Kaiser WIlhelm II. - Wegbereiter des Nationalsozialismus

Peter Longerich schreibt in der genannten Publikation S. 115ff. Zur Attraktivität der NSDAP als Kern eines rechtsextremen Milieus in der Weimarer Republik und thematisiert drei wichtige nationalsozialistische Erlebniswelten - Alltag der SA, Attraktion der Hitler-Reden für das damalige Publikum, Partei-Aktivitäten auf örtlicher Ebene - als psychosoziale Dimension des Phänomens 'Nationalsozialismus', die ebenfalls wesentlich zum Erfolg beitrugen.

Zu Longerich noch eine Ergänzung:

Was hier zitiert wird, ist Longerichs Bezug auf ein spezielles "NS-Milieu", das neu kreiert worden ist und durch die vorgenannten "Erlebniswelten" resp. Attraktionsebenen beschrieben wird.

Longerichs Abhandlung berührt nicht die Frage, was die Attraktivität begründet und im Weimarer Kontext auslöst. Diese Fragen sind zu unterscheiden, und in seinem Resümee werden mögliche Kausalitäten nicht angesprochen, weswegen die Publikation bei der hier anstehenden Frage der Bedingungen des kreierten NS-Milieus, seiner Erfolgs- und Attraktivitätsfaktoren nicht weiter hilft:


Mit dem Führerprinzip und dem Führerkult verfügte die NS-Bewegung über eigenständige, unverwechselbare Strukturmerkmale. Die NSDAP besaß eine eigenständige Weltanschauung mit einem absoluten Wahrheitsanspruch, die jedoch wiederum so vage und unverbindlich bzw. vorwiegend negativ ausgerichtet war, dass reale Interessengegensätze in der Bewegung nicht aufbrechen mussten.

Insgesamt gesehen beruhte die Attraktivität der NSDAP also nicht zuletzt darauf, dass sie dem Weimarer Staat ein alternatives Ordnungsmodell gegenüberstellte und innerhalb dieser Ordnung vielfältige Räume für das Erlebnis von Gemeinschaft bot, sei es in der Form von praktisch erfahrener Solidarität, kollektiver Emotionalität oder in Aktionen und Gewalthandlungen im fest gefügten Gruppenverband.

Die Bindungen zumindest des harten Kerns der Anhänger an diese Bewegung lässt sich nicht mehr als normale Parteibindung beschreiben, sondern stellte eine Einbindung in ein neues Milieu dar, das in seiner Dichte und Intensität durchaus den Binnenverhältnissen innerhalb des sozialistischen oder katholischen Milieus vergleichbar ist. Die NSDAP war also weit mehr als eine Wählerbewegung. Mit dem Heraufziehen der Krise seit Ende der 1920er Jahre brachen die konservativen und liberalen Milieustrukturen, die ohnehin nicht so dicht gesetzt gewesen waren wie im katholischen oder im sozialistischen Lager, zusammen: Das Geflecht von mittelständischen Parteien, Interessenverbänden und Vereinen begann sich aufzulösen und setzte Millionen von Menschen frei, die zum Teil in der NS-Bewegung das fanden, was sie in den übrigen rechtsextremen Organisationen nicht finden konnten: So etwas wie eine neue »Heimat«, ein Angebot, das vom Stammtisch bis zum Sportverein, vom Wehrverband zur beruflichen Standesvertretung, von der Kulturbewegung bis zur politischen Partei reichte.

Und erst im Zuge dieser Heranbildung eines eigenständigen Milieus war die NSDAP in der Lage, breiten Anhängerschichten auf verschiedenste Weise Erlebnisräume zu schaffen, in denen psychosoziale Bedürfnisse in der beschriebenen Art und Weise ausgelebt werden konnten.


Selbstverständlich war das kollabierte Kaiserreich nicht (mehr) der "anziehende" Gegenentwurf zum schwächelnden Weimar. Darum ging es auch nicht. Das Zitat behandelt vielmehr die entscheidenden Fragen dadurch, das sie offenbleiben (und hier bei Longerich nicht behandelt werden):

1. welche "Sozialisierung" von Schichten begünstigte die Suche nach einem "alternativen Ordnungsmodell"? Dabei fusionieren natürlich aktuelle Krise und Prägungen zum Brandbeschleuniger des NS-Milieus, aber die Frage richtet sich auf wieder auf die notwendigen Bedingungen dieser Reaktion.

2. Woher stammten die konservativen/rechten bis rechtsextremen "Milieustrukturen", die da lt. Longerich "zusammenbrachen" und deren Mitglieder der Attraktion der neugeschaffenen NS-Milieustrukturen erlagen? Aus dem Nichts entstanden, direkte Kriegsfolge etc. oder aus dem Kaiserreich?

Was also ist der Beitrag des Kaiserreichs an den Fragen 1. und 2.?

Diese Publikation von Longerich führt zu diesen Fragen nicht weiter. Mich erinnert die Diskussion hier etwas an eine Erfolgsanalyse. In diesen Bild bleibend, blickt Longerich auf die erzielten Umsatzerlöse, die den Gewinn finalisieren. Der Blick aufs Kaiserreich (inkl. Weltkriegsjahre) wäre dann bildhaft der Blick auf die Ausgaben, die Analyse der Primärkosten als "Kausalitäten" der NS- Bewegung, nicht ihres finalisierten Durchbruchs.

Einig kann man wohl sein, dass beides zum Verständnis zusammen gehört, sämtliche Bedingungen für eine komplexe Entwicklung umschreibt und nicht nach "überragenden Bedeutungen" sucht und zu (alles) entscheidenden oder monokausalen Erklärungen führt.
 
Das war das Ausgangsstatement. Das bedeutet inhaltlich, dass Hitler voraussetzungslos, quasi aus dem Nichts gekommen ist.

Ich meine, es bleibt dabei: Die Gründung/Entwicklung/Programmatik/Ideologie und Praxis der NSDAP, des Nationalsozialismus bis ''Mein Kampf'' und die Herrschafts-Praxis ab 1933 waren nicht vom wilhelminischen radikalen Nationalismus her fundiert oder auch nur wesentlich angeregt worden.

