Gegenstempel und Varus-Schlachtfeld

Dass jedoch in kurzer Zeit so viele Münzen wie in Kalkriese verloren gingen, kann m.M. nach nur auf die Plünderung der Kriegskasse zurück gehen.
Das ist, zumindest was mich betrifft, unstrittig. Die Frage ist, wieviele Münzen zusätzlich zu dieser geplünderten Kriegskasse durch den Besuch der Germanicus-Truppen erwartbar in den Boden gekommen sein können, wieviele der 1600+ Münzen also eigentlich einem Germanicus-Horizont zuzurechnen sein müßten, wie hoch mithin die Wahrscheinlichkeit wäre, im Gesamtbestand dieser 1600+ Münzen ein eindeutig nachvarianisches Exemplar zu finden, letztlich also: ob wir wirklich mindestens eine solche Münze bis dato hätten finden müssen, wie von Hermundure und einigen anderen postuliert. Ich dachte, das wäre im Kontext des Zitats klar.
 
Mein Beitrag war allgemein gehalten und nicht als ausdrückliche Antwort auf deinen. Ich denke, erwarten kann man gar nichts da es keine allgemeingültige Gesetzmäßigkeit zum Verlust von Kleingeld gibt.
 
@Ostfale: da ich kein Lateiner bin, und meine Übersetzungen schon öfters versagt haben, und Gottwein etwas anderes aussagt als meine Übersetzung, lasse ich das Argument mit Augustus Erbe weg - Ravenik oder EQ könnten da eventuell weiterhelfen.
Deine anderen Argumente für die Gegenstempel überzeugen mich nicht, aber du sagst selbst, dass dies Vermutungen sind. Ich würde deiner Theorie auch deswegen widersprechen, da du selbst darauf hinweist, wie misstrauisch die Soldaten sind - sollten sie den Gegenstempeln eines zweitklassigen Rhetorikers vertrauen? Oder dem Sohn des Varus? Dies überzeugt mich nicht. Für mich spricht gegen Kalkriese weniger der numismatische Befund, sondern dass bisher keine Lagerstrukturen und damit ein Marschweg gefunden wurden - dies nebenbei. Man kann zwei skeptische Haltungen annehmen:
entweder man hält Kalkriese für einen Teil der glades variana (für das es Argumente gibt, und auch Gegenargumente), und entscheidet sich dafür, solange keine bessere Alternative vorhanden ist - oder man entscheidet sich dagegen, und nimmt jedoch die wissenschaftlichen Indizien und Argumente der Befürworter ernst und wägt sie ernsthaft ab, auch in Bereitschaft sich überzeugen zu lassen.

Zu den Suchereignissen: ich möchte etwas zu den Alltagsbeispielen aus militärischer oder sonstiger Erfahrungen der Diskutierenden sagen. Meiner Ansicht nach werden sie den beiden großen Suchereignissen auf dem Schlachtfeld nicht gerecht:
zur Plünderung: die Schlacht war ein Ereignis, dass den Fundort eingrenzte, und die Chancen auf Funde stark erhöhte - als würde jemand für alle sichtbar in einer Fussgängerzone Geld ausstreuen. Der Erfolg des ersten Suchenden, der ein Stück Gold, ein bronzenes Trinkgefäß oder einen Ring gefunden hat, spricht sich herum, dementsprechend ehrgeizig und akkurat wird die Schatz - und Beutesuche vonstatten gegangen sein, und sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen haben - eventuell auch organisiert von den Stammes - und Gefolgschaftsführungen, wurde die Beute geschätzt und aufgeteilt. Dies ist überhaupt nicht zu vergleichen mit einer Situation, in der jemand zufällig eine Münze verloren hat und diese zufällig gefunden wurde.
Zur Absuche des Germanicus: auch dort kann das Augenmerk auf Wertvolles bestanden haben, militärische Standarten, persönliches Eigentum, an dem man den vielleicht bekannten / befreundeten Offizier oder Legionär erkennen könnte (bleierne Signaculi/Kennmarken gab es noch nicht?) -das Motiv ist anders, wichtig war dem Stab auch, eventuell anhand der Funde den Verlauf der Schlacht nachzuzeichnen, in den Überresten zu lesen, was sich auch nach der Schlacht am Tatort abgespielt hat. Auch in diesem Fall würden die römischen Soldaten aus verschiedenen Motiven sehr aufmerksam sein.
Zur "Plünderung" wäre zu bemerken, dass es keinen größeren Unterschied geben kann, als zwischen Münzen auf einem Fußweg und Münzen auf einem Schlachtfeld. Der Untergrund eines Schlachtfeldes, auf dem im strömenden Regen zehntausend Kämpfer umher stapfen, besteht aus Pfützen und Schlamm. Im Gegensatz zu Ausrüstungsgegenständen versinken Münzen sofort zentimetertief und sind für Plünderer nicht mehr sichtbar.
Anders sah es bei der Germanicus-Aktion aus. Über Starkregen wird nicht berichtet. Verlörene Münzen blieben liegen und konnten aufgelesen werden.
 
