Historische Kindersterblichkeit, Rolle des Alkoholkonsums?

muck

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Hallo!

Es dürfte bekannt sein, dass bis weit in die Neuzeit der Konsum von Bier und Wein als keimfreien Alternativen zum oft verunreinigten Wasser aus Brunnen und Gewässern verbreitet war. Ebenfalls dürfte bekannt sein, dass die Kindersterblichkeit bis weit in die Neuzeit selbst in den höchstentwickelten Ländern Europas hoch war.

Meist werden dafür die mangelhafte Hygiene und ungenügenden medizinischen Kenntnisse verantwortlich gemacht. Wie steht es aber mit der Rolle, die der Alkoholkonsum werdender Mütter gespielt haben mag?

Weiß jemand, ob dazu Forschung betrieben wurde?

Zwar hatten Biere einen geringeren Alkoholgehalt, als wir heute gewohnt sind, und Wein wurde meist mit Wasser verdünnt getrunken, schon aus Kostengründen; beides geht aus historischen Quellen klar hervor.

Doch genügen bereits geringe Mengen Alkohols, um ein fötales Alkoholsyndrom zu verursachen.

Dies geht nun äußerst selten mit Fehl- oder gar Totgeburten einher, allerdings kann es zu Schäden an den Organen und dem zentralen Nervensystem führen, und damit zu einer erhöhten Krankheitsneigung. Da FAS bei Kindern zu Verwachsungen und Veränderungen vor allem im Gesicht führt, könnte das Syndrom auch anhand von zeitgenössischen Beschreibungen oder Skelettfunden diagnostiziert werden, daher die Frage!

Danke im Voraus für Literaturtipps und alle Hinweise!
 
Es würde mich auch freuen, wenn hier eine Diskussion entsteht! Ich stelle mir nämlich auch einige Fragen zu dem Thema.

Einerseits lese und höre ich immer wieder von Historikern, dass es gar nicht stimmen soll, dass im Mittelalter kein Wasser getrunken wurde. Es komme in Quellen einfach selten vor, weil zu selbstverständlich.

Andererseits frage ich mich, ob Bier, gebraut mit verseuchtem Wasser tatsächlich gesundheitlich unbedenklich werden kann. Der Alkoholgehalt kann dafür wohl kaum ausschlaggebend sein. Allerdings wird heute Bier zwar während dem Brauen hoch erhitzt, aber war das früher auch schon so? Kann man das überhaupt herausfinden? Gibt es genaue Rezepturen aus dem Mittelalter und kann man die in heutige Temperaturangaben umrechnen? Und auch wenn, damals konnte man Temperaturen ja ohnehin nicht wirklich messen.
Aber wenn die Erhitzung des Biers der Grund wäre, hätte man ja auch einfach Wasser erhitzen können, dann wären die Keime auch tot und man könnte sich den Rest des Prozedur sparen. Klar, man wusste natürlich nichts von Keimen und Sterilisieren etc. aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man das nicht herausgefunden hätte. Schliesslich hat man ja auch herausgefunden, dass man Bier trinken kann.

Und Wein soll mit Wasser vermischt worden sein? Aber Wasser war doch verseucht?

Und konkret zur Frage von Muck: Nicht nur für Ungeborene ist der Alkohol sehr gefährlich! Kleinkinder können bereits ab 1.5 g Alkohol pro kg Körpergewicht ins Koma fallen und bei 3 g sterben. Ein einjähriges Kind würde also bei etwa 0.5 l Bier schon sterben. Das klingt zwar nicht grad nach wenig, aber bei häufigerem Konsum von auch geringeren Mengen, wird die Gesundheit trotzdem massiv beeinträchtigt.
 
Nun, vor der Erfindung der Wasseraufbereitung wurde natürlich auch Wasser getrunken.