Dieser Sicht habe ich mit einer Darstellung der neuere Hitler-Biographien widersprochen. Und wird noch anhand der Wurzeln im extremen deutschnationalen und völkischen Umfeld dargestellt werden.

Dass dann eine derartige Aussage kommt, die diametral das Gegenteil behauptet zu obiger Aussage, ist - hoffentlich - der Lernprozess aus meiner Darstellung der Sichten der jeweiligen Historiker und/oder das Eingeständnis, im ersten Fall sich ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben.

Vielen Dank, Thane. Die ideologischen, weltanschaulichen Vorprägungen, Sozialisationen wurden und werden von mir nicht in Frage gestellt.

Im nächsten Schritt wird die Bejahung der politischen Sozialisation dann wieder zurück genommen und für München eine "Tabula-Rasa" Situation angenommen, die dann "überschrieben" worden sind. Und das ist das "interessante" an der These, weil andreassolar vermutlich nicht erklären kann, welche komplexen sozialisationstheoretischen Annahmen seinen "steilen Thesen zugrunde liegen.

Und silesia bennent genau diese Punkte, die zu klären sind und die m.E. bereits ansatzweise anahnd von einzelnen Biographien in einem anderen Thread schon in ihrer Vielfalt aber auch in ihren Gemeinsamkeiten rekonstruiert worden sind.

2. Woher stammten die konservativen/rechten bis rechtsextremen "Milieustrukturen", die da lt. Longerich "zusammenbrachen" und deren Mitglieder der Attraktion der neugeschaffenen NS-Milieustrukturen erlagen? Aus dem Nichts entstanden, direkte Kriegsfolge etc. oder aus dem Kaiserreich?

Nebenbei eine Kritik an der mangelnden sozialisationstheoretischen Fundierung ihrer Thesen, die man einer Reihe von Historikern machen kann, die über diese Phase sich auslassen. Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren durch die entsprechenden Überlegungen von andreassolar.

Sie haben nur nicht die überragende Bedeutung für die konkrete Entstehung/Ausformung/Organisation und 'Performance' sowie Erfolg der NSDAP.
Thane, Deine aufwendigen Antworten mit einem Schwerpunkt Tradition und Herkunft von H.s Antisemitismus aus der Vorkriegszeit tragen m.E. zu wenig zum Verständnis bei für die Phase in München 1919-1922/1923, dem Erfolg der NSDAP/Hitlers/der nationalsozialistischen Bewegung & ihrer sozialen Praxis, noch können sie die vielschichtige, widersprüchliche Realität der nationalsozialistischen Machtausübung ab 1933 in ihrer Dynamik & Mobilisierung, ihrem Aktivismus, ihrer radikalen Zielorientierung usw. daraus ausreichend 'begründen'/'verständlich machen'.

Irgendwie wurde da wohl etwas falsch verstanden oder gelesen. Das Thema ist die politische Radikalisierung von Hitler bis zum Zeitpunkt von "Mein Kampf", also höchstens bis ca. 1925. Für die Phase danach habe ich überhaupt keine Aussagen gemacht, weil sie unter komplett anderen Prämissen verlaufen ist.

Nachtrag:
Die Aussagen zur Thule-Gesellschaft und einer Reihe ihrer Mitglieder bzw. Sympathisanten sind vor dem Hintergrund der Münchner rechtsextremen Netzwerke problematisch und erklärungsbedürftig.

Entsprechend größeres Gewicht haben z.B. Rosenberg und Eckardt nicht nur bei mir, überschätzt wird die Thule-Gesellschaft im konkreten Einfluss auf Hitler.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dreyfus, Geheime Depeschen aus Berlin : der französische Botschafter François-Poncet und der Nationalsozialismus, 2018. (François-Poncet war 1931-1938 Botschafter in Berlin)

François-Poncet schreibt in der Depesche vom 16. März 1933 (S. 80f.) u.a.
Und S. 82 (16. März 1933):
Bedeutsame Beobachtungen, meine ich,

Ebenso, dass François-Poncet wie andere Diplomaten (Bajohr/Strupp, Fremde Blicke auf das...) mehrfach den 'bolschewistischen' Auftritt der NSDAP erwähnen lange vor der Verständigung zwischen NS-Regime und dem Regime in Moskau, und auch noch nach dem 'Röhm-Putsch'; nicht nur, dass François-Poncet in der Depesche vom 30. März 1933 (S. 90f) davon spricht, dass H.s Diktatur der von Stalin und Mussolini in nichts nachsteht.

Quellenutzung ist sicherlich gut, aber warum denn nicht eine "kritische" Einordnung. Die Wahrnehmung von Hitler, der NS-Bewegung und der politischen Einordnung war noch in der Darstellung François-Poncet von 1946 nicht korrekt. Er nimmt da die Ideologie von Hitler (S. 98) als ein nicht originelles Sammelsurium wahr., u.a. beeinflußt durch Moeller van den Bruck, aber auch durch den italienischen Faschismus und den russischen Kommunismus. Eine kaum haltbare simplifizierte, zeitgebundene und subjektive Beschreibung, die François-Poncet da liefert.

Auf die Beschreibung der NS-Bewegung als "nationalbolschewistisch" verzichtet er in diesem Kontext und Ernst Niekisch wird nicht erwähnt.

Im Kern beshreibt er Hitler als engagierten Mann der Tat, als oberflächlich und als opportunistisch, der die Themen aufgegriffen hat, "sie bilden die Begleitmusik der deutschen Geschichte seit den Tagen von Jena." (François-Poncet, S. 98)

Allerdings sieht François-Poncet Hitler auch in der Kontinuität der Deutschen Geschichte.

Und an diesem Punkt deckt sich die Beschreibung der Kontinuität mit der Wahrnehmung anderer Zeitzeugen (so auf die Schnelle gefunden).