... Über Starkregen wird nicht berichtet. Verlörene Münzen blieben liegen und konnten aufgelesen werden.

Auf trockenen Böden kann eine Münze dem suchenden Blick ebenso gut entzogen werden, wie auf nassen Böden! Wir redenhier ja nicht von schweren Objekten, die im morastigen Boden versinken!
 
Unter Augustus wog der Aureus knapp 8 g.
In Kalkriese gibt es den sogenannten "Goldacker", wo man einige Goldmümzen gefunden hat, der liegt östlich des Oberesch.
Nördlich und westlich, etwas abseits der mutmaßlichen Hauptkampfzone, definiert durch den Wall und die allgemeine Fundhäufung* wurden die viele der anderen Münzen gefunden. Häufig eben mit den Siegelkapseln vergesellschaftet. Das spricht eigentlich dagegen, dass sie im Rahmen einer Plünderung verloren gingen, aber dafür, dass sie in einer Situation verborgen wurden, in der sich das Heer in Auflösung befand und jeder hoffte, individuell größere Überlebenschancen zu haben.
Der Goldacker scheint ein Ort zu sein, wo eines der höheren Tiere mit seiner Entourage in Bedrängnis geriet.

*Da man ja mittlerweile festgestellt hat, dass nach der Schlacht das Plünderungsgut offenbar nach Sachgruppen sortiert wurde, ist natürlich das Argument, dass die Hauptkampfzone am Wall lag, dadurch abgeschwächt, dass hier auch der Sammelplatz war. Auf der anderen Seite, ist es natürlich naheliegend, dass dort, wo viel verloren ging, auch der Sammelplatz eingerichtet wurde.
 
Das dürfte es eigentlich nicht, denn es waren ja augenscheinlich eine Menge Römer vor Ort (egal, ob es die des Varus, Germanicus oder sonst wem waren) und die benötigten wohl ein Lager! Also wird es im Umfeld (xy km) so oder so ein Lager gegeben haben, man hat es halt nicht gefunden.
Hallo Ihr Lieben, macht mich doch nicht dümmer als ich bin - ihr müsst mir nicht erklären, dass es da ein Lager gegeben haben muss, dass dort eine Schlacht stattfand mit einem Großverband, sehr wahrscheinlich die glades variana, und dieser Großverband irgendwie dort hinmarschiert ist - ich habe mir einfach idealerweise vorgestellt, weil die dreitägige Schlacht so anschaulich beschrieben ist, und das erste Lager noch als übliches 3-Legionenlager dargestellt ist (Cassius Dio 56,20-21), was zeigt, dass die Organisation, die Befehlsketten, Planung im Ganzen noch funktionierten, am zweiten Tag dann schon ein mehr behelfsmäßiges Lager eines arg zusammengeschmolzenen Restes (Cassius Dio, Tacitus) im Abstand zum ersten eines mühseligen Tagesmarsches bzw Defileegefechtes....
einfach um diese Schlacht im Vergleich historischer Quellen und der archäologischen Funde von anderen Schlachten der römischen Feldzüge insbesondere von Germanicus abzugrenzen - als letzten Beweis.
Können gerne aber wieder über die numismatischen Grundlagen streiten.
 

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Zurück zu den Gegenstempeln: Ich erinnere mich vage, vor Jahren gelesen zu haben, die Münzverteilung in Kalkriese geclustert nach Material entspreche ziemlich genau der von Pompeji.
Falls das so noch gilt - Jahre her, wie gesagt - spräche das sehr stark gegen alle Thesen, die die geringwertigen Münzen aus dem normalen Umlauf ziehen und in eine parallel gültige Zweitwährung mit zeitlich/ räumlich/ personell begrenzter Gültigkeit hieven wollen. Wenn nicht in Pompeji, wo sonst sollten wir eine perfekte Münzverteilung des römischen Alltagslebens finden? Und warum sollte ausgerechnet in Kalkriese dann der Anteil an Kleingeld soviel geringer sein, weil die Münzen was anderes bedeuten?

