Kaiser WIlhelm II. - Wegbereiter des Nationalsozialismus

Ich glaube Du unterschätzt Frankreich. Das Kolonialreich war riesig. Nicht nur die heutigen Maghreb-Staaten, sondern ein sehr großer Teil Afrikas, einige Inseln in Westindien, bis heute, Indochina, Inseln im Indischen Ozean und Polynesien.

Französische Kolonien – Wikipedia
 
Zuletzt bearbeitet:
Bereits am Vorabend der Französischen Revolution 1789 war das Weltimperium zusammengeschrumpft.
Man hatte Amerika und Indien verloren, und es ging für Frankreichs Kolonialismus hervorgehoben um das bis dato noch relaitiv widerstandsfähige Afrika.
Während das große neue deutsche Kaiserreich, in Hinsicht auf Geburtenrate und Wirtschaftskraft, größere Dynamik im Zentrum des Kontinents entfaltete.
Frankreich, so könnte man annehmen, ist in der Schwebe zwischen dem Modell GB und DR.
 
Frankreich war nach dem British Empire immer noch die mit eingem Abstand zweitgrößte Kolonialmacht. Selbst kleinere Länder wie die Niederlande oder Belgien hatten Kolonien, während die Kolonialmächte der ersten Stunde, Spanien und Portugal, ihre kolonialen Besitzungen im frühen 19. Jahrhundert weitgehend verloren haben. Einige der ehemaligen überseeischen Kolonien der Kolonialmächte Großbritannien, Frankreich und Niederlande sind bis heute mehr oder weniger mit ihren Mutterländern verbunden. Die einzige Möglichkeit, die französisch-niederländische Grenze direkt zu überqueren, ist witzigerweise in der Karibik auf der Insel Saint-Martin bzw. Sint-Maarten in der Karibik.

Von daher war der Versuch des Deutschen Reiches, Kolonien zu erwerben, im Stile der Zeit. Eine rote Linie der deutschen (bzw.) europäischen Kolonialpolitik zur Lebensraumpolitik Hitlers kann ich da nicht erkennen. Eine Rückgewinnung der deutschen Kolonien war ohnehin nicht m. W. Ziel der Politik des Dritten Reiches.
 
@hatl
Ich würde eher von einer halbhegonialen Stellung des Deutschen Reiches sprechen.

Du meinst mit Herausfordern den deutschen Flottenbau?
Flotten wurden ja auch von den anderen Großmächten wie Frankreich, Russland, USA, Japan und selbst Österreich-Ungarn gebaut. Mahan lässt grüßen. Der deutsche Flottenbau war also insofern nichts besonderes, sondern entspreach mehr oder weniger dem damaligen Zeitgeist. Ob es nun sonderlich klug war, direkt vor der Haustür Großbritanniens eine große Flotte zu bauen, das steht auf einen ganz anderen Papier. Da teile ich deine Einschätzung.

Aber war der deutsche Flottenbau wirklich das Schreckgespenst für Großbritannien? Es war bestimmt nicht nur die deutsche Hochseeflotte, die eine neue strategische Verteilung der britischen Seestreitkräfte, die seit Traflagar im Prinzipunverändert blieb, erforderlich machte. Es waren vor allem auch finanz- und personalpolitische Erfordernisse nach dem Burenkrieg.

Der Erste Lord der Admiralität Lord Selborne schrieb in einem Memo am 06.12. 1904 , das er Frankreich, Russland und künftig die USA, deren Potenzial als schier grenzenlos einstufte, sah Selborne als größte maritime Bedrohung für Großbritannien. Die Umgruppierung die Selborne vorschlug, ist deshalb nicht nur der deutschen Hochseeflotte geschuldet, sondern sollte allen möglichen Entwicklungen Rechnung tragen.
 
Irgendwie muß ich an eine Szene aus der britischen Comedy-Serie Blackadder biggrin.gif denken, in der sich zwei Offiziere über den Ausbruch und die Gründe des 1. Weltkrieges unterhalten :

George: The war started because of the vile Hun and his villainous empire-building.


Edmund: George, the British Empire at present covers a quarter of the globe, while the German Empire consists of a small sausage factory in Tanganyika. I hardly think that we can be entirely absolved of blame on the imperialistic front.

