Unterschiede zwischen West- und dem heutigen Ostdeutschland vor 45

Clemens64

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Ich habe mal eine ziemlich allgemeine Frage, die aber einen konkreten Anlass hat:

Seit einiger Zeit verfassen Wirtschaftswissenschaftler empirische Studien zu den langfristigen Effekten des DDR-Sozialismus auf das ökonomische Verhalten (etwa Fuchs-Schündeln und Masella (2016), long-lasting effects of socialist education, in Review of Economics and Statistics). Jetzt wurde diese Literatur durch einen Artikel in einer international sehr angesehenen Zeitschrift in Zweifel gezogen (Becker, Mergele, Wössmann, The Separation and Reunification of Germany: Rethinking a Natural Experiment Interpretation of the Enduring Effects of Communism, in Journal of Economic Persectives 2020).

Das Hauptargument ist, dass sich das heutige Ostdeutschland schon in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von Westdeutschland deutlich unterschied. Beispiele: Der Anteil von abhängig Beschäftigten an den Erwerbstätigen war im Osten deutlich höher; linke Parteien (SPD, USPD, Kommunisten) schnitten in Wahlen stärker ab; im Osten ging man seltener in die Kirche (worüber es wohl belastbare Daten gibt).
Haben Becker u.a. recht?

Ich hatte bisher die Vorstellung, dass die sozioökonomische Trennlinie in Deutschland in etwa an der Elbe lag, nämlich zwischen lange nachwirkender Grund- und Gutsherrschaft. Dann wären Sachsen und Thüringen, der eigentliche Schwerpunkt der späteren DDR, eher dem Westen Deutschlands zuzurechnen.
 
Ich meine die Elbe als sozialökonomische Trennlinie zwischen Ost und West zu nehmen, eignet sich nun überhaupt nicht.
Als Trennlinie eventuell die nach 1945 entstandene Line – Oder/Neiße.
Die Werra würde ich auch nicht nehmen.

Wenn man den Flussverlauf der Elbe sich ansieht, wundert man sich darüber und sicher nicht nur ich.

Aussagefähig wird das Ganze wenn man die Länder der Bundesrepublik als Ausgangspunkt nimmt, und zwar die Länder wie wir sie 1945 auch im Osten hatten.

Die Elbe fließt ja, wenn wir mal von 1945/1949 ausgehen:

· Von Tschechien kommend durch das BL Sachsen und dann ins BL Sachsen-Anhalt (beide Länder DDR),
· Dann auf westlicher Seite (BRD) durch das BL Niedersachsen
· Dann wieder (DDR) durch das BL Brandenburg und BL Mecklenburg-Vorpommern
· Dann wieder BRD durch das BL Schleswig-Holstein und Endstadion BL Hamburg.
Anmerkung: von 1945 bis 1949 Sowjetzone mit Länder. Dann ab 1949 DDR bis 1990 Bezirke.

Nimmt man also die Länder, so stellt man sehr schnell fest:

· Ausgeprägte Industriestrukturen (vor allem Verarbeitungsindustrie - Maschinenbau, Fahrzeugbau etc.) findet man im BL Sachsen, BL Thüringen und BL Sachsen-Anhalt. Teilweise auch im BL Brandenburg.
· Landwirtschaftliche Strukturen findet man im BL Mecklenburg-Vorpommer und Teilweise im BL Brandenburg.

Die Grundstoffindustrie war ja vor allem im Ruhrgebiet angesiedelt.

Deswegen auch die FDJ - Aktion der DDR „Max braucht Wasser“ in Unterwellenborn/Thüringen (1948/1949). Die Maxhütte war ja der einzige Roheisenproduzent der DDR.

Stahl- und Walzwerke waren ja ein paar vorhanden (Riesa, Freital usw.).

Und Verarbeitungsindustrie war zu Hauf da. Verarbeitungsindustrie bis ins kleinste Dorf von Sachsen und auch Thüringen. Ich selbst lernte im Dorf Erlau bei Mittweida im Drehbankbau Werkzeugmaschinen - Schlosser (ehemalige Niles - Werke mit Stammsitz Chemnitz.).