Davon zeugt schon die Tatsache, dass wir z.B. auch in solchen Burgen Brunnen und Zisternen vorfinden, die über kein Brauhaus verfügten, um es zu verarbeiten. Gemauerte Brunnen und Zisternen, die keiner Sonneneinstrahlung ausgesetzt waren, stellten durchaus eine relativ ungefährliche Trinkwasserquelle dar, umso mehr für Menschen, deren Immunsystem besser an Keime angepasst war als das unsere.

Auch das Wasser aus Fließgewässern konnte man vor der Industrialisierung halbwegs bedenkenlos trinken, sofern keine großen Ansiedlungen, Äcker oder Weiden in der Nähe lagen, die Keime hätten eintragen können.

Nicht zuletzt wird das Trinken von Wasser durch wiederkehrende Cholera-Epidemien belegt.

Was Deine Frage nach der Unbedenklichkeit der produzierten Getränke angeht; da spielte nicht die Erhitzung eine Rolle, sondern die Fermentation, die Bakterien abtötet, und sodann die Zutatenliste. Hopfen besitzt starke antibakterielle Eigenschaften. Biere und (in geringerem Maße) Weine enthalten außerdem Zucker, und der macht Lebensmittel wiederum haltbarer gegen Keime. In der Gesamtschau weniger bedeutend, aber dennoch bemerkenswert dürfte noch die Praxis sein, Weine mit Honig zu süßen – wieder ein natürliches Antibiotikum.

Dass Weine mit Wasser vermischt getrunken wurden, ist bekannt, z.B. schildert im späten 15. Jahrhundert Philipp von Commynes die Tatsache, dass Karl der Kühne unverdünnten Wein trank, als etwas Verwerfliches. Dass Bier (ausgenommen Fastenbier) einen geringeren Alkoholgehalt besaß als die Biere, die wir heute kennen, ist durch überlieferte Rezepte verbürgt. Ohnehin wäre es hinderlich gewesen, wenn wichtige Mitglieder der Gesellschaft (wie Handwerker oder Kleriker) ständig betrunken gewesen wären.

Allerdings dürfte auch ein niedrigerer Alkoholgehalt in der Praxis den Bedürfnissen an sichere Lebensmittel genügt haben. Selbst sogenanntes "alkoholfreies Bier", das nur bis zu 0,5% Alkohol enthält, ist geöffnet (oder, um nach früheren Maßstäben zu denken, im Anschluss an das Brauen und Ausliefern in Kannen und Fässern) bis zu drei Tage haltbar. Aber: Wie Du richtig einwendest, genügen bereits geringe Mengen Alkohol, um der Gesundheit von Kindern zu schaden.
 
Es komme in Quellen einfach selten vor, weil zu selbstverständlich.
Das ist das vielgestaltige Problem mit den Quellen: sie überliefern aus einer ganz anderen Perspektive, mit einem ganz anderen Erwartungs- & Erfahrungshorizont als wir - aus dem einfachen Grund, dass die Quellen nicht für uns verfasst wurden, sondern für und in der Zeit, in der sie entstanden. An einem Beispiel: uns interessiert, was der der Bauer, Handwerker, kurzum "das einfache Volk" zur Zeit Karls des Großen auf dem Tisch hatte, aber das interessierte den Chronisten überhaupt nicht, ja den interessierte nicht mal, was Kaiser Karl jeden Tag auf dem Tisch hatte, sondern er listete auf, was zu besonderen Anlässen (Karl und sein Gefolge besuchen diese oder jene Kaiserpfalz, und die muss vorbereitet sein) aufgeboten wurde bzw aufgeboten werden musste. Und diese Überlieferung der salopp gesagt Fressalien zu hohen Anlässen hat zugleich die Intention, Macht und Reichtum des Kaisers darzustellen (a la "ja das alles auf Ehr´ / das kann (fress) ich und noch mehr" (Zigeunerbaron))
Kurzum: die Quellen berücksichtigen weder unsere Interessen noch unsere Erwartungen - damit müssen wir irgendwie zurechtkommen.