So schreibt der britische Botschafterkollege von François-Poncet Nevile Henderson 1940: "Though but few of the actual leaders of the National-Socialist Party are Prussians by Origin, it is the Prussian ideology, and particularly their methods, which are no less dominant to-day in Germany than they were in 1914 or in 1870." (Henderson, S. 14)

Eine ähnliche Kontinuität sieht Vansittart, der einen Spionagering im Deutschen Reich unterhielt.
"...Hitler had the easiest of all rides to power. The German nation had logically thrown in its lot with him: he was the culmination of a process begun under the Kaiser and continued under Weimar." (S.30) Obwohl Vansittart diesen Befund primär auf die Außenpolitik bezieht, entspricht die Beschreibung seiner allgemeinen, sehr kritischen Sicht auf Deutschland.

Damit will ich auch nur primär sagen, dass auch die Sichten der zeitgenössichen Quellen kitisch eingeschätzt werden sollten und interessanterweise sehen diese eher die historische Kontinuität bis in das 3. Reich, die andreassolar so vehement verneint.

François-Poncet, André (1962, Original 1946)): Botschafter in Berlin. 1931 - 1938. Berlin, Darmstadt, Wien: Deutsche Buchgemeinschaft.
Henderson, Neville (1940): Failure of a mission. Berlin, 1937-1939. London: Hodder & Stoughton.
Vansittart, Robert Gilbert (o,j.): Bones of Contention. London, New York, Melbourne, Sydney: Hutchinson.
 
Irgendwie wurde da wohl etwas falsch verstanden oder gelesen. Das Thema ist die politische Radikalisierung von Hitler bis zum Zeitpunkt von "Mein Kampf", also höchstens bis ca. 1925. Für die Phase danach habe ich überhaupt keine Aussagen gemacht, weil sie unter komplett anderen Prämissen verlaufen ist.
Daran liegt wohl das ganze Problem in dieser Diskussion.
Was ist deiner Meinung nach der Nationalsozialismus?
Nationalsozialismus | bpb
Vertauscht du nicht eine ideologische Strömung mit einer ihr angehörigen Partei?
 
1. Es geht um die Frage in DIESEM Thread der ideologischen Traditionsbestände, die einen sehr großen Teil der Ideologie des Nationalsozialismus bestimmt haben, primär um :
- extremer Nationalismus
- extreme völkische Ideen wie "Volksgemeinschaft" etc.
- extremere Formen des Antisemitismus
- extremer, militanter Revanchismus
- Lebensraummotiv

2. Es geht nicht um die Frage, welche Aspekte der "Modernisierung" in besonderer Weise durch die Ideologie des Nationalsozialismus beantwortet worden sind
- Antworten in Bezug auf eine zukünftige Gesellschaft

Dieser zweite Aspekt verweist darauf, dass nach dem Zusammenbrechen der feudalen Gesellschaftssysteme in Russland, dem DR und in Ö-U neue Antworten gefunden werden mußten, die den Herausforderungen des wirtschaftlichen, des technologischen und des sozialen Wandels gerecht werden können.

Es war vor 1914 eine weit verbreitete Sicht, dass durch einen Krieg der "Modernisierungsstau" des DR gebrochen werden kann, da viele zunehmend die vielfältigen Widersprüche zwischen einer dynamischen Wirtschaftsmacht und einem semi-absolutistischen sozialen bzw. politischen System deutlich spürten.

Der Unterschied zwischen den ideologischen Vorstellungen bei den extrem nationalistischen und völkisch eingestellten Alldeutschen und den Nationalsozialisten waren nicht die eigentlichen Inhalte, sondern die radikale Zuspitzung der Ziele. Die sich dann in einer noch extremeren Wahl der Wahl niederschlug und damit erst den eigentlichen Unterschied bei den Ideologievorstellungen zum Kaiserreich ausmachte.

Allerdings ist auch zu beachten, dass die Bedeutung der Ideologie für viele Anhänger von Hitler nur eine sehr krude Rolle gespielt hatte. Relevant wurden die Ideologiegehalte am stärksten organisatorisch auf der Ebene der SS, wie Ingrao (Hitlers Elite, S. 79ff) oder Wildt (Generation des Unbedingten) es dargestellt haben.

In Bezug auf die generelle Modernisierung fielen die Antworten in den Nachfolgestaaten dieser "verkrusteten" Gesellschaftssysteme nach 1918 mit dem Bolschewismus oder dem Nationalsozialismus unterschiedlich aus. Aber beide Ideologien beanspruchten eine Neuordnung der Gesellschaft.

Und damit verweist die Frage "Was denn der Nationalsozialismus sei" ganz zentral auch auf eine Diskussion über "Modernisierung" oder "Modernisierungstheorien" bzw. die Frage, was den "sozialer Wandel" sei.

Eine Fragestellung, die Bavaj, zusammengefaßt hat. Und durchaus - auch konträr - diskussionswert ist, wie an dem Reader von Prinz und Zitelmann deutlich wird.

Das gehört aber sicherlich in einen anderen Thread und nicht zu den "Traditionsbeständen".

Bavaj, Riccardo (2003): Die Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus. Eine Bilanz der Forschung. München: Oldenbourg.
Prinz, Michael; Zitelmann, Rainer (Hg.) (1991): Nationalsozialismus und Modernisierung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Titel dieses Thread weißt doch darauf hin, dass es um die Kaiser Wilhelms II‘ Einfluss auf den Nationalsozialismus geht. Die ganze Diskussion hierin krankt schon allein daran, dass nicht explizit genannt wird, was unter Nationalsozialismus verstanden wird und wie dieser unter dem Einfluss Wilhelms II (er wird explizit erwähnt, und nicht etwa die Geistesströmung). Also ohne einer Klärung der Begriffe geht hier eigentlich nichts weiter. Allerdings liegt es näher zu untersuchen, inwiefern Wilhelm II direkt Einfluss, bzw. die Strukturdefekte dazu nutzte, den Nationalsozialismus zu ermöglichen. Hierauf wird man bei der Analyse der Literatur dazu kommen, dass die stark obrigkeitsstaatliche politische Kultur nicht förderlich für die Herausbildung eines demokratischen Bewusstseins in einem ungefestigten System war. (Vgl. u.a. (aber hier besonders lesenswert): Karl-Dietrich Erdmann/ Hagen Schulze (Hrsg.): Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie. Eine Bilanz heute, Düsseldorf 1980, S. 23-41).

