Wie beeinflussbar, war Wilhelm der Zweite Wirklich?

Griffel

Mitglied
Ich möchte mal im Zusammenhang mit dem 1. Weltkrieg und seinen Folgen eine Frage klären! Siehe oben. Man kann sicherlich der Meinung sein, dass der deutsche Kaiser, als Monarch und Mensch versagt hat! Unabhängig davon:

Es hätte doch möglich sein müssen, mit seiner Majestät, vernünftig zu reden! Natürlich ziehen mächtige Männer, auch immer Speichellecker und Hofschranzen an. Aber ich weigere mich, zu glauben, dass Wilhelm von Hohenzollern, keinen Argumenten zugänglich war? Selbst wenn, er von dem Gedanken beseelt oder besser besessen war, Deutschland seinen Platz an der Sonne zu verschaffen.:confused:

Das Deutsche Reich, als solches, hatte genug eigene Probleme. Der Krieg, kam also eigentlich zu Unzeit. Mich wundert, dass die Industrie und die Kaufmannschaft, nicht stärker gegen einen Krieg war. Wo die Weisheit lautet, dass man im Frieden bessere Geschäfte machen kann, als im Krieg. Es dürfte wohl feststehen, dass der Krieg, die Probleme Deutschlands nicht lösen konnte.

Was mich noch mehr wundert? Wilhelm, hatte aufgrund seiner Abstammung, eine umfangreiche Bildung genossen. Somit kann er nicht als dumm im Sinne von ungebildet bezeichnet werden. Somit hätte ihm doch auffallen müssen, dass man ihn auf gut Deutsch; verarscht bzw. hinters Licht führt!
Sein Kanzler Bethmann-Hollweg, war doch eigentlich ein vernünftiger Mensch.
https://de.wikipedia.org/wiki/Theobald_von_Bethmann_Hollweg
Diesem hätte es doch gelingen können, ihn von diesem ausländischen Schwachsinn abzuhalten. Nach dem Krieg sollte ja der Kaiser als Sündenbock herhalten! Aber das scheint mir auch nicht richtig Auch hier wollte man dem Mann eine Geisteskrankheit andichten, um sich aus der Affäre zu ziehen.
 
Gebildet, vielleicht. Da er z.Bsp. in Bonn studiert hat. Ist man damit automatisch klug? Nein.
Sein Großvater väterlicherseits hat ihn als Gegenentwurf zu seinem Vater, Kronprinz Friedrich-Wilhelm erziehen lassen. Aus Sicht des Alten Wilhelms war der Kronprinz wohl zu liberal.

Tirpitz seine Schlachtflotte zu genehmigen, damit sie in einer Entscheidungsschlacht mit offenem Ausgang, die irgendwann ansteht, spricht auch nicht für klug. Da Großbritannien sowohl am Ärmelkanal, als auch zwischen Schottland und Norwegen die Nordsee blockieren kann, machte die Deutsche Flotte so keinen Sinn.

Guck Dir mal die Reden von Wilhelm II an, beispielsweise die Hunnenrede oder auch seine Interviews mit der Britischen Presse. Das spricht alles nicht für einen hohen intellektuellen Horizont.

Oder wie oft er sich pro Tag hat umziehen lassen, das spricht in meinen Augen eher davon, das ersehnte Selbstbewusstsein so steigern wollte.
 
Wie beeinflussbar war Wilhelm II. wirklich?
In einem Wort: Sehr beeinflussbar, weil er auf Grund der Konstruktionsfehler des monarchischen Systems in diversen Dingen oberste Entscheidungsinstanz wurde, von denen er eigentlich nichts verstand, aber die unseelige Neigung hatte dort bis in die Details hineinregieren zu wollen.

