Wandel in der Wahrnehmung der Kreuzzüge

a) Der Papst hat - je nachdem welcher Aufzeichnung man bzgl. seiner Rede in Clermont folgte - evtl. gar nicht von einer Befreiung Jerusalems gesprochen, sondern von Hilfe für die Ostkirche (Vgl. Hans Eberhard Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, Kohlhammer, Sechste Auflage, S. 14/15 ...) und Alexios Komnenos hatte das eigentlich so verstanden, dass ihm bewaffnete Ritter bei der Verteidigung dessen, was von seinem Reich noch übrig war, helfen würden. Er war nicht begeistert davon, dass die nach Jerusalem weiter ziehen wollten (und schon gar nicht, dass Bohemund von Tarent, der noch kurze Zeit vorher die Küsten des byzantinischen Reiches plünderte, nun dabei war).
Was das erklärte Ziel des Kreuzzugs war, hängt davon ab, wen man wann frägt. Urban II scheint nicht unbedingt das von Dir genannte Ziel im Auge gehabt haben, als er in Clermont sprach.


b) Raimund war aber in keiner Weise von den anderen Anführern des Kreuzzugs als Anführer anerkannt, nicht einmal der vom Papst mitgeschickte Adhemar von Le Puy konnte sich (obwohl Beauftragter des Papstes) gegen diese anderen durchsetzen.

c) Soll man jetzt den Streit um die Vergabe von Lehen, der seinen Höhepunkt darin fand, dass christliche Kreuzfahrer an einem christlichen Feiertag die christliche Stadt Konstantinopel angriffen (Gründonnerstag 1097), der sie eigentlich zur Hilfe hätten kommen sollen, als Ausdruck tiefer Religiosität verstehen? Dass die Kreuzfahrer dann gezwungenermaßen den Eid leisteten, sich aber später nicht daran hielten, ebenfalls?

d) Es ist auch gar nicht nötig und möglich die ganze Bevölkerung zu töten. Für die Kreuzfahrer, die noch übrig waren, gab es wohl Beute und Platz genug. Ich müsste nachsehen, wo ich es gelesen habe, aber einer der Historiker, die über die Kreuzzüge berichten, schreibt, dass man, wollte man boshaft sein, in dem "Über die Tür Hängen" der Schilde (um den Anspruch auf das Haus zu dokumentieren, dessen Bewohner man vorher vertrieben oder getötet hatte) auch eine der ersten Verwendungen der Wappen sehen könne.
(übrigens entstanden auch in den deutschen Städten, in denen während der Kreuzzüge oder auch bei späteren Pogromen die jüdische Bevölkerung ermordet wurde, relativ schnell wieder jüdische Gemeinden ... das ist aber kein Anzeichen dafür, dass diejenigen, die das Pogrom durchführten, nicht gründlich genug gewesen wären).
 
Und darüber haben wir doch geredet, über Massaker, zu denen angeblich keine theologischen Verrenkungen nötig waren, oder nicht?

Muck sprach in seinem Nebensatz von Gewalt, die im Islam leicht zu legitimieren sei; nicht von Massakern, die leicht zu legitimieren seien. Dass er kurz zuvor das Blutbad in Jerusalem erwähnte, ist von dieser seiner zweiten Aussage unabhängig.

Und wenn du schreibst, der mittelalterliche Islam sei tolerant gewesen, was die Auslegung seiner heiligen Schriften betraf, dann ist das undifferenziert. Die Bücher des Averroës wurden nämlich verbrannt, weil sie offenbar nicht den Auffassungen der islamischen Orthodoxie entsprachen.

Insgesamt gebe ich dir aber recht: der mittelalterliche Islam, als Ganzes genommen, insbesondere aber in seinen persischen und andalusischen Ausprägungen, war im Gegensatz zum saudischen Wahhabismus keine buchstabentreue Versteifung auf den Wortlaut des Koran. Diese Unterschiede gibt es auch heute noch, wenngleich abgeschwächt durch die saudische Propaganda: in Marokko spürt man noch sehr gut den Einfluss der malikitischen Schule, und auch in Zentralasien haben die unzähligen Sufi-Traditionen bislang einen Durchbruch der Buchstabentreuen verhindert.
 
Nun, wenn ich diesen Satz so lese - "Ich kann nicht erkennen, dass selbst das Massaker von Jerusalem ein Ereignis von unerhörter Einzigartigkeit in dieser Ära gewesen wäre – nicht in Europa, und erst recht nicht im vorderen Asien, wo keine theologischen Verrenkungen notwendig waren, um Gewalt zu rechtfertigen." - dann bezieht sich Gewalt ziemlich klar auf Massaker. Tatsächlich darüber Auskunft geben kann uns freilich nur -muck-.
 
Es gibt eben nicht die eine Theologie, nicht einmal im sunnitischen Islam. Die Aussage war, das Massaker von Jerusmale war a) für damalige Zeiten normal und b) im islamischen Raum (verklausuliert als "im vorderen Asien, wo keine theologischen Verrenkungen notwendig waren, um Gewalt zu rechtfertigen") noch normaler. Und das ist eben nicht richtig. Im MA galt im Ǧihād das Gebot den Amān zu gewähren und Nichtkombattanten zu schonen. Die mālikitische Schule verlangte sogar, sollte sich der Feind entweder hinter Muslimen oder Frauen und Kindern verschanzen, über deren Kopfe hinweg zu kämpfen um diese zu schonen. Das sind völlig andere Konzepte als die, des salafitischen und wahhabitischen Islam. Natürlich ist deren Theologie eine andere. Der mittelalterliche Islame war tolerant gegenüber ambiguen Auslegungen seiner Hl. Schriften. Das ist der wahhabitische und salafitische Islam nicht, der kennt nur schwarz oder weiß.
Hmm, ich denke nicht, dass da so sauber getrennt werden kann. Also dass damals (übertrieben gesagt) alles "edle" Moslems waren und erst heute gibt es die "bösen" Salafisten.

