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Erstens hat Shinigami korrekt zitiert, wenn man das Zitat in #14 lesen würde.

Zweitens ist das "echt" bei Spengler anders zu verstehen und hat mit "Astronomieimport" nichts zu tun. Das "echt" bezieht sich "also" (wie seine Erläuterungen zeigen) auf die kalendarische Nutzung, auf die Zeiterfassung, auf eine merkwürdige Vorstellung Spenglers über die unterschiedliche Qualitäten eines "Bewusstseins" einer "indischen" Historie.

Ein Zitat, welches das "echt" unterschlägt, kann nicht korrekt sein, egal wie das "echt" zu deuten ist. Hätte Spengler "keine indische Astronomie" gemeint, hätte er das so hingeschrieben. Er hat es aber nicht.

Es bleibt also die Frage, was dieses "echt" bdeutet. Seine Verneinung bedeutet sicher nicht die Nichtexistenz einer indischen Astronomie per se, wie ihr anzunehmen scheint, sondern nur die Nichtexistenz einer "echten" indischen Astronomie. Daraus ist zu folgern, dass es für Spengler durchaus eine "unechte" indische Astronomie gab, wobei er möglicherweise eine durch eine andere Kultur vermittelte Astronomie meinte. Leider wird das im Originaltext nicht geklärt. Zu trennen ist das von der Frage, ob und welchem Maße die Inder - Spengler zufolge - einen Sinn für das Historische hatten. Er streitet das ab. Dass es im alten Indien eine Astronomie gab, muss also nicht automatisch einen altindischen Sinn für das Historische indizieren, falls diese Astronomie "nur" importiert war, was Spengler aber, wie gesagt, leider im Unklaren lässt.

Spengler:

Es gibt keine echte indische Astronomie, keine indischen Kalender, keine Historie also, insofern man darunter den geistigen Niederschlag einer bewussten Entwicklung versteht.


Ich sehe auch nicht, dass sich das "echt" ausschließlich auf die nachfolgend genannten "Kalender" bezieht. Es handelt sich hier um eine Aneinanderreihung: keine echte Astronomie UND keine Kalender. Das "also" bezieht sich dann auf die "Historie": Es gibt keine echte indische Astronomie und keine indischen Kalender, ALSO gibt es keine Historie.
 
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Ein Zitat, welches das "echt" unterschlägt, kann nicht korrekt sein, egal wie das "echt" zu deuten ist. Hätte Spengler "keine indische Astronomie" gemeint, hätte er das so hingeschrieben. Er hat es aber nicht.

Dann schau noch mal in den im Kasten zitierten Teil, dann wirst du sehen, dass ich das "echt" mitnichten unterschlagen habe.
Ich hatte es in meinen weiteren Darlegungen vergessen erneut zu erwähnen, schön. Das akzeptiere ich als persönlichen Fehler.

An der Aussage selbst, ändert es nichts.

Es bleibt also die Frage, was dieses "echt" bdeutet.
Dieses "echt" ist die Hintertüre um berechtigten Widerspruch durch den Verweis darauf, dass etwas nicht "echt" sei abzuqualifizieren und die Deutungshoheit, was denn nun "echte indische Astronomie" sei, bei sich selbst zu monopolisieren. Das ist nichts anderes als ein ziemlich billiger Taschenspielertrick, denn sonstigenfalls hätte er im vorhinein definieren müssen, was "echt" in diesem Zusammenhang bedeuten solle und woran es zu messen sei, was er selbstverständlich nicht getan hat.

Daraus ist zu folgern, dass es für Spengler durchaus eine "unechte" indische Astronomie gab, wobei er möglicherweise eine durch eine andere Kultur vermittelte Astronomie meinte.
Oder vielleicht, was man in antiker Zeit etwa unter "Astronomie" gefasst hätte, heute aber eher "Astrologie" nennen würde?
Da verstehe ich nicht so ganz, wie du hier auf einen Kulturimport kommst, denn das schreibt er nirgendwo. Auf welcher Basis wirfst du mir hier also Interpretationsfehler vor?

Leider wird das im Originaltext nicht geklärt.

Was zwei Schlüsse zulässt:

Entweder die Interpretation dieses "echt", als Hintertür für eine argumentative Salami-Taktik ist richtig, dann ist die Aussage im Hinblick auf die Astronomie noch immer falsch (im Hinblick auf die Kalender wirst du meine Interpretation kaum anfechten können, denn da stand nie ein "echt").