Unser Interesse: was aß und trank man, wie war das mit dem Alkohol - dazu finden wir keine für uns passenden umfangreichen Quellen, eher finden wir nebenbei, punktuell Informationen. Mittelalterliche Abgabenlisten z.B. lassen Rückschlüsse zu. Hagiographische und epische Texte enthalten vereinzelt Einsprengsel. Usw.

Und wir haben heute Techniken, die uns ohne Quellen Informationen über Teile der Bevölkerung des Mittelalters liefern: Knochenuntersuchungen weisen Krankheiten (auch typische "Zivilisationskrankheiten" wie "der Rittersmann hatte Rücken") nach, geben Aufschluss über Ernährungsgewohnheiten usw. In Stecker/Toplak "die Wikinger" finden sich Ergebnisse zu den beliebten nordgermanischen Handelsreisenden des Mittelalters :D wobei sich kein Hinweis auf Alkoholmissbrauch derart, dass der Untersuchte alkoholgeschädigt war, finden lässt. Infolge des Strontiumuntersuchungen muss davon ausgegangen werden, dass Wasser getrunken wurde, anders würde sich kein Strontium in den Knochen nachweisen lassen (oder so ähnlich) - ob das Wasser mit Apfelsaft, gegoren & gehopft :D oder frisch aus dem sprudelnden Quell getrunken wurde, wissen wir nicht.

Dann wären weitere Indizien: die Art und Weise der Ansiedlung (an Quellen, Wasserläufen) und die große technische Mühe und Raffinesse mittelalterlicher Wasserbautechniken (Bewässerungssysteme, Wasserkunst, Zisternen, Brunnenbau (auch auf Bergkuppen in Burgen))
 
Hallo!

Es dürfte bekannt sein, dass bis weit in die Neuzeit der Konsum von Bier und Wein als keimfreien Alternativen zum oft verunreinigten Wasser aus Brunnen und Gewässern verbreitet war. Ebenfalls dürfte bekannt sein, dass die Kindersterblichkeit bis weit in die Neuzeit selbst in den höchstentwickelten Ländern Europas hoch war.

Meist werden dafür die mangelhafte Hygiene und ungenügenden medizinischen Kenntnisse verantwortlich gemacht. Wie steht es aber mit der Rolle, die der Alkoholkonsum werdender Mütter gespielt haben mag?

Weiß jemand, ob dazu Forschung betrieben wurde?

Zwar hatten Biere einen geringeren Alkoholgehalt, als wir heute gewohnt sind, und Wein wurde meist mit Wasser verdünnt getrunken, schon aus Kostengründen; beides geht aus historischen Quellen klar hervor.

Doch genügen bereits geringe Mengen Alkohols, um ein fötales Alkoholsyndrom zu verursachen.

Dies geht nun äußerst selten mit Fehl- oder gar Totgeburten einher, allerdings kann es zu Schäden an den Organen und dem zentralen Nervensystem führen, und damit zu einer erhöhten Krankheitsneigung. Da FAS bei Kindern zu Verwachsungen und Veränderungen vor allem im Gesicht führt, könnte das Syndrom auch anhand von zeitgenössischen Beschreibungen oder Skelettfunden diagnostiziert werden, daher die Frage!

Danke im Voraus für Literaturtipps und alle Hinweise!

Nun ja, die Auswahl an Getränken war für die überwiegende Mehrheit in früheren Jahrhunderten ebenso karg wie die an Speisen. Bier, saisonal bedingt noch Most aus Äpfeln und Birnen, in Weinanbaugebieten auch aus Trauben, Brunnen oder Quellwasser, was anderes gab es nicht oder es war nicht erschwinglich. Bier oder Biersuppe wurde u. a, Wöchnerinnen empfohlen. Das übliche Dünnbier hatte vielleicht einen 2-2,5 %-igen Alkoholgehalt, und auch Getränke wie Most, Wein und Bier hatten keinen hohen Alkoholgehalt, und sie wurden oft noch durch Wasser oder Obstsäfte gestreckt.

