Spannende Entdeckung zur Soldatenkaiserzeit

...nur "interessant"? Das finde ich etwas untertrieben ;) Vermutlich wird Wolfram (die Goten) nicht schlecht staunen, dass eine neue (bzw. verloren geglaubte) Quelle aufgetaucht ist.
 
Das finde ich auch hochinteressant. Dexippos lebte selbst im 3. Jhdt. n. Chr. und war Zeitgenosse, teilweise sogar Zeitzeuge der angedeuteten Ereignisse. Bislang sind wir dafür im Wesentlichen auf Iordanes angewiesen, der aber erst im 6. Jhdt. schrieb. (Die Decius-Biographie der Historia Augusta ist verlorengegangen, und Zosimos hält sich dazu recht knapp.) Die Zuverlässigkeit von Iordanes wird unterschiedlich beurteilt, es wird also spannend, inwieweit er von Dexippos bestätigt wird, oder anders formuliert, ob er eigentlich bei dieser Sache Dexippos (den er zumindest an anderer Stelle als Quelle benützte) folgte (wovon ich eigentlich ausgehe).
Zugleich ist das aber auch hochinteressant hinsichtlich der frühen Geschichte der Goten. Insbesondere die Historizität von Ostrogotha wird mitunter (meiner Meinung nach zu unrecht) bezweifelt, aber wenn auch Dexippos ihn erwähnt, kann eigentlich kein Zweifel mehr bestehen.
Übrigens müsste Ostrogotha nach den bisher bekannten Informationen ca. 249/250 gestorben sein; insofern ist die Aussage im Artikel, er sollte laut bisher bekannten Quellen zu dieser Zeit gar nicht gelebt haben, für mich nicht nachvollziehbar.

Hoffentlich war man nicht vorschnell und es handelt sich tatsächlich um einen Text von Dexippos. Schade, dass er nur zu rund 60% wiederhergestellt werden konnte; das wird leider viele Fragen offen lassen bzw. viel Raum für Zweifel lassen. Ich kann es jedenfalls kaum erwarten, ihn zu lesen.

Ergänzung:
Nach dem ersten Überfliegen der beiden verlinkten pdfs werde ich immer aufgeregter. Das ist wie vorgezogenes Weihnachten ...
In der zweiten pdf wird auf Seite 740 auch ausdrücklich gesagt, dass die bisherige Annahme, Ostrogotha könnte eine spätere Erfindung sein, durch die Neuentdeckung überholt ist.
Ansonsten scheint es in den Fragmenten aber auch um den großen Herulereinfall zu gehen, über den wir bislang vor allem durch die vielgescholtene Historia Augusta und den auch öfters angezweifelten Zosimos informiert sind. Auch hier wird es interessant, wie weit sie durch Dexippos bestätigt werden.
Ich muss mir das alles noch genauer ansehen ...
 
Zuletzt bearbeitet:
Dass Ostrogotha "laut bisher bekannten Quellen zu dieser Zeit gar nicht gelebt haben sollte", wie es im verlinkten Artikel heißt, stimmt so nicht, sondern im Gegenteil, die Verwunderung ergibt sich, wenn man die bisherigen Quellen ignoriert. Seite 741 der zweiten pdf lässt sich entnehmen, dass Ostrogotha - entgegen der Schilderung bei Iordanes - von manchen in die Zeit um 290 datiert wurde, und durch den neuen Fund zeigt sich, dass er doch - wie von Iordanes angegeben - in die Zeit von Philippus Arabs und zu Regierungsbeginn von Decius zu datieren ist.
 
Einerseits: Toll! Das ist ja für die Alte Geschichte und das frühe MA nicht unbedingt alltäglich, dass man neue bzw. verloren gegangen geglaubte Quellentexte wiederfindet.
Andererseits: Ist die Aufregung um das Quellenfragment nicht ein wenig übertrieben? Ich mein': So viel Zugewinn an Neuinformation steckt doch da jetzt nicht drin - oder übersehe ich da was? :winke:
 