Ich stimme -muck- dahingehend zu, dass aktuell, vielleicht nicht in der wissenschaftlichen Diskussion der Historiker (das kann ich nicht einschätzen), aber zumindest in großen Teilen der veröffentlichten, liberalen, vor allem deutschsprachigen, aber auch englischsprachigen Meinung im politischen Kontext der heutigen Nahostkonflikte, die Kreuzzüge moralisch überproportional als negativ dargestellt werden und dies auch gewissermassen Einzug in die "Allgemeinbildung" genommen hat. Während gleichzeitig für die insgesamt mindestens ebenso blutigen, unzähligen islamischen Eroberungskriege, häufig die Phasen von relativer Toleranz und zeitweisen Blüten von kultureller Entwicklung überbetont werden und eigentlich keine negative moralische Bewertung stattfindet (siehe z.B. islamische Eroberung und Herrschaft über Spanien).

Ist nur eine Anekdote und ich bin auch nur laihenhaft an Geschichte interessiert, aber ich habe im Bekannten- und Kollegenkreis festgestellt, dass häufig ein gesundes Halbwissen über die Kreuzzüge vorhanden ist und durchaus etwas "Verständnis", dass uns die islamistischen Extremisten heute als "Kreuzfahrerstaaten" bezeichnen. Aber umgekehrt ist dort praktisch nichts bekannt über die mehrere hundert Jahre aggressive islamische Expansion, die den Kreuzzügen vorausgingen.

Aber der Islam hatte sich auch schon früh in verschiedene Strömungen gespalten und genug Fanatiker in diesen Strömungen gab es schon damals, die der heutigen IS in Gewalttätigkeit in absolut nichts nachstanden. Eher im Gegenteil. Schon der Prophet war ein Kriegsherr und hat höchstselbst laut Koran, zum Beispiel alle Männer eines jüdischen Stammes (Banu Quraiza) köpfen und alle ihre Frauen und Kinder versklaven lassen.

Natürlich war es nicht "normal", und es wurde darüber geklagt, aber auch im MA haben Moslems durchaus Christen, aber auch andere Moslems oder andere Ungläubige "bei Bedarf" ebenso abgeschlachtet. Zum Beispiel als 1098 Muslime Jersualem von anderen Muslimen erobert haben (also ein Jahr vor der Kreuzfahrer-Eroberung) gab es auch schon ein Massaker:
Wikipedia schrieb:
[...]
Jerusalem vor Ankunft der Kreuzfahrer

Jerusalem war im Laufe der Besatzung durch wechselnde islamische Fürstengeschlechter immer wieder verteidigt und erobert worden. Seit der Jahrtausendwende wechselten die Herrscher über Jerusalem häufiger und die Lage für Juden und Christen in Jerusalem wechselte zwischen repressiver Tolerierung, massiver Diskriminierung und tödlicher Verfolgung. So wurde am 18. Oktober 1009 unter dem fatimidischen Kalifen al-Hakim die Grabeskirche in Jerusalem, das wichtigste Heiligtum der Christenheit, zerstört. Christliche Pilger aus Europa gerieten immer wieder zwischen die Fronten dieser innerislamischen Kriege. Auch die zugewanderte islamische Bevölkerung wurde bei den vielen wechselnden Eroberungen durch islamische Heere immer wieder Opfer von Massakern durch ihre islamischen Glaubensbrüder.

Weniger als ein Jahr vor der Ankunft der Kreuzfahrer vor Jerusalem war die bis dahin von den sunnitischen Seldschuken unter Sökmen und Ilghazi beherrschte Stadt nach sechswöchiger Belagerung am 29. August 1098 von den schiitischen Fatimiden unter al-Afdal Schahanschah erobert worden.[1][2] Beim Fall der Stadt sollen in einer einzigen Nacht über 3.000 sunnitische Muslime, Juden und Christen von den fatimidischen Eroberern getötet worden sein.
[...]
Belagerung von Jerusalem (1099) – Wikipedia

Heutige Salafisten (und Wahhabiten als Teil der Salafisten) behaupten entsprechend, dass sie den damaligen Kampf für den ursprünglichen, reinen, unverfälschten Islam fortsetzen. Sie erteilen übrigens auch "Aman", also einen maximal einjährigen Schutz von Leben und Besitz für Ungläubige die das Gebiet des Islams bereisen, den dieses Konzept geht auf den Koran zurück und ist aus deren Sicht daher rechtens. Einen "Aman", hat ja auch der IS schon diversen westlichen Journalisten oder auch Geschäftemachern ausgestellt. Bekannt z.B. für Jürgen Todenhöfer für seine umstrittene "Reisereportage" aus dem IS-Kalifat in 2015.

Umgekehrt waren die Kreuzfahrerstaaten keineswegs religös so intolerant, wie man meinen könnte, denn die europäischen Adligen die dort herrschen wollten, brauchten ja irgendwelche Untertanen, da die große Mehrheit der einfachen Kreuzfahrer nach Europa zurückwollte und auch ging, nachdem sie ihr jeweiliges Gelübde für als erfüllt ansahen. Ob diese Untertanen Ostchristen, Muslime oder Juden waren, war den Adligen ziemlich egal, solange sie Steuern zahlten:
Wikipedia schrieb:
[...]
Gesellschaft in den Kreuzfahrerstaaten

Einsicht in Alltagsleben und Gesellschaft der Kreuzfahrerstaaten geben verschiedene christliche und islamische Quellen. [...]