Was mich noch mehr wundert? Wilhelm, hatte aufgrund seiner Abstammung, eine umfangreiche Bildung genossen.
Wilhelm II. hat sich in Bonn 4 Semester lang Inhalte aus 10 verschiedenen Fachbereichen angehört. Mit anderen Worten, er hat einen oberflächlichen Eindruck in die Grundlagen verschiedener Fachbereiche bekommen, aber nichts in diesem Sinne wirklich ernsthaft studiert.
Zumal Studium damals nicht viel damit zu tun hatte, wie das heute aussieht.

Und dann hatte das, was er sich da anhörte auch fachlich nicht viel mit dem Militärwesen oder der Außenpolitik zu tun, wo Wilhelm später Schlüsselentscheidungen zu treffen hatte.

Nach dem Krieg sollte ja der Kaiser als Sündenbock herhalten!
Nö, er war als oberste Entscheidungsinstanz einmal verantwortlich für diverse Schlüsselentscheidungen, die er billigen musste und auch billigte.
Dazu gehören der Schlieffenplan, der Blancoscheck, die Generalmobilmachung, der Abbruch der diplomatischen Beziehungen, die Kriegserklärungen (auch an Luxemburg und Belgien), der Einsatz von Giftgas, der uneingeschränkte U-Boot-Krieg etc.
Alles Entscheidungen, die seiner ausdrücklichen Zustimmung bedurften und die hat er einmal gegeben.
Das hat nichts damit zu tun jemanden zum Sündenbock zu machen, Sünden hatte sich dieser Kaiser wahrlich genug geleistet, auch vor dem 1. Weltkrieg schon (Umgang mit Pesönlichkeiten wie Peters, Einsetzung v. Throtas, Aufforderung an die Truppen in China alle Gepflogenheiten des Kriegsrechts zu missachten, etc.).

Die Verantwortung hat er.
 
Tirpitz seine Schlachtflotte zu genehmigen, damit sie in einer Entscheidungsschlacht mit offenem Ausgang, die irgendwann ansteht, spricht auch nicht für klug.
Wäre aber kein Problem gewesen, wenn man daraus gleichzeitig die Konsequenz gezogen hätte, sich mit Russland gut zu stellen und Wien klar die Grenzen aufzuzeigen.

Es war halt dämlich sich mit Großbritannien und Russland gleichzeitig anzulegen, nachdem man mit Frankreich bereits über Kreuz lag.
Einen der Beiden als Gegner konnte man sich leisten, aber nicht beide.
 
Ich möchte mal im Zusammenhang mit dem 1. Weltkrieg und seinen Folgen eine Frage klären! Siehe oben. Man kann sicherlich der Meinung sein, dass der deutsche Kaiser, als Monarch und Mensch versagt hat! Unabhängig davon:

Es hätte doch möglich sein müssen, mit seiner Majestät, vernünftig zu reden! Natürlich ziehen mächtige Männer, auch immer Speichellecker und Hofschranzen an. Aber ich weigere mich, zu glauben, dass Wilhelm von Hohenzollern, keinen Argumenten zugänglich war? Selbst wenn, er von dem Gedanken beseelt oder besser besessen war, Deutschland seinen Platz an der Sonne zu verschaffen.:confused:

Das Deutsche Reich, als solches, hatte genug eigene Probleme. Der Krieg, kam also eigentlich zu Unzeit. Mich wundert, dass die Industrie und die Kaufmannschaft, nicht stärker gegen einen Krieg war. Wo die Weisheit lautet, dass man im Frieden bessere Geschäfte machen kann, als im Krieg. Es dürfte wohl feststehen, dass der Krieg, die Probleme Deutschlands nicht lösen konnte.

Was mich noch mehr wundert? Wilhelm, hatte aufgrund seiner Abstammung, eine umfangreiche Bildung genossen. Somit kann er nicht als dumm im Sinne von ungebildet bezeichnet werden. Somit hätte ihm doch auffallen müssen, dass man ihn auf gut Deutsch; verarscht bzw. hinters Licht führt!
Sein Kanzler Bethmann-Hollweg, war doch eigentlich ein vernünftiger Mensch.
https://de.wikipedia.org/wiki/Theobald_von_Bethmann_Hollweg
Diesem hätte es doch gelingen können, ihn von diesem ausländischen Schwachsinn abzuhalten. Nach dem Krieg sollte ja der Kaiser als Sündenbock herhalten! Aber das scheint mir auch nicht richtig Auch hier wollte man dem Mann eine Geisteskrankheit andichten, um sich aus der Affäre zu ziehen.

