Die Kunst der Athener

E

Elefantentier

Gast
Hier zwei Zitate zu den Dionysien:
"Das Urteil im Theater-Wettbewerb sprach eine Exprten-Jury[...]. Die Mitglieder wurden nämlich aus der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung Attikas - ausgelost! Zumindest für den größten Teil des 150-jährigen klassischen Dionysien-Zeit galt sogar ein doppeltes Losverfahren: Aus jedem der zehn Verwaltungsbezirke kamn ein Juror. Und diese wiederum gaben zwar alle gleichermaßen ihre Stimme ab - aber nur fünf der Voten, auch diese ausgelost, kamen in die Wertung."
Wir sind Elite
Detlef Gürtler, "Wir sind Elite: Das Bildungswunder", Kapitel "Athen sucht den Superdichter".
"Bei der Wahl des Siegers der großen Dionysien haben sich die Athener allerdings für ein sehr [...] kompliziertes Verfahren entschieden. Es beinhaltet zwei Auslosungen, den Einsatz von Laien als Schiedsrichter und die Nichtbeachtung der Hälfte aller abgegebenen Stimmen."
Die Siegerwahl bei den großen Dionysien
"Die Siegerwahl bei den großen Dionysien" v. Kati Hall, Seite 1.

Wenn ich das richtig verstehe, dann wollten die alten Athener durch die Auslosung (=das Zufallselement) eine Gottesentscheidung erzwingen. Der Gott selbst sollte sich quasi zu dem besten Stück bekennen.
Haben die Griechen so ein sakrales Verständnis des Zufalls auch bei den "politischen" Auslosungen gehabt? Wenn ja, wieso gibt es dann so vieel Wahlen? Waren die Wahlämter quasi "Volks- oder Menschenrecht" und die Auslosung quasi "Gottesgeschenk"?
 
Soweit mir bekannt ist sahen die Griechen an dieser Auslosung kein "Gottesgeschenk". Ich glaube sie wollten durch dieses Zufallselement verhindern, dass eine ihrer Wahlen sabotiert wird -> Bestechung mehrerer Juroren
 
Soweit mir bekannt ist sahen die Griechen an dieser Auslosung kein "Gottesgeschenk". Ich glaube sie wollten durch dieses Zufallselement verhindern, dass eine ihrer Wahlen sabotiert wird -> Bestechung mehrerer Juroren

Hallo,

ich interessiere mich nicht ganz absichtslos für diesen Aspekt.
Es geht mir vor allen Dingen um die Rolle, die die Auslosung für die alten Athener oder allgemein Griechen hatte. Ist diese Auslosung nämlich zentral religiös bestimmt, dann handelt es sich bei Athen tendenziell um eine Theokratie. Genauer gesagt, es war ein theokratisch-demokratisches System - eine Feststellung, die meines Erachtens allein schon interessante Implikationen eröffnen würde.

Hatten die Griechen aber einen "vulgär" säkularen Begriff des Zufalls im Zusammenhang mit den Auslosungen, so wäre iher Demokratie ein Vorbild für Anhänger des Losverfahrens auch heute.

Für mich wäre beides ausgesprochen interessant, daher meine Frage.
 
Hallo allerseits, ich fand die Frage auch spannend und möchte mit meinem Beitrag den Prozess des "Losens" kurz aus Theokratischen Höhen auf den Boden der Realien reissen:

Ein wichtiges Plädoyer für die ganz rational-reale Funktion des Losens stellen die gefundenen Losmaschinen dar, darunter auch ein Exemplar von der athenischen Agora
Sie gehört meines Wissens nicht zum Fundmaterial aus den Heiligtümern der Agora (Marktplatz), hier gab es sowieso für athenische Verhältnisse kein sehr dichtes Netz an Heiligtümern.
Vielmehr ist der Ort mit seinen Handelsständen und Wandelhallen eher als Ort des bürgerlich-demokratischen (vormals: aristokratischen) Selbstdarstellungswillens interpretierbar.
Mehr zur Funktion des Losens und die verwendeten Geräte fand ich zügig in dieser Hausarbeit,
GRIN - Losmaschine, Wasseruhr und Stimmsteine