Es ist natürlich Ansichtssache bzw. auch eine Frage der persönlichen Interessen, wie hoch man etwas bewertet. Der Fund eines Fragments einer verlorengeglaubten arabischen Chronik aus Andalusien, das ein paar Informationen zur Geschichte der Almohaden enthält, würde mich relativ kalt lassen. Umgekehrt: Würden ein paar Zeilen aus Velleius Paterculus' Werk (falls er es überhaupt geschrieben hat) über die Varusschlacht entdeckt oder eine Stelle aus Plinius d. Ä. Werk über die Germanienkriege, die die Varusschlacht behandelt, kann ich mir gar nicht ausmalen, was dann in diesem Forum los wäre. Vermutlich würden dann wochenlang täglich mindestens hundert Beiträge verfasst, in denen jedes einzelne Wörtchen höchst kontrovers dahingehend abgeklopft wird, was man daraus zur Lage des Schlachtfelds ableiten kann, und würden ein Dutzend neue Lokalisierungshypothesen aufgestellt. Zumindest für Historiker außerhalb Deutschlands scheint die Verbissenheit, mit der in Deutschland über die Lage des Schlachtfelds gestritten wird, aber nicht nachvollziehbar zu sein; dementsprechend würden sie die Aufregung über das Quellenfragment vermutlich auch ein wenig übertrieben finden.

Den Fund dieser Dexippos-Fragmente halte ich in mehrfacher Hinsicht für bedeutsam:
Zum einen ist jedes bisschen mehr an Information über das 3. Jhdt., über das wir im Allgemeinen recht schlecht unterrichtet sind, ein Gewinn. Diese Fragmente helfen also, unser Wissen über das Römische Reich in der Mitte des 3. Jhdts. und über die frühe Geschichte der Goten ein bisschen zu erweitern.
Zum anderen war Dexippos nicht irgendein Schreiberling, sondern gilt als einer der bedeutendsten fast vollständig verlorenen Historiker der Kaiserzeit (und erst recht des 3. Jhdts.). Der Fund dieser Fragmente ist also auch in literarischer bzw. literaturhistorischer Hinsicht ein Gewinn.
Der Fund ist aber meiner Meinung nach noch in dritter Hinsicht von Bedeutung: Über die behandelten Ereignisse (die Aktivitäten von Ostrogotha und Kniva sowie der Herulereinfall) sind wir primär durch die Historia Augusta, Zosimos und Iordanes unterrichtet. Alle drei Quellen haben zweierlei gemeinsam: Erstens werden alle drei gern mal angezweifelt. Zweitens stehen alle drei über weite Strecken hin allein da, bieten also viele Informationen, für die es keine andere Quelle gibt, anhand derer man sie überprüfen könnte. Mit diesen Dexippos-Fragmenten gibt es nun für ein paar Sachen eine zeitgenössisch entstandene parallele Quelle. Insbesondere wurde Iordanes' Erwähnung von Ostrogotha bestätigt, während bislang vielfach vermutet wurde, dieser Gotenführer sei entweder überhaupt erfunden oder habe zumindest erst später gelebt.
 
Steht diese Quelle jetzt in Widerspruch zu Zosimus, Historia Nea 1.23, bei der die Schlacht des Decius gegen den Nachfolger, Gotenfürst Cniva geschlagen wurde?
 
Deine Frage verstehe ich nicht. Zosimos erwähnt doch weder Ostrogotha noch Kniva namentlich, sondern schreibt nur allgemein, dass Decius gegen die "Skythen", die in Thrakien eingefallen waren, zog, ohne ihren Anführer anzugeben. Ostrogotha und Kniva werden nur von Dexippos und Iordanes erwähnt.

Die knappe Schilderung bei Zosimos ist folgende: Kaiser Philippus (Arabs) schickt den Senator Decius nach Moesien und Pannonien, um dort Unruhen niederzuwerfen (21. Kap.). Decius wird dort aber selbst zum Kaiser ausgerufen. Es kommt zum Bürgerkrieg; Decius setzt sich durch (22. Kap.). Die "Skythen" waren bereits zur Zeit von Philippus in Thrakien eingefallen; jetzt zieht Decius gegen sie und ist zunächst erfolgreich, fällt aber dann aufgrund des Verrats des Gallus in der Schlacht gegen sie (23. Kap.).

