Notwendigkeit der NSDAP-Mitgliedschaft bei Beamten?

voll-vonFragen

Neues Mitglied
Guten Tag,

ich bin neu hier im Forum. Deshalb seid bitte nachsichtig, wenn ich Eure Umgangsformen noch nicht beherrsche.

Ich habe keine Geschichte studiert und bin auch keine Hobby-Geschichtswissenschaftlerin, daher habt bitte Verständnis für eventuelle Wissenslücken.

Weshalb ich mich an Euch wende, ist, weil ich meine eigene Familiengeschichte besser verstehen möchte: Inwieweit ist mir die Wahrheit erzählt worden?

Jetzt ganz konkret meine Fragen:
Was wären die Risiken von Beamten im höheren Dienst gewesen, wenn sie nicht Mitglied der NSDAP geworden wären?:
lediglich Karriereknick, Entlassung aus dem Beamtendienst oder aber Gefährdung von Leib und Leben, eventuell sogar der Familie?
Ab welchem Jahr im 3. Reich wurde es für Beamte im höheren Dienst gefährlich, nicht in die NSDAP einzutreten?

Danke im Voraus
 
Mein Großvater war Lehrer. Als Kriegsversehrter aus dem Ersten Weltkrieg war er - laut Aussagen meiner Mutter - Pazifist (er ist 20 Jahre vor meiner Geburt verstorben). Er ist nie in den NSLB (Nationalsozialistischer Lehrerbund) eingetreten und während der NS-Zeit daher auf der Karriereleiter nicht aufgestiegen (hat sein Neffe nachrecherchiert, stimmt). Dass er irgendwie unter Verfolgungsdruck gestanden hätte, ist mir nicht bekannt. Allerdings war sein Schwager, also der Bruder meiner Großmutter Parteimitglied (und später dann in der CDU).

Was den Eintritt in die Partei anging: der war gar nicht immer möglich. Als Reaktion auf die vielen „Märzgefallenen“ wurde im April 1933 ein Aufnahmestopp in die NSDAP verhängt. Man musste in die ihr angegliederten Verbände, wie den NSLB oder den Reichsbund der deutschen Beamten eintreten, wenn man Karriere machen wollte (oder eben eine andere Parteinahme Gliederung), aber wenn man in diese nicht eintrat, würde man nicht automatisch verfolgt.

Ob man nun aus Überzeugung oder Opportunismus Parteimitglied bzw. Parteigliederungsmitglied wurde, muss im Einzelfall betrachtet werden. Das war Teil der „Gleichschaltung“. Allerdings war auch in der DDR und in der Bundesrepublik ein Parteibuch durchaus lange noch hilfreich, wenn man als Beamter auf der Karriereleiter bestimmte Höhen erreichen wollte (wobei man in der Bundesrepublik nur für die allerhöchsten Weihen des Beamtentums ein Parteibuch benötigte, nicht für die normale Karriereleiter).
 
Ab welchem Jahr im 3. Reich wurde es für Beamte im höheren Dienst gefährlich, nicht in die NSDAP einzutreten?
Gefährlich wohl für keine Person in höherer Beamtenlaufbahn. Aus der Erinnerung heraus bin ich mir ziemlich sicher, dass entsprechende Absicherungen auch durch Beitritt bzw. Engagement in den zahlreichen Partei-Nebengliederungen /-Angliederungen möglich waren. Der Beitritt war möglich, ohne in die Partei selber eintreten zu müssen. Und die Partei selber legte phasenweise über Jahre hin keinen Wert auf Karriere-Beitritte.

Entsprechend bilde ich mir ein, dass - in gewissen Bereichen - die höhere Beamtenlaufbahn auch ohne Parteimitgliedschaft möglich war, vielleicht auch abhängig von den Vorgesetzten, Verwandten mit Partei-Mitgliedschaft (siehe EQ), der Behörde selber, wahrscheinlich auch abhängig, in welchem Jahr man in den höheren Beamtendienst eintrat (schon vor 1933, oder erst danach bzw. in den späteren Jahren des Nationalsozialismus).
 
Betrachtet man das Auswärtige Amt dann halten die Autoren u.a. fest (S. 158ff):

1. Die Zugehörigkeit zur NSDAP war kein Indikator für eine klare politische Haltung

2. Es war möglich, ohne Parteizugehörigkeit innerhalb des Amtes Karriere zu machen. Dennoch erleichterte die Parteizugehörigkeit die Karriere, da man Zugang zu den NS-Netzwerken hatte.

