Die Papias-Fragmente

Chan

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Das Thema ´Papias-Fragmente´ ist so komplex, dass es einen eigenen Thread verdient, vor allem, wenn man etwas gründlicher in die Details eintauchen möchte. Ich eröffne ihn mit einem Kommentar zu Richard Bauckhams Argumenten für Papias´ Kenntnis des Johannesevangeliums, die er 2006 vorgebracht hat. Allerdings ist er sechs Jahre nach der Publikation von "Jesus and the Eyewitnesses" (2006), aus welcher der im Kanon-Thread von Sepiola zitierte Satz (S. 51) stammt,

There should be no doubt that Papias knew the Fourth Gospel.
in diesem Punkt deutlich zurückhaltender geworden. In einem kurzen Text von 2012 ("Papias and the Gospels") schreibt er auf S.1:

In Jesus and the Eyewitnesses I have discussed many aspects of Papias and the Gospels, including detailed study of his comments on Mark and Matthew, the possibility that he knew John´s Gospel and (...)
Beachtenswert ist der Sprung von "no doubt" zu "possibility".

Auf S.17 heißt es:

The final question we must pose is whether Papias did use written Gospels as sources, in addition to his oral information, when he actually wrote his book. If we had the whole of his preface (...) we would probably know the answer. As it is, I am not sure that we can.
Beachtenswert ist hier der Sprung von "no doubt" zu "I am not sure".

Ich gehe dennoch auf Bauckhams Argumente im älteren Werk ein, (1) weil Bauckham im Prinzip bei seinen Thesen bleibt, auch wenn er seine Begründung betr. Papias´ Kenntnis des Joh geändert zu haben scheint (ohne sie im neueren Werk nennen, siehe sein letzter Satz auf S.18), und (2) weil die Argumente nicht nur von ihm vorgebracht werden.

(Übrigens hat bis zu Tatian in der zweiten Hälfte des 2. Jh. kein einziger bedeutender christlicher Autor explizit auf das Joh Bezug genommen. Papias wäre eine Ausnahme von dieser empirischen Regel.)

Bauckhams Argumente betr. Joh-Kenntnis des Papias (in "Jesus and the Eyewitnesses", S. 51 ff.) sind in einer Reihenfolge aufgeführt, die vermutlich der Relevanz entspricht, die er den einzelnen Argumenten bemisst (und/oder beimaß). Ich beginne also mit dem wichtigsten:

(1)

Eus. Hist. eccl. 3.39,4:

Wenn aber irgendwo jemand, der den Presbytern nachgefolgt war, kam, erkundigte ich mich nach den Berichten der Presbyter: Was hat Andreas oder was hat Petrus gesagt, oder was Philippus oder was Thomas oder Jakobus oder was Johannes oder was Matthäus oder irgendein anderer der Jünger des Herrn (...)
Dazu Bauckham:

There is his (= Papias, Anm. Chan) list of seven disciples (...), the first six of whom (Andrew, Peter, Philip, Thomas, James, John) are in a distinctive Johannine order, the order they appear in the Fourth Gospel, with James and John in fifth and sixth place (...), and Matthew, a non-Johannine disciple important for Papias as a disciple who wrote a Gospel, in seventh place.
(Das darin angeschnittenen Themas ´Papias und Matthäus´ hebe ich mir für auf einen anderen Beitrag auf)

Dieses Argument gibt es bereits seit dem 19. Jh. (u.a. Lightfoot und Zahn).

In Joh 1,35 werden zwei Joh.d.T.-Schüler als erste Jünger berufen, einer bleibt unbenannt, der andere ist Andreas. Darauf folgt die Berufung von Andreas´ Bruder Petrus und des Philippus (1,41-44). Die Reihenfolge Andreas bis Philippus stimmt also mit Papias´ Auflistung überein. Dann wird bei Papias Thomas - der im Joh sehr spät in 11,16 erscheint - genannt, wohingegen im Joh auf Philippus sofort Nathanael folgt (1,45), der bei Papias keine Erwähnung findet, obwohl er im Joh bei seiner Berufung auffallend exponiert wird:

47 Jesus sah Nathanael zu sich kommen und spricht von ihm: Siehe, ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist. 48 Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Ehe denn dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich. 49 Nathanael antwortete und spricht zu ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel! 50 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, daß ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum; du wirst noch Größeres denn das sehen. 51 Und spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf und herab fahren auf des Menschen Sohn.
Da stellt sich die Frage, warum Papias ausgerechnet Nathanael, den Jesus hier in ganz besonderer Weise anspricht, aus einer am Joh orientierten Auflistung ausgeschlossen haben soll, nur um in seiner Liste mit Thomas fortzufahren, dessen Berufung im JohEv überhaupt nicht geschildert und der in 11,16 nur ganz nebenbei in die Handlung eingeführt wird. Eine größere ´theologische´ Bedeutung von Thomas gegenüber Nathanael ist nicht erkennbar, die den Vorzug des Thomas auf Kosten des Nathanael rechtfertigen könnte, im Gegenteil: Sein Auftritt in Kap. 20 als ´ungläubiger Thomas´ prädestiniert ihn kaum zu einem Vorzeige-Apostel in der Art von Nathanael (1,47 ff.). Beim ersten Erscheinen des ´auferstandenen´ Christus sind beide, Thomas und Nathanael, zugegen, sie haben als Zeugen dieses (im christlichen Glauben) hochbedeutsamen Ereignisses für die nachfolgende Generation also den gleichen Wert.

Die nächsten von Papias Genannten sind die Zebedaiden Jakobus und Johannes sowie Matthäus, die im Joh bis zum regulären Ende (Joh 20,31) aber nicht auftreten. Das Kap. 21 ist eine redaktionelle Ergänzung ("Nachtragskapitel"), in der die Zebedaiden zwar genannt werden, aber nicht mit ihren individuellen Namen Jakobus und Johannes.

Zwischenfazit:

Die Parallelität der Reihe ´Andreas-Petrus-Philippus´ in beiden Texten ist in der Tat auffällig (manche Anhänger dieser These neigen dazu, ´Thomas´ aus dem Argument auszuklammern, irritiert durch die Auslassung von ´Nathanael´ und weil bei Thomas keine Berufung geschildert wird). Auf dieser Dreierreihe aber eine Gewissheit zu gründen, Papias habe Joh gekannt, führt denn doch zu weit, weil ein Zufall nicht ausgeschlossen werden kann. Mit kaum weniger Plausibilität könnte man die Reihenfolge A-ndreas, P-etrus und Ph-ilippus auch auf die Position der Anfangsbuchstaben im altgriechischen Alphabet zurückführen (mein Argument).

(PS. Nachträglich habe ich festgestellt, dass bereits W. Weiffenbach im 19. Jh. ("Das Papias-Fragment bei Eusebius") auf die alphabetische Reihenfolge hingewiesen hat.)

Trotz allem einmal angenommen, Papias hätte auf Joh Bezug genommen, dann ist zu fragen:

a) Warum hat er den Zebedaiden Johannes, der in der Alten Kirche unangefochten als Verfasser des Joh galt, nicht mit dem ´geliebten Jünger´ identifiziert, der laut Nachtragskapitel 21,24 das Evangelium verfasst hat,

b) diesen ´geliebten Jünger´ mit dem anonymen Joh.d.T.-Schüler gleichgesetzt, der neben Andreas zu den beiden Erstberufenen in 1,35 zählt,

c) und also den Zebedaiden Johannes als ersten in der Auflistung von Apostelnamen genannt (statt Andreas)?

Bauckham selbst stellt sich diese Fragen, ohne ihre Herkunft aus der deutschen Papias-Literatur zu erwähnen, und schlussfolgert auf S. 418:

(...) if Papias recognized the Beloved Disciple in the anonymous disciple of 1:35–39, he would have placed him first in the list.
Da aber Andreas an erster Stelle erscheint, steht für Bauckham fest, dass Papias

did not identify him (= den ´geliebten Jünger´) as the son of Zebedee.
Bauckham will damit seine These stützen, Papias´ "Presbyter Johannes" - und nicht der Zebedaide - habe Joh verfasst, was aber überhaupt nicht mit der altkirchlischen Konvention der Autorschaft des Zebedaiden Johannes zusammengeht. Hätte Papias irgendwo in seinen Schriften diese Autorschaft angezweifelt bzw. anders dargestellt, warum ist davon bei Irenäus und Eusebius nichts zu lesen?

Dass Papias in seiner Liste den Zebedaiden nicht an den Anfang setzte, ist also weniger ein Indiz dafür, dass Papias dem Zebedaiden die Autorschaft absprach, als vielmehr dafür, dass er das Joh gar nicht kannte.

Eine Identität von Zebedaide und Presbyter bei Papias ist insofern auszuschließen, als beide in Eus. 3.39,4 separat und in unterschiedlichen Zeitformen aufgeführt werden. Zwar wird auch der Presbyter als ´Herrenjünger´ bezeichnet, was aber keine unmittelbare Jesus-Gefolgschaft bedeuten kann (dessen Historizität hier einmal vorausgesetzt), da andernfalls der Presbyter ein unwahrscheinlich hohes Alter erreicht haben müsste. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass Papias den Presbyter fälschlich für einen direkten Zeugen des Jesus hielt.

Fazit:

Die Parallelität der ersten drei Apostelnamen bei Papias und Joh ist kein zwingendes Indiz für eine Joh-Kenntnis des Papias.


++++

(Fortsetzung im nächsten Beitrag)
 
Zuletzt bearbeitet:
(Fortsetzung des vorigen Beitrags zu Bauckhams Argumenten von 2006)

+++​
(2)

Bauckhams zweites Argument (S.51):

There is the quotation from Joh 14:2 in a passage Irenaeus ascribes to the elders and very probably borrowed from Papias.
Ich zitiere aus Irenäus´ "Contra Haereses", 36,2:

(...) Die einen werden in den Himmel aufgenommen, die anderen im Paradiese sich aufhalten, noch andere in der Stadt wohnen; und deswegen habe der Herr gesagt, bei seinem Vater seien viele Wohnungen (...) Das ist die Verteilung und Ordnung derer, die gerettet werden, sagen die Presbyter, die Schüler der Apostel (...)
In Joh 14,2 heißt es:

In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, so wollte ich zu euch sagen: Ich gehe hin euch die Stätte zu bereiten.
Bauckham ("very probably") und andere vermuten, dass sich Irenäus in 36,2 auf das verschollene Papias-Werk bezieht und dass seine Joh-14,2-Paraphrasierung auf ein Joh-Zitat bei Papias zurückgeht.