Pompeji und Kalkriese waren Katastrophenereignisse. Deshalb repräsentieren beide Ereignisse das Münzspektrum an einem bestimmten Tag. Die Münzzusammensetzung war trotzdem definitiv eine andere. In Zivilsiedlungen wie in Pompeji, war der Sesterz, der zugleich auch Buchwährung war im Gebrauch.
Diese Münze fehlt, wenn ich das richtig sehe, im militärischen Kontext völlig. In vielen Hortfunden, die man den Barschaften einzelner Soldaten zurechnet, befinden sich zumeist nur Gold und Silbermünzen. Der Grund dafür sollte im ungünstigen Verhältnis von Wert und Gewicht des Sesterz gegenüber den Denaren gelegen haben.
In diesen Hortfunden fehlen aber oft auch die schweren Kupfermünzen(Asse). Also gerade die Münzen, die gegengestempelt wurden. Gold und Silbermünzen wurden NICHT gestempelt. Das Fehlen der Asse könnte ebenfalls für eine angestrebte Gewichtsoptimierung in den Barschaften der Soldaten sprechen.

Unter der Prämisse, dass die gestempelten Asse auch das gespendete Geld repräsentieren ein paar Zahlenspielchen:
Ein Ass wiegt etwa 11gr.
Ein in Assen ausgezahltes Vermächtnis des Augustus(250Denare) hätte für einen Legionär also z.B. ein Gewicht von 144Kilo. Dieses Geld wird höchstwahrscheinlich also NICHT in Assen ausgezahlt worden sein.
Wie sieht es mit kleineren Geschenken aus?
Gehen wir davon aus, dass ein Tageslohn als Donativ für einen Legionär unter Varus hinreichend attraktiv war, und gleichzeitig eine Stempelaktion im grossen Maßstab bei diesem Betrag gerechtfertigt erschien.
Dieser Tageslohn (1 Denar=16 Asse) in gestempelten Assen ausgezahlt, hätte ein Gewicht von 176g, die der Soldat bis zum nächsten Marschlager hätte zusätzlich schleppen müssen.
Eine grossangelegte Spendenaktion des Feldherrn an eine Legion in Höhe eines Tageslohnes pro Legionär hätte also ein ASS-Gewicht von 4800x176g=844 Kg. Insgesamt hätten 76.800 Münzen gestempelt werden müssen. Zusätzlich hätten diese Münzen in der Reise- oder in der Legionskasse für diese Art der Geldgeschenke vorrätig sein müssen.

Natürlich durfte der Legioär auch nicht direkt zum Signifer gehen und seine frisch gestempelten Asse gegen leichtere Denare eintauschen um seinen Geldbeutel leichter zu machen. Das hätte ja dem gewollten Loyalitätseffekt der mühsam gestempelten Münzen wiedersprochen.:red:

Was ich damit sagen will:
Die Auszahlung selbst kleinerer zusätzlicher Geldbeträge in Ass-Prägungen stellte ein mobiles Herr vor einige logistische Probleme, die eine Zivilsiedlung wie Pompeji so nicht hatte. Dies führte zu einer Bevorzugung leichterer Münzen.

Weiterhin meine ich, dass auf dem Feldzug ausserordentliche Beträge nicht bar ausgezahlt wurden. Die Feldheere der Römer stellten die grösste Menschenansammlung nördlich der Alpen dar. Sowas hat auch später noch zu Engpässen bei der Bargeldversorgung geführt.

Bei der Verteilung von Beute oder Kompensation von entgangener Beute (z.B. Varus bei Gericht im Sommerlager), Geldgeschenken oder anderen bisher unberücksichtigten Verpflichtungen musste eine pragmatische Lösung her. Also bekam jeder Legionär einen Stempel auf eines seiner Asse und einen Vermerk in den Unterlagen der Legionskasse, die ausstehenden Gelder im Winterlager auszuzahlen wenn die Legionen wieder mit frischem Geld versorgt wurden. Diese Doppelte Buchführung verhinderte Betrug und schuf Vertrauen entgegen einer nur wörtlichen Verpflichtung.
Es wurde kein zusätzliches Bargeld benötigt.

Eine pragmatische Hypothese stelle ich in diesem Fall über eine Sentimentale. Allein schon deshalb weil sie dem Wesen der Römer eher entspricht.

Gruß
jchatt
 
Hmm.

In welcher Stückelung das Kleingeld vorliegt, könnte z.B. auch damit zusammenhängen, wie gut eingebunden ein lokaler Geldkreislauf ist in den überregionalen/ globalen. Irre ich mich oder fehlen auch in Waldgirmes die Sesterzen?