3. Von den 120 höheren Beamten gehörten 1940 71 der NSDAP an (S. 159)

4. Es wurde aktiv versucht, den Anteil langjähriger SS-Mitglieder für das Amt zu gewinnen, mit mäßigem Erfolg.

5. Es gab eine massive Konkurrenzsituation zwischen der "SS-Fraktion" und den Angehörigen der SA.


Conze, Eckart; Frei, Norbert; Hayes, Peter; Zimmermann, Moshe (2010): Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. 3. Aufl. München: Blessing.
 
Schon einmal danke für die ersten Antworten.
Ich finde Eure Rückmeldungen sehr interessant: So hatte ich beispielsweise vorher noch nie von den Märzgefallenen gehört, und ebenso wenig davon, dass es zeitenweise sogar schwer war, in die NSDAP einzutreten.
Ich bin gespannt, was ich sonst noch Neues lesen werde.
 
In Hitlers Kabinett gab es bis 1937 mehrere parteilose Minister.
Am 30. Januer 1937 wollte Hitler allen Kabinettsmitgliedern das goldene NSDAP-Parteiabzeichen verleihen.
Paul von Eltz-Rübenach (Reichsminister für Post und Verkehr) verweigerte den Parteieintritt und trat zurück.
 
In Hitlers Kabinett gab es bis 1937 mehrere parteilose Minister.
Am 30. Januer 1937 wollte Hitler allen Kabinettsmitgliedern das goldene NSDAP-Parteiabzeichen verleihen.
Paul von Eltz-Rübenach (Reichsminister für Post und Verkehr) verweigerte den Parteieintritt und trat zurück.

Falls die Angaben der Wikipedia richtig sind, muß man wohl sagen, dass er "zurückgetreten wurde". Die Zurückweisung des goldenen Parteiabzeichens geschah lt. Wiki aus Ablehnung gegen Übergriffe gegen die katholische Kirche, wenige Jahre zuvor hatte er allerdings keine Bedenken gehabt, Juden aus einflußreichen Positionen in der Wirtschaft zu drängen.

Paul von Eltz-Rübenach – Wikipedia
 
Ich finde Eure Rückmeldungen sehr interessant: So hatte ich beispielsweise vorher noch nie von den Märzgefallenen gehört, und ebenso wenig davon, dass es zeitenweise sogar schwer war, in die NSDAP einzutreten.
Ich bin gespannt, was ich sonst noch Neues lesen werde.

Ab 2. Mai 1933 bis 1939 und wieder ab 1942 bis Kriegsende waren Parteibeitritte für einen Großteil der deutschen Einwohner schwer möglich aufgrund einer weitgehenden Beitrittssperre.

Quelle: Evelyn Otto, Beitritte und Mitgliederstruktur in Zeiten der Aufnahmesperre; in: Falter (Hrsg.), Junge Kämpfer, alte Opportunisten. Die Mitglieder der NSDAP 1919-1945, Frankfurt/M 2016, S. 245-269, S. 245.

Das Millionenheer der Märzgefallenen (1933) hatte eine langjährige, recht weitgehende Schließung der Partei nach sich gezogen. Und gleiches eben wiederum ab 1942 bis zum Regimeende 1945, was weniger bekannt ist/war.
Die Partei sollte in der Intension von H. eben keine Massen- bzw. Volkspartei werden bzw. sein. Für die Masse gab es die zahllosen parteinahen/parteiabhängigen Organisationen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Falls die Angaben der Wikipedia richtig sind, muß man wohl sagen, dass er "zurückgetreten wurde".

Eltz-Rübenach soll es so geschildert haben:

„Der Führer ging dann um den Tisch und überreichte den Herren das Abzeichen. Als er zu mir kam, sagte ich: ‚Mein Führer, ich habe Ihnen unlängst ... alle meine Sorgen und Nöte wegen der Angriffe der Partei gegen die christlichen Konfessionen vorgetragen. Der Druck hat sich in der Zwischenzeit nur noch vermehrt.‘ Der Führer, mich unterbrechend: ‚Was wollen Sie damit sagen?‘ Ich: ‚Wenn ich nun in die Partei eintreten soll, so bitte ich, mir zu bestätigen, daß Sie den Kampf, den gewisse Parteistellen gegen die Kirchen und ihre Einrichtungen führen, nicht gutheißen.‘ Der Führer: ‚Ich kann die Überreichung dieses Ehrenzeichens nicht an Bedingungen knüpfen.‘ Ich: ‚Dann bitte ich um meine Entlassung.‘“

Die neue Ordnung
 
Das Millionenheer der Märzgefallenen (1933) hatte eine langjährige, recht weitgehende Schließung der Partei nach sich gezogen. Und gleiches eben wiederum ab 1942 bis zum Regimeende 1945, was weniger bekannt ist/war.