So eine Kleinstadt wie Mittweida/Mittelsachsen hatte 1946 laut Volkszählung 22.794 Einwohner. Die überwiegende arbeitsfähige Bevölkerung arbeite in einheimischer Industrie, einige wenige im Umfeld. Mittweida hatte damals so um die 20ig Industrieunternehmen incl. auch Großunternemen mit mehr als 10.000 Beschäftigten (Arbeiter kamen da aus umliegenden Ortschaften).

Nach 1990 war ja dann Schluss mit der Industrie.

Dann trat ja das ein was ich mal 1950 herum einen älteren Bekannten (SPD Mann) fragte.
Ich fragte damals, was ist wenn wir die deutsche Einheit wieder erlangen?
Ganz einfach so seine Antwort, da haben wir alles doppelt und dreifach und der schwächere wird weichen müssen-
 
Zuletzt bearbeitet:
Grundsätzlich würde ich behaupten, dass sich die verschiedenen Regionen Deutschlands immer voneinander unterschieden haben. "Deutschland" und die "Deutschen" sind ja letztlich mehrere unterschiedliche Volksstämme, die sich über Jahrhunderte "zusammengelebt" haben. Bayern, Sachsen, Preußen, Hessen, Friesen usw. - alle haben ihre eigene Geschichte, Kultur, Bräuche, Traditionen, Trachten usw. Und je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht und damit Mobilität und Kommunikationstechnologie simpler werden, umso stärker treten gewisse Unterschiede hervor.

Bismarck hat in seinen Memoiren sich beklagt, dass es schwierig sei, die Deutschen sich als "Deutsche" verhalten zu lassen, aber dass sie sofort treu zu ihrer Region wären, wenn es darauf ankäme.
Im Buch "70/71" von Klaus-Jürgen Bremm wird beschrieben, dass im Krieg 1870/1871 die deutschen Soldaten aus den unterschiedlichsten Teilen des Landes sich mitunter nur schwer verständigen konnten aufgrund der unterschiedlichen Lokal-Dialekte.
Und im Buch "The shortest history of Germany" von James Hawes wird ein Unterschied zwischen den westlichen und östlichen Teilen Deutschlands als Konstante seit der römischen Zeit vor 2000 Jahren beschrieben. Ein interessantes Beispiel aus dem Buch ist, dass der Osten Deutschlands schon im 19. Jahrhundert eine Region war, aus der eher abgewandert als dorthin zugewandert wurde - nur dass damals die hohe Geburtenrate trotzdem zu einer Bevölkerungsvermehrung führte, was heute nicht (mehr) der Fall ist.

Wenn man das alles zusammennimmt, gab es also "schon immer" Unterschiede zwischen Ost und West wie auch zwischen Nord und Süd. Dies kann man an einzelnen Faktoren festmachen, wie z.B. dem wirtschaftlichen Verhalten. Kritisch sehe ich persönlich es, wenn man diese Faktoren dann zum alleinigen Grund für diese Unterschiede erklärt. Am Beispiel der "Abwanderung aus dem Osten" kann man das erkennen: Wenn schon im 19. Jahrhundert eine Wanderungsbewegung von Ost nach West stattfand, kann weder die DDR des 20. Jahrhunderts noch die Nach-Wende-Zeit dafür eine Erklärung sein.
 
Ich meine die Elbe als sozialökonomische Trennlinie zwischen Ost und West zu nehmen, eignet sich nun überhaupt nicht.
Den Begriff Ostelbien hat auch Max Weber benutzt. Natürlich ist die Elbe nur eine ungefähre Grenze. In Ostelbien war noch bis ins frühe 20. Jahrhundert die adelige Gutsherrschaft wichtig und das Verarbeitende Gewerbe schwach: ein rückständiges Gebiet. Sachsen und Thüringen gehörte dazu nicht, ich würde auch vermuten, dass es aus diesen Gebieten netto keine Abwanderung gab.
Berlin ist natürlich ein Sonderfall.
 
Ich kann mich nur wiederholen.
Einen Fluss der Quer durch die Ostländer fließt würde ich da nicht verwenden.