Ob die Faktoren die du hier aufzählst, alle so „extrem“ waren, muss im Vergleich zu den anderen Nationen untersucht werden. Vielleicht war alles nicht mehr so „extrem“, da etwa Nationalismus und Volksgemeinschaft internationale bzw. europäische Phänomene waren, die jede Nation für sich definieren musste. Generell habe ich aber den Eindruck, dass du (und andere) durch deine Versteifung auf Hitler in der Anfangszeit und die Verteidigung deiner Sozialisationsthese den Überblick ein wenig verloren hast. Die Faktoren die du aufzählst dienen vielleicht der Untersuchung mittels Biographien von NS-Tätern. Aber diese Faktoren waren ja nicht ausschließlich für den Nationalsozialismus verantwortlich. Wie passt denn die Weltwirtschaftskrise zu diesen Faktoren?

Du hast völlig Recht, dass bei der Analyse Adolf Hitler mit einbezogen werden muss! Dazu gehört auch seine Sozialisation, worin auch sein Weltbild entstanden ist (das auch nicht aus dem Nichts entstand). Doch trägt eine einseitige Erklärung Hitlers (und seiner Vasallen) hier, und der eher instrumentellen Nennung Wilhelms II. dort, um konstruktiv die Frage zu beantworten. Der Bezug, das wilhelminische Kaiserreich als prägend für den Nationalsozialismus zu benutzen, widerspricht jeder historischen Vernunft. Denn es reduziert das Kaiserreich zu sehr auf eine zum Scheitern verurteilte politische Ordnung, ohne dass die Entwicklungen in der Gesellschaft berücksichtigt werden (vgl. Hans-Peter Ullmann: Politik im Deutschen Kaiserreich 1871-1918, München 2005; Claudius Torp/ Sven Oliver Müller (Hrsg.): Das deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, Göttingen 2009 (besonders der erste Artikel der beiden Herausgeber)). Der Einfluss Wilhelms auf das Kaiserreich ist auch sehr umstritten, als dass dieser persönlich den „Weg für den Nationalsozialismus frei machte“. (Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849-1914, München 1996, S.1016-1018).

Zunächst mal: Für Antworten auf eine zukünftige Gesellschaft: Stephan Bruendel: Ideen von 1914, Berlin 2003; Jörn Retterath: „Was ist das Volk?“ Volks- und Gemeinschaftskonzepte der politischen Mitte in Deutschland 1917-1924, Berlin 2016.

Mich würde mal die Literatur interessieren, die sagt, dass es eine weit verbreitete Sicht war, durch den Krieg den „Modernisierungsstau“ aufzulösen? Also war er zwangsläufig, um die politischen Schwächen auszumerzen? Weshalb versuchte noch Bethman Hollweg, den Krieg zu verhindern? Verhinderte nicht die starke Stellung des Militärs in der Politik eine friedliche Lösung des Balkan-Konflikts (siehe Schlieffen-Plan)?
 
Widersprichst du dir in deinem Beitrag nicht selbst? Zum einen erwähnst du ja die strukturellen Einflüsse des Kaiserreichs auf den Nationalsozialismus - zusätzlich zu den ausführlichen Analysen hier im Thread - , zum anderen dienen die Biographien und die Sozialisation der Beteiligten als UUnterstützung der genannten Einflüsse.
 
Strukturelle und biographische Methoden schließen sich beide nicht aus. Mein Beitrag zielt darauf ab, dass entgegen Thanepowers Meinung, die Frage dieses Threads nicht darauf abzielt, die Ideologie der NSDAP anhand Hitler festzumachen und dies 1923 beenden kann. Sondern dass es wichtig ist, das Scheitern der Weimarer Republik mit in die Betrachtung zu ziehen. Die Sozialisation ist vielleicht ein Aspekt, aber nicht DER.
 
Interessant, dass dauernd Antworten gegeben werden auf Fragen, die ich nicht gestellt habe. Und dass angeblichen Positionen widersprochen wird, die ich so nicht formuliert habe. Ein Blick in den Verlauf der Diskussion wäre da extrem hilfreich.

Deswegen zur Erinnerung ein Posting, weil wieder von Waldi61 die sinnfreie Frage aufgeworfen wird, ob es von KW II. eine "pfadabhängige Determinierung gibt". Und deswegen ist der Hinweis auf Wehler auch völlig sinnfrei.

Die Fragestellung, auf die wieder hingewiesen wurde, ist in der jetzigen Form unsinnig. Es gibt keinen direkten Pfad, der von einem klassischen "alt-konserativen" "Wilhelminer", also KW II., zu Hitler bzw. zur NS-Ideologie führt.

In diesem Sinne formulierte KW II, nachdem er das Scheitern des "Bierhallen-Putsches" zur Kenntnis genommen hatte, inklusive der Verhaftung von Ludendorff und Hitler: "Na, Gott sei Dank, dann hat diese unsinnige Geschichte wenigstens ihr Ende". (Pölking: Wer war Hitler?; S. 143). Bei Kershaw (Hitler 1889-1945) wird komplett auf die Frage eines Bezuges zwischen KW II. und Hitler (1 Ausnahme, S. 794) verzichtet!

Die Frage des Einflusses des "Wilhelminischen Zeitgeists" auf Hitler - und im engeren Sinne wie es andreassolar vorschlägt auf die Ideologie in "Mein Kampf" - kann man nur konstruktiv beantworten, indem man die Entwicklung der radikalen Rechten im Kaiserreich betrachtet und ihre zunehmende Abgrenzung zum aristokratisch geprägten klassischen konservativen Milieu. Also als Ideengeschichte, aber sicherlich nicht als Interaktion zwischen zwei historischen Akteuren.

Dieses wurde in dem bereits zitierten Thread über die Entwicklung der extremen Rechten thematisiert und auf die Bedeutung der in München entstandenen extremen nationalistischen und völkischen Netzwerke. Auch im Umfeld der Thule-Gesellschaft, in dessen Umfeld sich u.a. die Wege von Röhm und Heß gekreuzt haben.

Relevant auch deshalb, weil Heß bei der Formulierung von "Mein Kampf" sehr intensiv während der Festungshaft zur Seite stand.