Fakt ist, dass Presbyter als Überlieferungsträger im 2. Jh. vor Irenäus nur bei Papias belegt sind, was nahezulegen scheint, dass Irenäus seine mit einer Presbyterüberlieferung assozierten Passagen inhaltlich aus dem Papias-Werk übernommen hat. Diese Annahme ist aber keineswegs alternativlos. Denkbar ist auch, dass beide, Irenäus und Papias, gemeinsam aus einer Presbytertradition schöpften und Irenäus in diesem Punkt also gar nicht von Papias abhängig war. Möglich ist auch, dass sich die Überlieferung nach Papias noch ausdifferenziert hat, so dass vieles von dem, was sich bei Irenäus findet, dem Papias gar nicht bekannt gewesen sein muss, darunter auch der Bezug auf Joh 14,2.

Fazit:

Die Joh-14,2-Paraphrasierung bei Irenäus ist kein Beleg für eine Joh-Kenntnis des Papias.


++++​

(3)

Bauckhams drittes Argument (S.51):

The Armenian reference to Papias seems to depend on a comment he made on John 19:39.
Dieses Fragment wird bei Kürzinger als Nr. 24 und bei Holmes als Nr. 25 gelistet. An Indizienkraft ist es kaum zu unterbieten.

Zunächst Joh 19,39:

Es kam aber auch Nikodemus, der vormals in der Nacht zu Jesus gekommen war, und brachte Myrrhe und Aloe untereinander bei hundert Pfunden.
Im besagten armenischen Fragment wird die Aloe als ein Gemisch aus Honig und Weihrauch beschrieben und mitgeteilt, dass sowohl ein "Geograph" als auch ein gewisser "Papias" berichtet haben, dass es davon 15 Sorten in Indien gibt. In keinster Weise ist ein Bezug zu Joh 19,39 erkennbar. Die einzige potentielle Verbindung zu Papias ist die Nennung des Namens "Papias".

Wer aber ist der Papias des armenischen Fragments? Mit dem "Geograph" ist jedenfalls Mose von Khorene (5. Jh. CE) gemeint. Was "Papias" betrifft, könnte er mit Pappos identisch sein, einem Geographen aus Alexandria (4. Jh. CE), der eine der Hauptquellen des "Geograph" war. Die Namensänderung könnte auf eine Übersetzung eines originalen Textes zurückgehen, bei welcher der möglicherweise undeutlich geschriebene Name ´Pappos´ vom Übersetzer als ´Pappias´ gedeutet wurde.

Wie dem auch sei: Die These, das Fragment lasse auf eine Joh-Kenntnis des Pappias schließen, ist völlig unhaltbar.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dieses Fragment wird bei Kürzinger als Nr. 24 und bei Holmes als Nr. 25 gelistet.

Dazu noch das Fragment Kürzinger Nr. 22:

Zu dieser Zeit lebte zu Manbig (Hierapolis) ein hervorragender Lehrer, Verfasser mehrerer Abhandlungen; er verfaßte fünf Abhandlungen über das Evangelium. In einer Abhandlung, welche er über das Johannesevangelium verfaßt hat, erhählt er, daß im Buche Johannes des Evangelisten (die Rede ist) von einem Weibe, das eine Ehebrecherin war...

Beweiskräftig ist das natürlich auch nicht. Zur kritischen Würdigung verweist Kürzinger auf Josef Linder, Papias und die Perikope von der Ehebrecherin (Jo 7,53-8,11) bei Agapius von Manbig, in: Zeitschrift für Katholische Theologie 40 (1916), der damals schon schreibt:

Haben wir aber nicht vielleicht diesem glücklichen Zufall die Erhaltung und Überlieferung eines für uns hochwichtigen Papiaszeugnisses für das Johannesevangelium und die Authentie der Perikope von der Ehebrecherin zu danken? Übersehen wir nicht, daß wir die Zuverlässigkeit dieses „Papiasfragmentes" nicht ohne weiteres annehmen können. Wir kennen den Gewährsmann des Agapius nicht und wissen daher auch nicht, wie weit dasselbe zeitlich zurückreicht und welche Zuverlässigkeit der Überlieferung diesem „Papiasfragment" zukommt. Der oben hervorgehobene und als wahrscheinlichere Deutung in Betracht zu ziehende „contresens" gegen Joh 8,7 kann uns in dieser Zurückhaltung wohl nur bestärken. Immerhin verdient aber dieses „Papiasfragment" (?) mindestens ebensoviel Beachtung als so manches recht zweifelhafte Fragment, z. B. aus Philippus von Side, Fragmente, die, wie bekannt, zu den kühnsten Hypothesen Anlaß gegeben haben. Der Bibelkritiker bucht gewissenhaft auch dieses kleine Fragment; vielleicht ist es ein kleiner Baustein, der einmal zu einem andern Baustein gefügt, des Rätsels Lösung sicher bringt.

a) Warum hat er den Zebedaiden Johannes, der in der Alten Kirche unangefochten als Verfasser des Joh galt, nicht mit dem ´geliebten Jünger´ identifiziert
Hat er nicht?
Woher weißt Du?


Fakt ist, dass Presbyter als Überlieferungsträger im 2. Jh. vor Irenäus nur bei Papias belegt sind
Fakt?

Ganz sicher sind auch die im 1. Timotheusbrief erwähnten Presbyter, "die in Wort und Lehre sich mühen", als Überlieferungträger anzusehen.

Hier geht es aber nicht nur allgemein um "Presbyter als Überlieferungsträger", sondern ganz konkret um "Presbyter als Apostelschüler". Der Apostel, der an einer Stelle namentlich genannt wird, ist Johannes, der Jesus-Jünger.
 
Dazu noch das Fragment Kürzinger Nr. 22:...

Übersehen wir nicht, daß wir die Zuverlässigkeit dieses „Papiasfragmentes" nicht ohne weiteres annehmen können...

Hat er nicht?
Woher weißt Du?...

Fakt?

Dazu noch die Anmerkungen, dass Norellis Edition von den gesamten Papias-Fragmenten nur einen Teil als Nachweis auf das verschollene Werk ansieht. Der Rest der s.g. Fragmente seien demnach (nur) Hinweise, behauptete Zitate etc., deren Authentizität fraglich ist. Siehe MacDonald, mit folgender Listung nach Norelli:
 

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Dazu noch die Anmerkungen, dass Norellis Edition von den gesamten Papias-Fragmenten nur einen Teil als Nachweis auf das verschollene Werk ansieht.

Die Relevanz von Frag. 10 (Philip von Sidetes) ist keineswegs gesichert, da es inhaltlich von Eusebius abhängig ist und keine Kenntnis des Papias-Werks voraussetzt. Irritierend ist, dass weder Irenäus noch Eusebius Papias zu dem aus christlicher Sicht hochinteressanten Thema ´Martyrium des Zebedaiden´ (Thema des Fragments) zitieren oder sich auf ihn beziehen. Im Frag. wird der Zebedaide als ´theologos´ bezeichnet, was auf keinen Fall auf Papias zurückgehen kann.

Zur kritischen Würdigung verweist Kürzinger auf Josef Linder, Papias und die Perikope von der Ehebrecherin (Jo 7,53-8,11) bei Agapius von Manbig, in: Zeitschrift für Katholische Theologie 40 (1916), der damals schon schreibt:

"Haben wir aber nicht vielleicht diesem glücklichen Zufall die Erhaltung und Überlieferung eines für uns hochwichtigen Papiaszeugnisses für das Johannesevangelium und die Authentie der Perikope von der Ehebrecherin zu danken? (...)".

Ulrich Becker hat 1963 ("Jesus und die Ehebrecherin") plausibel gemacht, dass die Ehebrecherin-Perikope (= PA = Pericope Adulterae) kein Bestandteil des ursprünglichen Joh war, sondern erst zu Beginn des 3. Jh. in das Evangelium eingefügt wurde.

Die PA fehlt in den frühestenen griechischen Handschriften des Joh und wurde in der altkirchlichen Exegese vor Ambrosius und Hieronymus auch niemals kommentiert.

Bei Eusebius ist zu lesen (HE 3.39,17):

Er (= Papias. Anm. Chan) führt aber auch eine andere Geschichte an über eine Frau, die wegen vieler Sünden vor dem Herrn angeklagt worden war; diese (Erzählung) enthält das Hebräerevangelium. Auch dies mussten wir außer dem Erwähnten unbedingt anmerken.
Joh 8:

(...) 7 Als sie nun anhielten, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. 8 Und bückte sich wieder nieder und schrieb auf die Erde. 9 Da sie aber das hörten, gingen sie hinaus (von ihrem Gewissen überführt), einer nach dem andern, von den Ältesten bis zu den Geringsten; und Jesus ward gelassen allein und das Weib in der Mitte stehend. 10 Jesus aber richtete sich auf; und da er niemand sah denn das Weib, sprach er zu ihr: Weib, wo sind sie, deine Verkläger? Hat dich niemand verdammt? 11 Sie aber sprach: HERR, niemand. Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr!
J.B. Lightfoot war im 19. Jh. der erste, der eine Verbindung zwischen der Eusebius-Stelle und der PA zu erkennen glaubte und daraus schloss, dass Papias die Joh-Stelle kannte. Nicht alle Exegeten sind ihm darin gefolgt. Die Geschichte, sofern sie bei Papias den gleichen Inhalt hatte wie die PA, könnte Bestandteil einer mündlichen Überlieferung gewesen sein, aus der auch der Autor der späteren Interpolation geschöpft hat.