Zur gesellschaftlichen Stratifikation in den Kreuzfahrerstaaten ist anzumerken, dass die herrschende Schicht der lateinisch-christlichen „Franken“, während des gesamten Bestehens ihrer Herrschaften in der Levante, sehr dünn war und sich auf die Städte, insbesondere die Küstenstädte, sowie Festungen konzentrierte. Zwar wurden auch fränkische Siedler auf dem Land sesshaft, doch scheinen diese zumindest die Gebiete bevorzugt zu haben in denen hauptsächlich Ostchristen und keine Muslime siedelten.[5] Diese beiden Gruppen bildeten, mit verschiedenen regionalen Verteilungen, die Bevölkerungsmehrheit in den Kreuzfahrerherrschaften, insbesondere auf dem Land, außerdem lebte auch eine kleine Minderheit an Juden in diesen Gebieten.[6]

Trotz der verschiedenen religiösen, ethnischen und kulturellen Unterschiede zwischen lateinisch-christlichen Kreuzfahrern und den einheimischen Muslimen und Ostchristen entwickelte sich nun unter der Herrschaft der Franken eine Art modus vivendi, eine praktische Kooperation der verschiedenen Gruppen, vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Dies darf aber nicht mit Toleranz und Integration im modernen Sinne verwechselt werden. Die Franken etwa duldeten die muslimische Bevölkerung und gewährten ihr einige Rechte bei gleichzeitiger Besteuerung, da es einfach nicht genug christliche Siedler (aus Europa) gab, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten. Ebenso kooperierten die Franken insbesondere im Bereich des Handels mit den Muslimen, die etwa Karawanen mit Handelsgütern in das christliche Gebiet führten und deren Waren von den Franken mit Zöllen belegt wurden, zu diesem Zweck wurden sogar christliche Beamte eingesetzt die des Arabischen mächtig waren. Auf der anderen Seite kooperierten auch die Muslime mit ihren neuen Herren, zumal sich etwa für die Bauern auf dem Land wohl nicht viel änderte, weiterhin zahlten sie Steuern und Abgaben, bloß nun an neue Herren, ansonsten wurden sie weitestgehend in Ruhe gelassen.[7]
[...]
Kreuzfahrerstaaten – Wikipedia
 
Die Erzählung mit den Banu Quraiza ist äußerst ambivalent. Es gibt Islamwissenschaftler, welche die Geschichte als unhistorisch ablehnen, da die Banu Quraiza schon vorher aus Yahtrib abgezogen seien.
Was ist passiert?
Yahtrib/Medina (wo sich Muhammad befand) lag mit Mekka im Krieg.
Die Banu Quraiza, als Einwohner Medinas versorgten aber die belagernden Mekkaner mit Lebensmitteln.
Das war Hochverrat, darauf steht heute noch in vielen Staaten die Todesstrafe. (Was freilich keine Entschuldigung ist.) Die Überlieferung aus der wir die Geschichte haben, lässt nun nicht Muhammad das Urteil über die Banu Quraiza sprechen, sondern - wenn ich mich richtig erinnere, ich müsste die ganze Geschichte noch mal herauskramen - einen unbeteiligten Dritten. Das muss man nicht glauben, es ist sogar im höchsten Grade unglaubwürdig, dass das so stimmt und liest sich ganz wie eine Entlastungstory, jedoch sollte man diesen Hintergrund kennen.

Über Massaker von Muslimen an anderen (ob Muslimene oder Nichtmuslimen sei dahingestellt) musst du mir nichts erzählen, ich habe meine Abschlussarbeit über Granada im 11. Jhdt. geschrieben, da waren die Ereignisse von 1066 ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit. Es geht hier um die Behauptung, sie hätten keine theologischen Verrenkungen machen müssen.
 
Der Papst hat - je nachdem welcher Aufzeichnung man bzgl. seiner Rede in Clermont folgte - evtl. gar nicht von einer Befreiung Jerusalems gesprochen, sondern von Hilfe für die Ostkirche (Vgl. Hans Eberhard Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, Kohlhammer, Sechste Auflage, S. 14/15 ...)

Das wäre mir neu. Bei Wiki steht:

Nach der Bekanntgabe (...) verkündete Papst Urban II. den Beschluss zur Militärhilfe für die Christen im Heiligen Land. Er versprach einen Ablass für alle, die nicht wegen Geld oder Hoffnung auf Ehre die dort befindlichen heiligen Pilgerstätten befreien würden.

Die versammelten Kleriker stimmten allen Beschlüssen zu und verkündeten diese in ihren Diözesen. Daraufhin formierte sich allmählich der Erste Kreuzzug (1096–1099); so berichtet es Fulcher von Chartres, Teilnehmer und einer der wichtigsten Chronisten des Ersten Kreuzzuges.

Soll man jetzt den Streit um die Vergabe von Lehen, der seinen Höhepunkt darin fand, dass christliche Kreuzfahrer an einem christlichen Feiertag die christliche Stadt Konstantinopel angriffen (Gründonnerstag 1097), der sie eigentlich zur Hilfe hätten kommen sollen, als Ausdruck tiefer Religiosität verstehen?

Machtstreben und Religiosität schliessen sich nicht aus... allerdings hast du recht, dieser Angriff am Gründonnerstag ist kaum anders als schändlich zu nennen, und völlig unvereinbar mit den Wertvorstellungen des Christentums.