Und genau das wurde mit Eley versucht. Die zentralen Elemente der hitler`schen NS-Ideologie wurden in "Mein Kampf" ausformuliert und somit ist vor allem die Zeit davor relevant als ideologischer Stichwortgeber.

Wenn auch nur eine oberflächliche Einsicht in die Evolution der ideologischen Vorstellungen von der alten, konservativen wilhelminischen Rechten, über die radikalere neue wilhelminische nationalistischere Rechte zu den Nationalsozialisten seit 1912 bis 1933 in beiden Aussagen vorhanden ist, erkennt sie dennoch, dass es diesen "roten Faden" gab.

Diesen roten Faden gab es auch deshalb, weil die Abgrenzung beispielsweise der neuen wilhelminischen Rechten auch deshalb zustande kam, weil sie die Mobilisierung der Ressourcen der ganzen Nation, wie deutlich bei Ludendorff, in den Vordergrund stellte. Und daraus als Kritik an den alten Rechten die Unfähigkeit ableitete, die Probleme der Nation angemessen zu lösen.

In diesem Sinne ist eine dialektische Beziehung vorhanden, die sich bei der Formulierung der Ideologien auf der einen Seite auf den Vorläufer bezogen haben, aber ihre ideologische Identität erst durch die Verneinung bzw. Abgrenzung der vorherigen Ideologie erreichen konnte.

Diese Überlegung ist eine zentrale Voraussetzung auf der auch die Nationsozialisten in einer noch radikaleren Form aufbauten und synkretisch und eklektisch bestehende Theorien und Ideologien kanibalisierten. Und in diesem Sinne basiert das NS-Weltbild auf einer Ideologie aber auf keiner, die sich auf ein integriertes Theoriegebäude stützen konnte.

Wie für die praktische Parteiarbeit der "Aktionismus" (deswegen der Verweis auf Pfeffer v. Salomon) präferiert wurde. Die Versuche von Straßer einer programmatischen Fundierung der NS-Bewegung ließ Hitler ins Leere laufen (ca. 1926) und beschränkte sich weiterhin auf die "25 Punkte" von 1920).
 
Zuletzt bearbeitet:
Zusätzlich ist anzumerken, weil Waldi61 auf den Band verwiesen hat, dass er u.a. bei Malinowski hätte fündig werden können.

Bezogen auf die ultra nationalistischen Alldeutschen respektive Vaterlandspartei, denen u.a. Tirpitz bzw. auch Ludendorff nahe stand, formuliert er folgendes:

"The developement of a modern "Führer" discourse, which caused lasting damage to the traditional concept of the monarch, was not a noble invention. It took place in the league [gemeint sind die Alldeutschen] and in other similar organizations, and was largely completed by 1908 [!!!!!!!!!!!!!]. ....He also showed how strongly the bourgeoisie demanded that the monarch change, that he become a modern leadership figure. ...What is important here was the alliance between the lower noblity and middle class groups. These groups were aware of their distance from the monarch , the court and the higher nobility, and they poured theri resentiment into an aggressive, anti-Semitic Ideology of the Führer. This discourse grew steadily up through 1918, after that, of course exploded." (Malinowski; Pos. 3907)

Damit werden zwei Dinge erneut deutlich.
1. Die latente Ablehnung der Monarchie war kein Phänomen, das exklusiv auf der linken Seite des Parteienspektrums angesiedelt war, sondern ebenso im Umfeld der "Vaterlandspartei" propagiert wurde im Kontext der Ludendorff`schen Vorstellungen einer Militärdiktatur. Und auch von einem "Führer"-Ideal als Militär-Diktator getrieben war.
2. Die ideologische Kontinuität aus dem Umfeld der Alldeutschen vor dem WW1 bis in die Phase nach dem WW1 ungebrochen wirksam war, vielmehr sie radikalisierte sich in fast jeder Hinsicht.
3. Diese sozialen Netzwerke trafen in München aus einer Reihe von Gründen nach 1918 auf ideale Bedingungen und ermöglichte die ideologische Radikalisierung in besonderem Maße. Und wirkte auch auf Herrn Hitler.

Malinowski, Stephan (2012): Their favorite enemy: German Social Historians and the Prussian Nobility. In: Sven Oliver Müller und Cornelius Torp (Hg.): Imperial Germany Revisited. Continuing Debates and New Perspectives. New York: Berghahn Books, S. 141–156.
 
Mich würde mal die Literatur interessieren, die sagt, dass es eine weit verbreitete Sicht war, durch den Krieg den „Modernisierungsstau“ aufzulösen?

Diese radikale Sicht war das Ergebnis der vorherigen Bemühungen, durch Reformen eine "Modernisierung" vorzunehmen.

Das Unbehagen an der wilhelminischen Gesellschaft hatte vor 1914 viele Formen des Ausdrucks. Ein Gravitationszentrum des intellektuellen "Vordenkens" war sicherlich Berlin und die Biographie von Rathenau veranschaulicht die Stationen des raschen Wandels seiner Ansichten über Deutschland.

Rathenau, ursprünglich Befürworter der Herrschaft des Adels, begrüßte den Versuch von Bülow, einen moderaten Machtverlust der Junker im Parlament einzuleiten zugunsten des "gehobenen Bürgertums". "Er sah hier eine Chance, den Staat mit dem frischen Blut einer besonders fähigen und besonders engagierten sozialen Schichte zu stärken." In einem Beitrag für den nationalliberalen "Hannoverschen Courier" "sprach er die Hoffnung aus, dass die neue Allianz das bankrotte politische System in Deutschland in die Epoche der Moderne führen könnte." (vg. Volkow, Kap 3, FN 14).

Noch deutlich äußerte er sich in seinem Traktat "Der Kaiser", in dem er konstatierte: "Eine große europäische Familie, jeder mit jedem verwandt, nur die eigene Art achtend, nur ihr vertrauend. ...Nationalität und Glauben werden je nach Bedarf gewechselt. ....Die Geschichte ist eine Reihenfolge inspirierter monarchischer Beschlüsse. ...Die Unzulänglichkeit der einzelnen Personen hemmt die Entwicklung eines ganzen Volkes. Das Ende sind Revolutionen, die nie ohne Schuld der Regierenden entstehen." (Schulin & Rathenau, S. 92)

Diese kritische Sicht auf verkrustete Strukturen trifft man auch in starkem Maße bei den künstlerischen Eliten im DR und auch in Ö-U an.