Es dürften dann solche schwach alkoholischen Getränke aber immer noch weitaus gesünder und schmackhafter gewesen sein, als Wasser aus Gewässern, das häufig verschmutzt war.

Ein viel größeres Problem, als schwache alkoholische Getränke war der hohe Konsum von Spirituosen und Branntwein, der noch dazu häufig von sehr niedriger Qualität war.

In früheren Jahrhunderten war die Kindersterblichkeit in den Palästen wie in den Hütten recht hoch. Sie war vor allem auf mangelnde Hygienemaßnahmen zurückzuführen. Die hohe Sterblichkeit durch "Kindbettfieber" und kausale Zusammenhänge wurden erst durch Ignaz Semmelweis entdeckt-und Semmelweis stieß auf große Skepsis der Kollegen. Ein weiteres Problem waren "Kinderkrankheiten" und unzureichende medizinische Versorgung. Es mangelte an wirksamen Präparaten mit dem man Fieber senken konnte, und bei Krankheiten wie Cholera, Typhus, Pocken war auch die Schulmedizin relativ machtlos. Phänomene wie einseitige Ernährung, Mangel- und Unterernährung, unzureichende medizinische Versorgung wirkten als Katalysatoren.

Der durchschnittliche Alkoholkonsum war im 16.-18. Jahrhundert durchaus hoch, die Zahl der Alkoholiker dürfte dennoch relativ niedrig gewesen sein. Problematischer Alkoholkonsum wurde auch in früheren Zeiten thematisiert, war ein beliebtes Predigt-Thema und Sujet der Kunst wie in William Hogarths Zyklen Beer Street und Gin Lane.

Empirisch wurde Alkoholismus seit dem 19. Jahrhundert untersucht und es wurde ein negativer Einfluss auf Kinder nachgewiesen und es wurde auch vor Alkohol und Alkoholismus gewarnt.
 
In früheren Jahrhunderten war die Kindersterblichkeit in den Palästen wie in den Hütten recht hoch. Sie war vor allem auf mangelnde Hygienemaßnahmen zurückzuführen. Die hohe Sterblichkeit durch "Kindbettfieber" und kausale Zusammenhänge wurden erst durch Ignaz Semmelweis entdeckt-und Semmelweis stieß auf große Skepsis der Kollegen. Ein weiteres Problem waren "Kinderkrankheiten" und unzureichende medizinische Versorgung. Es mangelte an wirksamen Präparaten mit dem man Fieber senken konnte, und bei Krankheiten wie Cholera, Typhus, Pocken war auch die Schulmedizin relativ machtlos. Phänomene wie einseitige Ernährung, Mangel- und Unterernährung, unzureichende medizinische Versorgung wirkten als Katalysatoren.
Wobei man das nicht zu weit in die Vergangenheit zurückprojizieren darf. Die Ärzte sind teilweise zwischen Kreißsaal und Pathologie hin und her gehuscht und haben somit Ptomain von Verstorbenen auf die Neugeborenen uns ihre Mütter übertragen.
 
@Scorpio
Danke für die Zusammenfassung, aber wir sind der Antwort leider noch nicht näher. Die entscheidende Bedeutung der ungenügenden Kenntnisse in puncto Medizin und Hygiene für die hohe Kindersterblichkeit (und auch Müttersterblichkeit) ist unstrittig. Tatsache ist aber, dass genug Alkohol von Schwangeren getrunken wurde (getrunken werden musste), um die Gesundheit ungeborener Kinder zu gefährden.

