Griechischer Nationalismus & Deutscher Nationalismus

J

Julie

Gast
Guten Tag, meine Frage lautet: Welche Unterschiede gibt es zwischen dem deutschen und dem griechischen Nationalismus im 19. Jahrhundert?
 
Gegenfrage: Was weißt du über Dtld. im 19. Jhdt. und Griechenland im 19. Jhdt.? Das würde bei der Ebwantwortung der Frage helfen.
 
Sorry, aber wer stellt solche Fragen? Wieso wird nach den "Unterschieden" gefragt, wenn nicht beantwortet wird, was Gemeinsamkeiten sind.

Und an dieser Stelle stellt sich die Frage nach dem theoretischen Rahmen und der "Granularität" des Vergleichs. Will sagen, sofern die Analyseebene fein genug ist, wird man die Singularität der Ereignisse und Phänomene betonen. Und man stellt fast nur "Unterschiede" fest.

Dieses methodische und inhaltliche Problem wurde besonders deutlich bei der Frage nach der Ähnlichkeit oder den Unterschieden der stalinistischen Sowjetunion und dem hitleristischen NS-Deutschland als "totalitäre" Staaten . Und führte zu - begründbar - unterschiedlichen Beantwortungen.

Und sofern die Abstraktionsebene erhöht wird, lassen sich sowohl Unterschiede und auch Gemeinsamkeiten erkennen.

Dabei ist natürlich zu beachten, dass das Konzept des "Nationalstaates" und seine - angebliche - nationale "Identität" wiederum nicht Commonsense ist und zunächst voraussetzt, überhaupt die unterschiedlichen Ansätze zu diskutieren, die überhaupt in der Lage wären, diese Frage zu beantworten.
 
Ich glaube, dass ist zu komplex für den mutmaßlichen Kontext.

Die Frage dürfte auf die jeweilige politische Situation anspielen und in demselben Kontext gestellt sein, wie die Frage heute Nachmittag zum polnischen Nationalismus. Deutschland, ähnlich wie Italien, musste aus politischer Fragmentierung und Fürstenherrschaft zu einer Einheit finden, es war im 19. Jhdt. zunächst kein chauvinistischer Nationalismus der nach außen, sondern ein bürgerlich-liberaler Nationalismus, der nach innen gekehrt war.

Die Griechen waren christliche Untertanen eines allmählich zerfallenden Vielvölkerstaates Osmanisches Reich, mit einem muslimischen Sultan an der Spitze, mit einem selbstherrlichen Beamtenapparat unter sich.

Hier waren das Problem Zölle, dort verschiedene religionsgebundene Steuerklassen...
 
Könnt man sagen, dass die wichtigsten Gegner eines griechischen Nationalstaats außerhalb Griechenlands saßen (Osmanisches Reich), während sie im deutschen Falle innerhalb Deutschlands zu suchen sind (Fürsten, va Habsburger & Hohenzollern)?
 
Könnte man nicht sagen, dass es zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine deutsche Nation (oder Identität) schon gab, eine griechische sich aber erst aus uralten Traditionsresten und modernen abendländischen Konzepten bilden musste? Die byzantinische Vergangenheit war ja keine nationale, eher das Gegenteil, denn das Konzept von Byzanz war ja das eines heiligen Reichs, und die erinnerte Antike war ja nicht mehr als eine märchenhafte Vorvergangenheit.
 
Clemens64 weist m.E. in die richtige Richtung. Es war der erneute und ungewöhnlich Kontakt von reisenden bzw. emigrierten Griechen in West-Europa mit einem positiven antiken Bild der Hellenen, der einen intensivierenden Impuls auf die Ausformulierung eines griechischen Nationalismus in seinen antiken Voraussetzungen erzeugte. Gleichzeitig angestoßen durch die Verstärkung des Nationalismus durch die Französiche Revolution. Auch in diesem Fall ist es eine "konstruierte Perspektive" auf die griechische Nation.

Einen interessanten Einstieg in die griechische Sicht bieten die zeitgenössischen Arbeiten von Korais.

Adamantios Korais – Wikipedia

Griechische Revolution – Wikipedia

Etwa zeitgleich formuliert Fichte beispielsweise seinen nationalistischen Aufruf. Und illustriert die emotionale nationalistische Attitüde in - zunächst - einem Teil der liberalen deutschen Intellektuellen.