In den uns bekannten frühesten Handschriften des Joh steht die PA jedenfalls nicht. Die lateinische Handschrift von Hieronymus von 384 CE, welche die PA vermutlich (aber nicht sicher) enthalten hat, ist verschollen. Das früheste gesicherte Manuskript mit PA (der Codex D) datiert von ca. 400 CE.

J. Rius-Camps hat 1993 die Hypothese gebildet, dass die PA zwar schon früh entstanden sei (als Teil von Mk und Lk), wegen ihrer unkonventionellen Aussage aber zunächst daraus gestrichen und ausschließlich mündlich tradiert wurde, bis sie, nachdem Mk, Mt, Lk und Joh eine feste Gruppe bildeten, doch in das Joh aufgenommen wurde. Diese Hypothese stützt obengenannte Annahme, dass Papias, falls er Kenntnis von der Geschichte hatte, sie aus einer von Joh unabhängigen Quelle bezogen hat. Ob die PA zunächst in Mk und Lk stand, ist für diese Annahme irrelevant.

Zitat:
"a) Warum hat er den Zebedaiden Johannes, der in der Alten Kirche unangefochten als Verfasser des Joh galt, nicht mit dem ´geliebten Jünger´ identifiziert"

Hat er nicht?
Woher weißt Du?

Diese Frage ist nicht isoliert, sondern im Zusammenhang des Gesamtarguments zu sehen. Dieses besagt, dass Papias, wenn er a) diese Identifikation vorgenommen hätte, und wenn er b) den ´geliebten Jünger´ mit dem ersten unbenannten Berufenen identifiziert hätte, dann wohl c) den Zebedaiden an den Listenanfang gesetzt hätte. Bauckham schreibt ja selbst ("Jesus and the Eyewitnesses", 418):

It seems Papias has not included the Beloved Disciple in this list (21:2) and did not identify him as the son of Zebedee.
Zitat:
"Fakt ist, dass Presbyter als Überlieferungsträger im 2. Jh. vor Irenäus nur bei Papias belegt sind."

Fakt?

Ganz sicher sind auch die im 1. Timotheusbrief erwähnten Presbyter, "die in Wort und Lehre sich mühen", als Überlieferungträger anzusehen. .

Da hätte ich mich präziser ausdrücken müssen: Gemeint sind Presbyter-Berichte, wie sie im Werk von Papias und Irenäus vorlagen bzw. vorliegen. Da nach unserer Kenntnis vor Irenäus solche Berichte nur von Papias gesammelt wurden, hat man die Hypothese gebildet, dass Irenäus seine Presbyter-Berichte von Papias übernommen hat. Allerdings gibt es, wie gesagt, eine alternative Erklärung (gemeinsame Nutzung der Presbyterüberlieferung).

Die Presbyter im 1 Tim sind nicht als Überlieferungsträger im Sinne der Presbyter bei Papias zu verstehen, sondern als Gemeindefunktionäre.

Hier geht es aber nicht nur allgemein um "Presbyter als Überlieferungsträger", sondern ganz konkret um "Presbyter als Apostelschüler"..

Die Presbyter, um die es im Irenäus-Kontext geht, bilden wie bei Papias eine Lehrer-Schüler-Linie, die ihrem Anspruch nach auf Apostelschüler zurückgeht. Im Rahmen obiger Alternativerklärung gilt, dass Irenäus in der zweiten Hälfte des 2. Jh. natürlich keine originalen Apostelschüler mehr kannte (deren Historizität ich hier hypothetisch voraussetze), aber doch Vertreter der auf solchen Apostelschülern gründenden Presbytertradition.

Das Thema ´Presbyter bei Irenäus´ ist aber ziemlich komplex, ich gehe darauf ein andermal ausführlicher ein.
 
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Diese Frage ist nicht isoliert, sondern im Zusammenhang des Gesamtarguments zu sehen. Dieses besagt, dass Papias, wenn er a) diese Identifikation vorgenommen hätte, und wenn er b) den ´geliebten Jünger´ mit dem ersten unbenannten Berufenen identifiziert hätte, dann wohl c) den Zebedaiden an den Listenanfang gesetzt hätte.

Ach so, doppeltes "wenn".

a) Hat Papias den Lieblingsjünger mit dem Zebedaiden identifiziert?

Wissen wir nicht.

b) Hätte er, falls er den Lieblingsjünger mit dem Zebedaiden identifiziert hätte, diesen dann auch mit dem ersten unbenannten Berufenen identifiziert?

Wissen wir auch nicht.

Was folgt daraus für den Listenanfang?

Nichts.

Was bleibt?
Die Reihenfolge der Jünger bei Papias (1.: Andreas, 2.: Petrus, 3.: Philippus, 4.: Thomas, 5. und 6.: die Zebedaiden - Jakobus und Johannes) entspricht der Reihenfolge, in der sie im Johannesevangelium jeweils erstmals genannt werden.

Ich sehe da weder ein Indiz dafür, dass Papias dem Zebedaiden die Autorschaft absprach, noch ein Indiz dafür, dass er das Johannesevangelium nicht kannte.
 
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Eine Identität von Zebedaide und Presbyter bei Papias ist insofern auszuschließen, als beide in Eus. 3.39,4 separat und in unterschiedlichen Zeitformen aufgeführt werden. Zwar wird auch der Presbyter als ´Herrenjünger´ bezeichnet, was aber keine unmittelbare Jesus-Gefolgschaft bedeuten kann (dessen Historizität hier einmal vorausgesetzt), da andernfalls der Presbyter ein unwahrscheinlich hohes Alter erreicht haben müsste.

Ich bin mir nicht sicher, ob das Präsens "was sagen Aristion und Johannes" sich auf die Abfassungszeit des Vorworts beziehen muss.

Papias bezieht sich auf das von ihm gesammelte Material, "was ich ehedem von den Presbytern gut in Erfahrung gebracht und gut aufgezeichnet habe" (Übersetzung bei Kürzinger).

D. h. zu der Zeit, als er sein Material gesammelt hat, waren Aristion und Johannes noch am Leben. Das muss für die Zeit, in der Papias seine Bücher ediert hat, nicht mehr gelten.

Und da wir die Lebensdaten des Papias nicht sicher bestimmen können, lässt sich von daher die Wahrscheinlichkeit, ob er noch einen Jesus-Jünger kennenlernen konnte, nicht ausrechnen.
 
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Ich gehe hier mit Verspätung auf deine Antwort im Kanon-Thread ein.

Wie kommst Du denn auf so einen Unsinn?
(...)
Eusebius stellt hier doch unmissverständlich klar, dass Papias die Presbyter nicht mit den Aposteln identifiziert.

Dass Eusebius die Presbyter in 3.39,7 mit den Aposteln identifiziert, ist ganz und gar kein "Unsinn", sondern Expertenmeinung, darunter Robert Y. Yarbrough ("1-3 John"). Das kann auch ohne Theologiestudium leicht nachvollzogen werden.

(1)
Papias spricht nicht von Aposteln, sondern nur von Presbytern. In 3.39.4 sagt er, zitiert von Eusebius:

Wenn aber irgendwo jemand, der den Presbytern nachgefolgt war, kam, erkundigte ich mich nach den Berichten der Presbyter: Was hat Andreas oder was hat Petrus gesagt, oder was Philippus oder was Thomas oder Jakobus oder was Johannes oder was Matthäus oder irgendein anderer der Jünger des Herrn, was ja auch Aristion und der Presbyter Johannes, (beide) des Herrn Jünger, sagen.
Das kann - muss aber nicht - so gedeutet werden, dass die Presbyter (nach deren Berichten Papias sich erkundigt) mit den Aposteln Andreas usw. identisch sind, da erst von "Berichten der Presbyter" die Rede ist und dann davon, "was Andreas usw. gesagt" haben. Mit anderen Worten: "Was haben Andreas usw. berichtet?"

(2)
Darauf spielt Eusebius in 3.39.7 an, wenn er sagt:

Auch der jetzt von uns vorgestellte Papias sagt, er habe die Worte der Apostel von denen, die ihnen gefolgt waren, empfangen, Aristion aber und den Presbyter Johannes habe er, so sagt er, persönlich gehört.
Hier identifiziert Eusebius die Presbyter (in der ersten Satzhälfte) mit den Aposteln, tut also genau das, was ich geschrieben habe, was du wiederum als "Unsinn" bezeichnest. Ich hoffe diesen gänzlich überflüssigen Vorwurf hiermit widerlegt zu haben.

Es würde nichts schaden, auch "die Dir vorliegende Version" zu verlinken. Warum mauerst Du immer so mit Deinen 'Quellen'?

Ich habe die Quelle doch laut und deutlich verlinkt. Sieh nochmal in den Beitrag hinein, dort steht der Link "Papias-Fragmente" direkt über dem daraus entnommenen Zitat.

Mehr zu dem komplexen Thema "Presbyter" und "Identität von Johannes d. Presbyter" demnächst.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich habe die Quelle doch laut und deutlich verlinkt. Sieh nochmal in den Beitrag hinein, dort steht der Link "Papias-Fragmente" direkt über dem daraus entnommenen Zitat.

Da bitte ich um Verzeihung, peinlicher Fauxpas meinerseits.


Den Rest Deines Beitrags verstehe ich nicht.

Chan schrieb:
Auch der jetzt von uns vorgestellte Papias sagt, er habe die Worte der Apostel von denen, die ihnen gefolgt waren, empfangen, Aristion aber und den Presbyter Johannes habe er, so sagt er, persönlich gehört.

Hier identifiziert Eusebius die Presbyter (in der ersten Satzhälfte) mit den Aposteln,

In der ersten Satzhälfte wird unterschieden zwischen den Aposteln und denen, die den Aposteln gefolgt waren.
Die Presbyter werden in der ersten Satzhälfte nicht genannt.
In der zweiten Satzhälfte wird der Presbyter Johannes genannt. Zu diesem schreibt Eusebius kurz vorher:

"... den anderen Johannes ordnet er, in einem neuen Satzteil, einer Kategorie zu, die von der der Apostel verschieden ist, den Aristion ihm voranstellend, und er bezeichnet ihn ausdrücklich als Presbyter."

