Es ist allerdings auch so, dass hierzulande Wissenschaftler, die einen gefälligen Stil ohne Ansammlungen von Fachwörtern pflegen, herabqualifiziert werden. Da wurden schon anerkannt verdienstvolle und gebildete Wissenschaftler als "ein Bisschen simpel" bezeichnet und ihre Darstellung als "streckenweise einem Abenteuerroman zu vergleichen". In Zeiten, in denen Politiker über die Besetzung von Stellen mitentscheiden, kann sich das wohl kaum jemand erlauben, der nicht schon in einer gesicherten Position ist.
Und dann ist da der an den Universitäten vermittelte Stil. Es hat lange gedauert, bis ich wieder gelernt hatte, normal zu schreiben.
Aber: Zurück an Bord hat sich Kolumbus natürlich an seine Leute gewandt: "Männer, jetzt haben wir das Mittelalter beendet!"
Da würde mich allerdings mal interessieren welche verdienten Wissenschaftler als "ein bisschen simpel" herabqualifiziert wurden und durch wen oder welche Medien.
Was die Universitäten betrifft, hängt es wohl auch davon ab, über welche Fakultät und welche Fachbereiche man spricht. Ich gebe zu, dass manche medizinische Fachartikel für Laien schwer verständlich sind und juristische Fachliteratur oft sehr zähflüssig lesbar ist. Allerdings habe ich nicht die Erfahrung gemacht, dass
einem Dozenten stilistische Vorgaben gemacht hätten, im Gegenteil zeichneten sich gute Juristen auch durch einen guten Stil aus. Ich kann mich an einen sehr originellen Dozenten erinnern, der Strafrechtsauslegungen am Beispiel von Grimms Märchen erläuterte, das hatte sehr großen Unterhaltungswert. Ein wunderbarer Kauz war der Göttinger Jurist Malte Dieselhorst, Der verstand es, Römisches Recht, was oft sehr tröge war, so unterhaltsam zu vermitteln, dass seine Vorlesungen auch gerne von Studenten aus anderen Fachbereichen besucht wurden. Wolfgang Sellerts Vorlesungen und Publikationen zu Rechtsgeschichte zeichneten sich durch klaren Stil und hohen Informationsgehalt aus.
In der philosophischen Fakultät und im Studium der Geschichtswissenschaft war es eher ein Lob, wenn einem Dozenten bescheinigt wurde, seine Publikationen lesen sich wie historische Romane. Gute Literaten waren/sind in der Regel auch gute Historiker, und gute Historiker gute Literaten. Schillers Geschichte des Dreißigjährigen Krieges ist heute noch gut lesbar, und wenn manche Kollegen auch das personenbezogene Geschichtsbild von Golo Mann kritisierten, hat ihm doch keiner den verdienten Respekt für seine Wallensteinbiographie oder seine Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts verweigert. Marcus Junkelmanns Bücher zeichnen sich durch hohe wissenschaftliche Qualität wie durch unterhaltsamen Stil aus. Christopher Clark mag, wie manche Kritiker sagten, relativ wenig neue Quellen verwertet haben, den Respekt für seinen unterhaltsamen Stil, der viele Leser erreichte, die sich vorher kaum mit Geschichte beschäftigt haben, hat ihm keiner streitig gemacht. Robert K. Massies Biographie über Peter den Großen war gerade nicht an die historisch geschulte Fachwelt adressiert, seine Biographie liest sich wie ein historischer Roman, war aber wissenschaftlich nicht zu beanstanden. Es wurde mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Winston Churchills Marlborough-Biographie, seine Geschichte des 2. Weltkriegs und die der angelsächsischen Nationen haben ihm den Nobelpreis eingebracht- verdient, wie ich finde.
Peter Milgers Geschichte der Kreuzzüge hat viele Historiker begeistert, obwohl es streng genommen nicht zitierfähig ist, da in der 1. Auflage kein Quellen und Literaturverzeichnis enthalten war. Seine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges "Gegen Land und Leute" fand in der Fachwelt hohe Anerkennung. Rolf Brednichs Beiträge zur Erzählforschung, sein Werk "Die Spinne in der Yuccapalme" hat weit über Volkskundlerkreise hinaus geradezu Kultcharakter bekommen. Heidi Rosenbaums Publikationen zur Arbeiter und Familienforschung zeichneten sich durch schnörkellosen Stil und hohe wissenschaftliche Qualität aus, ebenso wie Rebekka Habermas Geschichte des Frankfurter Gretchens Susanna Margarete Brandt.
Was meine Studienzeit betrifft, kann ich nicht behaupten, dass ich meinen Stil erst wieder normalisieren musste. Im Gegenteil! Ernst Schubert, Manfred Hildermeier, Rudolf von Thadden, Jochen Bleicken und viele andere schrieben stilistisch gut, aber niemals habe ich erlebt, dass Kommilitonen stilistische Vorgaben gemacht wurden, und auch wer sich mit Rechtschreibung und sprachlicher Finesse etwas schwerer tat, ist niemals deswegen schlechter benotet worden, solange er korrekt wissenschaftlich arbeitete und zitierte.