Und die betroffenen Eltern hätten nicht unterscheiden können, warum ihr Kind krank ist oder gar stirbt. Allerdings könnten Skelettfunde eine gewisse Einschätzung der Inzidenz von FAS und verwandten Syndromen erlauben, ebenso schriftliche Berichte zu den verstorbenen Sprösslingen des Adels und reichen Bürgertums; daher die Frage. Denn wie @Sisa zu bedenken gab, reichen schon geringe Mengen Alkohols aus, um aus heutiger Sicht deutlich erkennbare Symptome hervorzurufen, die in einem unhygienischen Umfeld ohne Hilfe durch die moderne Geburtsmedizin natürlich doppelt und dreifach ins Gewicht fallen würden.
Der durchschnittliche Alkoholkonsum war im 16.-18. Jahrhundert durchaus hoch, die Zahl der Alkoholiker dürfte dennoch relativ niedrig gewesen sein.
Woher weiß man das? Die Suchtschwelle von Alkohol ist relativ niedrig, selbst über einen längeren Zeitraum hinweg eine Alkohol enthaltende Medizin zu sich zu nehmen, kann zur Abhängigkeit führen.
 
Wobei man das nicht zu weit in die Vergangenheit zurückprojizieren darf. Die Ärzte sind teilweise zwischen Kreißsaal und Pathologie hin und her gehuscht und haben somit Ptomain von Verstorbenen auf die Neugeborenen uns ihre Mütter übertragen.
Eben. Vor dem 17. oder 18. Jahrhundert war das Betreuen der Gebärenden fast ausschließlich Frauensache – der Hebammen. Ärzte spielten da kaum eine Rolle, zumal es da auch keine Pathologie, also Aufschneiden der Leichen, gab, weil von der Kirche verboten.

Denn wie @Sisa zu bedenken gab, reichen schon geringe Mengen Alkohols aus, um aus heutiger Sicht deutlich erkennbare Symptome hervorzurufen, die in einem unhygienischen Umfeld ohne Hilfe durch die moderne Geburtsmedizin natürlich doppelt und dreifach ins Gewicht fallen würden.
Wenn Alkohol in der Schwangerschaft tatsächlich eine so große schädliche Wirkung auf Kinder hätte, dann müssten diese Wirkungen in Ländern, in denen so gut wie kein Alkohol konsumiert wird, verschwindend gering sein. Aber davon habe ich nie was gelesen. Entweder gibt es keine vergleichenden Studien darüber oder man übertreibt im Westen bewusst diese Gefahren.

Diese Gefahren sind vor allem bei Frauen gegeben, die unter Alkoholismus leiden, sei es wegen des Alkoholmissbrauchs oder der -abhängigkeit. Es gibt keine verlässlichen Zahlen über die Häufigkeit des FA-Syndroms in der westlichen Welt, aber die Schätzungen gehen von 1 bis 3 Fällen pro 1.000 Lebendgeburten. Das bedeutet, dass auch unter Alkoholismus leidende Frauen während der Schwangerschaft keinen oder kaum Alkohol trinken, wäre dem anders, müsste die Häufigkeit des FA-Syndroms in Prozent- und nicht in Promillebereich liegen.

Dass Alkohol schädigende Wirkung auf ungeborene Kinder hat, wurde schon sehr früh erkannt, sonst stünde in der Bibel im Buch der Richter, Kapitel 13,3 nicht das – Zitat:

Der Engel des Herrn erschien der Frau und sagte zu ihr: Gewiss, du bist unfruchtbar und hast keine Kinder; aber du sollst schwanger werden und einen Sohn gebären.
Nimm dich jedoch in Acht und trink weder Wein noch Bier und iss nichts Unreines!
 
Nur weil es, wenn ich es recht sehe, so noch nicht gesagt wurde, ohne dass ich eigentlich Ahnung davon habe: Alkohol hat an sich eine antibakterielle Wirkung, unabhängig von Fermentation oder Erhitzung. Deshalb könnte es auch sinnvoll gewesen sein, etwa Wein mit Wasser zu vermischen.
 