Eusebius identifiziert also die Apostel nicht mit den Presbytern.
 
Dass Eusebius die Presbyter in 3.39,7 mit den Aposteln identifiziert, ist ganz und gar kein "Unsinn", sondern Expertenmeinung, darunter Robert Y. Yarbrough ("1-3 John").

Robert W. Yarbroughs Meinung (soweit hier nachzulesen) lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Papias behandelt Apostel und Presbyter nicht als unterschiedliche Gruppen.
Eusebius konstruiert fälschlicherweise einen Unterschied zwischen Aposteln und Presbytern.

Das ist so ziemlich das glatte Gegenteil von dem, was Du geschrieben hast (und was ich als Unsinn bezeichne):

Papias behauptet, von Leuten, die "Presbytern gefolgt" sind, Informationen erhalten zu haben über das, was Petrus, Philippus, Thomas, Jakobus usw. lehrten. Eusebius deutet das fälschlich als Identifizierung der Presbyter mit den Aposteln, was Papias aber nicht im Sinn hatte...
 
a) Warum hat er den Zebedaiden Johannes, der in der Alten Kirche unangefochten als Verfasser des Joh galt, nicht mit dem ´geliebten Jünger´ identifiziert

Wie gesagt, wir wissen nicht, ob Papias den Lieblingsjünger mit dem Zebedaiden identifiziert hat.

Ob der Zebedaide schon immer "unangefochten als Verfasser des Joh galt", ließe sich auch in Frage stellen. Richtig ist, dass darüber unter den Kirchenvätern kein Streit bekannt ist.

Allerdings bringt Eusebius einen Auszug aus einem Brief des Polykrates, Bischofs in Ephesus, an den römischen Bischof Victor:

https://www.unifr.ch/bkv/kapitel51-24.htm

Zum Hintergrund: Es ging um den seit längerer Zeit schwelenden Streit um den "richtigen" Termin des Osterfestes. Dies steht in engstem Zusammenhang mit dem jüdischen Passahfest. Nach den Synoptikern war das Letzte Abendmahl ein Passahmahl ("am ersten Tag des Festes der Ungesäuerten Brote", 15. Nisan). Nicht so nach Johannes, da wurde Jesus an diesem Tag gekreuzigt; das Letzte Abendmahl fand am Abend zuvor statt (14. Nisan).

Polykrates verteidigt die kleinasiatische Tradition, die er für die einzig richtige hält: "Unverfälscht begehen wir den Tag; wir tun nichts dazu und nichts hinweg. ... Diese alle haben gemäß dem Evangelium das Pascha am 14. Tage gefeiert; sie sind keine eigenen Wege gegangen, sondern der vom Glauben gewiesenen Richtung gefolgt."

Das Evangelium ist für ihn offensichtlich das Johannesevangelium.

Und als seine ersten beiden Zeugen für diese Tradition benennt er:
1. "Philippus, einen der zwölf Apostel, der in Hierapolis entschlafen ist"
2. "Johannes, der an der Brust des Herrn lag, den Stirnschild trug, Priester, Glaubenszeuge und Lehrer war und in Ephesus zur Ruhe eingegangen ist"

Diesen Johannes identifiziert er klar mit dem Lieblingsjünger, der "an der Brust des Herrn" lag (Joh 13, 23-25; Joh 21,20). Auffallenderweise wird er erst nach Philippus genannt, und er wird nicht als einer der zwölf Apostel gekennzeichnet.

Die Angabe, der Lieblingsjünger sei ein Priester gewesen, passt gut zu Joh 18,15, wonach "der andere Jünger" (wohl ebenfalls der Lieblingsjünger, vgl. Joh 20,2-3) ein Bekannter des Hohenpriesters war.

Zum Zebedaiden Johannes passt diese Angabe nicht wirklich. Der war laut den Synoptikern ein galiläischer Fischer. Und auch im Johannesevangelium werden die Zebedaiden nur an einer einzigen Stelle genannt. Und da gehen sie mit Petrus zusammen zum Fischen. Am "See Tiberias" (Tiberias in Galiläa).
 
Robert W. Yarbroughs Meinung (soweit hier nachzulesen) lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
(...)
Eusebius konstruiert fälschlicherweise einen Unterschied zwischen Aposteln und Presbytern.

Just the opposite. Yarbrough schreibt in "1-3 John" (PDF) auf Textseite 14 unten:

https://www.wtsbooks.com/common/pdf_links/Excerpt_Yarbrough_John.pdf

In the quotation given by Eusebius from Papias’s writings, Papias never uses the word “apostle.” He speaks only of “elders” who were Jesus’s “disciples”: Andrew, Peter, Philip, Thomas, James, John, Matthew, “or any other of the disciples of the Lord” (3.39.4). Papias says that he had access to these elders as well as to others who had been their followers (such as Polycarp and Ignatius?). But Eusebius identifies those whom Papias terms “elders” as “apostles” (3.39.7).
Ich übersetze - nicht für dich, einfach zur absoluten Verdeutlichung - den entscheidenden Teil:

Eusebius aber identifiziert jene, die Papias "Ältere" (Presbyter) nennt, als "Apostel".
Das ist so ziemlich das glatte Gegenteil von dem, was Du geschrieben hast (und was ich als Unsinn bezeichne)

Nö, ich hab´s genau richtig dargestellt.

Auch Ulrich Körtner schreibt in "Papias von Hierapolis" auf S. 115:

Aber auch die Erläuterungen derjenigen, die das Papiaswerk noch selbst gelesen haben, helfen uns nicht weiter, sondern bestätigen nur noch einmal die grammatische Mehrdeutigkeit von HE III 39,4. Euseb paraphrasiert (nicht kopierbarer griechischer Text) (HE III 39,7; vgl. 39,2).

Er hat also die (nicht kopierbarer griechischer Text = Presbyter) mit Andreas, Petrus und den übrigen Aposteln identifiziert.
Auch J.R. Michaels schreibt in "The Gospel of John", S. 37:

On the one hand he (= Eusebius) presupposes the first alternative, that “the presbyters” are in fact “the apostles.” This is clear in his paraphrase of what he has just quoted Papias as saying, for in the quotation Papias says, “If ever anyone came who had followed the presbyters, I inquired into the words of the presbyters,” and in Eusebius’s paraphrase he claims that Papias “confesses that he had received the words of the Apostles from their followers” (literally “from those who had followed them”). Nothing could be clearer than that Eusebius identifies Papias’s “presbyters” with the “apostles” Andrew, Peter, Philip, Thomas, James, John, and Matthew.
Ich könnte die Liste fortsetzen, denke aber, dass sie die Richtigkeit meiner Aussage mehr aus ausreichend belegt.

Den Rest Deines Beitrags verstehe ich nicht.

Es ist aber ganz einfach. Hier noch einmal der Text von Papias:

Wenn aber irgendwo jemand, der den Presbytern nachgefolgt war, kam, erkundigte ich mich nach den Berichten der Presbyter: Was hat Andreas oder was hat Petrus gesagt, oder was Philippus oder was Thomas oder Jakobus oder was Johannes oder was Matthäus oder irgendein anderer der Jünger des Herrn, was ja auch Aristion und der Presbyter Johannes, (beide) des Herrn Jünger, sagen.
Der springende Punkt ist die Frage, ob der Ausdruck "Berichte der Presbyter" gleichbedeutend ist mit "Was haben A, P, Ph usw. gesagt?". Soll heißen: Wiederholt Papias mit der zweiten Formulierung das, was schon die erste zum Ausdruck bringt? Wenn ja, sind Presbyter und Apostel identisch.

Oder so:

Papias "erkundigt sich nach den Berichten der Presbyter" = Papias erkundigt sich nach dem, was die Apostel "gesagt" haben.

Besonders deutlich wird es in dieser englischen Übersetzung des Papias-Textes:

http://www.seanmultimedia.com/Pie_Fragments_of_Papias.html

And again, on any occasion when a person came (in my way) who had been a follower of the Elders, I would inquire about the discourses of the elders -- what was said by Andrew, or by Peter, or by Philip, or by Thomas or James, or by John or Matthew or any other of the Lord's disciples, and what Aristion and the Elder John, the disciples of the Lord, say.
"I would inquire about the discourses of the elders - what was said by Andrew, or by Peter (...)"
 
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Robert W. Yarbroughs Meinung (soweit hier nachzulesen) lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Papias behandelt Apostel und Presbyter nicht als unterschiedliche Gruppen.
Eusebius konstruiert fälschlicherweise einen Unterschied zwischen Aposteln und Presbytern.

Das ist so ziemlich das glatte Gegenteil von dem, was Du geschrieben hast (und was ich als Unsinn bezeichne):

Sepiolas Ausführungen in #9 und 10 sind völlig zutreffend. In Chans #12 basiert auf einem falschen Verständnis der Debatte.

Ebene 1: die Presbyter bei Papias.
Apostel werden hier nicht als solche bezeichnet. Ergo: unter den von Papias genannten "Älteren", auf deren Überlieferung inkl. Ihrer Schüler er sich beruft, sind Apostel, aber auch andere. Apostel werden daher als Presbyter bezeichnet, aber umgekehrt: nicht alle Presbyter sind Apostel. Oder simpel: Apostel sind eine Teilmenge von Papias' Presbytern.

Ebene 2: Eusebius:
Ebene 2a: das Verständnis Eusebius' von Papias Ausführungen.
Dass Eusebius zunächst einmal die von Papias so bezeichneten (frühesten) Presbyter als Apostel interpretiert (Chan in #12), ist richtig, trägt aber nichts zur Erkenntnis über sein eigenes Verständnis bei.
#12 geht daher völlig an der Sache vorbei (nämlich den Disput über Ebene 1 (Verständnis Papias) und der Ebene 2b, (Verständnis Eusebius) siehe unten).*
Die Zitatauswahl in #12 behandelt weiter nicht dass Problem, dass Eusebius aus den Ausführungen des Papias zugleich einen Unterschied zwischen dem Presbyter John und dem Apostel John herzuleiten meint.