Daß es wenig praktikabel ist, den Sold in kleiner Münze auszuzahlen, ist völlig einsichtig. Nur: Wurde der Sold überhaupt regelhaft während einer laufenden Kampagne ausbezahlt? Flavius Josephus schildert, glaube ich, einen Zahltag im Feld während einer Belagerung, aber war das Ausnahme oder Regel? Analog stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt der Auszahlung von Geldgeschenken.

So ganz einsichtig ist für mich im Moment Dein Gedanke zur doppelten Buchführung nicht - wozu das? Oder gehst Du auch bei regulären Soldzahlungen von dieser doppelten Buchführung aus, weil der Legionär den Listen des Zahlmeisters grundsätzlich nicht vertraute? Mir ist der Vertrauenszugewinn nicht klar von "ich bekomme einen Bonus, weil ich in der Liste stehe" zu "...weil ich eine Wertmarke habe", wenn ich andererseits akzeptiere "ich bekomme Sold, weil ich in der Liste stehe"?!
 
Die doppelte Buchführung ist eine Erfindung des ausgehenden Mittelalters, ausgehend von den norditalienischen Städten, Pisa, Florenz, Mailand und v.a. Genua und Venedig.
 
Hmm.

In welcher Stückelung das Kleingeld vorliegt, könnte z.B. auch damit zusammenhängen, wie gut eingebunden ein lokaler Geldkreislauf ist in den überregionalen/ globalen. Irre ich mich oder fehlen auch in Waldgirmes die Sesterzen?

Daß es wenig praktikabel ist, den Sold in kleiner Münze auszuzahlen, ist völlig einsichtig. Nur: Wurde der Sold überhaupt regelhaft während einer laufenden Kampagne ausbezahlt? Flavius Josephus schildert, glaube ich, einen Zahltag im Feld während einer Belagerung, aber war das Ausnahme oder Regel? Analog stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt der Auszahlung von Geldgeschenken.

So ganz einsichtig ist für mich im Moment Dein Gedanke zur doppelten Buchführung nicht - wozu das? Oder gehst Du auch bei regulären Soldzahlungen von dieser doppelten Buchführung aus, weil der Legionär den Listen des Zahlmeisters grundsätzlich nicht vertraute? Mir ist der Vertrauenszugewinn nicht klar von "ich bekomme einen Bonus, weil ich in der Liste stehe" zu "...weil ich eine Wertmarke habe", wenn ich andererseits akzeptiere "ich bekomme Sold, weil ich in der Liste stehe"?!

Bei Michael Alexander Speidel "Sold und Wirtschaftslage der römischen Soldaten" Seite 71 (in Kaiser, Heer und Gesellschaft in der römischen Kaiserzeit, 2000 -> https://books.google.de/books?id=NtgB6KeOSA8C&pg=PA77&lpg=PA77&dq=Sold+Auszahlung+Legion&source=bl&ots=IZjoqCynBa&sig=-FjmGN0gNPEBMzRDCKiMqMDT6l4&hl=de&sa=X&ei=rDeUVf2IDsmwsQGv9ZyQCQ&ved=0CCAQ6AEwADgK#v=onepage&q=Sold%20Auszahlung%20Legion&f=false) steht, dass der Sold im Abstand von 4 Monaten am 1.Januar, 1.Mai und 1.September in Dritteln ausgezahlt wurde (3x 300 Sesterzen, täglich ca 10 Asse), von Augustus bis Domitian. Übrigens steht dort auf Seite 67, dass die von den aufständischen Legionen 14 n.Chr. durchgesetzten Zugeständnisse von Tiberius schon 15 n.Chr. mit Hinweis auf die begrenzten Möglichkeiten der Staatskasse zurückgenommen wurden, dies betrifft die Dienstverkürzungen, Solderhöhungen und die zuverlässige Einhaltung der Vertragsbedingungen, eine militia sub certis legibus (gemeint ist der von Augustus erlassene Dienstvertrag, der anscheinend bis ins 3.Jahrhundert galt).
Die Bedeutung bzw Forderung nach dem Erbe/Vermächtnis Augustus könnte, so interpretiere ich es, dass die Legionäre unzufrieden waren mit der mangelnden Einhaltung der Dienstvertragsbedingungen, die Ihnen Augustus versprochen hatte. Wenn Tiberius die Zugeständnisse in 15. n.Chr. zurückgenommen hat, dann waren die gegengestempelten Asse, wenn sie denn die Funktion von Schuldscheinen hätten, im September schon wertlos geworden.
 