Bei Iordanes läuft das so: Unter Kaiser Philippus fallen die Goten unter Ostrogotha in Moesien und Thrakien ein. Kaiser Philippus schickt den Senator Decius gegen sie (*), der aber nicht wirklich etwas macht. Ostrogotha lässt die Goten unter den Unterführern Argaith und Guntheric erneut einfallen. Nach ihrer Rückkehr kommt es zum Krieg gegen die Gepiden. Nach Ostrogothas Tod fällt Kniva ein, Kaiser Decius zieht gegen ihn, Kniva erobert durch Verrat Philippopolis, Decius fällt in der Schlacht bei Abrittus.
* Der Grund für Decius' Entsendung wird bei Zosimos und Iordanes somit unterschiedlich angegeben, aber zumindest beim Faktum der Entsendung stimmen sie überein - sofern es sich nicht ohnehin um zwei verschiedene Entsendungen handelte.

Bei Dexippos ist leider kein zusammenhängender Text erhalten, nur einzelne Fragmente. In einem davon wird Kniva erwähnt, wie er sich einer (im Fragment nicht namentlich genannten) Stadt durch Verrat zu bemächtigen versucht.
Die Schlacht bei Abrittus wird in den neuen Dexippos-Fragmenten leider nicht behandelt, aber da Kniva bereits genannt wird, dürfte klar sein, dass Decius wie bei Iordanes die Schlacht gegen ihn geschlagen haben wird.
 
Zuletzt bearbeitet:
Den Fund dieser Dexippos-Fragmente halte ich in mehrfacher Hinsicht für bedeutsam:
Zum einen ist jedes bisschen mehr an Information über das 3. Jhdt., über das wir im Allgemeinen recht schlecht unterrichtet sind, ein Gewinn. Diese Fragmente helfen also, unser Wissen über das Römische Reich in der Mitte des 3. Jhdts. und über die frühe Geschichte der Goten ein bisschen zu erweitern.
Zum anderen war Dexippos nicht irgendein Schreiberling, sondern gilt als einer der bedeutendsten fast vollständig verlorenen Historiker der Kaiserzeit (und erst recht des 3. Jhdts.). Der Fund dieser Fragmente ist also auch in literarischer bzw. literaturhistorischer Hinsicht ein Gewinn.
Der Fund ist aber meiner Meinung nach noch in dritter Hinsicht von Bedeutung: Über die behandelten Ereignisse (die Aktivitäten von Ostrogotha und Kniva sowie der Herulereinfall) sind wir primär durch die Historia Augusta, Zosimos und Iordanes unterrichtet. Alle drei Quellen haben zweierlei gemeinsam: Erstens werden alle drei gern mal angezweifelt. Zweitens stehen alle drei über weite Strecken hin allein da, bieten also viele Informationen, für die es keine andere Quelle gibt, anhand derer man sie überprüfen könnte. Mit diesen Dexippos-Fragmenten gibt es nun für ein paar Sachen eine zeitgenössisch entstandene parallele Quelle. Insbesondere wurde Iordanes' Erwähnung von Ostrogotha bestätigt, während bislang vielfach vermutet wurde, dieser Gotenführer sei entweder überhaupt erfunden oder habe zumindest erst später gelebt.
d´accord! (denk´ dir einen ultrafetten Grünbommel)
 
Dass man bei Ostrogotha an eine ätiologische Legende hätte glauben können, ist doch bei dem Namen soooo verwunderlich.
 
Deine Frage verstehe ich nicht. Zosimos erwähnt doch weder Ostrogotha noch Kniva namentlich, sondern schreibt nur allgemein, dass Decius gegen die "Skythen", die in Thrakien eingefallen waren, zog, ohne ihren Anführer anzugeben. Ostrogotha und Kniva werden nur von Dexippos und Iordanes erwähnt.

Die Frage zielte auf die diversen Literaturdarstellungen, die sich auf die Schlacht bezogen, wobei Zosimus neben anderen als Quelle erwähnt wird.
zB Kulikowksi, Rome's Gothic Wars, Heather, etc.
Die Bezeichnung des Fürsten wird auf Iordanes zurückgeführt, wie Du schreibst.