Johann Gottlieb Fichte: Reden an die deutsche Nation

Entsprechende Darstellungen zur historischen Entwicklung des modernen Griechenland finden sich bei Beaton. Im Beitrag von Kitromilides in Beaton und Ricks findet sich eine Bewertung der bisherigen Arbeiten zur Genese des griechischen Nationalismus.

Insgesamt eine schwierige Fragestellung, die zur Beantwortung ein nicht unerhebliches Wissen voraussetzt. Anyway, unser "Gast" ist ohnehin wieder über alle Berge. Dennoch ist es ein wirklich interessantes Thema.

Beaton, Roderick (2021): Greece. Biography of a modern nation. Chicago: University of Chicago Press.
Beaton, Roderick; Ricks, David (Hg.) (2009): The making of modern Greece. Nationalism, Romanticism, and the uses of the past (1797-1896). Farnham, U.K., Burlington, VT: Ashgate
 
Ich würde behaupten, dass die griechisch-orthodoxe Religion ein Einigungsfaktor während der griechischen Revolution war. So beteiligten sich bspw. die griechisch-orthodoxen Arvaniten albanischer Abstammung und eigener nicht-griechischer Sprache aktiv an der griechischen Revolution und wurden später zu einem Teil des modernen Griechenlands.
In Deutschland hingegen gab es im 19.Jahrhundert zwar eine mehr oder weniger einheitliche Sprache, wenn man mal von regionalen Dialekten bzw. der hoch- und niederdeutschen Sprache absieht, aber keine gemeinsame Religion als Einigungsfaktor.
Dennoch verblieb nach der griechischen Revolution eine große Zahl von Moslems in Hellas, von denen Viele nach dem Ersten Weltkrieg "zwangsumgesiedelt" wurden.
 
Im Prinzip stimme ich Dir zu, aber dennoch war es komplizierter und widersprüchlicher.

1. Die griechisch orthodoxe Kirche "was the most important institution definig Greek identity but it was also the most conservative"(Glenny: The Balkans. Nationalism, war and the great powers 1804-2012, S. 44)

Das führte dazu, dass die Masse der Priester auf dem Pelepones sich positiv zur nationalistischen Bewegung und zum Unabhängigkeitskrieg bekannten, während der Patriar Gregorisa V. in Istanbul sich deutlich dagegen aussprach. Zum einen weil er als "stubborn reactionary" bekannt war und zum andern weil er Vergeltungsmaßnahmen gegen die Christen in Istanbul befürchtete.

2. Anfang des 19. Jahrhundert durchliefen einen Prozess der "Hellenisierung". "The Koundouriotes, for example, the most powerful maritime family on the island of Hydra, who led a substantiak faction during the war, were of Albanian origin." (Glenny: The Balkans. Nationalism, war and the great powers 1804-2012)

3. Vor diesem Hintergrund war die griechische Rebellion von 1821 eine relativ gut geplante und vorbereitete Aktion, im Gegensatz zu den eher "spontanen" der Serben.

4. Dennoch war diese Rebellion im besten Fall eine "defensive" nationalistische Bewegung, die die Vertreibung der Osmanen zum Ziel hatte. Die unterschiedlichen Fraktionen, definiert auch durch regionale Unterschiede und durch Klassenunterschiede, hatten allerdings keine gemeinsame positive Vorstellung, was oder wie ein griechischer Nationalstaat zu beschreiben sei oder wie die ethnische oder territoriale Zugehörigkeit zu beschreiben wäre.

Und an diesem Punkt wirkte die orthodoxe Kirche nicht als einigendes Band.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und an diesem Punkt wirkte die orthodoxe Kirche nicht als einigendes Band.
Das äußerte sich u.a. auch daran, dass man Otto von Wittelsbach (nach dem sich Leopold von Sachsen-Gotha geweigert hatte) zum griechischen König machte, der sich jedoch weigerte zum orthodoxen Glauben überzutreten.

Ich behaupte auch nicht, dass der griechisch-orthodoxe Glaube der einzige Faktor war, der zum Widerstand gegen die Osmanen etwas beigetragen hat. Er dürfte aber u.a. einigend auf die Integration der Arvaniten und Aromunen in einen griechischen Staat, bzw der griechischen Revolution gewirkt haben, auch wenn sich der Patriarch im osmanischen Konstantinopel dabei heraushielt.
 
Zurück
Oben