Davon abgesehen bezog sich meine Formel der tiefen Religiosität auf die einfachen Ritter und Soldaten, die wohl tatsächlich aus Überzeugung das Kreuz nahmen - und nicht in erster Linie auf die Fürsten, die schon allein aufgrund des militärischen Charakters des Unternehmens strategische und (kriegs-)wirtschaftliche Aspekte mitberücksichtigen mussten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das mag für dich dann neu sein, deshalb habe ich ja auch Fachliteratur angegeben,. Wiki mag für die Erstinformation ok sein, aber bzgl. der Kreuzzüge ist das nicht die einzige Unsauberkeit der Tante Wiki.

Ich bezog mich auch nicht allein auf die Anführer, sondern durchaus auf die "Ritter", die wohl keine "einfachen" Menschen waren. Und alleine die Anführer dürften die Stadt auch nicht geplündert und besetzt haben, alleine die Anführer haben Konstantinopel nicht angegriffen usw ...
 
Das mag für dich dann neu sein, deshalb habe ich ja auch Fachliteratur angegeben,. Wiki mag für die Erstinformation ok sein, aber bzgl. der Kreuzzüge ist das nicht die einzige Unsauberkeit der Tante Wiki.

Immerhin beruft sich Wiki auf einen Chronisten, der im Gegensatz zu Hans Eberhard Mayer an den Ereignissen direkt beteiligt war.

Ich bezog mich auch nicht allein auf die Anführer, sondern durchaus auf die "Ritter", die wohl keine "einfachen" Menschen waren. Und alleine die Anführer dürften die Stadt auch nicht geplündert und besetzt haben, alleine die Anführer haben Konstantinopel nicht angegriffen usw ...

Nun ja, Menschen sind nunmal ambivalente Wesen. Aus unserer modernen Sichtweise heraus, da bin ich ganz deiner Meinung, ist es natürlich schändlich und ganz und gar unchristlich, mordend und brandschatzend durch halb Europa und Kleinasien zu ziehen, um dann die heiligste Stätte des Christentums zu "befreien", indem man die unbewaffnete Bevölkerung abschlachtet.

Aber unsere Vorfahren waren eben keine aufgeklärten, rationalen Gentlemen, sondern raubeinige, brutale Krieger. Und doch waren sie Christen, haben an Gott geglaubt und sich vor dem Teufel und der ewigen Verdammnis gefürchtet. Einen Widerspruch darin sahen nur die wenigsten... zumal auch nur die Wenigsten die Bibel gelesen hatten.
 
Damit beende ich die Diskussion mit Dir ... Hans Eberhard Mayer ist durchaus eines der wissenschaftlichen Standardwerke zu den Kreuzzügen und hat neben Fulcher auch die anderen Versionen des Kreuzzugsaufrufs untersucht ... Tante Wiki im Vergleich mit ihm den Vorzug zu geben, sagt mir alles.
 
Das mag für dich dann neu sein, deshalb habe ich ja auch Fachliteratur angegeben,
eine Frage zur Fachliteratur über die Kreuzzüge: zeitweise waren "die bewaffneten Wallfahrten" des Ulisses-Übersetzers Hans Wollschläger einigermaßen populär, in welchen die Kreuz"ritter" alles andere als ritterlich erscheinen (was auch zu ein paarKontroversen geführt haben soll?) - taugt das was bzgl. historischer Akkuratesse oder ist das nur schöngeistige Literatur?

dann eine eher militärhistorische Frage: anfangs (Ende 11., Anfang 12. Jh.) sollen die eher kleinen Kreuzfahrer"heere" dank ihrer schwerbewaffneten Panzerreiter (fraglich, ob hier schon der Begriff "Ritter" mit all seinen höfischen Implikationen zutrifft) erfolgreich gewesen sein, auf welche sich die Gegenseite erst nach und nach einstellen musste - trifft das zu?
 
Nicht gleich beleidigt sein ;)

Nochmal von vorne:

Der Papst hat - je nachdem welcher Aufzeichnung man bzgl. seiner Rede in Clermont folgte - evtl. gar nicht von einer Befreiung Jerusalems gesprochen, sondern von Hilfe für die Ostkirche

Diese Hilfe für die Ostkirche hat also Jerusalem überhaupt nicht erwähnt? Immerhin war ja Jerusalem nominell Teil des Oströmischen Reiches, und das Pilgerproblem betraf ja auch die Byzantiner.
 
eine Frage zur Fachliteratur über die Kreuzzüge: zeitweise waren "die bewaffneten Wallfahrten" des Ulisses-Übersetzers Hans Wollschläger einigermaßen populär, in welchen die Kreuz"ritter" alles andere als ritterlich erscheinen (was auch zu ein paarKontroversen geführt haben soll?) - taugt das was bzgl. historischer Akkuratesse oder ist das nur schöngeistige Literatur?

dann eine eher militärhistorische Frage: anfangs (Ende 11., Anfang 12. Jh.) sollen die eher kleinen Kreuzfahrer"heere" dank ihrer schwerbewaffneten Panzerreiter (fraglich, ob hier schon der Begriff "Ritter" mit all seinen höfischen Implikationen zutrifft) erfolgreich gewesen sein, auf welche sich die Gegenseite erst nach und nach einstellen musste - trifft das zu?

Der Wollschläger ist fachwissenschaftlich gut, viele Quellen. Dass er das alles sehr, sehr kritisch (bis hin zu fast kirchenfeindlich) sieht, ist auch richtig. Seine Fakten sind richtig und gut belegt, bei der Wortwahl und Interpretation schießt er gelegentlich übers Ziel hinaus. Ich fand ihn sehr aufschlussreich, gerade auch in der z.T. schon sehr pointierten (manchmal evtl. je nach Geschmack polemischen) Darstellung.

Soweit ich weiß, kamen die Muslime tatsächlich zunächst mit dem Ansturm schwer gepanzerter Reiter gar nicht gut zurecht, was zu einigen Siegen der Kreuzfahrer führte, die die Muslime überraschten.
 