Ebene 2b: das ureigene Verständnis von Eusebius:
Siehe Sepiola in #10:
"Papias behandelt Apostel und Presbyter nicht als unterschiedliche Gruppen.
Eusebius konstruiert fälschlicherweise einen Unterschied zwischen Aposteln und Presbytern."
Und in #9:
"Eusebius identifiziert also die Apostel nicht mit den Presbytern."
(= er konstruiert (originär!, ohne Papias als Basis für das Verständnis zu benutzen) einen Unterschied)

Da aus den Zitatfetzen in #12 der Wald vor lauter Bäumen unsichtbar wird, hier einmal das Gesamtproblem von Ebene 1, 2a und 2b in der Darstellung:

"By the time of Eusebius, the tradition does indeed contain two Johns, but the reliability of Eusebius’s interpretation of Papias, a source nearly two centuries before him, is open to question. According to Eusebius, Papias handed down “traditions from John the elder;” “the elder” seems to be a clear allusion to the Johannine author’s title in 2 John 1 and 3 John 1. Yet Eusebius claims on the basis of this title that Papias distinguishes this elder clearly from the Apostle John, who wrote the Gospel; he further cites a local tradition in his day that claimed two Johns, both buried in Ephesus.

An examination of Eusebius’s evidence calls into question the probability of his own claim. Eusebius reports that Papias did not claim to have known the apostles themselves, but only their associates, whose traditions he then memorized and passed on. According to Eusebius, Papias sought to learn the teachings of the elders, “What was said by Andrew, Peter or Philip. What by Thomas, James, John, Matthew, or any other of the disciples of our Lord. What was said by Aristion, and the presbyter John, disciples of the Lord; for I do not think that I derived so much benefit from books as from the living voice of those who are still surviving.” Eusebius comments that, since Papias lists “John”twice, and the second time only after Aristion, who was not an apostle, two different Johns (Anm: alle "Presbyter") are in mind.

Eusebius’s exegesis of his own citation of Papias does not support his conclusion. Papias lists apostles whose traditions he sought to learn from others; “Aristion and the elder John” do seem to be set apart from this group, perhaps as those who were still surviving. But if “the elder”John does not mean that he was one of the original apostles, it is difficult in this context to guess what else it might mean.

Eusebius plainly records Papias’ report that he sought to learn the “teachings of the elders,” and then lists among elders members of the Twelve. By calling Aristion and John “disciples of the Lord,” Papias may also include them among eyewitnesses; but he almost certainly includes the elder John as one of the Twelve, who are also called “disciples” in the same quotation, probably tying them all (including Aristion) to the first generation. Why then are Aristion and John set apart from the others? Perhaps because Aristion and John are the survivors of whom Papias speaks; this would simply confirm the tradition that John outlived the other apostles.

Although Eusebius denies that Papias claims to have known the apostles personally, he concedes that Irenaeus regarded him as a hearer of John, presumably the apostle, and an as- sociate of Polycarp, a tradition considerably earlier than Eusebius himself.

It is Eusebius, and not Papias, who distinguishes the two Johns. But why would Eusebius be so eager to appeal to a different John? It should be remembered that Eusebius was among those who wished to place the Revelation on a lower than apostolic level because of its apparent inclusion of millennial eschatology. He elsewhere cites with favor the report of Dionysius, who distinguishes the Gospel from Revelation on the basis of style.

Since Revelation explicitly purports to be written by John, the only way to distinguish the apostolic author of the Gospel from a different author of the Apocalypse is to attribute the latter to a different John. It is thus not surprising that, after his discussion of the two Johns in Papias, Eusebius observes that it makes good sense that John the elder, as opposed to John the apostle, [/]wrote the Apocalypse. Eusebius has a clear agenda in propagating this position.

If Papias received traditions directly from the apostle, which is not itself inherently improbable, it becomes likely that the distinction between John the elder and John the apostle merely represents a tendency of tradition to overexegete, a characteristic also found in some rabbinic traditions.
...
How then did the tradition arrive at two Johns, both buried in Ephesus? Even on the face of it, two prominent Johns both buried in Ephesus sounds suspicious. Holy sites were important to ancient religion, and competing churches in Ephesus may have wished to lay claim to the apostle’s burial site, giving rise to the tradition of two Johns which Eusebius happily exploits.

Given the weak exegetical basis in Papias for Eusebius’s conclusion, this tradition plus Eusebius’s desire to distinguish the Apostle John from the writer of the Apocalypse may serve as the entire basis for his insistence that there were two Johns.

Keener, The Gospel of John- A Commentary, S. 94 ff.

Papias Beschreibung, Eusebius Verständnis von Papias und Eusebius ureigenes Verständnis, dass er durch "over-exegesis" von Papias Verständnis zu belegen versucht, sind also auseinander zu halten, weshalb #12 (Ebene 2a) an #9 und #10 (Ebenen 1 und 2b) in der Sache vorbei geht.


*die gesamten Zitate in #12 betreffen "lediglich" die Frage, ob Eusebius unter Papias' Presbyter die Apostel versteht (2a), nicht die Frage, ob Eusebius zwischen Presbyter und Apostel einen Unterschied konstruiert (2b).
 
Ebene 1: die Presbyter bei Papias.
Apostel werden hier nicht als solche bezeichnet. Ergo: unter den von Papias genannten "Älteren", auf deren Überlieferung inkl. Ihrer Schüler er sich beruft, sind Apostel, aber auch andere. Apostel werden daher als Presbyter bezeichnet, aber umgekehrt: nicht alle Presbyter sind Apostel. Oder simpel: Apostel sind eine Teilmenge von Papias' Presbytern.

Das ist eine mögliche Deutung des Papias-Textes, aber längst nicht die einzige. Zwei Alternativen:

1)
Weiffenbach, ein wichtiger Papias-Exeget im 19. Jh., deutet die Presbyter als Gemeindefunktionäre ("Gemeindeälteste") und unterscheidet sie strikt von den Aposteln und Apostelschülern, mit denen sie aber in persönlichem Kontakt gestanden hatten. Für Weiffenbach ist ganz ausgeschlossen, dass der Presbyterbegriff die Apostel als Oberbegriff umfassen könnte (d.h. in deinem Sinne sie als Teilmenge enthielte), weil die Apostel auf diese Weise in einem Allgemeinbegriff "untertauchen" würden (so Weiffenbach), was ihrer Würde widerspräche.

2)
Körtner (1983) deutet die Presbyter als Wanderprediger (oder -lehrer), die faktisch oder ihrem Anspruch nach einen oder mehrere Apostel als Schüler persönlich gekannt hatten und ihren eigenen Schülern (welche Papias in 39.4 befragt = "ἀνέκρινον") die vermeintlich authentische Botschaft und Geschichte des Jesus übermittelten. Auch in dieser Deutung sind Apostel und Presbyter völlig unterschiedliche ´Mengen´. Aufgrund der Wandertätigkeit dieser Lehrer (ersichtlich aus: "παρηκολουθηκώς τις τοῖς πρεσβυτέροις" = jemand, der den Presbytern = den Lehrern gefolgt ist) ist ihre Bestimmung als Gemeindefunktionäre auszuschließen.

3)
Ganz allgemein widerspricht die Annahme der Teilmenge-Relation dem frühchristlichen Textbefund. Nirgendwo werden die Apostel als "Presbyter" bezeichnet.

#12 geht daher völlig an der Sache vorbei (nämlich den Disput über Ebene 1 (Verständnis Papias) und der Ebene 2b, (Verständnis Eusebius) siehe unten).*
Die Zitatauswahl in #12 behandelt weiter nicht dass Problem, dass Eusebius aus den Ausführungen des Papias zugleich einen Unterschied zwischen dem Presbyter John und dem Apostel John herzuleiten meint.

Es ging mir in #12 nur darum, Sepiolas Missverständnis auszuräumen, dass E. die Apostel nicht mit den Presbytern identifiziert hat. Diese Identifikation geht klar aus Satz 39.7 hervor, was ich in #8 ganz deutlich ausgeführt habe, ohne dass das Sepiolas Verständnis gefördert hätte.

Und in #9:

"Eusebius identifiziert also die Apostel nicht mit den Presbytern."

(= er konstruiert (originär!, ohne Papias als Basis für das Verständnis zu benutzen) einen Unterschied).

Hier hat(te) Sepiola den Satz 39.7 (um den es geht) nicht wirklich verstanden. Der Satz lautet:

Auch der jetzt von uns vorgestellte Papias sagt, er habe die Worte der Apostel von denen, die ihnen gefolgt waren, empfangen, Aristion aber und den Presbyter Johannes habe er, so sagt er, persönlich gehört.
Sepiola schrieb dazu:

In der ersten Satzhälfte wird unterschieden zwischen den Aposteln und denen, die den Aposteln gefolgt waren.

Die Presbyter werden in der ersten Satzhälfte nicht genannt.

In der zweiten Satzhälfte wird der Presbyter Johannes genannt. (...)

Eusebius identifiziert also die Apostel nicht mit den Presbytern.

S. erkennt nicht oder hatte nicht erkannt, dass die "erste Satzhälfte" eine präzise Paraphrase des Papias-Satzes ist:

39.4:
Wenn aber irgendwo jemand, der den Presbytern nachgefolgt war, kam, erkundigte ich mich nach den Berichten der Presbyter (...)
Warum Paraphrase? Weil "jemand, der den Presbytern nachgefolgt war", um sich bei ihnen nach den "Berichten der Presbyter" (im Original: "die Worte = Akk. ´λόγους´ der Presbyter") zu erkundigen, logischerweise derselbe ist, der "die Worte der Apostel" empfangen hat, denen (= den Aposteln) er "gefolgt ist".