Blackadder on the Causes of World War One


Zum Unterschied zwischen der Kolonialpolitik unter Kaiser Wilhelm II und dem Lebensraum im Osten des Dritten Reiches hat Hitler selbst in "Mein Kampf" geschrieben:

„Damit ziehen wir Nationalsozialisten bewußt einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit. Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten denken.“

zitiert nach: Lebensraum im Osten – Wikipedia
 
Die "späteren Demokraten Stresemann und Mann" bezieht sich offensichtlich auf die Zeit vor 1918.
Ohne Zweifel existierten Lebensraum-Phantasien auch vor 1918.
Zu den personalisierten Lebensraum-Forderungen Stresemann und Thomas Mann wäre allerdings eine Quelle/ein Kontext sinnvoll.
Darauf bezog ich mich auch. Diese Kriegszieldebatte war sogar sehr virulent bei Stresemann (Pohl 2014: 58) und bei Thomas Mann - Manfred Görtemaker: Thomas Mann und die Politik

Ich sehe aber nicht, inwiefern Schnittmengen zwischen Wilhelm II und dem NS eine "Wegbereiter" Diskussion befeuern können. Vielmehr sollte diskutiert werden, inwiefern die Bezugspunkte Wilhelms II zu den Eliten der Weimarer Republik zur Destabilisierung beitrugen. Und hierbei spielt die Großmachtpolitik, bzw. welche die größte Macht vor 1914 war eine geringfügige Rolle.

Pohl, Karl-Heinrich: Nation – Politik – Ökonomie. Der Nationalliberalismus im Ersten Weltkrieg: Das Beispiel Gustav Stresemann, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung, Baden-Baden 2014, S. 49-74.
 
Ich sehe aber nicht, inwiefern Schnittmengen zwischen Wilhelm II und dem NS eine "Wegbereiter" Diskussion befeuern können. Vielmehr sollte diskutiert werden, inwiefern die Bezugspunkte Wilhelms II zu den Eliten der Weimarer Republik zur Destabilisierung beitrugen. Und hierbei spielt die Großmachtpolitik, bzw. welche die größte Macht vor 1914 war eine geringfügige Rolle.

Wirklich nicht? Der erste Weltkrieg hat dafür gesorgt, dank der immer noch Ständischen Gesellschaft, das die unteren Schichten radikalisiert worden sind. Nicht zuletzt durch die enormen Belastungen auch der Zivilbevölkerung, wie gewerbliche Arbeit für Frauen, auch auf Schicht. Vorher eigentlich unbekannt. Hungersnot. Fehlen der Ehemänner und verkrüppelte Veteranen. Und dann Militäradlige wie Hindenburg, die Blutpumpe muss laufen, für die Westfront.
Und dann der Zusammenbruch des Reiches mit der Abdankung der regierenden Häuser in Deutschland. Da war das Chaos komplett und die Radikalisierung nahm ihren lauf.
Und Wilhelm II. hat durch ungeschicktes agieren seinen Teil dazu beigetragen das der Karren in den Dreck gezogen wurde.
 
Da war das Chaos komplett und die Radikalisierung nahm ihren lauf.

Sehr allgemein gehalten, scheint mir. Unter einer Ständischen Gesellschaftsordnung wird gemeinhin sowieso anderes verstanden und die Gewerbefreiheit/Zollfreiheit/Bürgerrechte wie zunehmende Bildungschancen und Industrialisierung hatten die alte Ständische Gesellschaft bereits seit den 1820er Jahren allmählich und nachhaltig aufgelockert und aufgelöst, was sich ab der Reichsgründung 1870 beschleunigte. Die Bevölkerung jenseits der dünnen Adelsschicht, besonders in Preußen, wurde keineswegs nur durch 'untere' Schichten gebildet. Großbürgertum, Bürgertum, Handwerker und Landwirte, Gewerbetreibende und Kleinhändler, Lehrer wie Militär und Polizei, Beamte etc. bildeten den Großteil der Bevölkerung und können wohl nicht - auch aus deren Eigensicht - als 'untere Schichten' bezeichnet werden, wie ungelernte und (teils) gelernte Arbeiter, Diener, Knechte und Mägde (oder teils die Mannschaftsgrade im Militär) und sonst wo in marginalen, ungesicherten Stellungen tätige ungelernte Hilfskräfte, die sich aber erst nach dem Kriegsende 1918 nur teils sozialistisch radikalisierten (erst USPD, dann KPD).