Um es zu präzisieren. Für die Struktur der Mitgliedschaft in der NSDAP ist zu beachten, dass es einen Brutto-Zugang gab, dem zu unterschiedlichen Perioden teilweise ein bemerkenswerte Bereitschaft auch zum Austritt bzw. Wiedereintritt gegenüberstand.

Nach der Phase der Schließung der Partei bis 1937 ("Millionenheer" der - als stark ironisierter Sprachgebrauch - "Märzgefallenen" = 1,7 Mio) erfolgte eine Öffnung. Die Brutto-Eintritte (vgl. Falter, S. 83) erhöhten sich von 1937 bis 1942 deutlich. In dieser Phase legte die Summe der Parteimitglieder zu, von 5,6 Mio auf 8,4 Mio. in 1942.

Nach 1942 bis Kriegsende erfolgte eine erneute Schließung (Falter, S. 89ff) der NSDAP. Gleichzeitig veränderte sich die Struktur, vor allem bei den Neumitgliedern, es wurde bei den zugelassenen Neueintritten auf Mitgliedschaft in der HJ bzw. dem BDM Wert gelegt. Das erhöhte den niedrigen Anteil an Frauen in der NSDAP leicht.

Michael Kater (The Nazi Party) spricht in diesem Zusammenhang von einer schleichenden Geriatrisierung der Partei, deutlich erkennbar in den Spitzengliederungen der NSDAP.

Falter, Jürgen W. (2020): Hitlers Parteigenossen. Die Mitglieder der NSDAP 1919-1945. Frankfurt u.a: Campus Frankfurt / New York.
 
Betrachtet man das Auswärtige Amt dann halten die Autoren u.a. fest (S. 158ff):

Auch wenn die Verteilung der Mitgliedschaft in den Ministerien unseren "voll-vonFragen"-User nicht wirklich interessieren, muss ich ihn leider erneut mit dem Reichsarbeitsministerium langweilen.

Die Frage der Parteizugehörigkeit spielte seit Anfang 1938 zunehmen eine Rolle. "Zu diesem Zeitpunkt war eine NSDAP-Mitgliedschaft für den Aufstieg in eine Führungsposition in der Ministerialverwaltung zwar nicht zwingend, aber dennoch opportun geworden, ebenso ein gesinnungskonformer Lebenslauf als Nationalsozialist." (Schulz, S. 67)

Bis 1939 konnten sich die Ministerialräte sogar relativ erfolgreich einer NSDAP-Mitgliedschaft entziehen, was möglich war, weil der Leiter der Personalabteilung bis 1938 - Herrmann Rettig - in Absprache mit dem Staatssekretär Krohn die Betonung auf laufbahnspezfische Qualifikation in den Vordergrund rücken konnte.

Betrachtet man die Veränderungen der NSDAP-Mitglieschaft in den Schaubildern auf S. 69 dann wird dennoch ein prozentualer Anstieg auf der Führungsebene an NSDAP-Mitglieder auf 50 (Spitzenpersonal) bzw. 60 Prozent (Regierungsräte und höher) deutlich.

Die Frage der Mitgliedschaft ist vor dem Hintergrund zu sehen, welche Rolle die Partei in einem Staat inne hatte, der einen "totalitären" Anspruch hatte. Einerseits als "Elite" zu fungieren, andererseits durch Vorbild und Kontrolle zur "Gleichschaltung" beizutragen. Und das konnte nur erreicht werden, sofern eine ausreichende Massenbasis vorhanden ist (ca. 10 % der Bevölkerung bzw. 15 % der Wahlberechtigten)

Schulz, Ulrike (2017): Das Reichsarbeitsministerium 1919-1945. Organisation, Führungspersonla und politische Handlungsspielräume. In: Alexander Nützenadel (Hg.): Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus. Verwaltung - Politik - Verbrechen. Göttingen: Wallstein Verlag, S. 33–102.
 
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