Die eine Personengruppe (die den Presbytern Folgenden) übermittelt die "Worte" der Presbyter über das, was die Apostel sagten (Andreas usw.), an Papias, die andere Personengruppe (die an Apostel Folgenden) übermittelt Papias ebenfalls die Worte der Apostel. Daraus folgt logisch:

Beide Gruppen sind identisch, d.h. Presbyter = Apostel.

Wie Eusebius zu dieser in 39.4 grammatisch durchaus möglichen Lesart kommt, habe ich zwei Mal deutlich erklärt (Eusebius´ Gleichsetzung der "Berichte der Presbyter" mit dem, "was Andreas und Petrus usw. sagen").

Dafür, dass E. in der zweiten Satzhälfte einen gesonderten Presbyter hervorhebt, gibt es hypothetische Erklärungen, die mit einer Identifikation von Aposteln und Presbytern vereinbar sind und dabei eine bestimmte Interpretation von 39.4 voraussetzen. In John F. Blighs Sicht z.B. ist der Text von 39.3 "denn nicht ich hatte" bis 39.4 "oder irgendein anderer der Jünger des Herrn" möglicherweise ein nachträglicher Einschub von Papias´ eigener Hand, was für Bligh, der von einer Identität von Apostel und Presbyter Johannes ausgeht, die Verdopplung des Namens ´Johannes´ erklärt.

Ich gehe auf all das und noch viel mehr bis übermorgen ausführlicher ein, da ich gerade einen detaillierten Überblick über die Diskussion all dieser Stellen vorbereite, in welchem ich exemplarische voneinander abweichende Positionen vorstelle (vor allem Zahn, Weiffenbach und Körtner), wobei eine Betrachtung des altgriechischen Originaltextes an den entscheidenden Stellen für das Verständnis der Interpretationsproblematik unerlässlich ist.

Wir können dann gerne weiterdebattieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie Du es auch drehst und wendest: Es gibt halt keinen Sinn, dass Eusebius erst "fälschlicherweise" die Apostel mit den Presbytern identifiziert und dann gleichzeitig einen künstlichen Gegensatz zwischen dem "Apostel Johannes" und dem "Presbyter Johannes" konstruiert (so Yarbrough).
 
Wie Du es auch drehst und wendest: Es gibt halt keinen Sinn, dass Eusebius erst "fälschlicherweise" die Apostel mit den Presbytern identifiziert und dann gleichzeitig einen künstlichen Gegensatz zwischen dem "Apostel Johannes" und dem "Presbyter Johannes" konstruiert (so Yarbrough).

Auf das Thema komme ich noch zurück. Fakt ist, dass Satz 39.7 für eine Apostel-Presbyter-Gleichsetzung durch Eusebius spricht. Dieser Satz dient den Experten ja als Kernargument dafür, dass E. die Identifikation vorgenommen hat.

Das Problem ist beim Papias-Fragment ganz generell, dass eine Deutung ohne Ecken und Kanten nicht möglich ist, sowohl was das Fragment bei Eusebius als auch, was Eusebius´ Kommentar dazu betrifft. Genau das ist der Grund, weshalb seit über 150 Jahren hochanalytische Kapitel und sogar Bücher über diese wenigen Sätzchen geschrieben werden und Professoren sich gegenseitig mit Falschinterpretations- und Falschübersetzungsvorwürfen eindecken. Das hermeneutische Dilemma erinnert an die unmögliche Quadratur des Kreises.

Ich möchte nachfolgend dem angekündigten größeren Überblick ein paar Takte zum Thema ´Irenäus und die Presbyter´ vorschalten.

Bei Irenäus (Contra Haereses) wird der Presbyterbegriff ausschließlich auf Apostelschüler und auf Schüler solcher Schüler angewendet. Im griechischen, nur fragmentarisch erhaltenen Text erscheint er häufig, wird in der dt. Übersetzung aber meistens mit "Priester" wiedergegeben (die Übersetzung des lateinischen "presbyter") und nur zweimal wörtlich. In V 36,2 ist von "Presbytern, den Schülern der Apostel" die Rede und in V 33,3 von "Presbytern, die Johannes, den Schüler des Herrn" gesehen und von ihm das angebliche Jesus-Gleichnis von den Weinstöcken mit den 10.000 Reben "gehört" haben, welches übrigens ein Plagiat von 2 Baruch 29,5 (verfasst um 100 CE) ist, wo dieses Phänomen in der Folge des Erscheinens des (jüdischen) Messias beschrieben wird.

Seit dem 19. Jahrhundert wird vermutet, dass Irenäus seine Presbyter- bzw. Apostelschüler-Passagen ausnahmslos aus Papias´ verschollenem Werk bezogen hat. Dem steht entgegen, dass V 36,4, sich dabei auf obigen ´Bericht´ über das Gleichnis beziehend, mit "Dies bezeugt auch Papias, ein Hörer des Johannes" beginnt, was durch das "auch" zeigt, dass Irenäus für das Gleichnis bzw. für die Presbyterüberlieferung eine zusätzliche Quelle zur Verfügung stand.

Wie eben ersichtlich, hat Irenäus den papianischen "Presbyter Johannes" ganz selbstverständlich mit dem gleichnamigen Apostel identifiziert ("Papias, ein Hörer des Johannes"). Erst Dionysius von Alexandria (um 250 CE) - von mir im Johannesoffenbarung-Thread kürzlich genauer darstellt - und, auf ihn gestützt, Eusebius haben eine Differenzierung vorgenommen. Das religionswissenschaftlich (z.B. Th. Zahn 1866) schon lange akzeptierte Motiv für Eusebius´ Insistieren auf der Verschiedenheit der beiden Johannesse (in HE 3.39,4) war seine Abneigung gegen den Chiliasmus. Da die chiliastische Johannesoffenbarung der eigenen Aussage nach das Werk eines ´Johannes´ ist, der bis zu Eusebius (und zuvor, weniger beachtet, Dionysius) unumstritten mit dem Apostel identifiziert wurde, fühlte Eusebius sich genötigt, einen zweiten, nicht-apostolischen Johannes zu postulieren, den er im papianischen Presbyter Johannes zu erkennen glaubte. Die Differenzierung zwischen dem Apostel und dem Presbyter Johannes verdankt sich bei Eusebius also nicht ursprünglich einer textimmanenten Analyse (wiewohl er es so - nicht ohne Überzeugungskraft - darstellt), sondern dem Wunsch, die Verfasserschaft der Johannesoffenbarung und damit ihre Bedeutung zu depotenzieren.

Hier sind Stellen bei Irenäus, wo in der dt. Übersetzung "Presbyter" durch "Priester" wiedergegeben wird.

II 22,5:

Vom vierzigsten bis zum fünfzigsten Jahr reicht das Alter der Vollendung, welches unser Herr hatte, als er lehrte. Das bezeugen das Evangelium und die Priester in Kleinasien, die es so von Johannes, dem Schüler des Herrn, empfangen haben. Dieser aber blieb mit ihnen zusammen bis zu den Zeiten Trajans. Manche aber von ihnen haben nicht nur Johannes, sondern auch andere Apostel gesehen und dieses ebenso von ihnen empfangen und sind dafür Zeugen.
Irenäus argumentiert in diesem und dem folgenden Abschnitt 22,6 übrigens für ein Jesus-Alter von mindestens 50 am Ende seines Lebens. Dass der Apostel Johannes bis in die Trajan-Zeit gelebt haben soll, ist, gemessen an der ntl. Chronologie, allerdings ziemlich unrealistisch. Wäre Jesus, seine Historizität vorausgesetzt, mit 50 gestorben und Johannes zu diesem Zeitpunkt noch sehr jung, z.B. um die 20, gewesen, dann könnte der Apostel zwar noch nach 100 CE gelebt haben, was aber eine irenäische Modifikation der Chronologie voraussetzt, d.h. den Tod von Jesus um das Jahr 50 "nach Christus" und eine Geburt des Johannes um das Jahr 30. Nur 0,3 % der damaligen Population erreichte ein Alter von 80 Jahren, und ganze 0,1 % wurde 84.

A. Harnack geht in "Der Presbyter-Prediger des Irenäus" (1897) davon aus, dass Irenäus obenzitierte Passage unmittelbar aus dem Buch des Papias entlehnt hat. Für Harnack gehen die irenäischen Presbyter, wenn im Plural genannt, auf Papias zurück, wohingegen der irenäische "Prediger-Presbyter", vermutlich ein kleinasiatischer Wanderprediger, nach-papianisch ist, also eine Gestalt um 160-170 E, die Irenäus wohl selbst gehört hat. Die Predigten dieses Presbyters zielten gegen die Lehren des Marcion, wie z.B. im Abschnitt IV 27,1, die den Presbyter (übersetzt als ´Priester´) als Schüler von Apostelschülern zeigt:

Von einem Priester, der es von Schülern und Hörern der Apostel gehört hatte, hörte ich, dass für die Alten wegen der Taten, die sie ohne den Rat des Geistes begangen hatten, die Strafe genüge, welche die Schriften androhen.
Die Presbyter sind bei Irenäus also

1)
Apostelschüler, welche die vermeintlich authentischen Lehren des Jesus transportieren

sowie

2)
Prediger in der Nachfolge jener Schüler, welche die ´wahre´ Lehre gegen alternative (z.B. marcionitische) Lehren verteidigen
 
Zuletzt bearbeitet:
Im folgenden versuche ich Theodor Zahns Interpretation von HE 3.39.4 darzustellen (in: "Papias von Hierapolis, seine geschichtliche Stellung, sein Werk und sein Zeugnis über die Evangelien", ThStKr 39, 1866, 649-696). Zahn ist ein Klassiker der Papias-Forschung und ein herausragender Vertreter der katholisch-konservativen Papias-Exegese des 19. Jahrhunderts, was schon Franz Overbeck, Zahn in vielen Punkten widersprechend, in seiner Papias-Studie von 1867 konstatiert hat.

Interpretationsdarstellungen von Weiffenbach, Körtner und Bligh werden folgen.