Dann wäre das unwissenschaftlich weil die weitere Betrachtung auf Murks basierite.

Oder aber es ist nicht herauszufinden, was er mit diesem "echt" meinte, dann ist das eine persönlich subjektive Kategorie und unwissenschaftlich, weil er Aussagen und Schlussfolgerungen mit Absicht auf eine Basis stellt, die mangels Klarheit der Aussage nicht falsifizierbar ist.


Ich sehe auch nicht, dass sich das "echt" ausschließlich auf die nachfolgende genannten "Kalender" bezieht.
Es handelt sich hier um eine Aneinanderreihung: keine echte Astronomie UND keine Kalender.
Aber freilich nur dann, wenn man die deutsche Grammatik verbiegt.
Da steht :
"keine echte indische Astronomie, keine indischen Kalender"

Würde sich dies auch auf die Kalender beziehen, würde man zwecks Eindeutigkeit erwarten, dass da stünde:

"Es gibt weder eine echte indische Astronomie noch echte indische Kalender"

Steht da aber nicht.


Das "also" bezieht sich dann auf die "Historie": Es gibt keine echte indische Astronomie und keine indischen Kalender, ALSO gibt es keine Historie.

Was in dieser Interpretation, allerdings selbst wenn wir deine Auslegung mal annehmen würden noch immer Bullshit wäre. Oder gibt es auch keine japanische Historie, weil Japan ende des 19. Jahrhunderts mal den westlichen Kalender adaptiert hat und es somit keine "echte" japanische Zeitrechnung mehr gibt?
Im Falle dieser Interpretation, müsste er im Übrigen auch dem Abendland eine "echte" abendländische Astronomie und eigene Geschichtlichkeit absprechen, denn bereits griechischerseits wurde das ja einiges aus Mesopotamien adaptiert:
Geschichte der Astronomie – Wikipedia




Ne, wesentlich wahrscheinlicher ist im Kontext des Zusammenhangs, das auf Zeitrechnung an und für sich abgestellt wird, denn im Gegensatz zu vorhergegangener verquerer Interpretation wäre das tatsächlich ein Hinweis auf Bewustsein für die Vergangenheit und damit die Grundlage aller hypothetischen und realen Geschichtlichkeit. Für diese Auslegung widerrum wäre das "echt" gänzlich irellevant, dann sind wir wieder bei der Salami-taktik und dem Versuch willkürlicher Monopolisierung der Deutungshoheit, was denn echt sei, entweder um berechtigten Widerspruch abzuwürgen oder sich generell der Überprüfbarkeit zu entziehen.
Beides ist nach wissenschaftliche Gesichtspunkten nicht haltbar, weswegen es für das Ergebnis der Bewertung seiner Methoden im Punkto Sinnhaftigkeit keinen Unterschied macht, welches von beiden nun zutrifft.
 
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– Harari, Yuval Noah: Eine kurze Geschichte der Menschheit
Mit Harari tue ich mich schwer. Ich habe ihn gerade erst angefangen. Manchmal habe ich den Eindruck, er will es Altmeister Mommsen nachmachen und mit einer Geschichtsdarstellung den Literaturnobelpreis bekommen, manchmal finde ich ihn witzig, manchmal populistisch (witzig und populistisch mögen sich dabei gegenseitig bedingen) und manchmal schlichtweg problematisch. Z.b. wenn er den HSS als Schafe mit Panzern und Raketen beschreibt und eine psychologische Disposition zum Genozid unterstellt. Klar, er ist selber HSS und das ist somit auch „selbstkritisch“, aber ein wenig ist das schon an den Haaren herbei gezogen. Aber ich bin noch ziemlich am Anfang, insofern kann sich mein Bild von ihm noch entwickeln.
 
Bin gespannt was Du sagst wenn Du das Buch fertig hast. (Kleine Geschichte der Menschheit)
..
Manche Interpretation mag ja ungewöhnlich sein....
Etwa, dass nicht etwa der Mensch das Getreide domestiziert habe, sondern es umgekehrt gewesen sein müsse.
Schließlich prosperierte ja zunächst lange das Getreide weit mehr als der Mensch durch die Einführung der Landwirtschaft.
Das ist witzig, denn es verdreht den Spiegel in die Gegenrichtung der nahe liegenden Betrachtung.
Er macht das auch im Hinblick auf die Deutungsmöglichkeit der Entwicklung von Diskursen. Denn auch hier stellt sich die analoge Frage, ob der Mensch über seine Gedanken herrscht, oder diese über ihn.