Die Erzählung mit den Banu Quraiza ist äußerst ambivalent. Es gibt Islamwissenschaftler, welche die Geschichte als unhistorisch ablehnen, da die Banu Quraiza schon vorher aus Yahtrib abgezogen seien.
Was ist passiert?
[...]
Über Massaker von Muslimen an anderen (ob Muslimene oder Nichtmuslimen sei dahingestellt) musst du mir nichts erzählen, ich habe meine Abschlussarbeit über Granada im 11. Jhdt. geschrieben, da waren die Ereignisse von 1066 ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit. Es geht hier um die Behauptung, sie hätten keine theologischen Verrenkungen machen müssen.
Ja, aber auf die "theologischen Verrenkungen" bezog ich mich ja eigentlich. Ich denke auch nicht, dass diese damals nötig waren. Jedenfalls nicht aus damaliger Sicht.

Für einen gläubigen Muslim, insbesondere des MA, war der gesamte Koran göttliche Offenbarung und zwar wortwörtlich übermittelt (gilt natürlich heute auch noch) und bot genug "Material" um "bei Bedarf" auch Gewalt gegen die "Harbis", also nicht unterworfene Nichtmuslime, zu rechtfertigen. Ebenso wie "bei Bedarf" auch Nicht-Gewalt zu rechtfertigen. Beides nach bestimmten Regeln. Dazu habe ich vor einiger Zeit einen guten Artikel eines algerischen Islamwissenschaftlers gelesen. Finde ich gerade nicht, daher Verweis auf Wikipedia:

Wikipedia schrieb:
Mit Ḥarbīs kann während des Krieges auf verschiedene Art verfahren werden:
  1. Sie können getötet werden (siehe dazu auch Banu Quraiza und Sure 47:4, Sure 2:191, Sure 4:89).
  2. Sie können versklavt werden (siehe dazu auch Banu Quraiza).
  3. Sie können vertrieben werden (siehe dazu auch Banu Nadir und Sure 59).
  4. Ihr Eigentum darf als Kriegsbeute genommen werden.
Der Kriegszustand kann auf verschiedene Art und Weise beendet werden:
  1. Durch Annahme des Islam.
  2. Durch Unterordnung unter die islamische Herrschaft gemäß einem Dhimmah-Abkommen (gilt nur für Christen, Juden und Zoroastrier).
Harbī – Wikipedia
Siehe auch:
Dār al-Harb – Wikipedia

Entsprechend konnte ein muslimischer Herrscher oder Kriegsherr eben "bei Bedarf", immer auf ihm gerade genehme Suren betreffend die Handlungsweise des Propheten verweisen. Eben zum Beispiel betreffend der Tötung bzw. Versklavung der Feinde wie eben der Juden der Banu Quraiza. (Ob das Ereignis historisch war, war zweitrangig.) Ein religiöser Führer der dies dann religös "abnickte" hat sich zu allen Zeiten gefunden.

Damit behaupte ich keineswegs, dass Massaker normal waren. Sie mussten sicherlich auch vor den eigenen Leuten gerechtfertigt werden. Aber ich glaube nicht, dass sie damals als "Verrenkungen" angesehen worden sind.

Wie war es mit dem Massaker an den Juden in 1066 in Granada? In der Wikipedia wird nur ein "Abu Ishaq" erwähnt, der in 1066 ein antisemitisches Gedicht geschrieben hatte, von dem angenommen wird, dass es beitrug, den antijüdischen Ausbruch in diesem Jahr zu provozieren:
Wikipedia schrieb:
Betrachtet es nicht als einen Glaubensbruch, sie zu töten, der Glaubensbruch wäre, sie weitermachen zu lassen.
Sie haben unser Abkommen mit ihnen gebrochen, wie könnt ihr gegen die Übertreter schuldig sein?
Wie können sie sich auf einen Vertrag berufen, wenn wir im Schatten stehen und sie hervorragen?
Jetzt sind wir erniedrigt, stehen unter ihnen, als ob wir die Falschen wären und sie die Wahren!“[4]
Massaker von Granada – Wikipedia
Wer war dieser Abu Ishaq?
 
Zuletzt bearbeitet:
Abū Isḥāq al-Ilbīrī war ein Hetzer und Querulant.
Die Dinge die 1066 in Granada passiert sind, sind etwas undurchsichtig. Jahrzehntelang hatte Shemuel Ben Nagrellah als Minister des Schwertes und Minister der Feder die Staatsgeschäfte geleitet, außerdem war er Sprecher der jüdischen Gemeinde. Zunächst für Ḥabbūs ibn Māksan dann für Bādīs ibn Ḥabbūs. Als dieser dann starb, übernahm sein Sohn Yehoseph unter Bādīs die Ämter seines Vaters. Er muss etwa gleichalt gewesen sein, wie der Thronfolger (Buluggīn ibn Bādīs), den er regelmäßig zu Saufgelagen zu Besuch hatte. In einer Nacht 1066 soll Yehoseph dann im Rahmen eines Staatsstreiches gegen die Ṣanhāǧa Buluggīn vergiftet haben, um selber König von Granada zu werden. Dazu hätte er sich dann auch mit Abū Yaḥyà ibn Sumādiḥ, dem König von Almería verbündet. Jedenfalls sollen in den darauffolgenden Tagen die Ṣanhāǧa an die 5.000 Juden hingerichtet haben, wobei die Quellen, was die Zahlen angeht, differieren. Die Zīrīden besiegten Ibn Sumādiḥ, der relativ ungeschoren davon kam. (Der hat natürlich alle Schuld auf Yehoseph abgewälzt). Es gibt allerdings einige Indizien, dass die Juden hier zu Scapegoats gemacht wurden, wo dann wieder Abū Isḥāq ins Spiel kommt, der wohl aus persönlicher Feindschaft zu Shemuel schon seit Jahren gegen die Juden gewettert hatte. Schon Bādīs ist seinem Vater nicht so ohne weiteres auf den Thron gefolgt, die Stammeselite hätte lieber seinen Cousin als Nachfolger gesehen und auch Buluggīn scheint nicht sonderlich beliebt gewesen zu sein.
 
