Eine angebliche Karte von Marco Polo

El Quijote

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Die Library of Congress besitzt seit den 1930er Jahren ein Dokument, dass offensichtlich durch einen italienischen Einwanderer in die USA gekommen ist. Die Darstellung ist auf Pergament gezeichnet, man sieht ein Schiff, eine Seekarte und Beschriftungen in venezianischem Italienisch, Arabisch und Chinesisch.

[Map of the Far East and adjacent Pacific].

schiff.jpg

venezianisch.jpg


Die Darstellung hat 2014 Aufsehen erregt, weil man auf dieser Marco Polo zugeschriebenen Karte das Beringmeer erkennen will:

Seekarte.jpg


Ich finde das durchaus nachvollziehbar. Wenn man will, kann man Kamschatka, die Aleuten und Alaska erkennen. Vielleicht sind sie es auch.

Ist die Karte nun echt? Was mir seltsam erscheint, ist dass eine von Marco Polo gezeichnete Karte genordet ist. Genordete Karten sind eher eine moderne Sehgewohnheit. Marco Polo lebte in einer Zeit, in der europäische Karten i.d.R- geostet (Orientierung) waren, arabische Karten häufig geostet oder gesüdet.


Das Arabische könnte durchaus mittelalterlich aber auch neuzeitlich sein, ich lese in einer Insel (Taiwan?) kākā, in einer anderen ṣālah oder ḥālah, im chinesischen Meer k.rāh??m oder k.rāhsm, worauf ich mir natürlich keinen Reim machen kann. Womit mutmaßlich Japan beschriftet ist, kann ich nicht erkennen, ebensi nicht, was in dem Festlandzipfel zwischen dem Italienischen und dem Arabischen steht, das sieht beides eher nach Phantasiegekritzel aus, als nach echter Schrift.
China könnte man evtl. tatsächlich identifizieren, ich würde zwar das -ṣ- von al-ṣīn (aṣ-ṣīn) nicht erkennen, aber das wird es wohl trotzdem sein (im Prinzip erkenne ich von al-ṣīn nur al-??n).

Vielleicht könnnen ja irgendwelche Schiffsexperten den Schiffstyp datieren?
 
Did Marco Polo "Discover" America? | History | Smithsonian Magazine

a set of 14 parchments, now collected and exhaustively studied for the first time, give us a raft of new stories about Polo’s journeys and something notably missing from his own account: maps.

If genuine, the maps would show that Polo recorded the shape of the Alaskan coast—and the strait separating it from Asia—four centuries before Vitus Bering, the Danish explorer long considered the first European to do so. Perhaps more important, they suggest Polo was aware of the New World two centuries before Columbus.

[...]

But as Olshin is first to admit, the authenticity of the ten maps and four texts is hardly settled. The ink remains untested, and a radiocarbon study of the parchment of one key map—the only one subjected to such analysis—dates the sheepskin vellum to the 15th or 16th century, a sign the map is at best a copy. Another quandary is that Polo himself wrote nothing of personal maps or of lands beyond Asia, though he did once boast: “I did not tell half of what I saw.”
Dass Marco Polo nicht die Hälfte von dem erzählt habe, was er gesehen haben will, ist ein typischer topos, den sollte man nicht allzu ernst nehmen.
 
Ginge die Karte auf Marco Polo zurück, hätte dieser wohl auch Kenntnisse vom Küstenverlauf des Nordmeeres gehabt: Am Nordrand Sibiriens (rechts vom stilisierten Kopmpass) erkennt man eine Einbuchtung, die in Lage und Form stark der Tschaunbucht ähnelt.
Vielleicht schimmern hier doch eher die geographischen Kenntnisse von vor 100 Jahren durch.
 
Frage wegen dem „Nordpfeil“ (North-up) und stilisierter Kompassrose.

Mit dieser Umrisszeichnung habe ich auch meine Probleme
Das ist aber nicht meine Frage.

Bei „WIKI“ lese ich: „Mittelalterliche Karten sind häufig „geostet (dem Orient zugewandt -> orientiert)“.
Mittelalter 500 – 1500.
Marco Polo 1254 – 1324.
 
Frage wegen dem „Nordpfeil“ (North-up) und stilisierter Kompassrose.

Mit dieser Umrisszeichnung habe ich auch meine Probleme
Das ist aber nicht meine Frage.

Bei „WIKI“ lese ich: „Mittelalterliche Karten sind häufig „geostet (dem Orient zugewandt -> orientiert)“.
Mittelalter 500 – 1500.
Marco Polo 1254 – 1324.