Zur angedeuteten Theorie: Es sprechen durchaus viele Argumente für einen besonderen theologischen oder vielleicht "theokratischen" Aspekt der athenischen Demokratie. Die findet man aber leichter auf und um Akropolis und Pnyx, als dort, wo die Wahlmaschinen standen. Ein direkter Vergleich mit dem Losen in "barbarischen" Kulturen (=Widerspruch in sich?), beispielsweise den "Buch-Staben", bietet sich für das antike griechische Los-System nicht an.
 
Hallo allerseits, ich fand die Frage auch spannend und möchte mit meinem Beitrag den Prozess des "Losens" kurz aus Theokratischen Höhen auf den Boden der Realien reissen[.]

Nur zur Klarstellung:
Selbstverständlich vermute ich nicht das Eingreifen von Göttern oder solchen Wesen bei der Auslosung der alten Griechen.
Mir geht es ausschließlich um die Auffassung, die die Athener (oder Griechen) selbst vom Losen hatten. Es macht ja schon einen Unterschied, ob die Athener da von einem Gottesurteil ausgingen oder letztendlich "nur" ein Verfahren sahen, welches jedem die selbe Chance auf ein Amt gibt.


Ein wichtiges Plädoyer für die ganz rational-reale Funktion des Losens stellen die gefundenen Losmaschinen dar, darunter auch ein Exemplar von der athenischen Agora
Sie gehört meines Wissens nicht zum Fundmaterial aus den Heiligtümern der Agora (Marktplatz), hier gab es sowieso für athenische Verhältnisse kein sehr dichtes Netz an Heiligtümern.

Interesant, überzeugt mich aber noch nicht.
Es könnte ja sein, dass die Losmaschine zu den wenigen Heiligtümern gehört und die einfachen Athener wirklich glaubten, dass dort Athena usw. die Kandidaten für die politischen Ämter selbst bestimmt. Das würde, wie gesagt, das Losverfahren in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen.
So, als würde heute wirklich jemand glauben, dass der Lottogewinner nicht einfach "Glück hatte", sondern durch die Götter erwählt wurde.


Zur angedeuteten Theorie: Es sprechen durchaus viele Argumente für einen besonderen theologischen oder vielleicht "theokratischen" Aspekt der athenischen Demokratie. Die findet man aber leichter auf und um Akropolis und Pnyx, als dort, wo die Wahlmaschinen standen. Ein direkter Vergleich mit dem Losen in "barbarischen" Kulturen (=Widerspruch in sich?), beispielsweise den "Buch-Staben", bietet sich für das antike griechische Los-System nicht an.

Die Germanen (Stichwort "Buchstaben") betrachteten aber offenbar den Sieger eines Kampfes als von Gott erwählt - ein Gottesurteil. Für uns moderne Menschen bedeutet es, im Kampf zu siegen, einfach nur, dass jemand mehr Kraft und/oder Übung im Kampf und vielleicht eine Priese Glück hatte.
Jedenfalls würden wir den Sieger in einem sportlichen Wettstreit unter keinen Umständen als von Gott (oder der Geschichte oder dem Schicksal) erwählt empfinden. Er ist einfach nur der besser Sportler.

Die Frage ist, wie die Griechen selbst ihr Los gesehen haben. Dass die Athener sonst gläubige Menschen waren, sei wahr.

P.S.: Ein Argument habe ich gefunden. Offenbar brichtet Homer in der Illias Ilias 15, 187ff:
"Nachdem Kronos und seine Titanen überwunden waren, teilten die Brüder die Welt unter sich auf, indem sie Lose warfen. Dabei erhielt Zeus den Himmel, Poseidon das Meer und Hades die Unterwelt. Die Erde und der Olymp waren ein gemeinsamer Bereich."