Die Radikalisierung war besonders eine von 'rechts' spätestens, als diverse Bedingungsentwürfe des kommenden Vertrages von Versailles ab April 1919 allmählich in der Presse bekannt wurden, von den konkreten Bedingungen später ganz zu schweigen, die Soldatenräte und ähnlich 'progressive' Einrichtungen verschwanden entsprechend im Laufe des Jahres 1919 weitgehend. Diese Radikalisierung war keinesfalls Ergebnis der Verarmung und des Hungers, wenn auch davon sicher mit stimuliert. Die Kriegs-Niederlage und die Folgen des Vertrages von Versailles, die Besatzung westlicher Gebiete, der Verlust Elssas-Lothringen und die anstehenden weiteren Gebietsabtretungen, diktiert bzw. nach Abstimmungen, die Anfang 1920 bekannt gewordene 'Kriegsverbrecherliste' der Alliierten sorgten beispielsweise für nationalistische Radikalisierung, oder die vermeintlich verräterische Zusammenarbeit von Politikern wie Erzberger mit den Alliierten, sozialistische 'Regierungsexperimente' wie in München mit Eisner etc. etc.

Dass der Erste Weltkrieg im Deutschen Reich zu Verarmung und Not wie Hunger führte, zu Millionen von Toten und Kriegsversehrten, ist ansonsten keineswegs das Ergebnis des Vorhandenseins einer 'Wilhelminischen Adelsschicht' oder die direkte Folge falscher, nur von Wilhelm II. zu verantwortender Entscheidungen, sondern des umfassenden Weltkrieges, dessen Auslösung er wesentlich mit zu verantworten hatte. Dass er exakt gewusst hätte, das er (mal) einen Weltkrieg dieser einmaligen Dimension mit auslösen würde und er aber im Voraus alle vorbeugende Massnahmen hätte kennen können, mit welchen Hunger & Not & Tod & Verarmung im Krieg und nachfolgendes Chaos, nachfolgender Niedergang hätten vermieden werden können, es aber unterlassen hat wider besseres Wissen, wird wohl keine ernsthafte Diskussionsgrundlage sein.

Nach diesem Weltkrieg hatten andere nun daraus die entsprechenden Erkenntnisse daraus gezogen und ab 1933 vorgebeugt, was Nahrungs- und medizinische wie finanzielle Versorgung angeht.
 
Der erste Weltkrieg hat dafür gesorgt, dank der immer noch Ständischen Gesellschaft, das die unteren Schichten radikalisiert worden sind. Nicht zuletzt durch die enormen Belastungen auch der Zivilbevölkerung, wie gewerbliche Arbeit für Frauen, auch auf Schicht. Vorher eigentlich unbekannt. Hungersnot. Fehlen der Ehemänner und verkrüppelte Veteranen. Und dann Militäradlige wie Hindenburg, die Blutpumpe muss laufen, für die Westfront.
Und dann der Zusammenbruch des Reiches mit der Abdankung der regierenden Häuser in Deutschland. Da war das Chaos komplett und die Radikalisierung nahm ihren lauf.
Und Wilhelm II. hat durch ungeschicktes agieren seinen Teil dazu beigetragen das der Karren in den Dreck gezogen wurde.
Den Ersten Weltkrieg darf man nicht unbeachtet lassen, doch eine Kontinuität zum Nationalsozialismus ist nicht so einfach gegeben. Denn zunächst kann festgestellt werden, dass die "Feudalisierungsthese", wonach sich das Bürgertum im Kaiserreich den Normen und Lebensstil der aristokratischen Elite unterworfen hätte revidiert wurde und auch, dass das Phänomen, dass sich Adel und Bürgertum in einer Art Symbiose verbanden und es eine Art Lebensform war, dass sich das Bürgertum adlige Attribute aneignete. (vgl. Augustine 1994; Berghoff 1994; Berghoff/ Möller 1993). Weiter muss gesagt werden, dass die Kriegswirkungen kein deutsches Phänomen waren und auch die anderen Länder mit den sozialen und wirtschaftlichen Folgen zu kämpfen hatten. Warum sollte dann das gerade in Deutschland zum Nationalsozialismus führen?
Es kann auch nicht einfach postuliert werden, dass aufgrund der starken Heterogenität der deutschen Gesellschaft vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg ein Auslöser für den Nationalsozialismus war, da bereits das Kaiserreich zu seiner Zeit fortschrittlicher war als andere Nationen und die Industrialisierung bewirkte eine Menge gesellschaftlicher Veränderungen. So musste auch das Kaiserreich hinsichtlich der Geschlechterfrage keinen Vergleich mit Großbritannien und Frankreich scheuen (Planert 2009: 183f) und das politische System war viel facettenreicher als dass man einen schnellen und einfachen Übergang der Honoratiorenpolitik zur Massenpolitik anführen könnte (Langewiesche 2002; Ritter 1997; Dowe 1999).
Je mehr ich mich mit der Thematik um Wilhelm II beschäftige, desto mehr daneben finde ich die Fragestellung.
Selbst die Betrachtung als einen 30-jährigen Krieg sperrt sich gegen jeden Versuch, ein Ereignis wie den Zweiten Weltkrieg als ein außerordentliches zu verstehen. Darauf hin kann der Zweite Weltkrieg nicht mal mehr als "Unfall", als Ausnahmefall, relativiert werden. Der Erste Weltkrieg gehört eher in die Kontinuität des 19. Jahrhunderts, als das Ergebnis eines Wetrüsten und imperiale Rivalität, dass die Friedensordnung destabilisierte, aber auch anders ausgehen konnte (Ullrich 1997). Die "Brutalisierung" der Gesellschaft war kein so umfassendes Phänomen, wie man eine Zeit lang angenommen hatte (Schumann/ Wirsching 2003)