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Die doppelte Buchführung ist eine Erfindung des ausgehenden Mittelalters, ausgehend von den norditalienischen Städten, Pisa, Florenz, Mailand und v.a. Genua und Venedig.
Die doppelte Buchführung im kaufmännischen Sinn mit parallel durchgeführten Buchungen auf Soll- und Haben-Seite, ja. jchatt hat hier aber sicherlich "doppelte Buchführung" im übertragenden Sinn gemeint als "redundante Buchführung", jedenfalls verstand ich ihn so.
 
Daß es wenig praktikabel ist, den Sold in kleiner Münze auszuzahlen, ist völlig einsichtig. Nur: Wurde der Sold überhaupt regelhaft während einer laufenden Kampagne ausbezahlt? Flavius Josephus schildert, glaube ich, einen Zahltag im Feld während einer Belagerung, aber war das Ausnahme oder Regel? Analog stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt der Auszahlung von Geldgeschenken.

Ich meine irgendwo gelesen zu haben, dass der Sold an drei festen Terminen im Jahr ausgezahlt wurde. Quelle und wann diese Termine genau waren habe ich gerade nicht parat.

Zu den Geldgeschenken gibt es einen Gegenstempel PP der mit der Verleihung des Titels "Vater des Vaterlandes" an Augustus in Verbindung gebracht wird. Möglicherweise traf die Bekanntgabe dieses Geldgeschenkes überraschend zu einem Zeitpunkt ein, als nicht genug Bargeld für die sofortige Auszahlung bei den Truppen bereitstand. Die Versorgung mit Soldgeldern war dagegen auf lange Sicht planbar.

So ganz einsichtig ist für mich im Moment Dein Gedanke zur doppelten Buchführung nicht - wozu das? Oder gehst Du auch bei regulären Soldzahlungen von dieser doppelten Buchführung aus, weil der Legionär den Listen des Zahlmeisters grundsätzlich nicht vertraute? Mir ist der Vertrauenszugewinn nicht klar von "ich bekomme einen Bonus, weil ich in der Liste stehe" zu "...weil ich eine Wertmarke habe", wenn ich andererseits akzeptiere "ich bekomme Sold, weil ich in der Liste stehe"?!

Ich sehe das als ein Verfahren, dass nur in Zeiten akuten Bargeldmangels zum Zuge kam. Also eher nicht für Soldzahlungen. Es sei denn diese Gelder konnten nicht rechtzeitig zu den Truppen gelangen. Generell würde mich auch ein unterschiedliches Verfahren bei der Auszahlung von Sold und Geldgeschenken nicht verwundern. Ist doch das Verpflichtungsverhältnis ein ganz anderes.

Vegetius(?) schreibt glaube ich, dass der Signifer, der ja auch die Truppengelder verwaltete, eine bei allen Soldaten geachtete Person sein solle. Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser sagt man ja so schön. Und wenn der Herr mit seiner Strichliste durcheinander gekommen ist oder mit mir grollt, weil er gestern beim Würfeln gegen mich viel Geld verloren hat, und nun behauptet er hätte mir mein Geld schon ausgezahlt, ist es gut für mich, wenn ich dann als Gegenargument meinen amtlich gestempelten Beleg aus der Tasche ziehen kann. ;)


Gruss
jchatt
 
Und wenn der Herr mit seiner Strichliste durcheinander gekommen ist oder mit mir grollt, weil er gestern beim Würfeln gegen mich viel Geld verloren hat, und nun behauptet er hätte mir mein Geld schon ausgezahlt, ist es gut für mich, wenn ich dann als Gegenargument meinen amtlich gestempelten Beleg aus der Tasche ziehen kann. ;)
Das hieße also, im Szenario ohne Wertmarke steht Aussage plus Strichliste gegen Aussage, im Szenario mit Wertmarke aber Aussage plus Strichliste gegen Aussage plus Wertmarke, wobei der Wertmarke die entscheidende Beweiskraft eingeräumt wird? Und Du denkst nicht, das würde Mißbrauch Tür und Tor öffnen? Einfach hinten in der Schlange wieder anstellen, eine gefälschte Wertmarke vorzeigen und Zeter und Mordio schreien, wenn der Zahlmeister auf den schon vorhandenen Strich in der Liste verweist. Oder ein geklaute Wertmarke vorweisen, was gleich zweimal in Zeter und Mordio mündet - einmal das des schon gestrichelten Diebes bei nochmaligem Anstellen, zum zweiten das des Beklauten, wenn der Zahlmeister nicht stricheln und nicht zahlen will, solange er keine Wertmarke einkassieren kann...
Überzeugt mich nicht, da gibt es pragmatischere vertrauensbildende Möglichkeiten.
 