Wilhelm war ganz sicher nicht dumm. Er hatte sehr vielfältige Interessen, war sehr begeisterungsfähig, hat sich auf einigen Gebieten-etwa der Limesforschung- durchaus auch selbstständig autodidaktisch Kenntnisse angeeignet. Wilhelms Problem oder besser gesagt das "Problem Wilhelm Zwo" war auch gar nicht das eines Ungebildeten, sondern eines Halbgebildeten. Es war das Problem eines durchaus begabten Menschen mit mehr als durchschnittlicher Intelligenz, den seine Anlagen dazu verführten, dass er sich auf allen Gebieten für eine Koryphäe von allererstem Rang hielt, der von einer unerträglichen Besserwisserei durchdrungen war und sich berufen fühlte, es allen anderen erklären zu wollen.

Wilhelm II. hat seine Erziehung auch bestimmt nicht genossen, so modern und aufgeschlossen Wilhelms Eltern, Kronprinz Friedrich (III.) und Prinzessin Victoria in vielem auch war, die Erziehung des jungen Wilhelm geschah nach den Regeln "Schwarzer Pädagogik", wobei man Wert legte auf Abhärtung und Brechen des Willens. Das waren Erziehungsprinzipien, die heute die Staatsanwaltschaft auf den Plan rufen würde. Kronprinz Rudolf von Österreich wurde morgens von seinem Erzieher mit Pistolenschüssen geweckt, einmal ließ er das verängstigte Kind im Wald eines Tiergartens allein. Wilhelms Erzieher Hinzpeter war ein humorloser Pedant, der seinen Schüler intensiv peinigte. Wilhelms Arm wurde mit Elektroschocks behandelt, in ein frisch getötetes Kaninchen eingenäht. Fiel Wilhelm vom Pferd, wurde er wieder draufgesetzt, um erneut abgeworfen zu werden.

Wilhelm II. machte Abitur am Kasseler Friedrichsgymnasium, da hatte Wilhelm dann natürlich Repetitoren und Tutoren, die den Stoff mit ihm durchgingen, und natürlich ließ keiner den hohen Herrn durchfallen. Danach ein Studium in Bonn und Militärdienst.

Wilhelm II. sollte auf vielen Feldern Erfahrungen sammeln, wirklich gründlich ausgebildet war er aber auf keinem. Boshaft gesprochen: Wilhelms Bildung glich der eines Online-Redakteurs in postdemokratischen Zeiten: So weit wie der Ozean und so tief wie eine Pfütze. Wilhelm sprach seit früher Jugend Englisch, lernte Französisch und Latein. Man konnte klassische Zitate unfallfrei wiedergeben, besaß Kenntnisse der Geschichte, das Niveau der Tischgespräche und der Vergnügungen in der Liebenberger Tafelrunde entsprach dem der Potsdamer Gardekasinos. Einmal erlitt ein Mitglied einen Herzkasper. Als der Arzt eintraf, trug der Patient das Trikot und Röckchen einer Ballerina-der Mann war Polizeipräsident.
 
Wäre aber kein Problem gewesen, wenn man daraus gleichzeitig die Konsequenz gezogen hätte, sich mit Russland gut zu stellen und Wien klar die Grenzen aufzuzeigen.

Es war halt dämlich sich mit Großbritannien und Russland gleichzeitig anzulegen, nachdem man mit Frankreich bereits über Kreuz lag.
Einen der Beiden als Gegner konnte man sich leisten, aber nicht beide.


Mit Frankreich war keine ernsthafte Verständigung möglich; Stichwort Elsaß Lothringen und das Problem datiert auf dem Januar 1871. Da hatte Wilhelm II. also keine Aktien drinnen.

