Hallo zusammen
Ich habe eine Frage bei dem die Meinungen anscheinend sehr auseinandergehen:
Wahrte die Schweiz während des 2. Weltkrieges wirklich ihre absolute Neutralität oder kann man von einer Begünstigung der Achsenmächte sprechen?(Wirtschaftsbeziehungen, Goldtransaktionen)
Was meint ihr dazu?
Zunächst einmal ein paar Begriffe zur Neutraliät
Gewöhnliche Neutralität
Ein Staat kann sich für einen konkreten internationalen Konflikt neutral erklären. Diese Neutralität hat keine Wirkungen in die Zukunft, sondern gilt nur für diesen einen Konflikt.
Dauerende Neutralität
Der dauernd neutrale Staat verpflichtet sich in jedem Fall von allen, auch zukünftigen Konflikten fernzuhalten. Dies kann er durch einen Vertrag oder eine einseitigen Willensbekundung tun. Diese muss dann mindestens von einem andern Staat anerkannt werden. Der dauernd Neutrale muss sich von aktuellen und zukünftigen Konflikten fernhalten. Daneben ist er verpflichtet, seine Neutralität und seine Unabhängigkeit zu verteidigen. Dies bedeutet, dass der Neutrale sich in Friedenszeiten so verhalten muss, dass er nicht in einen Krieg verwickelt werden kann. Der dauernd Neutrale ist laut Gewohnheitsrecht dazu verpflichtet, eine entsprechende Landesverteidigung aufzubauen. Deshalb spricht man auch von einer dauernd bewaffneten Neutralität.
Integrale oder absolute Neutralität
Vollumfängliche Anwendung des Neutralitätsrechts wie es sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert herausgebildet hat.
Differentielle Neutralität
Die Beteiligung eines neutralen Staates an wirtschaftlichen, jedoch nicht militärischen Sanktionen einer kollektiven Sicherheitsgemeinschaft (Völkerbund, Vereinte Nationen) gegen einen Aggressor.
Wohlwollende Neutralität
Bis 19. Jahrhundert zulässige Begünstigung einer Kriegspartei durch staatliche Kriegsmateriallieferungen, die Gewährung des militärischen Durchzugs oder das zur Verfügungsstellen von Söldnern.
Zur Neutraliät der Schweiz.
Die Neutralität hat nie in einem Vakuum existiert, für den Erfolg war immer das Umfeld von Bedeutung.
Die Neutralität war das Kind der konkurrierenden europäischen Nationalstaaten, genauer des klassischen europäischen Gleichgewichts.
Die Schweiz hat ihre Neutralität seit der Niederlage von Marigniano 1515 (das wird zwar immer wieder gerne als Ausgang für die Neutraliät gesehen, stimmt aber so auch nicht), vor allem aber seit dem Dreissigjährigen Krieg in der Mitte des 17. Jahrhunderts, als anpassungsfähiges Mittel ihrer Sicherheitspolitik aufgefasst und angewandt. Bei der Gründung des Bundesstaates wurde darauf verzichtet die Neutralität als rechtliche Verpflichtung in die Verfassung aufzunehmen. Die Neutralität ist ein Mittel, aber kein Zweck, deshalb erscheint sie in der Verfassung als Mittel und nicht als Staatszweck.
Die schweizerische Konzeption wird als Kern und Schale dargestellt: Der Kern ist völkerrechtlicher Natur und basiert auf den Haager Konventionen von 1907, die Schale dagegen ist politisch und umfasst die von der Schweiz eigenständig definierten Vorwirkungen des völkerrechtlichen Kerns.
Im V. und XIII. Haager Abkommen werden dem neutralen Staat bestimmte Rechte eingeräumt und Pflichten auferlegt.
So ist den Kriegsführenden jeder Angriff auf das neutrale Staatsgebiet verboten. Sie dürfen keine Truppen, Munitions- oder Verpflegungstransporte durch das Gebiet einer neutralen Macht führen.
Ferner steht dem Neutralen das Recht auf freien Wirtschaftsverkehr und auf unbehinderten privaten Handel zu Land und zu See mit allen Staaten, auch den Kriegsführenden zu.
Folgende Punkte sind zur Schweizer Neutralität zu erwähnen:
Rüstungsgebot
Mit dem Rüstungsgebot will die Schweiz nicht nur Neutraliätsverletzungen im Krieg verhindern, wie dies das Recht verlangt, sie will damit bereits im Frieden zum Ausdruck bringen, dass sie im Fall eines Angriffes bereit ist, ihre Souveränität und Unabhängigkeit zu verteidigen. Die Schweiz hat eine bewaffnete Neutralität.
Bündnisverbot
Die Schweiz geht keine sicherheitspolitischen Bindungen oder Allianzen ein. Allerdings gilt dies nur im Frieden, bei Verletzungen der Schweizer Grenze gilt dies nicht mehr.
Während der Völkerbundszeit praktizierte die Schweiz die differentielle Neutralität. Sie schränkte die integrale Neutralität ein. Einerseits anerkannte der Völkerbund die Neutralität der Schweiz, andererseits verlangte er die Teilnahme an Wirtschaftssanktionen. Doch diese Politik war vorübergehend. 1938 kehrte die Schweiz zur integralen Neutralitätskonzeption zurück.
Die Schweiz durfte im 2 WK. mit Deutschland wirtschaftlich verhandeln und Güter austauschen. Das Haager Neutralitätsrecht garantierte, mit einigen Ausnahmen, die Freiheit des staatlichen und privaten Wirtschaftsverkehrs mit Kriegführenden.
Zu den Ausnahmen gehörten Staatskredite und Verkauf von Kriegsmaterial aus bundeseignen Produktionsstätten. Die Schweiz verletzte hier mehrfach die Ausnahmeregelungen, in dem sie Staatskredite an Deutschland und Italien gewährte, Kriegsmaterial aus bundeseignen Produktionsstätten exportierte und eine Ungleichbehandlung durch die Behörden von privaten Export von Kriegsmaterial tolerierte. Ebenso wurde der Transitverkehr zwischen Deutschland und Italien ungenügend kontrolliert.
Eine weitere Verletzung des Neutralitätsrechtes war es, dass Bundesbern die amerikanische Nachrichtenzentrale in Bern duldete.
Im zweiten Weltkrieg gab es zwischen General Guisan und dem französischen Oberkommando konkrete Abmachungen über eine militärische Zusammenarbeit im Falle eines deutschen Angriffs im Raume Basel. Dies war keine Verletzung des Neutralitätsrechtes, da ein neutraler Staat, der völkerrechtswidrig einer Aggression zum Opfer fällt, solche Bündnise eingehen darf.
Die Schweiz änderte ihre Neutralitätskonzeption im laufe der Geschichte mehrfach, manchmal freiwillig, manchmal unter Druck. Die Neutralität ist ein flexibles Instrument, der Inhalt der Neutralitätspolitik war niemals klar bestimmt. Dem Bürgern und auch dem nicht Schweizer ist diese Flexibilität der Neutralität nicht bewusst, vieles ist ein Mythos und hat nichts mit der Realität zu tun.
Wenn du dich näher mit der Schweizer Neutralität befassen möchtest hier ein paar Literaturtipps:
Sackgasse Neutralität von Jürg Martin Gabriel
Geschichte der Schweizer Neutralität von Edgar Bonjour (10 Bände)
Und die Publikationen der Expertenkommission (Bergier Kommission) sind dazu sehr zu empfehlen, (25 Bände):
https://www.uek.ch/de/
Und noch ein Link um EDA:
https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/aussenpolitik/voelkerrecht/neutralitaet.html