Die überwiegende Mehrheit der Menschen im Mittelalter waren gläubige Christen. Das Wort des Papstes galt ihnen als heilig; der Aufruf zum Kreuzzug folglich auch. Nur die tiefe Religiosität der Zeit kann die Kreuzzüge erklären. Rein wirtschaftliche Beweggründe zu suchen, ist unter Rationalisten und Atheisten zwar beliebt, aber anachronistisch.

Es stimmt schon, dass die mittelalterliche Religiosität bestimmend war. Wobei der globale und umfassende Ablass, den der Papst auf die Teilnahme am Kreuzzug gewährte, erheblich zu dessen Attraktivität beitrug. Auch dieser war ein wesentlicher Bestandteil der mittelalterlichen Religiosität - welche sich eben mit dem heutigem Christentum nicht mehr vergleichen lässt.
Dass die "rationalistische und atheistische" Sichtweise, die wirtschaftlichen Gründe, dennoch auch eine ausschlaggebende Rolle spielten, davon zeugen die bereits nach dem Tod Gottfried von Bouillons sporadisch immer wieder ausbrechenden Fehden der Kreuzfahrer-Fürstentümer untereinander. Wirtschaftliche und erst recht machtpolitische Überlegungen waren auch dem Mittelalter nicht fremd und sind keinesfalls anachronistisch.

Der Vollständigkeit halber ist auch zu bemerken, dass bei weitem nicht alle Kreuzzüge der Befreiung des heiligen Grabes und der Zugangssicherung zu diesem dienten. Der Kampf gegen die Albigenser (Katharer) in Südfrankreich, die Züge gegen die slawischen Pruzzen, das Waldenser-Massaker, die Eroberung von Byzanz (gerade bei diesem Kreuzzug standen wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund!) und die Kämpfe der früheren Reconquista in Spanien hatten alle den Status von Kreuzzügen und garantierten den damit verbundenen Generalablass. Nicht einmal jeder Kreuzzug gegen muslimische Kernregionen galt direkt dem heiligen Grab: So etwa die Kreuzzüge Ludwigs IX des Heiligen gegen Ägypten und Tunis.

Die Kreuzzüge ausschliesslich mit der Religiosität des Mittelalters erklären zu wollen, führt zu keinem befriedigendem Ergebnis. Ohne Berücksichtigung wirtschaftlicher und machtpolitischer Motive - nur mit mittel. Religiosität - lassen sich lediglich den Auszug von Peter von Amiens, die Kinderkreuzzüge und die Hirtenkreuzzüge erklären. Die Unterstützung und Beteiligung italieniescher Handelsstädte wie Venedig, Genua oder auch des kleineren Amalfi an den orientalischen Kreuzzügen sprechen doch eine deutliche Sprache, dass hier eben auch wirtschaftliche Interessen tangiert waren.

Im Übrigen gilt dies auch für die muslimische Gegenseite - auch dort führten nicht ausschliesslich religiöse Gründe zur Rückeroberung. Natürlich hat Saladin den "Heiligen Krieg" gegen die Kreuzfahrer-Fürstentümer ausgerufen - allein schon, um sein Heer mobilisieren zu können. Die erste Priorität in seinen machtpol. Überlegungen scheinen aber die Kreuzritter nicht gehabt zu haben. Jedenfalls fand er es wichtiger, Syrien zu erobern und erstmal seine Konkurrenten in Aleppo und im Sindschar auszuschalten. Auch die Mameluken wurden bei ihrem Vorgehen gegen die Kreuzfahrer nicht oder zum Mindesten nicht ausschliesslich von religiösen Gründen geleitet - ihre Expansionspolitik gegen Bagdad und die mongolischen (muslimischen) Ilchahne demonstrieren dies.
 
Natürlich hast du recht, hier haben verschiedene Faktoren zusammengespielt, darunter eben auch wirtschaftliche und machtpolitische. Das habe ich auch gar nicht bestritten. Aber ich glaube nicht, dass die Befreiung Jerusalems erst an zweite oder dritte Stelle trat (wie von Papa_Leo in #10 behauptet).
 
Hast du inzwischen mehr Fachliteratur gelesen, als Tante Wiki, sonst ist das - genau wie in anderen Threads - eher eine Frage des Glaubens.

Übrigens: Ich habe das geschrieben: "Man kann manchen Kreuzfahrern sicher die religiösen Motive nicht absprechen, aber einer beträchtlichen Zahl ging es neben der Befreiung Jerusalems (die dann bei vielen auch an die zweite oder dritte Stelle trat) um Eroberung von eigenem Gebiet."
manchen ... beträchtliche Zahl ... neben der Befreiung ... die dann bei vielen an die zweite oder dritte Stelle trat ... merkst du was?

Nochmal: Wo sind deine Argumente (nicht "ich glaube")?
Bohemund von Tarent blieb in Antiochia, das die anderen Anführer ihm nach der Eroberung als Herrschaftsbereich (gegen die Abmachung mit Alexios) überließen. Er zog erst später nach Jerusalem.
Balduin, der Bruder Gottfrieds, eroberte sich erst seine eigene Grafschaft - Edessa - bevor er nach Jerusalem zog. Und die sicherten sich ihre Herrschaftsbereiche nicht allein, eine ganze Anzahl der Kreuzfahrer blieb bei ihnen.