Seine sprunghaften außenpolitischen Vorstellungen, seine inkompetenten Einmischungen waren absolut katastrophal. Er brachte es fertig innerhalb weniger Monate ganz grundlegend verschiedene Grundkonzeptionen vom AA zu verlangen. Er wurde nicht umsonst Wilhelm der Plötzliche genannt. Sprach der mit dem Zaren, warnte er vor England; sprach er mit seiner Großmutter und dem englische Premier, warnte er vor Russland.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mit Frankreich war keine ernsthafte Verständigung möglich; Stichwort Elsaß Lothringen und das Problem datiert auf dem Januar 1871. Da hatte Wilhelm II. also keine Aktien drinnen.

Ich hatte nichts gegenteiliges behauptet. Ich sagte angesichts dessen konnte er es sich mit einem aus Russland und GB verscherzen, aber nicht mit beiden.
 
Interessant das du glaubst das so ein degenerierter adeliger Choleriker ("aufgrund seiner Abstammung umfassende Bildung genossen") automatisch klug ist. Die beste Bildung kann nichts gegen mangelnden Charakter.

Wenn du dich umfassend über Wilhelm II. informieren möchtest, dann ist die Biographie von John Röhl erstklassig. Aber auch die deutlich kürzere von Christopher Clark ist nicht zu verachten.
 
Das ist alles sehr interessant und mir auch teilweise bekannt. Danke dafür.;) Natürlich, hatte auch Wilhelm, seine menschlichen, sprich charakterlichen Schwächen. Wie jeder von uns! Aber wenn, man dies wusste, warum hat man sich dann nicht bemüht, dem in seiner Erziehung entgegenzuwirken?

Nach der damaligen Vorstellung, musste ein Herrscher oder auch ein künftiger Herrscher, stark, belastbar, gebildet, möglichst gutaussehend und auch ehrgeizig sein. Das letzte war Wilhelm, das Vorletzte nicht, schon aufgrund seines verkürzten Armes.:rolleyes: Das kann man ihm aber nicht zum Vorwurf machen.

Natürlich, hat sein sprunghaftes und temperamentvolles Verhalten, sicherlich eine Menge Porzellan zerschlagen! Daran, kann gar kein Zweifel bestehen. Hier wäre es sinnvoll gewesen, ihn im Rahmen seiner Ausbildung, einen umfassenden Einblick in die Außenpolitik und die Diplomatie zugeben. Vielleicht hätten sich dadurch eine Menge Streitigkeiten vermeiden lassen. Es wäre sicherlich ein staatsmännischer Schachzug gewesen, Frankreich dadurch zu beruhigen oder zu besänftigen, Elsass-Lothringen, zurückzugeben. :cool: Allerdings, hätte er sich damit sicherlich zu Hause sehr, sehr unbeliebt gemacht.:eek: Galt doch Elsass-Lothringen, als rechtmäßige Kriegsbeute! Auch wenn, man dabei vollkommen außer Acht lässt, dass die dortigen Menschen, nicht nur die deutschstämmigen, alles andere als glücklich waren, dem Deutschen Reich anzugehören. Aber seinerzeit, war man noch lange nicht soweit, auf die Meinungen der Menschen einzugehen.

Der übertriebene Ausbau der Kriegsmarine war ja nicht unbedingt sehr hilfreich. Großbritannien, hatte Deutschland etwa 200 Jahre Erfahrung an Marinekriegsführung voraus. Von der Anzahl der Schlachtschiffe ganz zu schweigen.:rolleyes:
Nicht umsonst hat ihm der Reichstag viermal die Gefolgschaft verweigert, weil man es satthatte, dass das Geld der Bürger, für Kriegsschiffe ausgegeben wurde.
 
Mit Frankreich war keine ernsthafte Verständigung möglich; Stichwort Elsaß Lothringen und das Problem datiert auf dem Januar 1871. Da hatte Wilhelm II. also keine Aktien drinnen.