Seite „Hades“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 30. April 2018, 13:05 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Hades&oldid=177011963 (Abgerufen: 10. Mai 2018, 23:15 UTC)
Wenn also die Götter selbst ihre Verteilungsprobleme via Los bestimmten, dann können sie nicht die Herren des Loses sein, die quasi via Los ihren Willen kundtun.

Probleme des Argumentes. Erstens wendet man hier eine "Logik" auf den Mythos an, der diese gar nicht kennen muss.
Zweitens könnten Zeus, Hades usw. vielleicht den Ausgang des Loses nicht bestimmten, aber andere Götter. Vielleicht können sie auch nur in den Fällen, die sie selbst betreffen, den Ausgang nicht bestimmen.
Drittens schließt das Normen oder Schicksalsgläubigkeit nicht aus.
 
nach meinem Verständnis waren im antiken Griechenland nicht die Götter an sich für irgendwas zuständig sondern jeder Gott hatte seinen "eigenen Wirkungsbereich"; man muss also eigentlich nur schauen welche Gottheit für Losen zuständig gewesen ist,

Jedenfalls würden wir den Sieger in einem sportlichen Wettstreit unter keinen Umständen als von Gott (oder der Geschichte oder dem Schicksal) erwählt empfinden

Kann man das so sagen?
Kicker zB machen nach Torerfolgen oft das Kreuzzeichen und schaun dabei zum Himmel
 
Zunächst: Wie immer auch die ideologische Begründung für die Losverfahren waren, praktisch bedeuteten sie eine Schwächung traditionell einflussreicher Kreise, da diese nicht (mehr) durch Beziehungen, Bestechungen uä ihre Interessen durchsetzen konnten. Das passt sich in die Entwicklung der athenischen Demokratie ein, bes. im 5. Jh. Ich gehe fest davon aus, dass den Beteiligten dieser Effekt bewusst war (naja gut, den Blickigeren, evtl nicht jedem in der Volksversammlung), und er auch bewusst eingesetzt wurde.

Dabei war die gesamte Grundlage staatlichen Denkens in der Antike kaum von religiösen Grundlagen zu trennen: Athen war und blieb die Stadt Athenes, diese und andere Gottheiten wurden von den Bürgern als politisches Kollektiv verehrt, Götter und Göttinnen waren Schutzherren nicht nur der polis als ganzes, sondern auch einzelner städtischer Verantaltungen und Institutionen. Das als Theokratie aaufzufassen finde ich allerdings problematisch, da es nicht um die tatsächliche Machtausübung religiöser oder klerikaler Kreise ging.

Mal als anachronistischer Vergleich: Großbritannien ist immer noch ein Staat, der seine grundlegende Legitimation nicht unwesentlich aus einem durch Gott eingesetzten Monarchen bezieht, der gleichzeitig Oberhaupt der Staatskirche ist. Soweit die Theorie. In der Praxis ist das UK eine parlamentarische Demokratie und einer der säkulärsten Staaten der Welt.
 
Selbstverständlich vermute ich nicht das Eingreifen von Göttern oder solchen Wesen bei der Auslosung der alten Griechen.

Und nur zur Rückversicherung:
Selbstverständlich vermuteten die alten Griechen dieses Eingreifen von Göttern oder solchen Wesen.

Die Wahlmaschinen wurden schon eher entwickelt um ganz menschliche Willkür auszuschließen, weniger als um den Einfluss höherer Wesen zu begrenzen. Manchmal neigen Wir dazu, die alten Griechen im Nachhinein zu den Helden einer Aufklärung zu machen, die sie garnicht erleben durften.

Aber wie lehrte die Frankfurter Schule?
Wenn die Theorie nicht zur Praxis passt ... dann umso schlimmer für die Theorie!
:(
 
Der Würfel war m. E. ein Zählinstrument und die Losmaschine eben auch eine Zuteilungs-Idee. Die Alten rümpften auch die Nasen, wenn jemand die Ideen hinter ihren Bildern nicht begriff. Die Novizen hörten immer, der Wissende spiele nicht mit diesen Hilfsmitteln.
 
Zurück
Oben