Ich muss mich korrigieren, jetzt lese ich den ganzen Text, den ich oben erwähnte, dort ist geklärt, was es mit Augustus Vermächtnis auf sich hatte (Seite 78, Speidel,"Sold und Wirtschaftslage der römischen Soldaten):
Augustus hinterließ jedem Legionssoldaten testamentarisch 300 Sesterzen (ein stipendium).
 
Ich hab' mal bei Flavius Josephus nachgesehen und die Stelle gefunden, in der er den Ablauf des Zahltags während der Belagerung Jerusalems im Jahr 70 schildert.
Josephus schrieb:
Da nämlich der Termin bevorstand, an welchem den Mannschaften der Sold verabfolgt werden musste, befahl er den Offizieren, das Heer an einen den Feind sichtbaren Ort ausrücken zu lassen und jedem Soldaten seine Löhnung auszuzahlen. Die Truppen zogen nun, wie üblich, mit entblössten Schwertern und in voller Rüstung einher; die Reiter führten ausserdem ihre aufgeputzten Pferde am Zügel. Weithin glitzerte die Umgebung der Stadt von Silber und Gold, und so entzückend der Anblick für die Römer war, so schrecklich war er für ihre Feinde. Die alte Mauer in ihrer ganzen Ausdehnung sowie die Nordseite des Tempels waren mit Zuschauern dicht besetzt; selbst die Dächer der Häuser sah man voll Neugieriger und kein Plätzchen gab es in der Stadt, das nicht schwarz von Menschen wimmelte.
Zwar lief das Geschehen laut Josephus also "wie üblich" ab, wurde im konkreten Fall aber gezielt an exponierter Stelle durchgeführt, um den Feind zu beeindrucken. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß so ein Zahltag alle vier Monate wie ein kleiner Festtag begangen wurde, die Legionäre sich besonders herausputzten und die Auszahlung selbst in zeremoniellem Ernst ablief. Mir erscheint das andererseits ein bißchen viel Brimborium für eine Truppe im Feld, weshalb ich nicht widersprechen würde, würde jemand die Josephus-Schilderung zur Ausnahme erklären und die Verschiebung des Zahltags bis zum Kampagnenende zur Regel. Zumal Josephus nur diesen einen Zahltag schildert, den zweiten fälligen in der Endphase der Belagerung aber mit keiner Silbe erwähnt.

Außerdem würde ich's für plausibel halten, wenn auch die Auszahlung von Geldgeschenken in ähnlich feierlichem Rahmen ablief. Würde das das Zeremoniell nicht arg herabwürdigen, wenn die Soldaten statt gezückter Schwerter eine Pfandmarke in der Hand hielten?
 
Zuletzt bearbeitet:
Das hieße also, im Szenario ohne Wertmarke steht Aussage plus Strichliste gegen Aussage, im Szenario mit Wertmarke aber Aussage plus Strichliste gegen Aussage plus Wertmarke, wobei der Wertmarke die entscheidende Beweiskraft eingeräumt wird? Und Du denkst nicht, das würde Mißbrauch Tür und Tor öffnen? Einfach hinten in der Schlange wieder anstellen, eine gefälschte Wertmarke vorzeigen und Zeter und Mordio schreien, wenn der Zahlmeister auf den schon vorhandenen Strich in der Liste verweist. Oder ein geklaute Wertmarke vorweisen, was gleich zweimal in Zeter und Mordio mündet - einmal das des schon gestrichelten Diebes bei nochmaligem Anstellen, zum zweiten das des Beklauten, wenn der Zahlmeister nicht stricheln und nicht zahlen will, solange er keine Wertmarke einkassieren kann...
Überzeugt mich nicht, da gibt es pragmatischere vertrauensbildende Möglichkeiten.

Wie auch immer sie es angestellt haben, bei einem Betrugsfall oder Diebstahl haetten die Betroffenen wahrscheinlich ihr Leben riskiert.

Gruss
Jchatt
 
Interessant zu der Frage, ob die Gegenstempel für bereits gezahltes oder nur für versprochenes Geld stehen, sind die Stempel-Imitationen.

so z.B. der Gegenstempel mit der Nummer 228:

gegenstempel_228.png

Werz beschreibt ihn wie folgt:
Zuordnung der Einstempelung
Die vorliegende Einstempelung ist bislang nur ein einziges Mal belegt auf einem As der ersten Lyoner
Altarserie angebracht. Sie wurde von M.A. Speidel und H. Doppler publiziert. Beide legten den
Gegenstempel in Umzeichnung und Fotografie vor.

