsschuldfrage - John C. G. Röhl - Google Books
 
Zu Lichnowsky kurz noch die aktuelle Aufarbeitung:

Christian Koch: Diplomatie - Kriegspropaganda - Landesverrat, Die deutschen Reaktionen auf die Denkschrift "Meine Londoner Mission 1912-1914" von Karl Max Fürst von Lichnowsky,
MGZ 2011, S. 261-286

Darin geht es um L. Memorandum, eine noch während des Weltkrieges entstandene Denkschrift und den darauf folgenden Streit.
 
Zu Sir Edward Grey

Grey war sicher einer derjenigen,zu nennen sind auch die deutschen Botschafter in London Lichnowsky und Pourtales in Petersburg, die sich wirklich um den Erhalt des Friedens bemüht haben. Grey muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, Großbritannien nicht schon frühzeitig klar positioniert zu haben. Aber nichtsdestotrotz, die deutschen Diplomatie wurde über Lichnowsky frühzeitig und eindringlich gewarnt.

Grey hat mit der Politik, der Balance of power, seiner Vorgänger gebrochen. Für ihn stand von vornherein fest, schon seit 1895 als junger Oppositionspolitiker, das Großbritannien ein Bündnis mit Frankreich und Russland eingehen muss. Schon 1905 erklärte er gegenüber einen Parlamentskollegen, "Ich fürchte, es ist von interessierten Kreisen mit einigen erfolg der Eindruck verbreitet wurden, daß eine liberale Regierung das Einvernehmen mit Frankreich in Frage stellen und sich Deutschland zuwenden würde. Ich werde alles in meiner Kraft stehende tun, um dagegen anzukämpfen." (1) Greys war als er in Amt und Würden kam Deutschfeindlich und trat als Verfechter des Ausgleichs mit Russland auf. Sofort nach Amtsantritt hat er den russischen Botschafter auch entsprechende, deutliche Signale gesendet. Grey hat die Triple Entente maßgeblich mitgeschaffen und damit auch letzten Endes das Blocksystem; wobei der Dreibund rein defensiv ausgerichtet war, wie Italien zu seinen Leidwesen immer wieder zu hören bekam.

Angeblich war Greys Meinung nach das Deutsche Reich ja nicht bündnisfähig gewesen und der Oppositionspolitiker Grey hatte alle Register gezogen, um eine Annäherung zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich zu verhindern, dabei wurden dann auch gerne die Medien instrumentalisiert.

Auffällig ist doch schon, das Grey nach seiner Amtsübernahme die wichtigen Botschafterposten in Paris mit Bertie, in Petersburg mit Nicholson und in Berlin ab 1908 mit Goschen besetzte, die alle antideutsch eingestellt waren. Lascelles, Vorgänger von Goschen, wurde von Crowe sogar bedeutet, das es in London niemand interessiere, was für Ziele das Reich verfolge, denn allein die Existenz des Deutschen Reiches sei schon für London eine Bedrohung.


Lansdowne und Balfour hatten durchaus richtig erkannt, das Großbritannien, nachdem die russishe Flotte sich auf dem Grund des Pazifiks befand und der Krieg gegen Japan verloren war, sich in einer durchaus vorteilhaften Position gegenüber dem Zarenreich befand. So wurde ja auch der Zweibund mit Japan vorzeitig verlängert und die Bedingungen für den Casus Belli der aktuellen Sitaution angepasst, nicht zum Vorteil Russlands. Aus diesem Grunde konnte man es sich dann auch leisten, dem russischen Werben, hier der russische Botschafter in London Benkendorff, um eine Vereinbarung, abzulehnen. Ganz anders Grey. Kaum im Amte rannte er zu Benkendorff und bot einer Vereinbarung an. Ja er stellte sogar die Dardanellen zur Disposition.

Grey hatte gerade in den Anfangsjahren als Minister es mit seiner Informationspflicht gegenüber seinen Kabinettskollegen nicht sonderlich ernst genommen. Informiert wurde nur der, der „linientreu“, also positiv zur Entente mit Frankreich und Russland eingestellt, war. So wurde beispielsweise das Kabinett, als die militärischen Geheimgespräche mit den Franzosen begannen, vor dem einfach Kabinett verborgen.