Also, die Aussage, dass kein Wasser getrunken wurde, ist vielleicht nicht ganz richtig. Wasser ist ja nicht gleich Wasser. Mir fällt z.B. eine Quelle ein, wonach eine Burg in Spanien (Aledo) nur über eine Quelle verfügte, die zu wenig Wasser führte, um einer längeren Belagerung Stand zu halten und zudem noch etwas salzig war. Anderswo versuchte man bei Belagerungen an die Brunnen heranzukommen und diese mit Tierkadavern zu verseuchen, um die Burg zur Aufgabe zu zwingen.
 
Ein viel größeres Problem, als schwache alkoholische Getränke war der hohe Konsum von Spirituosen und Branntwein, der noch dazu häufig von sehr niedriger Qualität war.
ab wann hat man denn hochprozentige Getränke destilliert und obendrein wer konnte sie sich leisten?

Im Mittelalter soll der Wein a) arg herb gewesen sein, weshalb es üblich war, ihn b) mit Honig zu süßen und mit Wasser zu verdünnen.

aber retour zur hohen Kindersterblichkeit früherer Zeiten: hat man denn mittelalterliche und neuzeitliche Grabfunde, die bei Kindern/Jugendlichen die Folgen von Alkoholmissbrauch nachweisen?
 
Im Mittelalter soll der Wein a) arg herb gewesen sein, weshalb es üblich war, ihn b) mit Honig zu süßen und mit Wasser zu verdünnen.
Und weil Bier alkoholisch so schwach war, haben Wirte es mit Stechapfel und/oder Bilsenkraut „aufgebessert“. Auch um das zu unterbinden, wurden Reinheitsgebote erlassen.

Aber es half und hilft alles nicht: Der Mensch will ab und zu berauscht sein, da unterscheiden wir heutigen uns nicht von unseren Vorfahren. :p
 
ab wann hat man denn hochprozentige Getränke destilliert und obendrein wer konnte sie sich leisten?

Im Mittelalter soll der Wein a) arg herb gewesen sein, weshalb es üblich war, ihn b) mit Honig zu süßen und mit Wasser zu verdünnen.

aber retour zur hohen Kindersterblichkeit früherer Zeiten: hat man denn mittelalterliche und neuzeitliche Grabfunde, die bei Kindern/Jugendlichen die Folgen von Alkoholmissbrauch nachweisen?

Soweit ich weiß- alle Angaben ohne Gewähr- gibt es Destillation seit dem 14/15. Jahrhundert. Die älteste französische Spirituose ist der Armagnac, ein ganz hervorragender Brandy aus der Gascogne, der älter ist, als der bekanntere Cognac. Beim Armagnac haben die Römer mit dem Weinbau, die Gallier mit der Kunst, erstklassige Fässer aus Eiche zu bauen und die Araber mit der Destillation die Grundlagen gelegt. Die Herstellung von Armagnac ist seit 1461 urkundlich belegt. Brandy wurde als Eau de vie (Wasser des Lebens) im Spätmittelalter in Apotheken verkauft-und der Preis war recht hoch.

Im 17. und 18. Jahrhundert ließen sich Spirituosen wie Rum relativ leicht, als Nebenprodukt der Zuckerherstellung produzieren. Aus den Niederlanden stammte Genever, ein Wacholderschnaps und Cousin des Gin, und aus Kartoffeln, Getreide und Trester ließen sich sehr billig Spirituosen herstellen. Im 18. Jahrhundert, als Kartoffeln vielerorts noch als Viehfutter galten, wurde daraus schon Schnaps gebrannt. Zahllose Quellen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert berichten, dass Schnaps bei zahllosen Tagelöhnern und Landarbeitern bereits morgens getrunken wurde. Schnaps war in der Regel billiger, als Bier. Vor allem gab es enorme Qualitätsunterschiede beim Bier. Nur Vermögende konnten sich erstklassige, gut gehopfte Starkbiere leisten. Diese "Lagerbiere" wurden meist nur zweimal jährlich gebraut und in kühlen Felsenkellern gelagert.