Wenn Elbe würde ich fragen am Beispiel Sachsen, und was ist mit West-Sachsen (Raum Leipzig, Chemnitz usw?
Das gleiche mit den anderen Ostländern wo die Elbe lang fließt. Und Thüringen läge ja dann bei dieser Betrachtungsweis vollständig im Westen.

Eher Ländergrenzen, die treffen das Anliegen wohl besser.

Abwanderung...
Was meinen Sie damit?

Falls es sich um nach 1990 handelt da gabs Abwanderungen mit teilweiser Massenerscheinung.

· Menschen die von Montag bis Freitag in den alten BL Arbeit gefunden hatte.

· Menschen die mit der Familie in die alten BL zogen.

· Und es gab auch Menschen die Deutschland Verliesen.

Ich nehme mal als ein Beispiel die Mittelsächsische Stadt Mittweida.

1946 = 22.794

1990 = 17.287

2018 = 14.645.

Die Differenz sind nicht nur Sterbefälle, sondern regelrechter Wegzug.
Unberücksichtigt sind bei diesen Werten diejenigen die nur über die Arbeitswoche abwesend waren/sind.

Wer Sonntags und auch am Montags auf der Autobahn Richtung Ost nach West unterwegs war, wird mir dies sicher bestätigen. Hat sich aber inzwischen etwas entspannt.
Retour dann Freitags/Sonnabends.
Bundesbahn dabei unberücksichtigt.
 
Meine Vermutung, dass es in Sachsen und Thüringen keine große Abwanderung gab, bezog sich natürlich auf die Zeit vor 1945.
 
Man müsste sich das eben mal ganz genau ansehen auf dem 1., 2. und 3. Sektor.
Einerseits haben wir mit der Magdeburger Börde das fruchtbarste Gebiet auf deutschem Boden, andererseits mit dem Sandkasten Berlin-Brandenburg Gebiete, in denen Landwirtschaft eher mau ist.
Dann Bodenschätze: Das Erzgebirge und der Harz stechen da wohl heraus, und natürlich die Lausitz mit der Braunkohle, Kalibergbau in Sachsen-Anhalt (aber westelbisch).
Berlin-Potsdam noch als Verwaltugszentren.
 
Vor 1945!
Da habe ich ja was völlig falsch verstanden.

Das wäre ja dann auch eine ganz andere Sichtweite, denn da zählte ja Schlesien, Pommern, Ostpreußen usw. noch zu Deutschland.
 
Vor 1945!
Da habe ich ja was völlig falsch verstanden.

Das wäre ja dann auch eine ganz andere Sichtweite, denn da zählte ja Schlesien, Pommern, Ostpreußen usw. noch zu Deutschland.

Die Frage ist ja, inwieweit bei dem im Eingangsbeitrag genannten Beitrag die fürdermals deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze überhaupt berücksichtigt wurden/werden sollten:

Jetzt wurde diese Literatur durch einen Artikel in einer international sehr angesehenen Zeitschrift in Zweifel gezogen (Becker, Mergele, Wössmann, The Separation and Reunification of Germany: Rethinking a Natural Experiment Interpretation of the Enduring Effects of Communism, in Journal of Economic Persectives 2020).

Das Hauptargument ist, dass sich das heutige Ostdeutschland schon in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von Westdeutschland deutlich unterschied.

Wobei natürlich auch in einer "international sehr angesehenen Zeitschrift" schräge Thesen stehen können (dies ist weder ein Angriff auf die Zeitschrift noch auf die These, sondern eine wertneutrale Feststellung).
 
Den Begriff Ostelbien hat auch Max Weber benutzt. Natürlich ist die Elbe nur eine ungefähre Grenze. In Ostelbien war noch bis ins frühe 20. Jahrhundert die adelige Gutsherrschaft wichtig und das Verarbeitende Gewerbe schwach: ein rückständiges Gebiet. Sachsen und Thüringen gehörte dazu nicht, ich würde auch vermuten, dass es aus diesen Gebieten netto keine Abwanderung gab.
Berlin ist natürlich ein Sonderfall.

Den Begriff "Ostelbien" kann man schon verwenden, man muss aber klarstellen, dass es sich dabei nur um eine grobe Einteilung in "Ost" und "West" handelt. Besser wäre es natürlich, wenn man genau erklärt, welche Gebiete gemeint sind - das "heutige Ostdeutschland", was ja zu Beginn des 20. Jahrhunderts "Mitteldeutschland" hieß (was sich ja noch heute im lokalen ÖR-Sender namens MDR - Mitteldeutscher Rundfunk - zeigt) oder die ehemaligen deutschen Gebiete im damaligen Osten, also Pommern, Schlesien, Ost- und Westpreußen.

Ich kann mich ansonsten nur wiederholen: alle Regionen Deutschlands haben Eigenheiten und unterscheiden sich in vielen Dingen zu allen Zeiten. Ich würde die heutigen ostdeutschen Länder da nicht besonders hervorheben. Auch im "alten Westen" gibt es zwischen Ländern wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Bezug auf Bayern und Baden-Württemberg große Unterschiede.
 
Vielleicht nochmal kurz: Man hat den Eindruck und kann wohl auch empirisch zeigen, dass sich Ostdeutsche im Schnitt heute aus sozioökonomischer Perspektive etwas anders verhalten als Westdeutsche. Das dürfte halt mit den 40 Jahren Trennung zu tun haben, aber vielleicht gab es schon vorher Differenzen? Die geringere Häufigkeit von Gottesdienstbesuchen schon in der ersten Jahrunderthälfte finde ich schon erstaunlich.
Es geht da gar nicht so sehr um Produktivitätsunterschiede zwischen West und Ost, die waren, wenn zwischen den kleinteiligeren Regionen gemittelt wird, nicht groß, sondern eher um Einstellungen und Verhaltensmuster der Leute.
(Die ehemaligen Ostgebiete sollen da ausser Betracht bleiben.)
 
Die geringere Häufigkeit von Gottesdienstbesuchen schon in der ersten Jahrunderthälfte finde ich schon erstaunlich.

Hier dürften konfessionelle Gründe anzuführen sein: wenn man mal vom Eichsfeld absieht, das sowohl gegenüber dem Nationalsozialismus als auch gegenüber der DDR sich im Vergleich zu anderen Gegenden renitent verhielt, so war dies doch die einzig tiefkatholische Gegend, wohingegen der Rest des späteren DDR-Gebietes eher protestantisch geprägt war. Der Katholik "braucht" seinen Priester. Für den Protestanten gilt sola fide, sola gratia, sola scriptura ('nur durch glauben, (göttliche) Gnade und die (Heilige) Schrift' kann er zum Seelenheil gelangen. Im Prinzip kann jeder sein eigener Priester sein). Der Katholik hat ein freudvolleres Leben, er kann sündigen, Hauptsache, er bereut. Beichte, Pilgerfahrt, Fürbitten und Absolution. Sepiola wird mich für die Leichtfertigkeit, mit der ich das hinschreibe gleich sicher auf den Topf setzen ;)
 
Ja, ja das Eichsfeld.
Die haben auch eine eigene Hymne!
Stammt von Hermann Iseke. Entstanden um 1900.
Hat 6 Strophen und es gibt sogar zwei Melodien dazu.

Einmal „O alte Burschenherrlichkeit“ und zum anderen „Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd“ (Reiterlied F. v. Schiller „Wallensteins Lager“).

Das Eichsfeld hatte auch in der DDR/Bezirk Erfurt einen Sonderstatus. Ein Teil gehört ja zum BL Hessen. - Duderstadt

Nach der Wende hatten wir dann als Nachfolger von B. Vogel (CDU) den Skifahrer aus dem Eichsfeld.
Dann auch Willibald Böck/Innenminister. Ihm verdanken wir die Initiative dass bei uns B. Vogel (CDU) MP wurde (Abwahl von Josef Duchač).

Gegenwärtig sitzt im Landtag von der CDU Herr Dr. König (Direktmandat) Wahlkreis 1 aus dem Eichsfeld I., Frau C. Tasch, Wahlkreis 2 aus dem Eichsfeld II und Herr S. Schard Kyffhäuserkreis I / Eichsfeld III.

Es war kein Zufall dass der Papst Benedikt XVI bei seinem Erfurt Besuch zu einer Vesper ins Eichsfeld fuhr (Wallfahrtskirche in Etzelsbach).

Im Eichsfeld war dort auch Heinrich Heine, Theodor Storm u.v.a. eine Zeitlang.

Und zum Schluss noch eine Episode aus Zeiten der DDR – wie so manches lief... :cool:

Der verantwortliche für Straßenbau aus Leinefelde zwackte in der Bauzeit des „Ballastes der Republik“ in Berlin Material für ein Schulungsheim in Reifenstein/Eichsfeld ab. Dort war ich oft.

"Ballastes" - kein Schreibfehler, sächsisch! Wegen ihrer Aussprache durften die auch nicht darein. :)
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, Katholiken gehen häufiger zum Gottesdienst als Protestanten. Ich glaube mich aber zu erinnern, dass eine Karte deutliche Unterschiede zwischen protestantischen west- und ostdeutschen Gebieten zeigt, habe die Quelle jetzt allerdings nicht griffbereit.
Vielleicht spielt eine Rolle, dass sich in den beiden großen Herrschaftsbereichen Preußen und Königreich Sachsen die Konfession des Souveräns von der Mehrheit der Untertanen lange Zeit unterschied.
 
Becker, Mergele, Wössmann, The Separation and Reunification of Germany: Rethinking a Natural Experiment Interpretation of the Enduring Effects of Communism, in Journal of Economic Persectives 2020

Hilfreich für die Diskussion ist, sich einmal Tabelle 3 in Becker u.a. anzusehen (problemlos zugänglich im Web). Sie listen dort die unterschiedlichen Befunde zu den Unterschieden tabellarisch auf.

Dass es zwischen evangelischen und katholischen Regionen vielfältige Unterschiede und mit unterschiedlichen Anteil an Arbeitern gab, wurde in der "Cleavage-Theorie" im Rahmen der Politischen Soziologie systematisch zusammengefaßt. Und hat die entsprechenden sozialen Milieus geprägt.

Das hat zumindest historisch Teile im Osten - wie Sachsen oder Thüringen - geprägt, die einen hohen Anteil an Arbeitern mit evangelischer Konfession hatten.

Diese Unterschiede zwischen Ost und West in einzelnen sozialstrukturellen Merkmalen und der damit verbundenen Parteienpräferenz war eine der zentralen "Verschwörungstheorien" in der BRD, die erklären sollte, warum Adenauer die Vereinigung zwar gewollt hat, aber sie praktisch nicht vorangetrieben hat. Die Begründung war, dass durch die "roten Arbeiterhochburgen" im Osten, die katholisch geprägten Sozialmilieus im Westen quantitativ reduzieren und die CDU keine sicheren Mehrheiten mehr finden würde.
 
Ich hatte bisher die Vorstellung, dass die sozioökonomische Trennlinie in Deutschland in etwa an der Elbe lag, nämlich zwischen lange nachwirkender Grund- und Gutsherrschaft. Dann wären Sachsen und Thüringen, der eigentliche Schwerpunkt der späteren DDR, eher dem Westen Deutschlands zuzurechnen.

Wahrscheinlich alles eine Frage des Standpunktes:
Historisch kann man Sachsen und Thüringen genauso gut oder vielleicht sogar besser dem Süden Deutschlands zurechnen, wenn man schon irgendwo partout halbe-halbe machen möchte. .

Die Elbe als soziökonomische Trennlinie hat m. E. eine Bedeutung vor allem für das historische Preußen. Der Begriff "Ostelbien" kennzeichnete in diesem Zusammenhang die Trennlinie zwischen politisch wie wirtschaftlich eher modernem westlichen Teil des Gesamtstaats und dem rückständigen Junkerland östlich der Elbe. Weiter verstärkt und verfestigt wurde das sicherlich noch durch die neuen Grenzen, die Napoleon zog, indem er Preußen auf ebenjenes Ostelbien beschnitt und preußische Gebiete westlich der Elbe in den modernen Musterstaat Westfalen integrierte.
Sachsen und Thüringen waren bei dem Begriff "Ostelbien" m. W. stets außen vor. Holstein und die Mecklenburgs höchstwahrscheinlich ebenso, wobei die womöglich ebenfalls "ostelbische" Züge getragen haben mögen.

Das Hauptargument ist, dass sich das heutige Ostdeutschland schon in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von Westdeutschland deutlich unterschied. Beispiele: Der Anteil von abhängig Beschäftigten an den Erwerbstätigen war im Osten deutlich höher; linke Parteien (SPD, USPD, Kommunisten) schnitten in Wahlen stärker ab; im Osten ging man seltener in die Kirche (worüber es wohl belastbare Daten gibt).
Könnte das regional bedingt sein? Mehr abhängig Beschäftigte, stärkere Arbeiterparteien, weniger Kirchgang in den moderneren und stärker industrialisierten Ländern "im Süden des Ostens" ((Schlesien), Sachsen, Thüringen). Größerer Fortzug aus dem "Norden des Ostens" (Preußens inkl. Pommern und Posen) in eben jene Industriegebiete im Raum (Schlesien), Sachsen, Thüringen bzw. ins Ruhrgebiet?) Push- und Pull-Faktoren für Migration dürften damals nicht so fürchterlich anders gewesen sein wie damals (Amerika!) oder heute (Amerika! Europa! Dubai!). It's the economy, ...
 
Wahrscheinlich alles eine Frage des Standpunktes:
Historisch kann man Sachsen und Thüringen genauso gut oder vielleicht sogar besser dem Süden Deutschlands zurechnen, wenn man schon irgendwo partout halbe-halbe machen möchte. .

Das ist der zentrale methodische Kritikpunkt. Die Fragestellung engt bereits das Ergebnis ein. Sinnvoller wäre es gewesen, nach Ähnlichkeiten oder Unterschieden zu suchen.

Ein methodisch sinnvolles Vorgehen wäre gewesen, die einzelnen Bundesländer über statistische Kennzahlen zu beschreiben und dann nach Ähnlichkeiten klassifizieren zu lassen. Das kann Merkmalsbezogen durch Faktorenanalysen, konfirmatorische Faktorenanalyse, MDS etc. vorgenommen werden. Oder man läßt Einheiten klassifizieren wie beispielsweise durch Cluster-Analysen.

Die geringen Fallzahlen könnten dabei ein Problem sein, aber man könnte auf Landkreise oder Wahlkreise gehen und sich der Datenbasis anpassen, die auch Falter u.a. benutzt haben.

Im Ergebnis würden man Ähnlichkeiten und Unterschiede sehen können, die auch mit der geogrphischen Lage zu tun haben, aber nicht haben müssen.
 
Das ist der zentrale methodische Kritikpunkt.
Genau da bin ich mir noch nicht sicher. Natürlich gab es vor 1949 keine feste, irgendwann quasi unüberwindliche Grenze zwischen den verschiedenen deutschen Landesteilen, aber die These geht ja davon aus, dass die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland nach 1990 nicht allein auf den Zeitraum 1945 - 1990 zurückgehen, sondern bereits vorher angelegt waren.
Du hast natürlich recht: Bayern war 1949 eines der ärmeren Bundesländer, heute ist es eines der prosperierendsten.
 
Genau da bin ich mir noch nicht sicher.

Es geht um das methodische Design. Zunächst hatte ich die Frage aufgeworfen, ob die Bipolarität zwischen Ost und West nicht bereits der Ausgangspunkt für ein Methodenartefakt sein kann. Es ist durchaus möglich dass sich empirisch andere Ergebnisse zur Ähnlichkeit und zum Unterschied finden lassen.

Das zweite methodische Problem betrifft die Querschnittanalyse. Es wäre notwendig, Daten zu mindestens drei Zeitpunkten zu haben, die vor 1933, die um 1945 und um 1990 erhoben worden sind.

Damit hätte man einen "natürlichen" Ausgangspunkt als "Nullmessung". Man hat mit 1945 die strukturellen Eingriffe des NS-Staates in die Gesellschaft und die Wirtschaft und mit 1990 die Entwicklung in der BRD und der DDR.

Da die Untersuchung eine Art von experimentellem Design unterstellt wäre zudem die Frage zu diskutieren, inwiefern eine Kontrollgruppe denkbar wäre. Das ist allerdings dann eine sehr akademische Betrachtung, da sie real nicht zu realisieren wäre.

Das war meine methodische Kritik an der verengenden Fragestellung.
 
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