Wobei hier der schwarze Peter den Franzosen zuzuschieben ist. Eine Region mit fast 90% deutschen Muttersprachlern kann man schwerlich als französisches Mutterland ansehen. Wobei die größere Sorge ja wohl eher die Angst war, nicht mehr die Nr. 1 auf dem Kontinent zu sein, und durch das Entstehen Deutschlands marginalisiert zu sein.

Seine sprunghaften außenpolitischen Vorstellungen, seine inkompetenten Einmischungen waren absolut katastrophal. Er brachte es fertig innerhalb weniger Monate ganz grundlegend verschiedene Grundkonzeptionen vom AA zu verlangen. Er wurde nicht umsonst Wilhelm der Plötzliche genannt. Sprach der mit dem Zaren, warnte er vor England; sprach er mit seiner Großmutter und dem englische Premier, warnte er vor Russland.

Das ist schon richtig, aber die Mitttellage und die Eifersüchtelein unter den Europäern machen die Mittellage aber auch enorm schwierig.
 
Für das damalige Frankreich war es nicht leicht einzusehen, nicht die Grande Nation zu sein, sondern einfach eine Grande Nation zu sein.
 
1892 schrieb Maximilian Harden in seiner Zeitschrift die Zukunft einen Artikel Phaeton. In der Mythologie war Phaeton ein Sohn des Sonnengotts Helios. Als Zeichen seiner Abstammung bat er seinen Vater, den Sonnenwagen lenken zu dürfen. Das ging in die Hose, Phaeton konnte die Pferde nicht bändigen, entfachte einen Weltenbrand und wurde von Zeus mit dem Blitz erschlagen.

Hardens Fabel handelte von einem König, der nach Meinung seines Sohnes sich zu früh des Gottesgnadentums entkleidet und das Gewand eines Verwalters angetan hatte. Nachdem der Sohn, Phaeton, regierte, klammerte er sich an den Schein und wollte der Menschheit zeigen, dass er der erste der Menschen sei. Er machte sich ans Beherrschen, erließ Gesetze und Reformen, immer bedacht, den Allmächtigen an seine Existenz zu erinnern. Weil die Luftfahrt seinen Interessen entsprach, begab er sich angespornt von der Jugend des Reiches fuhr Phaeton mit dem goldenen Wagen zur Sonne hinauf, um das Licht für die Armen zurückzuholen. Doch er stürzte brennend ab, setzte die Hütten der armen in Brand, und es gab keinen König mehr. Als Nachfolger und Geschäftsführer musste ein Bürger berufen werden. Wer war an König Phaetons Ende schuldig?-fragte Harden Nicht Zeus, Phaeton fiel durch Chronos, sein Vernichter der rächende Gott der Zeit.

Das persönliche Regiment des Kaisers stieß schon früh auf Kritik, und es gab Zeitgenossen, die erkannten, dass der Schaden nicht so sehr an der Person, sondern am System lag. Der Reichskanzler wurde nicht gewählt, sondern vom Kaiser ernannt. Der Kaiser war Oberbefehlshaber der Armee, nur Gott, nicht aber dem Volk oder dem Parlament verantwortlich. Helmuth von Gerlach schrieb:

Der Zusammenbruch eines ganzen Systems vollzieht sich vor unseren Augen. Kaiser, Kanzler, Diplomatie haben gleichermaßen versagt. Die alte Form des Halbabsolutismus hat gründlich Schiffbruch erlitten. Nur die Demokratie kann uns Erneuerung im Inneren und nach außen bringen."

Es handelte sich nicht um einmalige Entgleisungen, nein das System des persönlichen Regiments treibt hier seine Früchte. Die Schaden liegen nur zum Teil in den Personen, sie liegen im System." schrieb der sozialdemokratische Abgeordnete Singer. Das persönliche Regiment war ein Ausdruck der Gefahren, die aus der politischen Zurückgebliebenheit Deutschlands resultierten. Nur eine moderne Regierungsform konnte diese Gefahren neutralisieren, eine Regierungsform, in der die Rolle des Monarchen beschränkt wurde und Minister nicht dem Kaiser, sondern dem Reichstag und dem Volk verantwortlich waren.