Als Leser kann man daran Freude haben, sofern man solche Spiegeleien als anregend und bereichernd empfindet.

Interessant ist auch die beschriebene Einzigartigkeit flexible Organisationen großer Gruppen schaffen zu können.
( Während ja der Affe etwa flexibel organisieren kann, jedoch dies nur ein kleinen Gruppen,
Insekten jedoch riesige Gruppen bei nur geringer Flexibilität.)
Merkenswert fand ich auch die fundierte Beschreibung der unglaublichen Entwicklung der reinen Biomasse des Homo Sapiens inkl. seiner Domestikationen.
 
Aus dem Buch von Harari habe ich viel lernen können, dabei meine ich weniger historisches Wissen, denn die Kurze Geschichte der Menschheit scheint mir da am stärksten, wo es weniger um Geschichte geht als um das, was den Menschen an sich ausmacht.

Ich würde gern wissen, ob Hararis Gedanken über die menschliche Sprache unter Soziologen oder Anthropologen oder sonstwo längst Standard ist, oder eigentlich eine Selbstverständlichkeit, über die ich nur noch nicht nachgedacht habe: etwa, dass sie den Menschen dazu befähigt, Fiktives (Götter oder Werte oder abstrakte Prinzipien, oder auch „Peugeot“) für wirklich zu halten, und warum jeder von uns sein Leben von solchen Fiktionen bestimmen lässt.

Die eigentlich historischen Ausführungen scheinen mir schon auch lesenswert, aber doch weniger ergiebig. Warum ist es nun eigentlich zur wissenschaftlichen Revolution im Westen gekommen, und hat denn die Wissenschaft zur westlichen Dominanz vor Mitte des 19. Jahrhunderts so sehr beigetragen, die Dampfmaschine wurde ja wohl nicht in einem Forschungsinstitut erfunden? Und war die Bildung von Kolonialreichen wirklich so wichtig für den wissenschaftlichen Fortschritt? Harari erwähnt Cook, auf dessen Reisen beides zusammenkam, aber der Fall Humboldts liegt ja wohl schon wieder anders.

Die Abschlusskapitel finde ich dann wieder furios.
 
Ich lese die deutsche ÜS von Harari und da kommt eine (fiktionale) Hundertjährige aus Dresden vor. Da habe ich mich gefragt, ob Harari tatsächlich DD als Bsp. gewählt hat, oder ob der Übersetzer diese Anpassung übernommen hat, um das Sich-Hinein-Versetzen der deutschen Leser zu erleichtern. Da ich nicht hinreichend Hebräisch kann, kann ich ins Hebräische Buch nicht hereinschauen, aber in der englischen Fassung ist es witziger Weise nicht Dresden, sondern Berlin....

Consider a resident in Berlin, born in 1900 and living to the ripe age of one hundred. She spent her childhood in the Hohenzollern empire of Wilhelm II, her adult years in the Weimar Republic, the Nazi Third Reich and the Communist East Germany, and she died a citizen of a democratic and reunified Germany.

Nehmen wir zum Beispiel eine Einwohnerin der Stadt Dresden, die im Jahr 1900 zur Welt kam und das stattliche Alter von 100 Jahren erreichte, ohne die Stadt zu verlassen. Ihre Kindheit verbrachte sie im Kaiserreich Wilhelms II. und ihr Erwachsenenalter in der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus und der kommunistischen DDR, um schließlich im wiedervereinigten und demokratischen Deutschland zu sterben.​
 
Würde da nicht die Regel der lectio difficilior für Dresden sprechen?
(Berlin ist wegen Westberlin ja auch nicht so passend).
 