Augustine, Dolores L.: Particans and Parvenus. Wealth and High Society in Wilhelmine Germany, Oxford 1994.
Berghoff, Hartmut/ Möller, Roland: Unternehmer in Deutschland und England 1870-1914. Aspekte eines kollektiv-biographischen Vergleichs, in: Historische Zeitschrift 255 (1993), S. 353-386.
Berghoff, Hartmut: Aristokratisierung des Bürgertums? Zur Sozialgeschichte der Nobilitierung von Unternehmern in Preußen und Großbritannien 1870-1918, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 81 (1994), S. 178-209.
Dowe, Dieter (Hg.): Parteien im Wandel. Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik. Rekrutierung, Qualifizierung, Karrieren, München 1999.
Langewiesche, Dieter: Politikstile im Kaiserreich. Zum Wandel von Politik und Öffentlichkeit im Zeitalter des "politischen Massenmarktes", Friedrichsruh 2002.
Ritter, Gerhard A. (Hg.): Wahlen und Wahlkämpfe in Deutschland. Von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis zur Bundesrepublik, Düsseldorf 1997.
Schumann, Dirk/ Wirsching, Andreas (Hg.): Violence and Society after the First World War, München 2003.
Ullrich, Volker: Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs, Frankfurt 1997.
 
Die "Brutalisierung" der Gesellschaft war kein so umfassendes Phänomen, wie man eine Zeit lang angenommen hatte (Schumann/ Wirsching 2003)

Schumann, Dirk/ Wirsching, Andreas (Hg.): Violence and Society after the First World War, München 2003.
Ullrich, Volker: Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs, Frankfurt 1997.

Komisch, ich lese die Rezension in ihrer Aussage anders, vor allem weil die Kontinuität betont wird.

https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-3863

Zur Konstanz von entgrenzter Gewalt, vor allem auf der politischen Rechten:
So schreibt Krassnitzer:
"Ziemann verzichtet in seinem Beitrag auf eine vergleichbare Analyse der politischen Gewalt in Deutschland und skizziert stattdessen einen methodologisch orientierten Überblick der neueren Gewaltforschung zur Weimarer Republik, die unisono die Brutalisierungsthese relativiert und die Traditionslinien der politischen Gewalt auf lange Sicht in der semantischen Gewaltbereitschaft des rechten Lagers bereits vor dem Weltkrieg und auf kurze Sicht in der realen Gewalterfahrung der Freikorps in den "Bürgerkriegs"-Jahren 1918-23 verortet. Die neuere Forschung versucht dabei, das Phänomen der Nachkriegsgewalt von dem Interpretationshintergrund des Scheiterns der Republik zu lösen und, basierend auf einem neuen theoretischen Gewaltbegriff, der diese als soziale Handlung begreift, "dichte Beschreibungen" der Gewaltakte in ihrer Eigenlogik vorzunehmen."

Und genau an diesem Punkt ergibt sich auch die Konstanz zwischen der politischen Ideologie im pre-WW1 Kaiserreich, der Sozialisation im Kaiserreich, der Gewaltorgie der Freikorps und der Fortführung dieser Erfahrung in der SA. Erfolgreich bis zur "Nacht der langen Messer", in der dieser manifeste militante Aktionismus beendet wurde und in eine Form der staatlichen Repression überführt wurde.