Es geht nun um die Cniva-Diskussion hier:
http://grbs.library.duke.edu/article/viewFile/15071/6509

Dort finde ich nicht mehr durch. Wurde hier etwas an den älteren Darstellungen korrigiert?
 
Dass man bei Ostrogotha an eine ätiologische Legende hätte glauben können, ist doch bei dem Namen soooo verwunderlich.
Du hast ja recht ... obwohl, ebensogut könnte man auch bei Theoderichs d. Gr. Tochter Ostrogotho eine ätiologische Legende vermuten oder bei den französischen Königen Franz I. und Franz II.

Die Frage zielte auf die diversen Literaturdarstellungen, die sich auf die Schlacht bezogen, wobei Zosimus neben anderen als Quelle erwähnt wird.
zB Kulikowksi, Rome's Gothic Wars, Heather, etc.
Die Bezeichnung des Fürsten wird auf Iordanes zurückgeführt, wie Du schreibst.

Es geht nun um die Cniva-Diskussion hier:
http://grbs.library.duke.edu/article/viewFile/15071/6509

Dort finde ich nicht mehr durch. Wurde hier etwas an den älteren Darstellungen korrigiert?
Ich weiß leider nicht, wobei Du bei der Cniva-Diskussion nicht mehr durchfindest. Mir ist nur aufgefallen, dass die Darstellung der Ereignisse auf S. 743 ff., obwohl sie sich auf Iordanes beruft, leicht von der Darstellung bei Iordanes abweicht, nämlich insofern, als in der pdf bereits Kniva der Führer ist, als die Goten die Donau überqueren und vergeblich Markianopolis angreifen. Aus den neuen Fragmenten ergibt sich das nicht. Man dürfte hier noch Herwig Wolframs Darstellung im Artikel zu Kniva im "Reallexikon der germanischen Altertumskunde" gefolgt sein. Wolfram verwarf nämlich Ostrogotha für die Zeit des Philippus Arabs (dass dieser Ansatz falsch war, zeigen die neuen Fragmente) und schrieb daher dessen Aktivitäten - gegen Iordanes - teilweise Kniva zu (im Ergebnis so auch in S. 56 ff. seiner Gotengeschichte).

Verwirrt bin ich aber auch, da die Reihenfolge, in der die Fragmente in der pdf angeordnet sind, nicht so recht Sinn ergibt. In Fol.194r-v ist bereits von der "Eroberung von Philippopolis" (Philippupoleos halosei) die Rede, obwohl erst in Fol. 195r erzählt wird, wie Kniva eine namentlich nicht genannte Stadt durch Verrat zu nehmen versucht.
In der pdf wird auf Seite 746 eindeutig davon ausgegangen, dass es sich bei der von Kniva belagerten Stadt um Philippopolis handelte. Wie das mit Fol.194r-v zusammenpasst, wird leider nicht so recht behandelt. Auf Seite 748 heißt es nur, dass Fol. 195r die zweite Phase von Knivas Angriff auf die Stadt behandle. Was für eine zweite Phase, wenn sie schon erobert war? Oder wurde die Stadt zweimal angegriffen?
So wie ich die Sache verstanden habe, dürften die Fragmente aber nicht unbedingt in der richtigen Reihenfolge vorliegen. Die Seiten, auf denen die Fragmente enthalten sind, wurden, wenn ich die Ausführungen zu Beginn der pdf richtig verstanden habe, erst nach dem Palimpsestieren dem Kodex hinzugefügt und neu beschrieben. Bei der Wiederverwendung wird man also nicht darauf geachtet haben, die geleerten Seiten in der richtigen Reihenfolge anzubringen. Wie die Fragmente richtig anzuordnen sind, bleibt dann also wohl Interpretationssache. Vielleicht ist also Fol. 195r vor Fol.194r-v zu setzen? Auf Seite 749 der pdf wird diese Möglichkeit auch angedeutet.
Oder aber es geht in Fol. 195r doch um eine andere Stadt.

Interessant finde ich übrigens, dass Kniva in Fol. 195r (Zeile 29) ausdrücklich als "König" (basileos) bezeichnet wird, wenngleich man daraus natürlich nicht schließen muss, dass Dexippos genaue Kenntnisse von Knivas verfassungsrechtlicher Stellung bei den Goten hatte.
 
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