++++

Zahn betont zunächst, dass es für Irenäus nur einen kirchengeschichtlich bedeutsamen Johannes in der Provinz Aisa gab, nämlich den Apostel und - für Irenäus - Evangelisten mit Namen Johannes. In ihm sah Irenäus die Verbindung von Jesus und seinem Apostelkreis zu den ´Presbytern´, in der lateinischen Übersetzung des Hieronymus, der einzigen vollständig erhaltenen Fassung des ´Contra Haereses´, auch ´seniores´ und ´veteres´ genannt. Diese Presbyter bezogen als "τῶν ἀποστόλων μαθηταί" (Jünger der Apostel) ihr Wissen somit im direkten Kontakt mit dem in seinen späten Jahren - nach innerkirchlichem, aber historisch nicht fundiertem Konsens - in Kleinasien ansässig gewordenen Apostel Johannes. Auch andere aus dem Kreis der Jesusjünger, wenn auch nicht unbedingt apostolisch, gehörten Irenäus zufolge zu den Informationsquellen der Presbyter. Zu letzteren zählt er Papias und dessen Zeitgenosse Polykarp, den ca. 155 CE als Märtyrer gestorbenen Bischof von Smyrna, den Irenäus als seinen Lehrer bezeichnet, während er von Papias nur dessen schriftstellerisches Werk kennt.

Einen bestimmten Presbyter hebt Irenäus an mehreren Stellen hervor, ohne ihn namentlich zu nennen, z.B. V 30,1 "der Priester" (= der Presbyter) oder V 32,1 "der alte Apostelschüler". Zahn vermutet dahinter Polykarp. Auf diese besondere Stellung eines Presbyters bei Irenäus stützt Zahn später seine Analogie-Argumentation zur Identität des papianischen ´Presbyter Johannes´, weswegen ich ihn hier ausführlicher zitiere (S. 654):
Aber nicht weil dieser ein ihn von anderen ´Presbytern´ unterscheidendes Amt hatte, kann er ´der Presbyter´ schlechthin heißen, sondern weil er für Irenäus persönlich das ist, was jene seniores überhaupt für seine Zeitgenossen, oder, wenn derselbe in weiteren Kreisen so genannt wird, weil er das an Alter und Würde hervorragendste, vielleicht zuletzt allein noch übrige Glied jenes Kreises von Apostelschülern war.
Auf dieser Basis kommt Zahn nun auf Eusebius´ "Hypothese" (Zahn) über die Identität des ´Presbyter Johannes´ zu sprechen, welche dieser aber nicht konsequent vertreten hat. Im ´Chronikon´ des Eusebius erscheint Papias nämlich wie bei Irenäus als unmittelbarer Schüler des Apostels Johannes und nicht, wie in den Papias-Fragmenten der ´Kirchengeschichte´ (HE), als Schüler eines nicht-apostolischen Johannes. Auch Hieronymus nennt Papias, "wo er nicht Abschreiber Euseb´s ist" (Zahn), einen "auditor evangelistae Joannis", einen Hörer des Evangelisten Johannes. Selbst an Stellen, wo Hieronymus Eusebius´ Hypothese zu unterstützen scheint, beruft er sich dafür ausschließlich auf Eusebius und "bemerkt" laut Zahn, "dass er (= Hieronymus, Anm. Chan) ) es denen zu Liebe sage, welche glauben, dass der zweite und dritte Johannisbrief nicht vom Apostel, sondern von einem Presbyter Johannes herrühren, gerade so wie es dem Euseb um der Apokalypse willen wünschenswert erschien, einen anderen Johannes in jener Zeit und Gegend zu wissen" (Zahn S. 655).

Mir liegt nur die englische Fassung der hier angesprochenen Passage aus „De viris illustribus“, Kap. 18, die Namenaufzählung in HE 3.39.4 betreffend, vor:

(…) It appears through this catalogue of names that the John who is placed among the disciples is not the same as the elder John whom he places after Aristion in his enumeration. This we say moreover because of the opinion mentioned above, where we record that it is declared by many that the last two epistles of John are the work not of the apostle but of the presbyter.
Die Autorschaft der drei ntl. Johannesbriefe ist bis heute umstritten. Es gibt drei Grundpositionen: (1) Autor von JohEv und Autor von 1,2,3 Joh sind identisch, (2) Autor von JohEv und Autor von 1,2,3 Joh sind verschieden, (3) Autor von 1 Joh und Autor von 2 und 3 Joh sind verschieden, wobei Autor von JohEv identisch mit Autor von 1 Joh ist oder verschieden. In 2 und 3 Joh spricht der anonyme Autor, im Unterschied zu 1 Joh, von sich selbst als "der Presbyter", was schon früh zur Vermutung einer separaten Verfasserschaft geführt hat und früher wie heute eine Reihe von Exegeten an den papianischen Presbyter als Urheber denken lässt. Formale Unterschiede zwischen 1 Joh einerseits und 2 und 3 Joh weisen auf verschiedene Verfasser hin, während inhaltlich-theologisch keine Differenzen erkennbar sind.

Für Zahn ist Eusebius mit seiner Presbyter-Johannes-Hypothese im antiken Christentum ein Rufer in der Wüste, sieht man von Hieronymus ab, der in diesem Punkt aber von Eusebius abhängig ist und Papias´ Werk, wie Zahn vermutet, selbst gar nicht kannte: "So völlig verlassen also von Vorgängern, Zeitgenossen und Nachfolgern steht Euseb mit seiner Behauptung, dass Papias nicht der persönliche Schüler des Johannes gewesen sei" (S. 657).

Die Untersuchung der Frage, was man sich unter den Presbytern, deren persönlicher Schüler bzw. Hörer Papias laut HE 3.39.3 war, konkret vorzustellen habe, wird mit der Überlegung eingeleitet, dass diese von anderer Art sind als die bei Irenäus erwähnten und als ´Apostelschüler´ bezeichneten Presbyter. "Es müssen", so Zahn, "Männer sein, die, als er (= Papias) lernte, in Kleinasien lehrten und (...) als ehrwürdige Überbleibsel der Apostelgeneration ´die Alten´ genannt wurden" (S. 660). Diese ´Alten´, d.h. die Presbyter (πρεσβύτερος = Komparativ von ´alt´ = älter), sind für Zahn also überlebende Mitglieder des Apostelkreises, von denen Papias persönlich unterwiesen wurde.

Darüber hinaus erwähnt Papias eine "sekundäre Quelle" (Zahn S. 660), nämlich ´Gewährsleute´ (so häufig in der Sekundärliteratur genannt), die ihn mit Informationen versorgen, die sie von Presbytern, d.h. von Zahn´schen Aposteln oder zumindest Herrenjüngern, erhalten haben:

Wenn aber irgendwo jemand, der den Presbytern nachgefolgt war, kam, erkundigte ich mich nach den Berichten der Presbyter...

An diesem Punkt muss der griechische Text endlich einmal genauer betrachtet werden. Er lautet:

(HE 3.39.4)

εἰ δέ που καὶ παρηκολουθηκώς τις τοῖς πρεσβυτέροις ἔλθοι, τοὺς τῶν πρεσβυτέρων ἀνέκρινον λόγους· τί Ἀνδρέας ἢ τί Πέτρος εἶπεν ἢ τί Φίλιππος ἢ τί Θωμᾶς ἢ Ἰάκωβος ἢ τί Ἰωάννης ἢ Ματθαῖος ἢ τις ἕτερος τῶν τοῦ κυρίου μαθητῶν, ἅ τε Ἀριστίων καὶ ὁ πρεσβύτερος Ἰωάννης, τοῦ κυρίου μαθηταί, λέγουσιν . οὐ γὰρ τὰ ἐκ τῶν βιβλίων τοσοῦτόν με ὠφελεῖν ὑπελάμβανον, ὅσον τὰ παρὰ ζώσης φωνῆς καὶ μενούσης .

Relevant sind vor allem drei Satzteile:

(1)

τοὺς τῶν πρεσβυτέρων ἀνέκρινον λόγους

(ich fragte nach den Worten/Berichten/Reden der Presbyter)

(2)

τί Ἀνδρέας ἢ τί Πέτρος εἶπεν ἢ τί Φίλιππος ἢ τί Θωμᾶς ἢ Ἰάκωβος ἢ τί Ἰωάννης ἢ Ματθαῖος ἢ τις ἕτερος τῶν τοῦ κυρίου μαθητῶν

(Was hat Andreas oder was hat Petrus gesagt, oder was Philippus oder was Thomas oder Jakobus oder was Johannes oder was Matthäus oder irgendein anderer der Jünger des Herrn)

(3)

ἅ τε Ἀριστίων καὶ ὁ πρεσβύτερος Ἰωάννης, τοῦ κυρίου μαθηταί, λέγουσιν

(was auch Aristion und der Presbyter Johannes, (beide) des Herrn Jünger, sagen)

An diesen drei Satzteilen erhitzen sich seit Jahrhunderten die gelehrten Geister. Es stellen sich folgende Probleme:

1.

Ist Teil (2) "Was hat Andreas oder was hat Petrus gesagt usw." eine Apposition zum vorausgehenden Teil (1), d.h. eine explikative Ergänzung zu den "Worten/Berichten der Presbyter", oder ist er ein indirekter Fragesatz? Erläutert Teil (2) also, was mit den Worten/Berichten der Presbyter gemeint ist (nämlich das, was die Apostel "sagten"), oder informieren die Worte/Berichte der Presbyter ÜBER das, was die Apostel "sagten"?

(Dieser Unterschied sollte in diesem Thread mittlerweile jedem Leser klar geworden sein. Beispiele für eine Apposition sind im obigen Absatz der mit "d.h." eingeleitete Satzteil, im nachfolgenden Absatz der mit "soll heißen" eingeleitete Satzteil und im übernächsten Absatz der mit "also" eingeleitete Satzteil.)

2.