Die Sozialdemokraten und Teile der Liberalen erkannten durchaus frühzeitig die Gefahren, begründet in der veralteten Verfassung des Reiches.

Andere hatten gegen die halbabsolutistische Verfassung nichts einzuwenden, sahen sogar einen Kaiser, der sein eigener Kanzler sein wollte, als Instrumentarium Deutschlands Einheit nach innen zu stabilisieren und nach außen Deutschlands Status als Weltmacht begründen. Der prominenteste Vertreter dieser Haltung war Friedrich Naumann. Seiner Meinung nach war 1870/71 aus den Ruinen der alten Monarchie etwas völlig Neues entstanden- ein militärisches Kaisertum, in dem sich der Machttrieb des Hohenzollernstaates mit dem des Nationalgedankens verband, die einen ganz neuen Zeitabschnitt einleitete. Bis zur Daily Telegraph Affäre billigte Naumann das persönliche Regiment des Kaisers.

Auch Kaisergegner wie Maximilian Harden hatten weniger grundsätzlich etwas gegen das halbabsolutistische persönliche Regiment des Kaisers, als gegen die unglücklichen Resultate dieser Politik. Harden schrieb 1902:

" Von dem Kaiser sind alle wichtigen politischen Entscheidungen der letzten 12 Jahre ausgegangen. Seine Ziele waren fast ausnahmslos richtig erkannt. Seine Mittel und Wege nicht glücklich gewählt."
 
Aber ein Otto von Bismarck konnte mit der Verfassung gut umgehen.
Das persönliche Regiment des Kaisers stieß schon früh auf Kritik, und es gab Zeitgenossen, die erkannten, dass der Schaden nicht so sehr an der Person, sondern am System lag. Der Reichskanzler wurde nicht gewählt, sondern vom Kaiser ernannt. Der Kaiser war Oberbefehlshaber der Armee, nur Gott, nicht aber dem Volk oder dem Parlament verantwortlich.

Aber es waren doch die Personen, die das System prägten. Allen voran Wilhelm II. mit seinen neoabsolutistischen Regierungsvorstellungen und seinem Kreis an Speichelleckern. Bestes Beispiel Reichskanzler Bernhard von Bülow, der es meisterhaft verstand, die Klaviatur zu spielen, die Wilhelm II. verstand. Wilhelm II. war auch nicht gerade sonderlich fleißig; Aktenstudium war ihm ein Greuel. Vorträge mussten kurz und prägnant sein. Wer als letzter sein Ohr hatte, setzte seinen Willen, vorausgesetzt er verstand es Wilhelm II. zu nehmen, durch. Bismarck hat in seiner Memoiren dazu ein paar ätzende Bemerkungen gemacht.
 
Es hätte doch möglich sein müssen, mit seiner Majestät, vernünftig zu reden! Natürlich ziehen mächtige Männer, auch immer Speichellecker und Hofschranzen an. Aber ich weigere mich, zu glauben, dass Wilhelm von Hohenzollern, keinen Argumenten zugänglich war? Selbst wenn, er von dem Gedanken beseelt oder besser besessen war, Deutschland seinen Platz an der Sonne zu verschaffen.:confused:

Das Deutsche Reich, als solches, hatte genug eigene Probleme. Der Krieg, kam also eigentlich zu Unzeit. Mich wundert, dass die Industrie und die Kaufmannschaft, nicht stärker gegen einen Krieg war. Wo die Weisheit lautet, dass man im Frieden bessere Geschäfte machen kann, als im Krieg. Es dürfte wohl feststehen, dass der Krieg, die Probleme Deutschlands nicht lösen konnte.