Richtig. Deshalb schrieb ich:

Was mir seltsam erscheint, ist dass eine von Marco Polo gezeichnete Karte genordet ist. Genordete Karten sind eher eine moderne Sehgewohnheit. Marco Polo lebte in einer Zeit, in der europäische Karten i.d.R- geostet (Orientierung) waren, arabische Karten häufig geostet oder gesüdet.


Ginge die Karte auf Marco Polo zurück, hätte dieser wohl auch Kenntnisse vom Küstenverlauf des Nordmeeres gehabt: Am Nordrand Sibiriens (rechts vom stilisierten Kopmpass) erkennt man eine Einbuchtung, die in Lage und Form stark der Tschaunbucht ähnelt.
Vielleicht schimmern hier doch eher die geographischen Kenntnisse von vor 100 Jahren durch.
Guter Hinweis.
 
Das Arabische könnte durchaus mittelalterlich aber auch neuzeitlich sein

Hat es jemand geschrieben, der der arabischen Schrift mächtig ist?

Die chinesischen Zeichen hat jemand abgemalt, der von der chinesischen Schrift nichts versteht. Einige Zeichen lassen sich identifizieren, vor allem diejenigen, die nur aus wenigen Strichen bestehen. Ein Sinn will sich mir nicht erschließen.

upload_2021-5-27_19-57-33.png
 
Mir erscheint die Karte arg suspekt. Die Umrisse von Nordostsibirien, den Aleuten und Alaska, aber auch Japan und Sachalin, sind beinahe zutreffender als die von Südostasien, Indonesien und Korea, also Gebieten, mit denen China nachweislich engeren Kontakt hatte. (Die Philippinen fehlen sogar ganz.) Sogar die Darstellung von China selbst lässt vergleichsweise zu wünschen übrig.
Außerdem, wenn China tatsächlich Kenntnisse von Amerika, und obendrein so präzise, hatte (denn Marco Polo kann nicht gut etwas in Erfahrung gebracht haben, was in China unbekannt war), sollte man doch erwarten, dass es noch irgendwelche anderen Belege dafür gibt als nur diese Karte.

Das Schiff scheint mir teilweise perspektivisch dargestellt zu sein, was auch eher ungewöhnlich wäre.
 
Hat es jemand geschrieben, der der arabischen Schrift mächtig ist?
Das ist sehr unterschiedlich.... Das kākā sieht so aus, als hätte ich das geschrieben (=Sauklaue), bei k.rāh??m oder k.rāhsm hatte ich irgendwie auch den Verdacht, dass der Schreiber etwas abgezeichnet hat, aber ṣālah oder ḥālah wiederum sieht aus, als käme es von einem geübten Arabisch-Schreiber. Bei al-ṣīn (aṣ-ṣīn) würde ich, obwohl man -ṣ- und -ī- nicht erkennen kann, eher einen geübten Schreiber vermuten und bei der Beschriftung mutmaßlich Japans rücke ich von meiner Einschätzung heute Mittag, dass es nur Kritzelei sei ab und lese dort etwas wie ṣān oder ḥān.

angeblich Marco Polo, wahrscheinlich Don Corleone.jpg


Alle Lesarten, bis auf kākā sollten mit einem dicken Fragezeichen ? versehen verstanden sein.
Bzgl. der Unsicherheit zwischen ص oder ح wird es noch ein wenig komplizierter, denn die Grundstruktur des jeweiligen Buchstaben kann je nach diakritischen Punkt auch noch weitere Lesarten erlauben:
Ṣād ص
Ǧīm
ج
Ḥāʾ ح
Ḫāʾ خ

Ḍād ض
ححح
خخخ
ججج
صصص
ضضض

Das wäre die jeweilige Druckversion, in der Schreibversion findet man häufig den Aufstrich von ج ح خ unter die Grundlinie gezogen, was die schwierige Unterscheidbarkeit von in Drucktexten doch einfach voneinander zu unterscheidenen Buchstaben wie ص oder ح in "arabischer Kurrent" vielleicht erklärt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Leicester B. Holland, ehemaliger Leiter der Abteilung Fine Arts in der Library of Congress war einmal der Meinung, dass wenigstens die Blätter-Dekoration um das Schiff herum charakteristisch für das 13. oder 14. Jh. sei.
 