Das war eines deiner Argumente: "Die überwiegende Mehrheit der Menschen im Mittelalter waren gläubige Christen. Das Wort des Papstes galt ihnen als heilig; der Aufruf zum Kreuzzug folglich auch. Nur die tiefe Religiosität der Zeit kann die Kreuzzüge erklären. Rein wirtschaftliche Beweggründe zu suchen, ist unter Rationalisten und Atheisten zwar beliebt, aber anachronistisch."

NUR die tiefe Religiosität kann die Kreuzzüge erklären ... das ist, wie die meisten monokausalen Erklärungen, einfach falsch. REIN wirtschaftliche Beweggründe zu suchen ... wo ist das den rein wirtschaftlich, wenn ich sage, die Religion trat (und das nicht einmal bei allen) an zweite oder dritte Stelle?

Die Kreuzfahrer, die im Hl. Land blieben (und das waren von den Überlebenden nicht so wenige), nahmen Sitten und Bräuche der Muslime an, verbündeten sich sogar mit ihnen (gegen andere Muslime). Ein Neuankömmling schreibt "Aus den Okzidentalen sind Orientalen geworden". Sieht das nach einem religiösen Krieg aus? Neue Kämpfe flammten meist immer dann auf, wenn ein frischer Haufen Kreuzfahrer ankam, denn die waren entweder tatsächlich religiös motiviert (davon gab es auch beim Ersten Kreuzzug welche) oder hatten in einem befriedeten Land keine Möglichkeit, sich Herrschaft zu erobern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Vollständigkeit halber ist auch zu bemerken, dass bei weitem nicht alle Kreuzzüge der Befreiung des heiligen Grabes und der Zugangssicherung zu diesem dienten. Der Kampf gegen die Albigenser (Katharer) in Südfrankreich, die Züge gegen die slawischen Pruzzen, das Waldenser-Massaker, die Eroberung von Byzanz (gerade bei diesem Kreuzzug standen wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund!) und die Kämpfe der früheren Reconquista in Spanien hatten alle den Status von Kreuzzügen und garantierten den damit verbundenen Generalablass. Nicht einmal jeder Kreuzzug gegen muslimische Kernregionen galt direkt dem heiligen Grab: So etwa die Kreuzzüge Ludwigs IX des Heiligen gegen Ägypten und Tunis.

Die Pervertierung des Kreuzzugsgedankens, der von den Päpsten zunehmend als Waffe gegen innerchristliche Feinde (Albigenser, Staufer!) missbraucht wurde, ist schon im 13. Jahrhundert nicht nur von der in seinem Ideal stehenden Ritterlichkeit Westeuropas angeprangert wurden, sondern auch von der herrschenden politischen Klasse, wie etwa Ludwig IX. Und selbstverständlich galten insbesondere dessen Bemühungen der Befreiung/Eroberung des heiligen Grabes. Ägypten war im 13. Jahrhundert die Machtbasis der Ayyubiden und auf christlicher Seite war man sich schon seit dem 12. Jahrhundert (König Amalrich I.) bewusst, dass eine dauerhafte Herrschaft über Jerusalem nur durch die Zerschlagung der muslimischen Macht Ägypten zu erreichen war. Die Kreuzzüge von 1218-1221 (Johann von Brienne), 1239-1240 (Theobald von Champagne) und von 1248-1250 und 1270 (Ludwig IX) standen selbstverständlich unter dieser Zielsetzung.

Papa_Leo schrieb:
Bohemund von Tarent blieb in Antiochia, das die anderen Anführer ihm nach der Eroberung als Herrschaftsbereich (gegen die Abmachung mit Alexios) überließen. Er zog erst später nach Jerusalem.
Balduin, der Bruder Gottfrieds, eroberte sich erst seine eigene Grafschaft - Edessa - bevor er nach Jerusalem zog. Und die sicherten sich ihre Herrschaftsbereiche nicht allein, eine ganze Anzahl der Kreuzfahrer blieb bei ihnen.

Und wo ist da nun der Widerspruch? Bohemund und Balduin sind letztlich an das heilige Grab gepilgert und haben damit ihr Gelöbnis erfüllt. Sie haben ihren Anteil an der Eroberung/Befreiung der Levanteregion geleistet, auch durch ihre Staatengründungen, durch welche die Sicherung der christlichen Herrschaft und die Pilgerwege nach Jerusalem realisiert werden konnte. "Kreuzritter" (ein sehr moderner Begriff) waren kreuzgezeichnete Pilger (Crucesignati), Jerusalemfahrer, die sich zur Pilgerfahrt an das heilige Grab und dessen Verteidigung gegen die "Ungläubigen" verpflichtet hatten. Und dieser Verpflichtung sind sie 1096-1099 nachgekommen.

Witiko schrieb:
allerdings hast du recht, dieser Angriff am Gründonnerstag ist kaum anders als schändlich zu nennen, und völlig unvereinbar mit den Wertvorstellungen des Christentums.

Während der Belagerung von Antiochia 1098 haben die schiitisch-fatimidischen Kalifen von Ägypten einen diplomatischen Kontakt mit den Kreuzrittern aufgenommen zum Zwecke eine möglichen Bündnisses gegen die sunnitischen Seldschuken, die nur wenige Jahrzehnte zuvor erobernd in Syrien eingefallen waren, unter dem Vorwand, dieses Land wieder der Oberhoheit des sunnitischen Kalifen von Bagdad zuzuführen. Was übrigens gleichfalls mit den für die mittelalterliche Kriegsführung bekannten Umständen einhergegangen ist.