Was mich noch mehr wundert? Wilhelm, hatte aufgrund seiner Abstammung, eine umfangreiche Bildung genossen. Somit kann er nicht als dumm im Sinne von ungebildet bezeichnet werden. Somit hätte ihm doch auffallen müssen, dass man ihn auf gut Deutsch; verarscht bzw. hinters Licht führt!
Sein Kanzler Bethmann-Hollweg, war doch eigentlich ein vernünftiger Mensch.
https://de.wikipedia.org/wiki/Theobald_von_Bethmann_Hollweg
Diesem hätte es doch gelingen können, ihn von diesem ausländischen Schwachsinn abzuhalten. Nach dem Krieg sollte ja der Kaiser als Sündenbock herhalten! Aber das scheint mir auch nicht richtig Auch hier wollte man dem Mann eine Geisteskrankheit andichten, um sich aus der Affäre zu ziehen.

Tja, es hätte halt nur mal jemand vernünftig mit seiner Majestät reden müssen. Fragt sich bloß wer das hätte sein können. Bismarck? Der wurde in den Ruhestand versetzt (vielleicht sogar das Vernünftigste, was Wilhelm II. je getan hat) Seine Mutter, Vicky, Tochter der Queen Victoria, die Kaiserin Friedrich verabscheute er heftig. Bei seinem Regierungsbeginn ließ er ihr Palais von Soldaten umstellen. Rudolf von Habsburg? Die beiden waren oft genug zusammen im Puff und auf der Jagd, ideale Gelegenheiten, um mal auf Augenhöhe unter Männern vernünftig zu reden, der Wiener Hof hatte ihm sogar mal einen zinslosen Kredit gewährt, damit Wilhelm Alimente bezahlen konnte, für zwei Damen die er geschwängert hatte. Rudolf erschoss sich aber 1889. Caprivi, Hohenlohe, Bülow oder Bethmann-Hollweg? Bülow wurde Reichskanzler, nicht wegen Kompetenz, sondern weil er den hohen Herrn zu nehmen wusste. Gehen musste er, weil das Daily Telegraph Interview nicht gelesen hatte und den hohen Herrn ungebremst und ungefiltert hatte losquatschen lassen und ihn danach nicht gestützt hatte. Der Reichskanzler wurde vom Kaiser ernannt, bis der dazu kam, vernünftig zu reden war er auch schon entlassen. Ein Reichskanzler war gar nicht in der Position, vernünftig mit seiner Majestät zu reden". Reichskanzler wurden vom Kaiser ernannt, waren allein ihm und nicht dem Reichstag verantwortlich und konnten jederzeit entlassen werden.

Was hätte er auch zu seinem hohen Herrn sagen sollen? Dass sein Gottesgnadentum nicht mehr zeitgemäß ist? Dass sich die anderen Mächte Europas durch das "ruhelose Reich" bedroht fühlen mussten? Dass des Kaisers Lieblingsprojekt eine glanzvolle Flotte, fast so großartig wie die britische, Besuch der Flotten in Portsmouth und Schlicktown, gegenseitige Toasts und Flottenparaden keine gute Idee ist, dass GB es so interpretieren würde, wie man es nun einmal interpretieren musste: als Bedrohung, als Herausforderung. Das er doch bitte, bitte! einfach mal die Klappe halten solle? Dass er gar nicht dauernd Interviews und Telegramme und Erklärungen heraushauen muss? Dass die Zeiten Friedrichs des Großen vorbei sind, dass ein Politiker nicht alle Geschäftsbereiche überblicken kann, geschweige denn sich berufen fühlt, alles selbst regeln zu wollen mit geringer Sachkompetenz? Dass er mit seinen Toasts und Reden diplomatisches Porzellan zerschlägt und den Spielraum der politischen Möglichkeiten Deutschlands einengt?

Was ist denn in diesem Zusammenhang mit "ausländischer Schwachsinn" gemeint? Es ist ja nun nicht gerade so, dass Wilhelms "persönliches Regiment", dass der preußische Militarismus ein fremder Kulturimport gewesen wäre.
 
Für das damalige Frankreich war es nicht leicht einzusehen, nicht die Grande Nation zu sein, sondern einfach eine Grande Nation zu sein.