Nicht zuletzt auch deswegen, weil es vor dem WW1 eine ausgesprochen dichtes intellektuelles Netzwerk in Europa gab, das hochgradig durchlässig war für viele Ideen. Allerdings mit dem Beginn des WW1 auch genauso schnell zerriss und separatem nationalistischem Pathos wich.

Schulin, Ernst; Rathenau, Walther (1980): Gespräche mit Rathenau. München: Dt. Taschenb.-Verl. (dtv, 2922 : Dokumente).
Ṿolḳov, Shulamit (2012): Walther Rathenau. Ein jüdisches Leben in Deutschland 1867 bis 1922. München: Beck.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mich würde mal die Literatur interessieren, die sagt, dass es eine weit verbreitete Sicht war, durch den Krieg den „Modernisierungsstau“ aufzulösen?

Die parallele Haltung einer Aufbruchstimmung und einer pessimistischen anti-Stimmung sind wohl zwei zentrale Aspekte, die die Mentalität der Zeit vor dem WW1 bestimmt haben. Am deutlichsten zusammengefaßt unter der Epoche des "Fin de Siecle". (vgl. beispeilhaft Schorske bzw. Saler)

https://de.wikipedia.org/wiki/Fin_de_Siècle

Diese Welt hat Tuchmann im "stolzen Turm" und auch Blom im "taumelnden Kontinent" sehr anschaulich für die meisten späteren Akteure im WW1 beschrieben.

Neben den vielfältigen politischen Irritationen - wie bei Rathenau bereits kurz angerissen - soll noch auf zwei weitere wichtige Aspekte hingewiesen werden, die auch für diesen Thread relevant sind.

1. Weltpolitik, Einkreisung und Platz an der Sonne beschrieben einige Aspekte, die den imperialen Anspruch des DR deutlich zum Ausdruck brachten. Vor allem von Seiten der extremen nationalistischen Alldeutschen wurde die Forderung formuliert, die ungesicherte semi-hegemoniale Position auf dem Kontinent in eine gesicherte deutsche Hegemonie auszubauen. Inklusive der Vorstellungen über Annektionen im Osten.

Vor diesem Hintergrund war für die Alldeutschen, angetrieben durch eine Reihe radikaler, teils auch militaristischer Schriften (Bernhardi ec.), der zu erwartenden Krieg die zentrale Möglichkeit, die ungeklärte Situation der semi-hegemonialen Position außenpolitisch durch den Einsatz von Waffen zu lösen.

Eine zentrale Idee, die Hitler aufgreifen wird und die bei Hillgruber und Hildebrandt zu zentralen Erklärungsansätzen für die Außenpolitik des zweiten und dritten Deutschen Reichs werden sollten.

https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_von_Bernhardi#Militärliterat

2. Wichtig ist jedoch gleichzeitig das Aufkommen von Jugendorganisationen, wie der Wandervogel (aber auch der "Jungdeutschland-Bund), die einen hohen Grad an romantischer Naturverbundenheit zeigten und gleichzeitig deutlich kritisch dem globalisierten Kapitalismus gegenüber standen. Und damit eine grundsätzlich Kritik an der Moderne verkörperten.

Damit verbunden sind auch teils kriegsverherrlichende Sichten. So schreibt beispeilsweise Hepp: "Thomas Mann begrüßt die Heimsuchung freudig bewegt, nachdem in der Welt des Friedens durch Zersetzungsstoffe der Zivilisation die Luft stickig geworden sei." (ebd. S. 149). Und knüpft dabei sinngemäß bei Lagarde an und wird seine Fortsetzung bei Jüngers` absurder Verklärung der Kriegsgreuel in den "Stahlgewittern" finden.

Diese Form der Jugendkultur war - so Piper - eine spezifisch deutsches Phänomen und setzte sich als "Generationslagerung" (Mannheim) im Nachkriegsdeutschland fort. Ein Aspekt, auf den die NS-Bewegung im starken Maße abhob, da sie sich als "Jugendbewegung" verstand, in Abgrenzung zu den "Honoratioren" der klassischen extremen Rechten.

3. Auf die Vorstellungen der Linken, dass durch den Krieg der Niedergang monarchischer Regime beschleunigt wird, soll nicht weiter eingegangen werden. Entsprechende Gedanken kamen - beispielsweise -auch als Argument gegen einen Krieg gerade auch von konservativer monarchischer Seite in Russland.

Blom, Philipp (2015): Der taumelnde Kontinent. Europa 1900 - 1914. München: Dt. Taschenbuch-Verl.
Hepp, Corona (1992): Avantgarde. Moderne Kunst, Kulturkritik und Reformbewegungen nach der Jahrhundertwende. . München: DTV .
Piper, Ernst (2014): Nacht über Europa. Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs. Berlin: Propyläen.
Schorske, Carl E. (2012): Fin-De-Siecle Vienna. Politics and Culture. New York: Random House US.
Saler, Michael T. (2015): The fin-de-siècle world. London [u.a.]: Routledge
Tuchmann, Barbara W. (1981): Der stolze Turm. Ein Portrait der Welt vor dem Ersten Weltkrieg 1890-1914. München: Knaur
 
Das ist ja alles eine nette Zusammenfassung der Entwicklung der NS-Ideologie bis 1923, aber inwiefern kannst du nun eine vernünftige These bilden, die den Einfluss Wilhelms auf die Machtergreifung des Nationalsozialismus bewertet?
 
Es gibt keine pfadabhängige Determinierung von KW II. auf die Machtergreifung - so der generelle Tenor in der Forschung- von Herrn Hitler. Es wäre auch absurd, eine politische Randfigur aus den zwanziger Jahren als zentralen Faktor heranzuziehen, um die Rahmenbedingungen der Machtergreifung zu erklären. Das habe ich sicherlich jetzt das 3. Mal geschrieben.