Exemplarisch in der Person des Obersten SA-Führer Pfeffer von Salomon zu erkennen. Wie im Link an einer Reihe von Personen diskutiert. Und damit den neueren Stand der Forschung bereits wiederspiegelnd, inklusive Exkurs zur neueren Theorie von politischer Gewalt.

http://www.geschichtsforum.de/thema/die-radikalisierung-der-rechten-in-der-weimarer-republik.52652/

vgl. zur Brutalisierungsthese beisielsweise Krumeich:

https://literaturkritik.de/id/12430
 
...
Je mehr ich mich mit der Thematik um Wilhelm II beschäftige, desto mehr daneben finde ich die Fragestellung.
....
KW2 starb 1941 als geifernder Antisemit der über die Siege der Wehrmacht "frohlockte".
Wieso soll denn die Frage danach, ob der Kaiser vorher schon einen Einfluss hatte, der die furchtbare Entwicklung begünstigte, "daneben" sein?
Denn, dass zumindest die Wilhelminische Gesellschaft böse Saaten in sich trug, die später aufgingen ist schwerlich von der Hand zu weisen.
Und dabei wird man auch sehen müssen welche Saat der Kaiser bekämpfte, und welche er begünstigte.
Und freilich wird man keine Kausalität in seiner Person finden können.
Aber Kontinuitäten sind selbstverständlich vorhanden.
Und daher ist die Fragestellung sehr interessant.
 
Nur ganz kurz (Habe in Moment nicht viel Zeit): Wilhelm II. hat viel Unerträgliches gesagt und geschrieben. Aber es gilt doch zu unterscheiden, was er dann auch tatsächlich getan hat.
 
Aber das ist es doch gerade. Alleine die Sprüche bereiten schon den Boden für eine Radikalisierung. Und dann die Belastungen durch denn Krieg und der Zusammenbruch des „Regimes“ bedeutet doch das Ende von allen Gewissheiten. Und damit sind wir Menschen bereit für andere, radikale Denkmuster.
Osteuropa und Südosteuropa mit den neuen Staaten, sprich Polen, Russland sowie die Staaten, die aus Österreich-Ungarn hervorgegangen sind, sind zum großen Teil auch sehr stark radikalisiert worden.
Warum ist das in der UDSSR nach den Belastungen durch den 2. WK nicht passiert? Stalin hatte einen starken Unterdrückungsapparat aufgebaut und schon vor dem Krieg aus seiner Sicht unliebsame Zeitgenosse elemeniert oder in Arbeitslagern weggesperrt und verrecken lassen.
 
vgl. zur Brutalisierungsthese beisielsweise Krumeich:

https://literaturkritik.de/id/12430

Sehr sehr interessanter Beitrag. Aber für mich als Laien teilweise schwer nachvollziehbar. Ich habe dank des Links Probleme, die direkte Verbindung zu sehen, die zur Brutalisierung des politischen Lebens geführt hat. Ich sehe gerade in Ost- und Südeuropa ähnliche Brutalisierungen (2. Spanische Republik, Italien, etc.), ergo kein Alleinstellungsmerkmal für Deutschland.

Kann mir hier jemand mein Missverständnis aufklären?
 
Die Radikalisierung oder Brutalisierung von der hier gesprochen wird, ist doch zu einem nicht verachtenden Teil der nicht verarbeiteten Niederlage geschuldet.

Das deutsche Heer musste von mehreren Millionen Soldaten sehr rasch demobilisiert werden. Ob das so eine gute Idee war? Ob es da nicht besser gewesen wäre, sich mehr Zeit zu nehmen? Aus diesen Reservoir der demobilisierten Weltkriegssoldaten bildeten sich die oben genannten Freikorps, die in der Regel nichts kannten, außer das Kriegshandwerk und nicht in das Zivilleben zurückgefunden haben. Diese Truppen waren nur ihren jeweiligen Kommandeuren gegenüber loyal.

Und auch sollte nicht übersehen werden, dass die Alliierten verantwortlich für die viel zu lange Dauer des Krieges waren, denn sie wiesen die ganzen Friedensinitiativen letzten Endes zurück, ja sie waren sogar unwillkommen und eigene entsprechende Bemühungen gab es nicht. Eher abenteuerliche Pläne, wie das Fell des Bären verteilt wird. Der Krieg hätte schon 2 Jahre früher beendet werden können und hätte Millionen von Menschen Leid und Elend erspart.

Die Alliierten waren davon besessen, dass das Deutsche Reich bedingungslos kapituliert und Mit Versailles haben sie den „Störenfried“ Deutsches Reich erstmal aus dem Kries der Großmächte befördert. Auch die Ausgestaltung des Vertrages, die mit Versöhnung so rein gar nichts zu tun hatte, sorgte im Deutschen Reich für großen Unmut, allein die Artikel der Kriegsschuldfrage, und war der Nährboden für die Radikalen, für den größten Verbrecher der Geschichte, nämlich Hitler. Die Friedensverträge sorgten insgesamt für eine revisionistische politische Ausrichtung bei den Verlierern. Ganz schlechte Voraussetzungen für ein friedliches, partnerschaftliches und kooperatives Miteinander in Europa.
 