Diese Karte wurde ja der Library of Congress von einem gewissen Herrn Rossi übergeben. In seinem Archiv sollen sich auch Aufzeichnungen der Töchter Marco Polos befinden. Diese Aufzeichnungen wurden u.a. in Felicitation Volumes of Southest Asian Studies. Journal of the Siam Society, Vol. 70, parts 1–2, 1982, pp. 13–34 veröffentlicht und hier schon 1965 beschrieben.
In einem dieser Dokumente ist die Rede von einem syrischen Händler namens Biaxio Sirdomap, welcher Marco Polo diese Karten gegeben haben soll.
Das Kazakh Research Institute of Culture will nun den Schlüssel gefunden haben:

Biaxio Sirdomap / Sirdumap = Be [BI:] An eXpertIn all [Ɔːl], SIR, to DO / [DU:] a MAP = Be an expert in all things, Sir, to do a map = Seien Sie ein Experte in allen Dingen, Sir, um eine Karte zu erstellen.
http://oaji.net/articles/2020/8494-1599581594.pdf (russisch/englisch)

Ich würde allerdings nicht so schnell aufgeben und die Bemerkungen Chand Chirayu Rajani von der Chiang Mai University in Betracht ziehen.
https://thesiamsociety.org/wp-conte...Rajani_ReviewArticleBackgroundToSriVijaya.pdf (Seite 200)
Er glaubt, dass der Hersteller der Karte eine chinesische und eine ptolomäische Karte als Vorlage hatte z.B. die Yuditu (1311-1320) von Zhu Siben oder die darauf basierende Guangyutu (1320) http://www.myoldmaps.com/late-medieval-maps-1300/227-the-countries-of-the/227-kuang-yu-tu.pdf oder auch Guang yu tu : er juan
Vielleicht finden sich dort übereinstimmende chinesische Zeichen.
 
Vielleicht finden sich dort übereinstimmende chinesische Zeichen.
Welchen Sinn hätte es, nach übereinstimmenden Zeichen zu suchen?

Die lesbaren Zeichen sind Wörter und Partikel, die in fast jedem beliebigen längeren Text vorkommen. Eine ungefähre "Übersetzung" würde etwa so lauten:
"Jemand, der [???] vier [???] daher Haus [???]-lich heraus [???]"​

Bei den unleserlichen Zeichen würde ich darauf tippen, dass der "Schreiber" sich gar nicht die Mühe gemacht hat, komplexe Zeichen zu kopieren, sondern einfach frei Schnauze irgendwelche "chinesisch aussehenden" Fantasiezeichen gemalt hat.

@El Quijote: Könnte das auch die Erklärung für den "arabischen" Text der Karte liefern?
 
Welchen Sinn hätte es, nach übereinstimmenden Zeichen zu suchen?

Unter der richtigen Annahme, dass der unkundige Schreiber die chinesischen Schriftzeichen nicht richtig kopierte, kann man in den chinesischen Karten nach ähnlichen Zeichen suchen, die er vielleicht kopiert hat und die man dann auch lesen kann. Wenn man Glück hat, findet man so sogar die Stelle, die er kopiert hat.
Ich glaube da in der Guangyutu am rechten Rand fündig geworden zu sein. Muss das aber noch aufbereiten.
Bisher ist das identifiziert:
??
丁 = dīng = 4. (u.a)
的 = de = von
百 = bǎi = hundert
出 = chū = aus, raus
七 = qī = sieben
??
四 = sì = vier
??
由 = yóu = durch, von, wegen
家 = jiā = Zuhause, Haus
 
Diese Zeichenfolge aus der Guangyutu (1320) könnte als Vorlage für die ersten beiden Zeichen gedient haben:
hrding.JPG

oder das dritte Zeichen in der 2. Reihe wie in der Dong Nan Hair' Yi Tu
rf2.JPG

oder wieder in der Guangyutu
fr.JPG

Zeigt nur, dass es auf den alten Karten ähnliche Zeichen gab, die man kreativ kopieren könnte.

Im übrigen bin ich der Meinung, dass auf der Karte nicht Kamschatka und Alaska dargestellt sind, sondern Korea und Japan. Selbst im 17. Jh. fand ich noch Karten, in denen Korea und Japan viel zu groß und Japan am rechten Bildrand abgeschnitten abgebildet wurden. Die Inseln wären dann die Philippinen.
 
Bei den Inseln im Zentrum sind für mich aber eindeutig die vier Hauptinseln Japans - sogar in weitgehend richtiger Gestalt und Anordnung - und darüber Sachalin zu erkennen. Den Philippinen ähnelt diese Inselgruppe überhaupt nicht.
Nördlich der Wölbung, die China sein muss, erkenne ich eindeutig den Golf von Bohai und die Koreabucht mitsamt den zugehörigen Meerengen und die koreanische Halbinsel, auch wenn sie zu einem größeren Vorgebirge geschrumpft ist.