KW II. - als Person - ist vom "Wilhelmismus" zu trennen, der wiederum durchaus bedeutsam war. Weil ab ca. 1890 eine "konservative Revolution" im Kaiserreich eingesetzt ist, die teils in Übereinstimmung, teils in radikaler Ablehnung neue politische - nationalistische und völkische - Postionen vertreten hat.

Diese Gruppierung ist noch durch das "monarchische Prinzip", auch als Kult des "Führers" propagiert, geprägt, allerdings ist sie auch gesellschaftlich anders organisiert wie die traditionellen, aristokratischen Eliten, die das Kaiserreich bis dahin getragen haben.Und die Bedeutung dieser in der wilhelminischen Periode aufkommenden radikalen Deutschnationalen als vielfältige Voraussetzung für die NS-Bewegung weiter ausführen.

Es steht ja jedem frei, die Faktoren der Machtergreifung neu aufzugreifen und weiter zu diskutieren. Ich werde mich gerne konstruktiv an einer weiteren Diskussion beteiligen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist tatsächlich schon mehrfach oben so beschrieben.

Die Personalisierung in der Themenstellung wurde doch, soweit ich das übersehen, von Beginn an auf Strukturen bezogen.
Selbst bei der kurzen Abweichung auf eine Diskussion des Antisemitismus Wilhelms ist auf keiner Seite die These vertreten, dass dieser irgendwie kausal auf den des Drittes Reiches hinführt. Vielmehr wurde Wilhelm in den Kontext seiner Zeit, bzw. wesentlicher Schichten des Kaiserreichs gestellt. Das kst hier auch bereits im Forum an anderer Stelle diskutiert worden, etwa im Kontext des aufschäumenden Antisemitismus im Zuge der Gründer- und Wirtschaftskrise ab den 1870ern.
 
Weiss nicht, ob ich mich angesprochen fühlen soll, habe aber den Eindruck, dass es wohl eine Kritik an meiner Sicht sein soll.

Also: Ich habe es anders gelesen, wie explizit bei Waldi61, (vgl. beginnend #4 und wieder explizit in #106), der die Person von KW II. und seine Einstellungen in seinen Beiträgen in den Vorgrund gestellt hat. Es gab auch Beiträge, die strukturelle Aspekte des "Wilhelmismus" aufgriffen, aber war immer gemixt mit der Person von KW II. Insgesamt nie wirklich trennungsscharf in der Analyse.

Das war von Anfang an mein Kritikpunkt und die Forderung, die Person außen vor zu lassen, da sie wenig beiträgt zur Erklärung (glaube #11).

Vor diesem Hintergrund ist KW II. nicht als Person verantwortlich,

Und damit ist der Thread für mich inhaltlich abgeschlossen.
 
Weiss nicht, ob ich mich angesprochen fühlen soll, habe aber den Eindruck, dass es wohl eine Kritik an meiner Sicht sein soll.

Also: Ich habe es anders gelesen, wie explizit bei Waldi61, (vgl. beginnend #4 und wieder explizit in #106), der die Person von KW II. und seine Einstellungen in seinen Beiträgen in den Vorgrund gestellt hat. Es gab auch Beiträge, die strukturelle Aspekte des "Wilhelmismus" aufgriffen, aber war immer gemixt mit der Person von KW II. Insgesamt nie wirklich trennungsscharf in der Analyse.

Das war von Anfang an mein Kritikpunkt und die Forderung, die Person außen vor zu lassen, da sie wenig beiträgt zur Erklärung (glaube #11).



Und damit ist der Thread für mich inhaltlich abgeschlossen.

Das Thema ist auch ziemlich ausdiskutiert, die zentralen Aussagen aus relevanter Literatur und der Forschungsstand ziemlich erschöpfend dargelegt. Trotzdem eine interessante Diskussion mit zahlreichen klugen Beiträgen.
 
Weiss nicht, ob ich mich angesprochen fühlen soll, habe aber den Eindruck, dass es wohl eine Kritik an meiner Sicht sein soll.
Das war von Anfang an mein Kritikpunkt und die Forderung, die Person außen vor zu lassen, da sie wenig beiträgt...

Sorry, wenn ich das unklar ausgedrückt habe. Angesprochen hatte ich waldi, dessen Nachfrage für mich bei dem dargestellten Forschungsstand nicht verständlich war, bzw. der eine Position unterstellte, die überhaupt nicht vertreten worden ist.
 
Teil 1: Es sind viele implizite Annahmen zur Sozialisation von Hitler formuliert worden. Ein Teil davon ist m.E. nicht zutreffend. Aus diesem Grund der Versuch einer theoretischen Einordnung, die einen begrifflicher Rahmen für die analytische Beschreibung der Sozialisation von Hitler ermöglicht.

Der allgemeine Kenntnisstand in der Literatur geht davon aus, dass aufgrund seiner Sozialisation, Hitlers Weltanschauung, seine Werte, seine Moral, bis zum Abfassen von „Mein Kampf in den meisten Facetten fragmentarisch war und letztlich auch danach blieb. Und auch weiterhin widersprüchlich war. Wie man ihm auf der einen Seite eine gewisse Weltoffenheit bescheinigen kann, z.B in der Art der Beschäftigung mit der USA, gleichzeitig war er ein provinzieller und bornierter Spiesbürger, der nicht weit über den Tellerrand seiner kleinbürgerlichen Vorurteile hinausblickte. Und die restliche Welt, mangelns direkter Erfahrung durch Reisen, die er hätte unternehmen können, für ihn empirisch nicht erfahrbar war.

Das nationalsozialistische Weltbild – auch das von Hitler – wie die ihr zugrundeliegende Ideologie war heterogen. Und diese Heterogenität findet sich auch in den Beschreibungen wieder für welche Ziele und Vorstellungen denn Nationalsozialisten eingetreten sind. Das Problem beschreibt Ingrao beispielweise mit „Nationalsozialist sein“ (ebd. S. 79) und ausführlicher nähert sich Mann dem Problem, für welche vielfältigen Vorstellungen der Nationalsozialismus gestanden ist. (vgl. Mann, Fascists)

Mit diesem Befund im Hinterkopf wird deutlich, dass die Erfahrungen aus dem Kaiserreich, dem WW1, der Bürgerkrieg in der Weimarer Republik sich ebenso fragmentiert in den Weltbildern wiederfindet, die als Generation den NS-Staat zum Erfolg verholfen hat. Gleichzeitig kann man diesen Prozess beschreiben und generalisieren, da Hitlers Lebenslauf typisch war für die Generation der Kriegsteilnehmer.