Das ganze kann man wie einen Brand auffassen. Was braucht man dafür? Brennstoff, Sauerstoff und eine Zündquelle. Fehlt eines von den dreien gibts keinen Brand. Und hier ist es in der Gemengelage zu dem wohlbekannten verlauf gekommen. Monokausalität um jemanden rein zu waschen bringt leider nichts.
Klar hat der Versailler Vertrag das seinige dazu Beigetragen, oder auch die Ruhrbesetzung um die Leute zu radikalisieren. Nur hat das verkrustete, oder die verkrusteten Kaiserreiche das ihrige dazu beigetragen.
Grossbritannien und Frankreich hatten die Verluste z.B. auch wesentlich breiter streuen können, dadurch das Truppen aus den Kolonien nach Europa geschickt worden sind. Und im Hinterkopf auch, wir haben den Krieg gewonnen.
 
Komisch, ich lese die Rezension in ihrer Aussage anders, vor allem weil die Kontinuität betont wird.
Die Kontinuität der Gewalt zieht sich nicht bis in die NS Zeit. Hierbei wird die Zwischenkriegszeit völlig ausgeblendet (Büttner 2008: 206-208). Mit der Stabilisierung der Währung, der Verhaftung der Putschisten und der Einsetzung Seeckts zum Oberbefehlshaber wurde die Bürgerkriegsgefahr eingedämmt. Das Bild, eines Gewaltkontinuums bis in die NS Zeit stellt die Weimarer Republik so dar, wie es durch den nationalsozialistischen Freikorpsmythos propagiert wurde: Als Ort der ständigen Gewalt. In meiner Literatur wird die Gewalt auch bis 1923 beschränkt. 1923 waren auch die Rechtsradikalen bereit, ihre Macht auf verfassungsgemäßen Weg zu erreichen und wussten, dass weitere Gewalt ihre Legitimität nur zerstört. Die Bestrebungen, eine autokratische Herrschaft zu errichten wurden 1923 ad acta gelegt, da die Akteure erkannten, dass dies in der Öffentlichkeit diskreditiert wurde. Die kurze Verbindungslinie Freikorps-SA-NSDAP wurde von Hagen Schulze schon bestritten, der sagt, dass sie zwar zur Entstehung beitrugen, aber längst nicht in dem Maße wie behauptet, da viele der Freikorps entweder zur Opposition innerhalb der NSDAP gehörten oder wie Beppo Röhmer oder Kapitän Ehrhardt zu den Gegnern (Schulze 1967: 333f).
KW2 starb 1941 als geifernder Antisemit der über die Siege der Wehrmacht "frohlockte".
Wieso soll denn die Frage danach, ob der Kaiser vorher schon einen Einfluss hatte, der die furchtbare Entwicklung begünstigte, "daneben" sein?
Denn, dass zumindest die Wilhelminische Gesellschaft böse Saaten in sich trug, die später aufgingen ist schwerlich von der Hand zu weisen.
Und dabei wird man auch sehen müssen welche Saat der Kaiser bekämpfte, und welche er begünstigte.
Und freilich wird man keine Kausalität in seiner Person finden können.
Aber Kontinuitäten sind selbstverständlich vorhanden.
Und daher ist die Fragestellung sehr interessant.
Der Beitrag ist ein wenig plakativ. Der Kaiser war ja nach dem Ersten Weltkrieg im Exil und scheinbar auch nicht mehr ganz auf der Höhe. "Wilhelm II. sah in Hitler seinen Vollstrecker"
Ich weiß nicht genau, wie man dann daran eine Beeinflussung findet. Die einzige Möglichkeit, die ich nach wie vor sehe, ist, dass die alte Elite um Hindenburg oder auch Stresemann sich ihm in gewisser Weise verpflichetet fühlten. Als Hindenburg 1926 zum Reichspräsidenten ernannt wurde, fragte er zuvor noch den Kaiser. Aber es ist nicht klar, inwiefern Wilhelm nun so die Weimarer Politik beeinflusst, dass alles auf Hitler hinaus läuft.
Aber das ist es doch gerade. Alleine die Sprüche bereiten schon den Boden für eine Radikalisierung. Und dann die Belastungen durch denn Krieg und der Zusammenbruch des „Regimes“ bedeutet doch das Ende von allen Gewissheiten. Und damit sind wir Menschen bereit für andere, radikale Denkmuster.
Osteuropa und Südosteuropa mit den neuen Staaten, sprich Polen, Russland sowie die Staaten, die aus Österreich-Ungarn hervorgegangen sind, sind zum großen Teil auch sehr stark radikalisiert worden.
Warum ist das in der UDSSR nach den Belastungen durch den 2. WK nicht passiert? Stalin hatte einen starken Unterdrückungsapparat aufgebaut und schon vor dem Krieg aus seiner Sicht unliebsame Zeitgenosse elemeniert oder in Arbeitslagern weggesperrt und verrecken lassen
Also ist eine Autokratie wohl die beste Staatsform, da die Gesellschaft radikalen, bzw. einfachen Denkmustern mehr Glauben schenken und zu Gewalt neigen? Sicher ist die Zwischenkriegsphase, bzw. die Phase nach dem Ersten Weltkrieg eine "Krise der Demokratie". (Linz/Stepan 1978: 122-141) Nach dem Ersten Weltkrieg entstande außerhalb Europas auch Demokratien, etwa in Argentinien, Uruguay, Chile und Japan. Von 1922 bis 1926 war der erste Rückstoß, in dem neue und arme Demokratien fielen, was aber auch unvermeidlich ist, hinsichtlich der Fülle an neuen Demokratien und wenn die anspruchsvolle Regimeform der Demokratie auf sozioökonomische Verhältnisse stößt, in denen sie kaum gedeien kann. Wirklich massiv war die Krise zur Weltwirtschaftskrise 1933/34.
Um mal eure Gedanken so zusammenzufassen, bzw zu einer These aufzustellen: Es bestand ein Gewaltkontinuum vom Kaiserreich bis zur NS Zeit (thanepower), was durch den Kaiser befeuert wurde und von der Weimarer Gesellschaft nicht abgelehnt wurde, da sie von selbst der neuen Regierungsform keine Chance gab und die Gewalttätigkeit sogar hinnahm, gar musste (Apvar), weil nur durch Gewalt die Ordnung aufrecht erhalten konnte, musste nur zum Nationalsozialismus führen.