Zuweisung und zeitliche Einordnung der Einstempelung
Speidel und Doppler möchten den Gegenstempel mit Caius Augusti filius in Verbindung bringen.
Bei dieser Zuweisung gingen sie von einem dreigeteilten Stempelfeld aus. Vergleicht man den Abguß
oder das Foto der Münze mit den entsprechenden Umzeichnungen296 (Tafel N,7 und N,8), so ist
klar zu erkennen, daß eine derartige Unterteilung des Stempeleisens nicht gegeben ist. Vielmehr
läuft die rechte Schräghaste des V bis zum unteren Rand des Stempeleisens durch. Im Vergleich der
beiden Umzeichnungen untereinander wird die Schwierigkeit der richtigen Wiedergabe deutlich297.
Die Einstempelung 228.1/1 S1 ist als Imitation anzusprechen. Als Vorlage dienten die Gegenstempel
CAESAR 61 und VAR 227. Sie sind geklittert und spiegelverkehrt geschnitten (Tafel N,6).
Wird die Prägung fototechnisch gespiegelt, sind die Abhängigkeiten von den Vorbildern deutlich zu
erkennen (Tafel N,4 und N,5).
Die beiden von ihm herangezogenen Gegenstempel sehen wie folgt aus:
gegenstempel_227.pnggegenstempel_61.png

Diese Imitationen gibt es nicht nur bei den Varus-Stempeln sondern tauchen gestreut über alle Stempel und Nutzungszeiten auf. In einem Fall wurde sogar der Stempel und die Trägermünze imitiert.

Aus meiner Sicht scheint damit die Betrugsanfälligkeit einer hypothetischen Schuld-Stempelung kein Gegenargument mehr zu sein. Sie wäre vielmehr erwiesene Realität. Gleichzeitig fällt es mir schwer glaubhafte Gründe zu erfinden, warum jemand einen Gegenstempel imitieren sollte, wenn dessen Sinn und Zweck nur dem Gedenken des Spenders geschuldet war.

Gruß
jchatt
 
Huhu,

Müssen wir? Also das VARus ist gut erkennbar. Bei dem AUC glaube ich sogar die Stempelbegrenzung zu sehen, was einen *TIBAUC ausschließen würde.

Ist das Foto ein NEGATIV? (oder Bildbearbeitung (Farb- oder Kontrastumkehrung) z. B. um die Stempel besser lesen zu können).
Es sieht für mich so ganz anders aus als die anderen gegengestempelten Münzen, die ich bisher gesehen habe.

Technisch macht es für mich keinen Sinn, dass Gegenstempel erhöht (!) auf einer Münze auftauchen sollten (also das Rechteck des Gegenstempels).

Falls das eine Bearbeitung eines Negativ (oder auf Farb- bzw. Kontrastumkehrung des "Abzugs") beruht, dann wurde der VAR-Gegenstempel VOR dem AUC-Gegenstempel angebracht.

Ich habe von diesem Fund gelesen (muss gucken wo) und dass die Gegenstempelei darauf ursprünglich in der falschen Reihenfolge gesehen wurde, nach aktuellem Stand aber nix gegen zuerst Varus, dann (TIB)AUC spricht.

Meine 5 Cent dazu.

Wünsche Allen einen Schönen Abend

VG
Nemetona
 
Hallo

Für mich wäre natürlich ein Lagerfund einfach eine zusätzliche Bestätigung des Schlachtfeldes, die erfreulich wäre (vielleicht bin ich auch die Diskussion leid?). Wir hatten in den letzten Jahren zahlreiche Neuentdeckungen von Lagern (Hunsrück, Limburger Becken, Thüringen), die mich auch für Kalkriese optimistisch gestimmt hatten - leider ist dies bisher nicht eingetroffen.

Das vor ein paar Jahren entdeckte Lager bei Hermeskeil/Hunsrück, das wohl in die Zeit des Gallischen Kriegs datiert, war wohl länger als eine Nacht oder ein paar Tage - sondern - nach Aussage der Vorberichte - mindestens einige Wochen oder vielleicht Monate belegt. Es taugt daher kaum für einen Vergleich zu dem, was von verschiedenen Seiten für Kalkriese gefordert wird.
Vom neuen Lager an der unteren Lahn (Limburger Becken), dass ebenfalls caesarisch sein soll, habe ich bisher nur kurze Mitteilungen gelesen. Da wird man noch auf genauere Berichte warten müssen.