Generell ist es erstaunlich, dass Historiker – in der Regel – keine Anstrengungen unternehmen, ihre Impliziten Annahmen über ihren Gegenstand, zu explizieren. Das wird besonders deutlich bei der Vielzahl an Biographien deutlich, die Narrative verfolgen, deren Prämissen nicht selten im Dunkeln bleiben. Das gilt, soweit ich das beurteilen kann, auch für viele Biographien zu Hitler, die das kollektive Schicksal der Generation und das individuelle nicht in einen konzeptionellen Rahmen bringen, der zentrale Konstrukte der Soziologie oder Sozialpsychologie aufnimmt. Und damit aus dem Bereich des nahezu beliebigen Narrativs herausführen würde.

Es sind zwei zentrale Konstrukte, mit deren Hilfe der Prozess der Sozialisation – auch von Hitler - beschrieben werden kann, zum einen die „Generationslagerung“ von Mannheim und die Vorstellung einer lebenszyklischen Anpassung (vgl. die Beiträge in Diekmann & Weick; Kohli). Beide Modelle erklären einerseits die Stabilität von Glaubenssystemen (Beliefs, vgl. dazu Hedström, S. 72-92) und andererseits den Wandel durch neue lebenszyklische Herausforderungen, wie Heirat, berufliche Karriere etc, und damit zusammenhängender, wandelnder „Rollen“, die der einzelne „spielen“ muss.

Das Konzept der Generationslagerung betont dabei, dass ähnliche Erfahrungen, weil man durch die gleichen Ereignisse beeinflußt worden ist – wie beispielsweise den WW1 - während der politischen Sozialisation ca. im Alter zwischen 15 und 30 Jahren, zu ähnlichen Weltbildern bzw. Glaubenssystemen kommt. Diese können durchaus konträr sein, aber sie beziehen sich aufeinander, so daß kontingente politische Freund- und Feindbeziehungen entstehen. Ein Aspekt, der sich u.a. auch gravierend auf die Ausbildung kollektiver Identitäten in bestimmten Milieus auswirkt (vgl. dazu Emcke). Wie besonders deutlich an den radikalen Sichten – als kollektive Identität - der Mitglieder von „Freikorps“ nach 1918. (vgl. z.B. Sprenger)

Bei Wildt wird explizit auch auf das Generationslagerungs-Konzept von Mannheim verwiesen als – ein - strukturierendes Merkmal der politischen Sozialisation (vgl. Wildt, Einleitung, explizit FN 37 und 38) Insofern ist es ein zentraler Bezugsrahmen, in dem die politische Sozialisation der frühen und späteren NS-Mitglieder beschrieben wird.

Versucht das Konzept der „Generationslagerungs“ zu erklären, warum bestimmte Alterskohorten ähnlich sind in ihren Weltbildern, wird durch die Vorstellung lebenszyklisch bedingter Rollen der teilweise schnell einsetzende Wandel bzw. das Remodellieren von Glaubenssystemen von Individuen bzw. von Gruppen erklärt. Typische Beispiele sind normalerweise die variierenden Rollenmuster im Kontext der Familie bzw. auch im beruflichen Umfeld. Dabei werden einzelne Entscheidungen über die Veränderung im Lebenszyklus, ähnlich einer Weiche bei Bahnen, interpretiert. Da in der Regel mit diesen Entscheidungen gravierend neue Anforderungen an das Verhalten des Individuums einhergehen, sind diese Übergänge geprägt durch dynamische Anpassungsprozesse.

Der eigentliche Prozess der Sozialisation wird seit den Arbeiten von G.H. Mead im wesentlichen als Interaktionsprozess des Individuums mit seiner Umgebung interpretiert (Geulen, S. 115 ff). Die Ausprägung der eigenen „Ich-Identität“ hat Mead als „taking the attitude of the other“ und damit entwickelt sich unser Bewußtsein durch ein ausgeprägtes „role-taking“, bei dem wir die Vorstellungen anderer kennen lernen und sie bewerten. Dieser Prozess des role-taking ist dabei primär sprachlich vermittelt (Mead, S. 299), aber auch durch abstraktere Formen der Kommunikation, wie Bücher oder Zeitschriften etc., die ebenfalls inhaltliche Muster bereitstellen, die im Rahmen des role-taking eingebaut werden können und somit im Rahmen der Interaktion zum Teil des Bewußtsein werden.

Die Anforderungen, sei es individuelle, Gruppenzwänge oder institutionelle Zwänge, treten bei Mead als „generalisierter Anderer“ in Erscheinung (vgl. Habermas, S. 61 ff). Und konfrontieren das Individuum, sich den heterogenen Erwartungen der unterschiedlichsten „generalisierten Anderen“ zu stellen.

Durch diesen Prozess der Anpassung und der Abgrenzung werden die entsprechenden sozialen Milieus geschaffen, die als dominantes oder als subkulturelles Milieu in Gesellschaften zu finden sind. Typische Beispiele wären die wilhelminische Aristokratie, das wilhelminische Bürgertum oder auch die sozialdemokratische Arbeiterschaft.

Die Erkenntnisse, die das Individuum aus der Interaktion sammelt, kristallisieren sich im Zuge des Sozialisationsprozesses aus. In Anlehnung an Rokeach kann man dabei von unterschiedlich zentralen Einstellungselementen im Rahmen des „Glaubenssystems“ eines Individuums sprechen. Zentralere Inhalte definieren in höherem Maße die Indentität des jeweiligen Individuums und spiegeln nicht selten die Bedeutung von ideologisch begründeten Werten wider. Und bilden damit die Summe der kulturellen Werte, in dem sich das Individuum bewegt.
 
Zurück
Oben