Wenn das oben statt Kamtschatka und Alaska Korea und Japan sein sollen ... Was soll das für eine Inselkette zwischen Korea und Japan sein? Eine Inselkette gibt es nur zwischen Japan und Taiwan.
 
Diese Zeichenfolge aus der Guangyutu (1320) könnte als Vorlage für die ersten beiden Zeichen gedient haben:

Diese Zeichenfolge bezeichnet auf der Karte die Präfektur Kaiyuan 開元.

oder wieder in der Guangyutu
Das ist das Zeichen für eine Verwaltungseinheit; die Zeichen 府 und 州 tauchen auf der Karte häufig auf.

Below the level of provinces, the largest political division was the circuit (道), followed by (路), (府) and zhōu (州). These are three kinds of prefecture-like divisions. The lowest political division was the xiàn or counties (縣).
Administrative divisions of the Yuan dynasty - Wikipedia

Diese Zeichen sehen den Pseudozeichen der angeblichen Marco-Polo-Karte aber nicht ähnlicher als tausend andere chinesische Zeichen.

Zeigt nur, dass es auf den alten Karten ähnliche Zeichen gab, die man kreativ kopieren könnte.
Der Witzbold, der diesen "Text" produziert hat, brauchte keine Karten als Vorlage, die Zeichen konnte er sich aus jedem beliebigen chinesischen Text zusammensuchen.
 
Wenn wir davon ausgehen, dass wir es hier mit einer Karte aus dem 13. oder 14. Jh. zu tun haben, dann wäre es doch eher ein Zufall, wenn mal was so aussieht, wie in der Wirklichkeit. Ein Beispiel hier Da Ming Hunyi Tu - Wikipedia
Die Korea vorgelagerten Inseln wie Jeju oder Tsushima zwischen Japan und Korea wurden auf alten Karten oft zu prominent dargestellt.
Jeder darf in der Karte sehen, was er will, auch Kamschatka und Alaska.
Ich komme mir gerade so vor, als ob ich diese Karte verteidigen müsste.
Es ist eben so, dass bisher niemand versuchte Kapital aus dieser Karte zu schlagen. Die Familiengeschichte der Rossi lässt sich auf einen Bekannten von Marco Polo zurückverfolgen und damit bleibt die Karte für mich mindestens untersuchenswert.
Der Witzbold, der diesen "Text" produziert hat, brauchte keine Karten als Vorlage, die Zeichen konnte er sich aus jedem beliebigen chinesischen Text zusammensuchen.
Sicher! Dann muss ich also nicht mehr weiter suchen.
 
Wenn wir davon ausgehen, dass wir es hier mit einer Karte aus dem 13. oder 14. Jh. zu tun haben, dann wäre es doch eher ein Zufall, wenn mal was so aussieht, wie in der Wirklichkeit. Ein Beispiel hier Da Ming Hunyi Tu - Wikipedia
Dass etwas rein zufällig aussieht wie die Wirklichkeit, ist aber auch eher ungewöhnlich. Ich stimme zu, dass auf so alten Karten so treffende Darstellungen recht ungewöhnlich sind. Das macht sie verdächtig.
 
Bisher ist das identifiziert:
??
丁 = dīng = 4. (u.a)
的 = de = von
百 = bǎi = hundert
出 = chū = aus, raus
七 = qī = sieben
??
四 = sì = vier
??
由 = yóu = durch, von, wegen
家 = jiā = Zuhause, Haus

Wo hast Du das eigentlich her?


upload_2021-5-29_23-31-34.png


Auf 百 wäre ich nicht gekommen. Ich hatte auf 者 (Nominalisierungspartikel) getippt, 盾 (Schild) wäre zur Not auch denkbar.
 
Ich schaute heute den 2 stündigen Vortrag der Library of Congress 2016:
Facts or Fictions: The Mysteries of Renaissance Cartography (ich hoffe der Link ist ok, er geht nicht auf ein kommerzielles Videoportal, ist nur ein Webcast der Library)
Ab Minute 40 geht es um diese Karte.
Die Slides des Vortragenden sind hier zu finden: https://www.chicagomapsociety.org/wp-content/uploads/2020/12/lecture-Olshin-for-Newberry-Updated.pdf
Darin sind die von ihm identifizierten Zeichen enthalten. Im Vortrag noch deutlicher zu sehen.

Ausserdem folge ich, wie oben verlinkt, der Arbeitshypothese des thailändische Historikers Chand Chirayu Rajani, der annimmt, dass eine chinesische Karte als Vorlage diente.
 
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