Büttner, U: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Bonn 2010.
Linz, J.J./ Stepan, A. (Hg.): The Breakdown of Democratic Regimes. Europe, Baltimore 1978.
Schulze, H.: Freikorps und Republik 1918-1920, Kiel 1967.
 
Um mal eure Gedanken so zusammenzufassen, bzw zu einer These aufzustellen: Es bestand ein Gewaltkontinuum vom Kaiserreich bis zur NS Zeit (thanepower), was durch den Kaiser befeuert wurde und von der Weimarer Gesellschaft nicht abgelehnt wurde, da sie von selbst der neuen Regierungsform keine Chance gab und die Gewalttätigkeit sogar hinnahm, gar musste (Apvar), weil nur durch Gewalt die Ordnung aufrecht erhalten konnte, musste nur zum Nationalsozialismus führen.

Büttner, U: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Bonn 2010.
Linz, J.J./ Stepan, A. (Hg.): The Breakdown of Democratic Regimes. Europe, Baltimore 1978.
Schulze, H.: Freikorps und Republik 1918-1920, Kiel 1967.

Nicht die Regierung war das Problem, zumindest bis Hindenburg, sondern leichte Webfehler in der Verfassung, Stichwort Reichspräsident mit seiner Macht. Aber das Problem war die Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung. Siehe die Schlägertrupps der SA, die verschiedenen Soldatenbünde, u.s.w.
Guck mal in der Tante Wikiartikel zur Weimarer Republik, vorallem labiles politisches System.

Weimarer Republik – Wikipedia
 
Radikalisierung und Polarisierung, antiparlamentarische und antiliberale Bewegungen wie weit verbreitete Gewalt als Mittel der Rache und/oder Durchsetzung politischer Meinungen/Ziele gab es nach dem 1. WK vielfach in Europa. Hat also mit Kaiser Wilhelm II. nichts zu tun. Siehe Italien, siehe diverse neue 'National'-Staaten besonders im östlichen Europa. Wo in Europa gab es ein stabiles, demokratisches, parlamentarisches politisches System ab 1919 im heutigen Sinne?

Wenn schon Tante Wiki, dann auch gleich das Lemma Zwischenkriegszeit

Schon allein die instabile Wirtschaftsentwicklung, die Kriegsfolgen, der zeitweilig entfesselte Kapitalismus, die Geldentwertung, die Arbeitslosigkeiten und Kriegsrückkehrer sowie Kriegsversehrten, die erbitterte Konkurrenz eschatologischer und dichotomischer, radikaler und gewalttätiger Ideologien erschwerten vielfach stabile, demokratisch-parlamentarische Ordnungen. - Sie würden es auch heute tun und tun es auch. Eine transnationale Sichtweise würde helfen, die Fixierung auf Wilhelm zu relativieren, meine ich.