Grey war auch bemüht, bessere Beziehungen zwischen König Edward VII. und seinen Neffen Wilhelm II. zu relativeren. Was zählte, war der Eindruck in Paris. Dafür wurde es auch schon einmal mit der Wahrheit nicht so genau genommen. (2)

Ähnliches ist auch in der Marokkokrise Teil 1 zu beobachten. Während Lansdowne Berlin, ohne Paris zu informieren, warnte, meinte Grey dies öffentlich gegenüber dem französischen Botschafter kundtun zu müssen. Das war eine ganz andere diplomatische Qualität. Grey verfügte eben nicht über die Fähigkeiten, für diplomatische, geschweige denn komplizierte, Manöver, eines Salisbury oder Lansdowne. Er war ein Außenminister, der sein Land nie verließ und seinen Monarchen auf dessen Auslandsreise nicht begleitete; dies überließ er nur zu gerne Hardinge.

Schon im Jahre 1906 äußerte Grey:" Falls es einen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich gibt, wird es schwierig sein, uns herauszuhalten....."(3) Schon nach einen halben Jahr in Amt hatte Grey eine nicht gerade unmaßgebliche Rolle bei der Gestaltung der entente mit Frankreich, beginnend mit einen weltweiten kolonialen Ausgleich es zur obigen Ausführung umgestrickt.


Der ehemalige britische Premier Balfour ist in Sommer 1908 zu der bedrückenden Feststellung gelangt, das sich zwei feindliche Mächtegruppen gegenüberstanden. Die Schuld dafür gab er Grey, denn durch den Abrüstung sei Großbritannien gezwungen gewesen Bündnispflege zu betreiben, anstatt sich in Krisen hineinziehen zu lassen, die es nichts angingen. (4) Die liberale Mehrheit lehnte jede Ausgabenerhöhung für die Rüstung ab bedeutete in der Sache die Aufgabe eines Gleichgewichtskurses.

So gab es beispielsweise in der bosnischen Annektionskrise von Grey und seine antideutschen Beratenr lieferten immer wieder Loyalitätsbekundungen nun auch gegenüber Russland.. Das gleiche war auch in der Marokkokrise zu beobachten.

Arthur Ponsonby meinte, er sei zu abhängig von seinen Beratern im Foreign Office gewesen und dies war nach dem Abgang von Sanderson ziemlich antideutsch eingestellt. Auch Richard Haldane sein Urteil über Grey fällt nicht günstig aus, denn dieser meinte, er (Grey) hätte das Ausland insbesondere Deutschland komplett ignoriert. Hingegen war Grey bemüht die permanenten und fortlaufenden russischen Zumutungen, beispielsweise in Persien, mit Verständnis zu begegnen.

Schon Grey sein Biograph Trevelyan beklagte sein auffälliges Halbwissen, welches zu einseitigen Urteilen geführt hat. (5)

David Lloyd George und auch Lord Loreburn geben Grey in ihren Erinnerungen gegen den britischen Außenminister schwere Vorwürfe zum Ausdruck. Indem er Großbritannien auf die Seite der stärkeren gruppierung positionierte zeichnet er auch mitverantwortlich für die immer häufigeren Krisen, den Legimitätsverlust des Systems der Mittelmächte und schließlich auch für den Kriegsausbruch. (6)

Im Zuge der verhandlungen zwischen Großbritannien und Russland hat grey Bethmann insgesamt dreimal belogen und die Verhandlungen bestritten. Auch dem britischen Parlament hat er nicht die Wahrheit gesagt.

(1) Wilson, Poliy of the Entente, S.35

(2) Lee, King Edward VII, Bd.II, S.533

(3) ProFo 800/92 Grey Memo 20.02.1906 siehe aber auch Grey Twenty-Five Years, Band I, S.114

(4( Tomes, Balfour, S.140

(5) Trevelyab, Grey, S.78; S.233

(6) Lloyd George, War Memories, Bd.1, S.28f
Loreburn, How the War cam, S.19-20
 
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