Da kann man immer auf das bekannte Zitat von Jean Jaures verweisen:
„An dem Konflikt, der zwei mächtige Nationen gegeneinander aufgebracht hat, trägt Frankreich eine tiefe Mitschuld. Frankreich war es, die ihn seit langem vorbereitet und fast unvermeidbar gemacht hat, indem es die Lebensbedingungen Deutschlands verkannt hat und der notwendigen und legitimen deutschen Einheit mit stiller Feindschaft entgegengetreten ist. (...) Wie schwer tat sich Frankreich, eine gleiche unter gleichen Nationen zu werden! Wie schmerzhaft war es, nicht länger die große Nation, sondern nur eine große Nation zu sein!“

Jaures hatte immer vor den kriegerischen Tendenzen in Frankreich gewarnt:
In der Tageszeitung L'Humanité, die Jean Jaurès 1904 gegründet hatte, hatte der unbeugsame Pazifist immer wieder Militarismus und Nationalismus angeprangert und für einen Völkerbund plädiert.
„Bricht der Krieg aus, dann wird er sich gleich einer Seuche verbreiten und zum schrecklichsten Völkermord seit dem Dreißigjährigen Krieg führen.

Vor 100 Jahren - "Warum haben sie Jaurès getötet?"
 
Der wurde in den Ruhestand versetzt (vielleicht sogar das Vernünftigste, was Wilhelm II. je getan hat)

Warum? Bismarck war nicht mehr auf der Höhe der Zeit, aber allemal besser als ein Caprivi oder Hohenlohe im Amte des Reichskanzlers. Der britische Premier Salisbury äußerte bei Gelegenheit einmal, das der "den Scharfsinn des alten Herrn vermisse."

Und ganz wichtig. Mit Bismarck als Kanzler wäre der Rückversicherungsvertag verlängert worden; die russische Seite hatte 6 Jahre im Auge. 6 Jahre, in denen die französischen Bemühungen zur Herbeiführung eines Bündnisses doch erheblich gebremst worden wären. Wer weiß, wie die Dinge sich entwickelt hätten.

Tja, es hätte halt nur mal jemand vernünftig mit seiner Majestät reden müssen

Das war nicht gerade einfach. Seine Majestät wünschte in extremer Weise um den Bart gegangen zu werden und der Bauch musste ordentlich gepinselt werden. Für starke Persönlichkeiten mit einer eigenen Meinung war an Wilhelms Hofe nicht unbedingt der richtige Platz.

Bülow wurde Reichskanzler, nicht wegen Kompetenz, sondern weil er den hohen Herrn zu nehmen wusste

...und vor allem, weil ihm Philipp Eulenburg dazu gemacht hatte.

Das er doch bitte, bitte! einfach mal die Klappe halten solle? Dass er gar nicht dauernd Interviews und Telegramme und Erklärungen heraushauen muss?

Ganz wichtiger Punkt!

Was ist denn in diesem Zusammenhang mit "ausländischer Schwachsinn" gemeint?

??
 
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Wilhelm II. hat seine Erziehung auch bestimmt nicht genossen, so modern und aufgeschlossen Wilhelms Eltern, Kronprinz Friedrich (III.) und Prinzessin Victoria in vielem auch war, die Erziehung des jungen Wilhelm geschah nach den Regeln "Schwarzer Pädagogik", wobei man Wert legte auf Abhärtung und Brechen des Willens. Das waren Erziehungsprinzipien, die heute die Staatsanwaltschaft auf den Plan rufen würde.
Diese Härte hatte bei einem Kind mit Behinderung, wie sie Wilhelm nun mal hatte, fatale Folgen. Aus einem unsicheren Kind wurde ein unsicherer Kaiser, der seine Unsicherheit durch Forschheit zu überdecken suchte.


Übrigens wurde zur Finanzierung der Flotte 1902 die bis heute bestehende Schaumweinsteuer eingeführt.

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