Mit ist nicht klar, Apvar, obwohl Du selber schon weitere wichtige Elemente nennst aus der Zeit der Weimarer Republik, die in der Rückschau als Bausteine für die Entwicklung hin zum NS-Regime gedeutet werden KÖNNEN, warum Wilhelm II. dennoch als Urvater, als Daimon alles nachfolgenden Übels identifiziert wird. Die Argumentation erinnert mehr an eine Kaskade: Wilhelm war wesentlich mitverantwortlich für den Ausbruch des Krieges, folglich war er irgendwie auch für alle unmittelbaren, mittelbaren und noch mittelmittelbaren Folgen des Weltkriegs verantwortlich.

Hier wird rückschauend eine unterkomplexe, scheinbar unausweichliche Entwicklungslinie von Wilhelm nach 1933 gezogen. Gerade jetzt in der Diskussion wird nochmals deutlich, welche festgelegte und normierte Unausweichlichkeit und einmalige Dominanz dem Wirken Wilhelms hinsichtlich 1933 zugerechnet wird.

Was die Reden und Sprüche und damit die Wirksamkeit von 1914 angeht, fehlt jeder Hinweis auf die mehrheitlich liberale Pressewelt des Kaiserreiches, die Kritik an KW II. und seinen Reden, von weit rechts, liberal wie links. Die 'Wilhelminische Gesellschaft' war durchaus vielfältig.

Die Weltwirtschaftskrise war und ist der Steigbügelhalter für '1933'. Und dass ausgerechnet ein Hitler und die NS-Bewegung mit ihrem Aktivismus ab 1933 ihre fatalen Vorstellungen nachhaltig verwirklichen würden, war keine unmittelbare Anschlußentwicklung nach dem Rücktritt Wilhelms, wie schon die zeitliche Differenz klar machen sollte.

Ich kann an dieser Stelle nur Leonidas Hill, Die Weizsäcker-Papiere, 1900/1932 (1982), empfehlen, da in dieser Publikation vielfache Auszüge aus Ernst von Weizsäckers 'Kriegstagebuch' und Privatbriefe abgedruckt worden sind.
Bei unmittelbarem Kriegsbeginn, von Weizsäcker war Marine-Offizier, scheint eine deutlich Skepsis bis Abneigung gegen die Preussen und die Preussischen Militärs durch, das geht etliche Wochen so, eine Haltung, die auch schon in den Selbstzeugnissen in den Jahren davor immer mal wieder artikuliert wird. Die 'Preussen-Kritik' von Weizsäckers ist wirklich instruktiv und erhellend, für eine eigenen Dis. eine gute Basis, um substanzielle Kritik am Preussen Wilhelms II. darzustellen (auch Rathenaus legendäre Kritik am der Kaiserlichen Umgebung/Adelsschicht könnte mal wiedergegeben werden).
Wilhelm selber 'verschwindet' in den Selbstzeugnissen allmählich zwischen 1914-1919, eine bedeutende Rolle hatte er sowieso nicht. Noch wichtiger: Bei von Weizsäcker taucht meiner Erinnerung nach bereits 1917 die (sinngemäße) Formulierung auf, hätte man doch bloß einen 'Führer' in diesen Zeiten. Wilhelm II. galt wohl spätestens in den fortgeschrittenen Kriegsjahren eben nicht als die notwendige Führungspersönlichkeit. Der Wunsch nach einen Führer wird ab 1917 zunehmend artikuliert, soweit ich sehe.

1919/1920 erkennt man in Hills Publikation eine unterschiedslos nationalistisch orientierte Person, nun auch mit einigen antisemitischen Vorurteilen, die dann und wann in den Selbstzeugnissen auftauchen.

Diese Radikalisierung durch den radikalen Weltkrieg und seinen Zerstörungen von Hemmschwellen lediglich als unausweichliche Folge von Wilhelminischer Rhetorik und Politik vor 1914 zu deuten, beißt sich mit einer differenzierten Kenntnis, zumal wenn sie auch Rückschaufehler berücksichtigt.

Insgesamt wundert mich, wie unkritisch die Rhetorik/das Wirken von Wilhelm vor 1914 als alles durchdringende, monolithisch formende Kraft in einer Art uniformierten Gesellschaft wahrgenommen wird. Also ob vor 1914 schon ein totales Propaganda-Regime, eine gleichgeschaltete Ordnung wie 1933 nachfolgend bestanden hätte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben