Artillerie auf Kriegsschiffen

Curiosus

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Hallo Forumsfreunde,
wieder mal eine Frage für die Experten. Wem waren die Geschützbedienungen an Bord eines Kriegsschiffes zugeordnet? Den Matrosen, den Soldaten, oder bildeten sie eine eigene Gruppe für sich?
Meine eigene Recherche hat mich bis jetzt nicht weiter gebracht.
 
Apvar, Neddy oder Galeotto sind sicherlich die beste Adresse, um kompetent dazu etwas zu sagen.

Geschichte der Schiffsartillerie zu Zeiten der Segelschiffe

Ich greife mal ihnen vor und versuche in paar Basisinfos zu geben. Die Matrosen waren auf den Marinen der damaligen Zeit in der Regel "Söldner", die mehr oder minder freiwillig, wie ihre Pendants an Land, in der Kriegsmarine ihren Dienst taten. In Kriegszeiten mit einem hohen Mannschaftsverlust nahm der Prozentsatz an "gepressten" Matrosen deutlich zu.

Die Matrosen waren auch gleichzeitig für die Takelage und die Geschütze zuständig und wurden jeden Tag durch einen sehr harten Drill an die Bedienung herangeführt. Ein vollausgebildeter Kriegsschiffmatrose hatte eine mehrjährige Drill-Ausbildung hinter sich.

Entsprechend der Anzahl der Matrosen auf einem Schiff (70-80 Kanonen-Linienschiff) hatte es eine Besatzung von ca. 680 bis 780 Mann, die zum Wohnen, Exerzieren und Schlafen über die vorhandenen Decks verteilt worden sind. In diesem Sinne schliefen die Matrosen vor Erfindung/Einführung der Hängematte zwischen den Kanonen auf den "Planken". Die Breite des einzelnen Schlapfplatzes für jeden Matrosen auf den einzelnen Decks (ca. 250 bis 350 Matrosen) betruf ca. 25 bis 35 cm.

Die Matrosen schliefen an den Kanonen und waren gleichzeitig die Geschützbedienung. Kontingente an "Seesoldaten" wurden dafür nicht herangezogen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich meine im Besonderen die spanische Marine am Ende des 16. Jahrhunderts
Da fehlt tatsächlich @Bdaian.:(
Grundsätzlich kann man sagen:
Je früher desto stärker
a) die Trennung nach Seeleuten (Segeln des schwimmbaren Untersatzes) einerseits und Soldaten (Durchführung der eigentlichen Kampfhandlungen) andererseits; und
b) die sicherlich auch noch aus dem Spätmittelalter/Renaissance nachhallende weitergehende Separation der Artilleristen als eigenständige (und, so munkelt man, der Nähe zur Hexerei geziehene) und auch von den Feld-Wald- und Wiesensoldaten abgeschiedene Berufsgruppe/Zunft.

Des Weiteren habe ich - allerdings in erster Linie aus der teilchauvinistischen britisken Sekundär- und Romanliteratur! - abgespeichert, dass grundsätzlich die Trennung zwischen Soldaten (richtigen Ofifizieren (Gentlemen)) und Seeleuten (notwendiges Übel zu Transportzwecken (Fuhrleute/Handwerker - sozial niedrig gestellt)) in den Staaten der iberischen Halbinsel wesentlich (noch) stärker ausgeprägt war als im europäischen Norden. Das kann aber durchaus lediglich auf einer steilen These von von C. S. Forester beruhen und bei den Limeys sah das bis tief ins 17. Jh. nicht wirklich anders aus.


Als eine meiner berüchtigten Analogien, aus bummelich 200 Jahre später:
Harbron, John D., Trafalgar and the Spanisch Navy, London 1988, p. 90f. führt Tabellen über die Zusammensetzung der Besatzungen verschiedener Schiffsklassen auf.

Zusammengefasst von mir: Für ein Linienschiff mit 74 Geschützen gibt er die folgenden Zahlen an (official complements) an:
Insgesamt: 510
Davon:
1. "Naval Personnel" [Seeleute]: 360; und
2. "Military Personnel" [Soldaten]: 150

In 2 sind neben 112 Marineinfanteristen 38 "Artillerymen" (Artilleristen) enthalten; und
In 1 sind enthalten:
1 a) 15 "Master Gunners" (Artilleros de Preferencia); und
1 b) 80 "Gunners" (Artilleros de Mar).

Das ist natürlich weit außerhalb Deiner Zeit. Da Marinen allerdings konservativ sind, hast Du für Deine Zwecke hier vielleicht schon eine Art Worst Case - das Verhältnis zwischen Seeleuten und Soldaten dürfte um 1600 vergleichbar oder ggf. noch stärker zu Gunsten der Stoppelhopser ausfallen.

Was ich hierbei bemerkenswert finde:
1. Das gesamte Besatzungssoll des 74ers ist fast um 150 geringer, als das eines britischen Schiffes vergleichbarer Größe. Dieses wiederum hatte ein etwas geringeres Gesamtsoll als ein Franzose. Das KANN den entsprechend unterschiedlichen zu bewegenden Massen der Bestückung der Schiffe geschuldet gewesen sein:
Franzosen führten als Hauptartillerie in der Regel 36-Pfünder (kontinentales Pfund);
Briten 32-Pfünder (ihres Kipper- und Wipper-Leichtpfundes);
Spanier womöglich lediglich 24 Pfünder (hier bin ich nicht sicher - im Mittel führten sie leichtere Artillerie als die Konkurrenz, um die Schiffsrümpfe zu schonen.)

Man kann sich aber andererseits auch nur den Gegebenheiten gefügt haben: Wo es keine ausreichende Anzahl professioneller Seeleute zu holen gibt, braucht man gar nicht erst eine entsprechende Forderung stellen. (Hatte ich an dieser Stelle schon @Bdaian vermisst?).

2. Die Fachartilleristen waren tatsächlich noch in Marineartilleristen (Seeleute) und Artilleristen (Soldaten) unterstellt. Es würde mich schwer wundern, wenn es da nicht noch zu ständigen Reibereien bezüglich fachlicher und vor allem truppendienstlicher Unterstellung geführt hätte.

3. Rechnerisch kamen damit auf ein Geschütz:
3.1: 0,2 Mastergunner;
3.2: 1 Gunner; und
3.3: 0,5 Artilleristen.

Damit dürften die Mastergunner dem britisken quarter gunner entsprochen haben, die für eine Gruppe von Geschützen zuständig waren, die Gunner waren die Geschützführer (jedes Geschütz hat seinen eigenen Geschützführer) und die Artilleristen als stellvertretende Geschützführer im Wechsel (man hatte in der Regel nur ca. 1 bis 1,5 Geschützbedieungen für jedes Geschützpaar.
Hier spekuliere ich aber - es kann genauso gut sein, dass die Artilleristen für Oberdecksgeschütze und anderen leichen Plünkram zuständig waren - quasi Feldartillerie zur See und die Gunners für die eigentliche Schiffsartillerie.

Bei Interesse kann ich die ganze Tabelle mal einscannen. Harbron beruft sich bei seinen Zahlen auf
Mühlmann, Rolf, Die Reorganisation der Spanischen Kriegsmarine im 18. Jahrhundert, Köln 1976.


Vielleicht als zeitlich näherer, aber nicht wirklich wissenschaftlicher Lesetipp auch:
Schrott, Raoul: Eine Geschichte des Windes Oder Von dem deutschen Kanonier, der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal
Das ist auch (mindestens die erste Reise) spanische Seefahrt, allerdings etwas zu früh (1. Hälfte des 16. Jh:) - vielleicht ergeben sich hier dennoch Anknüpfpunkte für Dich. Der Protagonist selbst scheint belegt und einigermaßen gut dokumentiert zu sein. Ich hatte das mal Buch angelesen und in der Zeit waren die Kanoniere eben noch gefragte, aber auch mit gewissem Mißtrauen beäugte Spezialisten (Alchimisten)....
 
Des Weiteren habe ich - allerdings in erster Linie aus der teilchauvinistischen britisken Sekundär- und Romanliteratur! - abgespeichert, dass grundsätzlich die Trennung zwischen Soldaten (richtigen Ofifizieren (Gentlemen)) und Seeleuten (notwendiges Übel zu Transportzwecken (Fuhrleute/Handwerker - sozial niedrig gestellt)) in den Staaten der iberischen Halbinsel wesentlich (noch) stärker ausgeprägt war als im europäischen Norden. Das kann aber durchaus lediglich auf einer steilen These von von C. S. Forester beruhen und bei den Limeys sah das bis tief ins 17. Jh. nicht wirklich anders aus.
Schaut man Errol Flynn-Filme, dann ist er fast stets der englische Edelmann/Freibeuter/Pirat, wohingegen die Spanier stets die Bösen sind, egal, ob er die reale Figur Francis Drake darstellt oder einen fiktiven Charakter.
 
Nun ja, die Artillerie unterstand i.d. R, dem Feuerwerker, der in der Marine den Rang eines Decksoffiziers hatte .Das waren aus den Mannschaften aufgestiegene Spezialisten vergleichbar den Geschützmeistern der Städte.
Die dürften also für die endgültige Ausrichtung und Munitionierung der Geschütze zuständig gewesen sein .Das eigentliche Laden und Feuern besorgten dann die Matrosen.
Das dürfte, wenn man die im Jahre 1533 von Kaiser Karl V. erlassene Feuerwerkerordnung zugrunde legt, auch für die spanische Marine gegolten haben.
 
Wem waren die Geschützbedienungen an Bord eines Kriegsschiffes zugeordnet?
Ich gehe davon aus, dass Ende des 16. Jahrhunderts auf spanischen Schiffen vor allem Absolventen der Artillerieschulen an die Kanonen gelassen wurden.
Producing Skills for an Empire: Theory and Practice in the Seville School of Gunners during the Golden Age of the Carrera de India, Brice Cossart
Abstract:
Through the case study of the school of gunners created in Seville in 1576, this article aims to shed light on the emergence of teaching practices which were not only essential to the development of seaborne empires but also allow us to question the relationship between technology and science in the late Renaissance. The Seville school of gunners was established by the Spanish monarchy in the last quarter of the sixteenth century with the purpose of providing the Carrera de Indias—the transatlantic fleets—with technicians capable of using cannons. Changing the scale of apprenticeship, every year this innovative institution trained dozens of seamen, soldiers, and craftsmen in the art of gunnery. Intertwining theoretical lessons and training sessions on a practice ground, the teaching program was completed by a formal "examination" of the candidates with questions. The study of this school, one of many which existed not only in the territories of the Spanish monarchy but also in England and in Venice, reveals how, at the dawn of the "scientific revolution," skills of technicians could progressively merge with more formalized knowledge.

Brice Cossart hat einige Artikel zu diesem Thema publiziert Brice Cossart | Universidad Pablo de Olavide - Academia.edu

und auch
Las escuelas de artilleria en los siglos XVI y XVII, Mª Isabel Vicente Maroto

weitere Literatur:
Spain's Men of the Sea: The Daily Life of Crews on the Indies Fleets in the Sixteenth Century, Pablo E. Pérez–Mallaína

La vida cotidiana en los viajes ultramarinos, Alfredo Moreno Cebrian
Seite 113
 
Bei so einer gründlichen theoretischen und praktischen Schulung der spanischen Kanoniere verwundert es schon, dass sie in Gravelines so jämmerlich versagt haben. Schließlich war es nicht nur die mangelnde Beweglichkeit der Schiffe der Armada, die zur Niederlage führte, sondern auch die Feuer (geschwindigkeit?) von teilweise 2-3 Schüssen pro Tag.
Bei diesem Licht betrachtet ist es dann auch nicht überraschend, dass den Engländern die Munition ausging, aber nicht den Spaniern.
 
Also, wenn ich die Zusammenfassung, die Naresuan gepostet hat, für mich übersetze, lese ich zwar Seeleute, neben einigen anderen Berufen. Nur Seeleute sagt leider nicht viel aus. Es kann ein einfacher Matrose sein, unwahrscheinlich auf einer Artillerieschule oder ein adliger Seeoffizier. Und dutzende klingt viel. Wenn ich aber das ganze Spanische Weltreich sehe, komme ich mit Dutzenden akademischen Artilleristen nicht aus.

Zur Feuergeschwindigkeit der Spanier muss man wissen, das damals auf den spanischen Schiffen ein wildes Sammelsurium an Geschützen war, die Batterien wild gemischt. Die Folge war das es etliche Kaliber auf den Schiffen gab, also etliche Kugelgrößen und unterschiedliche Pulvermengen benötigt wurden. Die Engländer hatten spätestens unter Elisabeth I mit den neuen schnelleren Galleonen die Artillerie Standardisiert.
 
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Bei so einer gründlichen theoretischen und praktischen Schulung der spanischen Kanoniere verwundert es schon, dass sie in Gravelines so jämmerlich versagt haben.
Das lag aber nicht an den Kanonieren sondern mehr an den Kanonen und an der Taktik, wie diese eingesetzt werden sollen.
Die spanischen Kanonen waren auf einem hohen Wagen mit zwei breiten Rädern und einem langen starren Hinterteil wie bei ein Feldgeschütz montiert; Vor dem Kampf wurde es geladen, vorbereitet, ausgefahren und von der Mannschaft an der Schiffswand festgemacht. Danach gingen die Matrosen zu ihren Bordstationen oder in die Takelage, von wo aus sie ihre Arkebusen abfeuern würden. Die spanische Taktik bestand darin, neben den Gegner zu fahren, zu schießen und ihn dann im Rauch zu entern. Deshalb hatte die Armada so viele Soldaten.

Ausserdem war das ja eine Invasionsflotte und entsprechend voll mit Material, so dass den Kanonieren kaum Platz zum Laden oder überhaupt sich zu bewegen blieb.

Aus: Battle of Britain by Patrick O'Brian in einer Review und Zusammenfassung von 6 Armada-Büchern.Patrick O’Brian · Battle of Britain · LRB 7 July 1988
Darunter vor allem auch: The Spanish Armada, Colin Martin and Geoffrey Parker, 1988.
 
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Und dutzende klingt viel. Wenn ich aber das ganze Spanische Weltreich sehe, komme ich mit Dutzenden akademischen Artilleristen nicht aus.
"Dozens of" kann im englischen auch einfach "sehr viele" heissen, ausserdem hatte man von 1576 bis 1588 natürlich genügend Zeit etliche Dutzend auszubilden.

So heisst es z.B. im von mir verlinkten Bericht von Isabel Vicente Maroto:
Am 6. März 1592 begann der Unterricht an der Artillerieschule in Sevilla mit den vierundsiebzig Schülern, die sich bis zu diesem Zeitpunkt eingeschrieben hatten, darunter zweiundzwanzig Tischler, elf Maurer, drei Schnitzer, drei Monteure, drei Schlosser, drei Pulverbauer, zwei Steinmetze, zwei Bildhauer, ein Soldat, ein Schuster, ein Buchdrucker und der Rest ohne bekannten Beruf.

Hier noch ein weiterer interessanter Link zu 1588 (ganz unten bei Waffen- und Munitionstechnik): Der Pirat, der Mathematiker und der Feuerwerker - BDFWT
 
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Dieser thread ist speziell auf die Anfänge der Schiffsartellerie ausgerichtet.

Dazu kann ich wenig beitragen.

OT kann ich beitragen, als Zeitzeuge (Kind von 7 Jahren) die Feuerkraft der deutschen Kriegsmarine im März 1945 in der Festung Kolberg miterlebt zu haben.

Es wurde tagelang Sperrfeuer in die Linien der angreifenden Roten Armee und ihrer polnischen Verbündeten gelegt, was ua. zur Folge hatte, daß das Dachgeschoß des Hauss meines einen Großvaters von ein oder zwei 28cm-Schiffsgranaten regelrecht weggefetzt wurde.

Diese Schiffsgeschütze hatten eine gewaltige Feuerkraft und trugen dazu bei, den Vormarsch Konjews/Schukows auf Kolberg so zu verzögern, daß tausende Flüchtlinge in der Festung über See gerettet werden konnten, so auch Großmutter, Mutter, Bruder und ich.
 
Noch ein paar zusammengefasste Zusatzinformationen aus verschiedenen Quellen zur Stellung der Kanoniere auf spanischen Schiffen:
Die Heuer für Kanoniere war im 16. Jh. einen Viertel bis die Hälfte höher als für die Matrosen, etwas weniger als für die Bootsleute. Anfangs des 16. Jh. noch Lombarderos, später Artilleros, genannt waren das Seeleute mit Spezialausbildung geführt von einem Condestable (Maat).
Der Anteil Ausländer lag zuerst sehr hoch bei 30% (Deutsche, Flamen und Italiener), doch das änderte sich gegen Ende des Jh. deutlich.
Während der Ausbildung mussten die Aspiranten das Pulver und die Munition für die Übungen selber bezahlen.
1595 erhielten die Kanoniere vom König erhebliche Privilegien, wie z.B. dass sie Waffen tragen durften oder dass ihr Lohn und Hausrat bei Verschuldung nicht gepfändet werden konnte. Erst 1606 erhielten die Matrosen ähnliche Privilegien.
55% der Kanoniere konnten mit ihrem Namen unterschreiben, 44% waren es bei den Bootsleuten und bei den Matrosen 21%.
Anfangs gab es ungefähr einen Kanonier pro 2 Kanonen, gegen Ende des 17. Jh. war das Verhältnis bereits 2-3 Kanoniere pro Kanone.
So hatte das Schiff "Nuestra Señora de Guadalupe y San Antonio" (gebaut 1702) bereits 125 Kanoniere für ihre 50 Kanonen und nur 49 Matrosen. Ihre Kanoniere durften 25 Einheiten Tabak aus der Karibik mit nach Hause nehmen, die Matrosen nur 10.
Das sind doch einige Hinweise darauf, dass die Kanoniere auf einem spanischen Schiff im 16. Jh. eine eigene, etwas besser gestellte Gruppe bildeten. Ihre Rolle änderte sich aber im Lauf der Zeit vom reinen Geschützmeister zur eigentlichen Geschützmannschaft.
 
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