Die deutsche Übersetzung ist keine DirektÜS aus dem Hebräischen, sondern aus dem Englischen. Ich hatte mich nur gewundert, dass der israelische Historiker ein deutsches Beispiel nimmt, erwartete dann gewissermaßen, dass da etwas über das Erlebnis der Nächte vom 13. - 15. Februar 1945 käme, was aber nicht kam, da es ihm ja auch nur um die im genetischen programm angelegte Anpassungsfähigkeit der Menschen geht: Seine fiktionale Dresdnerin/Berlinerin hat in fünf verschiedenen Systemen gelebt, etwas, was nur der Homo Sapiens könne und was ihn von allen anderen Tierarten (auch des Neandertalers) unterscheide. Ich habe mich an dieser Stelle also gefragt: Hat hier der Übersetzer eine deutsche Stadt gewählt, um sich dem deutschen Leser mit seinem historischen Voriwssen anzudienen oder hat bereits Harari hier eine deutsche Stadt gewählt? Offenbar hat Harari hier bereits eine deutsche Stadt gewählt, nur eben nicht DD sondern B.
De lectio dificilior gilt ja vor allem bei der Einordnung von Quellen in ein Stemma. Ausgehend von der Tendednz beim Abschreiben grammatikalische oder semantische Unklarheiten zu glätten, wird angenommen, das schwerer verständliche Textzeugen ältere Fassungen sind bzw. auf ältere Fassungen auf eines Textes zurückgehen, als leichter verständliche Textzeugen. Das greift hier nicht so recht.
 
Ich hatte mich nur gewundert, dass der israelische Historiker ein deutsches Beispiel nimmt [...]

Das scheint von vornherein übersetzerische Freiheit bereits bei der Übertragung ins Englische zu sein. Da man heutzutage mitunter sehr einfach, wenn auch nicht unbedingt legal, an Bücher herankommt – in dem Fall ein Scan, weshalb ich denke, dass der Text zuverlässig ist; leider aber ohne OCR: so dass eine Volltextsuche nicht funktioniert –, habe ich auf deine Anregung hin, diese Stelle mit der Hebräischen Fassung verglichen und dieses Beispiel kommt dort so gar nicht vor. Ich zitiere den ganzen Absatz, damit klar wird, dass es sich überhaupt um diesselbe Stelle handelt. In dem Absatz davor geht es auch um das nicht vorhandene »Zölibats-Gen« und im darauffolgendem um ein Eins gegen Eins, was der Neandertaler gegen Homo Sapiens für sich entschieden hätte. Meine Übersetzung ist etwas holprig, dafür aber einigermaßen wortwörtlich.

לכן בעוד דפוסי ההתנהגות של בני אדם קדמונים נשארו קבועים במשך מאות אלפי שנים, דפוסי ההתנהגות של הומו סאפיינס אחרי המהפכה הלשונית יכלו להשתנות בצורה מרחיקת לכת בתוך שנים ספורות. אפשר לשנות מהיום למחר את הסדר המדומיין של הכנסייה הקולית, של חברת פיג'ו או של שבט לקטים-ציידים, בלי שום צורך לשנות את הדנ״א של הנוצרים, של עובדי חברת פיג'ו או של בני השבט.

Während also die Verhaltensmuster der Urmenschen für hundertausende Jahre feststehend blieben, konnten sich die Verhaltensmuster des Homo Sapiens nach der sprachlichen Revolution innerhalb weniger Jahre auf weitgehende Weise ändern. Von heute auf morgen kann sich die imaginierte Ordnung der katholischen Kirche, des Peugeot-Unternehmens oder eines Stammes von Jägern und Sammlern ändern, ohne dass sich die DNA der Christen, der Peugeot-Arbeiter oder der Stammesangehörigen notwendigerweise ändert..
Harari, Y. N., (2011). Qiṣṣur toldot ha-ʾenošut. ʾOr Yehuda: Dvir. S. 43.​

Ich habe Harari nicht gelesen (da sind noch stapelweise andere Bücher, die ich leider nicht zu lesen schaffe), sondern nur das Inhaltsverzeichnis kurz überflogen, interessant finde ich an diesem Aschnitt noch, dass schon die englische Übersetzung »hundertausende Jahre« (meʾot alfei šanim) zu »tens of thousands of years« emendiert und ham-mahpeka hal-lešonit, wörtlich »die sprachliche Revolution«, das ganze Buch über als »the cognitive revolution« wiedergegeben wird. Ansonsten lässt der Abschnitt die zuvor im Buch genannten Beispiele noch einmal kurz Revue passieren, während die Übersetzung Anpassungen ohne genetische Veränderung an einem noch pointierteren Beispiel darstellt.
 
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