Sind die Teile (2) und (3) ´koordiniert´ oder nicht? Soll heißen: Ist das ἅ (= was) am Anfang von (3) ein Fragewort wie das τί (= was?) am Anfang von (2), so dass beide Teile eine zusammenhängende Fragenkette bilden, oder ist das ἅ (= was) ein Relativ, das Teil (3) an Teil (1) anschließt, d.h. Teil (3) zum Objekt des Nachfragens (= ἀνέκρινον) in Teil (1) macht?

Zu 1.

Wird (2) explikativ, also als Apposition, gedeutet, folgt daraus eine Identifizierung von Presbytern und Aposteln. Diesen Schluss zog nicht nur Eusebius, sondern auch viele Gelehrte seit dem 19. Jahrhundert. Dazu gehören beispielsweise Zahn, J.B. Lightfoot, E. Gutwenger, J. Munck, C.L. Leimbach, J. Quasten, O. Bardenhewer, F. Wotke, A. Hilgenfeld und F. Blaß. Die Identifizierung ist für viele Experten also eine ernstzunehmende Option. Natürlich lassen sich auch jede Menge Befürworter der Antithese anführen, welche lautet, dass die Frage nach dem, was die Aposteln "sagten", eine indirekte Frage ist, was eine Identifizierung von Presbytern und Aposteln ausschließt. Dazu gehören Weiffenbach und Körtner, auf deren Analysen ich in nachfolgenden Beiträgen genauer eingehe.

Zu 2.

´Koordiniert´ bedeutet, dass sowohl nach dem, was die Apostel sagten, als auch dem, was Aristion und Presbyter Johannes sagen, in gleicher Weise gefragt wird, so dass der Satz auch lauten könnte:

Was hat Andreas und was hat Petrus usw. gesagt (= εἶπεν = Aorist = vergangene abgeschlossene Handlung) und was sagen (= λέγουσιν = Präsens = gegenwärtige Handlung) auch Aristion und der Presbyter Johannes?


(In dieser vereinheitlichenden Art hat Hieronymus den Satz ins Lateinische übertragen, sowohl das τί als auch das ἅ mit ´quid´ übersetzend, weshalb Sophronius, der den lateinischen Text ins Griechische rückübersetzte, das originale ἅ durch das koordinierende τί ersetzte)

´Nicht koordiniert´ bedeutet, dass der Teil "was auch Aristion und der Presbyter Johannes sagen" keine Fortsetzung der Fragenkette mit den Apostelnamen bildet, sondern, eingeleitet mit dem Relativ ἅ (= was), an den Satzteil VOR der Fragenkette angeschlossen ist, und zwar an das ἀνέκρινον (= ich fragte nach) in "τοὺς τῶν πρεσβυτέρων ἀνέκρινον λόγους".

Der Satz könnte von daher sinngemäß auch lauten:

(...) ich fragte sowohl nach den Worten der Presbyter als auch nach dem, was Aristion und der Presbyter Johannes, (beide) des Herrn Jünger, sagen...

Zahn gibt zu (S. 661), dass die von ihm favorisierte ´nicht koordinierte´ Lesart "bei oberflächlicher Betrachtung" die Annahme eines Unterschiedes zwischen Apostel Johannes und Presbyter Johannes bestärkt, die er beide doch identisch wissen möchte. Also bemüht er sich, die von Papias´ Text nahegelegte Differenz zwischen dem, was die Apostel sagen, und dem, was Aristion und der Presbyter Johannes sagen, einzuebnen. Seine Argumente sind:

(a)
Beide Personengruppen haben in 3.39.4 die Bezeichung "Jünger des Herrn" (τοῦ κυρίου μαθηταί) gemeinsam, womit eine Generationendifferenz trotz des Wechsels der Zeitform (Aorist vs. Präsens) schon einmal auszuschließen ist.

(b)
Die präsentische Zeitform da, wo vom Presbyter Johannes die Rede ist, versucht Zahn durch eine Redegewohnheit des Papias zu erklären, die ihn an Irenäus erinnert, der über seine Presbyter (im Plural), auch wenn sie schon tot sind, in der Gegenwartsform schreibt. Zahn: "Es muss nur eine Zeit gegeben haben, in welcher sich diese Redeweise für Irenäus in Bezug auf seine seniores, für Papias in Bezug auf Aristion und Johannes naturgemäß bilden und zur Gewohnheit werden konnte" (S. 662).

Damit ist für Zahn die Zeitdifferenz zwischen Apostel Johannes und Presbyter Johannes in 3.39.4 schon einmal eliminiert. Ein Problem bleibt noch: Wie ist der besondere Titel des ´Presbyters´ zu erklären, der dem Johannes im Satzteil (3) zugeordnet ist, obwohl im Satzteil (2) der vermeintlich gleiche Johannes ohne diese Bezeichnung erscheint. Zahn argumentiert dazu wie folgt:

(c)
Angenommen, beide Gestalten seien verschieden. "In diesem Fall", so Zahn, "hätten Irenäus und alle außer Euseb nicht nur einigemale zwei hervorragende Persönlichkeiten verwechselt, sondern die sämtlichen Schriften der Zeitgenossen und Landsleute des Papias und Irenäus, welche dem Euseb in beträchtlicher Zahl vorlagen, müssten überhaupt keine Ahnung davon gehabt und gezeigt haben, dass der große Apostelgreis von einem leicht zu verwechselnden Schattenbild begleitet worden sei" (S. 663).

Das ist immerhin ein bedenkenswerter Einwand.

Das Hauptargument gegen die von Zahn verfochtene Identität beider Gestalten ist natürlich die doppelte Nennung des Namens ´Johannes´, die auf zwei verschiedene Personen hindeutet. Dazu Zahn:

(d)
"Papias hat (...) neben eine Gesamtheit zwei Personen gestellt, die ihr angehören, neben das Ganze den Teil, der ihm von besonderer Wichtigkeit ist. Den Grund dafür haben wir darin erkannt, dass jene Zwei noch eine Zeitlang seine Zeitgenossen gewesen sind, so dass das ´was sie sagen´ ein Hauptgegenstand seiner Nachforschung werden konnte,wenn auch oft einer solchen, die sich, weil er örtlich von ihnen getrennt war, oder weil sie inzwischen verstorben waren, durch Andere vermittelt" (S. 663-664).

Zahn erklärt die doppelte Nennung also durch die herausragende Stellung, die die beiden, Aristion und der Presbyter (= Apostel) Johannes, für ihn hatten, da nur sie von den Herrenjüngern noch in seine, Papias´, Zeit, hineinragten. Der Beiname "der Presbyter" für Johannes erklärt sich für Zahn dadurch, dass er diesem Apostel aufgrund seiner "eminenten" Stellung in Kleinasien als besondere Kennzeichnung anhaftete. Wichtig für diese Argumentation ist die Stellung des Beinamens VOR dem Personennamen:

ὁ πρεσβύτερος Ἰωάννης

Ein Beiname steht im NT jedoch NACH dem Personennamen, wenn ein Johannes, ein Jakobus, eine Maria oder ein Judas von anderen Personen gleichen Namens unterschieden werden. Beim Presbyter Johannes aber, so Zahn, weist er auf seine apostolische Einzigartigkeit hin, so dass "der Presbyter" in diesem Fall ein Synonym für "Apostel Johannes" bedeutet.
 
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Zahn ist ein Klassiker der Papias-Forschung und ein herausragender Vertreter der katholisch-konservativen Papias-Exegese des 19. Jahrhunderts

Zahn war evangelischer Theologe.

Ein Beiname steht im NT jedoch NACH dem Personennamen, wenn ein Johannes, ein Jakobus, eine Maria oder ein Judas von anderen Personen gleichen Namens unterschieden werden.
Beinamen stehen im allgemeinen nach dem Personennamen.
Unabhängig davon, ob sie an der jeweiligen Stelle von anderen Personen gleichen Namens unterschieden werden
Simon (genannt) Petrus, Thomas genannt Didymus, Dionysius der Areopagit...
Ob "der Presbyter" als Beiname zu werten ist oder nicht, lässt sich allerdings anhand des NT-Befundes nicht klären.
Das nur so nebenbei.

Aber wollen wir hier wirklich die ganze Papias-Exegese des 19. und 20. Jahrhunderts aufrollen?
 
Zahn war evangelischer Theologe.

Richtig. Ich schrieb aber nur, dass er Vertreter einer "katholisch-konservativen" Exegese war, was nicht heißt, dass er formal der katholischen Kirche angehörte.

Zahn war ein bedeutender Gegner der liberalen "historisch-kritischen" Methode, die die Geschichtlichkeit der in den Ev erzählten Ereignisse in hohem Maße in Frage stellt und im 19. Jahrhundert fast ausschließlich durch protestantische Theologen betrieben wurde. Für Katholiken wurde dieser Ansatz frühestens ab 1960 akzeptabel . Ausgehend von Lessing war Ferdinand Christian Baur im 19. Jh. der eigentliche Begründer der historisch-kritischen Methode. Als Gegner Baurs und seiner späteren Mitstreiter betonte Zahn den historischen Wert der Ev und setzte sich, um ein weiteres Beispiel zu nennen, für den Fortbestand des Dogmas von der Jungfrauengeburt ein, das von den Katholiken natürlich nicht in Frage gestellt wurde, aber in protestantischen Kreisen umstritten war, wobei Zahn, wie gesagt, zu den konservativen Befürwortern zählte, während die protestantischen Kollegen Harnack und Nitzsch für die Abschaffung plädierten.

Aber wollen wir hier wirklich die ganze Papias-Exegese des 19. und 20. Jahrhunderts aufrollen?

Zahn, Weiffenbach, Körtner und Bligh sind nur ein kleiner, aber repräsentativer Ausschnitt, den hier "aufzurollen" ich für sinnvoll halte.
 
Richtig. Ich schrieb aber nur, dass er Vertreter einer "katholisch-konservativen" Exegese war, was nicht heißt, dass er formal der katholischen Kirche angehörte.

Evangelisch-konservativ ist nicht gleich katholisch-konservativ.

So wie Du es schreibst, ist es halt falsch. Oder zumindest sehr missverständlich (ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt...)
 
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