Aber was die Forderung eines Lagers bei Kalkriese angeht, möchte ich Folgendes zu Bedenken geben (sorry nicht Gegenstempel - aber potentielles Varusschlachtfeld):

- Falls Kalkriese Teilschauplatz der Varusschlacht gewesen sein sollte - war es eben nur TEILschauplatz - nicht mehr und nicht weniger.

Falls die historischen Quellen einigermaßen authentisch bzgl. des Schlachtverlaufs sein sollten, dann zog sich die Schlacht nicht nur zeitlich sondern auch räumlich sehr in die Länge. Es wären dann viele unterschiedliche "Schlachtplätze" - größere und kleinere gegen einen immer kleiner werdenden Heerzug, der weiter marschiert, die (falls die Angaben über 3 oder sogar 4 Tage stimmen) über sehr viele Kilometer östlich oder südöstlich von Kalkriese verteilt sein müssen.
(Keine Ahnung, wie schnell die Legionen unterwegs waren, aber man kann ohne große Übung auch in schlechtem Gelände gut 25 - 30 Km am Tag "wandern". - Die Menschen zu dieser Zeit, die vor allem zu Fuß unterwegs waren, konnten das bestimmt täglich bewerkstelligen und trainierte Legionen schafften wohl noch mehr Kilometer pro Tag.) Klar kam bei der Varusschlacht eben die "Schlacht" bzw. immer wieder Angriffe der Germanen dazwischen - aber das betraf wohl nicht gleichzeitig alle Menschen, die da nach Westen wollten. Die, die gerade nicht angegriffen wurden, marschierten wohl weiter.

Ich schätze mal, dass sich die "Varusschlacht" gut über ca. 75 Km Wegstrecke (oder sogar deutlich mehr) hingezogen haben könnte.
Germanicus wird ebenfalls eine ähnliche Strecke (über mehrere Tage) absolviert haben, als er "den Ort" der Schlacht besuchte.

Warum sollten ausgerechnet an dem kleinen Teilstück, das in Kalkriese bisher archäologisch untersucht wurde, all das entdeckt werden, was die Kritiker fordern?

- Lager, - am besten alle der varianischen Schlacht und dazu ein 8-Legionen-Lager von Germanicus. (Wo steht übrigens, dass alle 8 Legionen des Germanicus das Schlachtfeld inspizierten und gemeinsam in einem großen Lager übernachteten?)

- der Grabhügel - Wo steht, an welcher Stelle der diversen Schlachtfelder (die es bei der Varusschlacht gegeben haben muss) der Grabhügel (der später zerstört wurde) errichtet wurde?

- Überreste von Frauen und Kindern (Forderung von P. Kehne in einem Beitrag im neuen AiD Sonderheft) - Persönlicher Schmuck von einer römischen Frau wurde in Kalkriese wahrscheinlich gefunden. (Muss die Quelle noch mal suchen.) Der Tross wurde (laut Cassius Dio) warscheinlich schon am zweiten Tag aufgegeben - will heißen, die Wagen usw. verbrannt, die Überlebenden werden wohl ebenfalls versucht haben, Land Richtung Rhein zu gewinnen. Wie viele vom Tross tatsächlich am letzten Tag noch "den Rest" bekommen haben, ist völlig ungeklärt. (Mit Kindern kommt man nicht so schnell voran.)
Mit Knochenfunden nach über 2000 Jahren ist das sowieso so eine Sache. Das hängt vom Boden ab. - In sauren (kalkarmen) Böden sind Knochen nach wenigen Jahrzehnten vollständig vergangen. Wenn in der Ecke die Böden eher sauer sind, findet man heute auch keine 20.000 Menschen mehr - vollständig weg und seit vielen Jahrhunderten (ca. 19) dem natürlich Kreislauf wieder zugeführt.

- Die direkte Umgebung der heuigen Fundorte um Kalkriese wurden spätestens seit dem Mittelalter durch regelmäßigen Plaggenauftrag zur Gewinnung und Verbesserung von Ackerflächen deutlich verändert. (Die römerzeitlichen Befunde liegen dort oft unter sehr vielen Dezimetern mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Aufträgen von Plaggen (Rasensoden, die bei jedem Auftrag die "Ablagerung" über dem römerzeitlichen erhöhen.) Das erschwert die Entdeckung weiterer vorgeschichtlicher Strukturen erheblich.

Ich würde mir auch wünschen, dass dort vielleicht weitere Befunde, die die Varusschlachtthese erhärten (oder widerlegen), gemacht werden. Aber ich fürchte, dass das noch dauert.

Meine 5 Cent dazu

Grüße
Nemetona
 
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