Ein gemeinsames Bündnis ist letztlich nicht zustande gekommen, weil die Fatimiden Jerusalem, das sie erst 1098 von den Seldschuken blutig zurückerobert hatten, nicht an die Kreuzritter aushändigen wollten, was aber deren erklärtes Ziel war. Als Gottfried, Raimund und Tankred mit ihrem Heer vor Jerusalem aufgezogen sind, war bereits ein ägyptisches Heer gegen sie auf dem Marsch. Ich denke, dass die Anführer angesichts dessen sich kaum einen besonderen Skrupel erlauben durften, auch nicht wenn der Angriff auf Jerusalem ausgerechnet an einem Gründonnerstag stattfinden musste. Am 15. Juli 1099 wurde die Stadt erobert, am 22. Juli wurde Gottfried in die Herrschaft inthronisiert, am 1. August das Patriarchat begründet und am 12. August wurde schon die Schlacht gegen die Ägypter bei Askalon geschlagen.

Was die Werte des Christentums im Mittelalter angeht, so hatten diese schon damals gegenüber militärtaktischen Gründen zurückstehen müssen. Die Schlacht von Bouvines am 27. Juli 1214 ist an einem Sonntag geführt wurden, dem Ruhetag Gottes, an dem das Fehdeführen verboten war. Das war den Augenzeugen und Beteiligten damals schon bewusst gewesen, doch ist keiner von ihnen deshalb mit einer Kirchenstrafe belegt wurden.
 
Die Pervertierung des Kreuzzugsgedankens, der von den Päpsten zunehmend als Waffe gegen innerchristliche Feinde (Albigenser, Staufer!) missbraucht wurde, ist schon im 13. Jahrhundert nicht nur von der in seinem Ideal stehenden Ritterlichkeit Westeuropas angeprangert wurden, sondern auch von der herrschenden politischen Klasse, wie etwa Ludwig IX. Und selbstverständlich galten insbesondere dessen Bemühungen der Befreiung/Eroberung des heiligen Grabes. Ägypten war im 13. Jahrhundert die Machtbasis der Ayyubiden und auf christlicher Seite war man sich schon seit dem 12. Jahrhundert (König Amalrich I.) bewusst, dass eine dauerhafte Herrschaft über Jerusalem nur durch die Zerschlagung der muslimischen Macht Ägypten zu erreichen war. Die Kreuzzüge von 1218-1221 (Johann von Brienne), 1239-1240 (Theobald von Champagne) und von 1248-1250 und 1270 (Ludwig IX) standen selbstverständlich unter dieser Zielsetzung.

Für Ägypten gilt das schon, für Tunis jedoch nicht. Tunis war kein Bestandteil des ehem. Ayyubiden-Reiches und stand dementsprechend auch nicht unter mamelukischer Nachfolge-Herrschaft. Die Motivation für diesen Kreuzzug war schon den Zeitgenossen nicht ganz klar.

Und wo ist da nun der Widerspruch? Bohemund und Balduin sind letztlich an das heilige Grab gepilgert und haben damit ihr Gelöbnis erfüllt. Sie haben ihren Anteil an der Eroberung/Befreiung der Levanteregion geleistet, auch durch ihre Staatengründungen, durch welche die Sicherung der christlichen Herrschaft und die Pilgerwege nach Jerusalem realisiert werden konnte. "Kreuzritter" (ein sehr moderner Begriff) waren kreuzgezeichnete Pilger (Crucesignati), Jerusalemfahrer, die sich zur Pilgerfahrt an das heilige Grab und dessen Verteidigung gegen die "Ungläubigen" verpflichtet hatten. Und dieser Verpflichtung sind sie 1096-1099 nachgekommen.

Es streitet ja niemand ab, dass die Befreiung Jerusalems das primäre Ziel der orientalischen Kreuzzüge gewesen sei. Und gerade Ludwig IX des Heiligen (sein Beiname kommt nicht von ungefähr) Engagement war ausschliesslich religiös motiviert. Das Beispiel von Bohemund zeigt jedoch, dass es eben auch machtpolitische Erwägungen eine Rolle spielten - ungeachtet der christlichen Einstellung der Teilnehmer. Antiochia war von strategischer und wirtschaftlicher, aber nicht von religiöser Bedeutung.
Womit ich nicht einverstanden bin, ist die Aussage, dass die Unterstellung einer wirtschaftlichen Motivation anachronistisch und atheistischer Unfug sei. Venedig und Genua, die sich immer wieder an den orientalischen Kreuzzügen beteiligten und diese logistisch unterstützten (Nachschub) verfolgten sogar primär erstmals wirtschaftliche Interessen, was natürlich nicht heisst, dass man in diesem Fall jegliche religiös motivierte Handlungsweise ausschliessen darf. Der Kreuzzug gegen Byzanz geht im Übrigen hautpstächlich auf Venedigs Kappe (Enrico Dandolo).

Grundsätzlich ist es aber m.E. schon richtig, die Kreuzzüge (und nicht nur die orientalischen) mit der mittelalterlichen Religiosität zu erklären. Die Betonung muss dabei aber auf "mittelalterlich" liegen. Und in dieser Hinsicht ist der Wille, zu den heiligen Stätten zu pilgern und diese gleichzeitig zu befreien zwar ein zentraler, aber eben nur ein Teil der religiös bedingten Motivation. Der andere Teil bestand aus dem päpstlichen Generalablass, welcher den Kreuzfahrern den Erlass aller angehäuften Sünden versprach. Gerade die Religiosität des Mittelalters machte aufgrund dieses Versprechens die Teilnahme an einem Kreuzzug ungemein attraktiv - ein Punkt, der m.E. heute zuwenig gwichtet wird.
 
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