Schnaps, Branntwein das war in der Regel billigster Fusel aus Trester oder Kartoffeln gebrannt. Schnaps wurde vor allem in der Winterzeit konsumiert, wenn "die grimme Kälte in die schlecht geheizten Häuser und Katen zieht. Schon immer hatten Tagelöhner, arme Leute und alle, die schwere Arbeiten verrichten mussten, Branntwein bereits zum Frühstück zu sich genommen. Branntwein ist Medizin, mit Schnaps wird bereits der Säugling zum Schlafen gebracht." ," wie ein Zeitgenosse zu berichten wusste.

Zitiert nach Ernst Schubert, Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts S. 24 ff.

Im Kapitalismus erkannten Unternehmer schnell das Potenzial, und ihnen gehörten meist auch die Kneipen, in denen Proletarier einen Teil ihres Lohnes ausgaben. In der industriellen Revolution wurde Alkohol am Arbeitsplatz allerdings meist verboten.
Thomas de Quincey berichtet in seiner Suchtbiographie Confessions of an English Opiumeater, dass mehrere Manchester Apotheker und Drogisten am Samstagabend mehre Portionen mit mehreren Gran Opium an Arbeiter verkauften, da Opium damals billiger, als Alkohol war. Also Karl Marx wusste schon, wovon er spricht, als er Religion als Opium für das Volk bezeichnete.
 
Brandy wurde als Eau de vie (Wasser des Lebens)
"Wasser des Lebens" scheint ein geläufiger Name für Hochprozentiges zu sein. Der skandinavische Aquavit trägt diesen Namen, genauso wie der Whisky (Irisch: uisce beatha, uisce = Wasser, beatha = Leben), den es lt. wiki auch bereits seit 1494 gibt. Der Wodka, zu deutsch Wässerchen, soll bereits ab 1405 in Polen gebraut worden sein.
 
Hallo!

Wie steht es aber mit der Rolle, die der Alkoholkonsum werdender Mütter gespielt haben mag?

Ideal wäre es, wenn man die Gesundheit der Kinder - etwa den Anteil der Frühverstorbenen - von Müttern, die aus bestimten Gründen kaum Alkohol getrunken haben, mit der durchschnittlichen Gesundheit von Säuglingen vergleichen könnte. Beispielsweise steht im Wikipedia-Artikel zur Fastenzeit: "Die mittelalterlichen Fastenregeln erlaubten nur eine Mahlzeit am Tag, in der Regel am Abend. Der Verzehr von Fleisch, Milchprodukten, Alkohol und Eiern war verboten." Allerdings galt dieses Alkoholverbot wohl nicht generell, Starkbier wurde in Bayern in der Neuzeit ja gerade in der Fastenzeit getrunken. Aber zu der Zeit und in der Gegend, wo das Alkoholverbot während der 40-tägigen Fastenzeit zumindest tendenziell befolgt worden ist, könnte sich daraus ein Muster in der Gesundheit der Kinder je nach ihrem Geburtsdatum ergeben, abhängig davon, zu welchem Entwicklungsstadium des Embryos Alkohol besonders schädlich ist.
 
@Scorpio
Danke für die Zusammenfassung, aber wir sind der Antwort leider noch nicht näher. Die entscheidende Bedeutung der ungenügenden Kenntnisse in puncto Medizin und Hygiene für die hohe Kindersterblichkeit (und auch Müttersterblichkeit) ist unstrittig. Tatsache ist aber, dass genug Alkohol von Schwangeren getrunken wurde (getrunken werden musste), um die Gesundheit ungeborener Kinder zu gefährden.

Und die betroffenen Eltern hätten nicht unterscheiden können, warum ihr Kind krank ist oder gar stirbt. Allerdings könnten Skelettfunde eine gewisse Einschätzung der Inzidenz von FAS und verwandten Syndromen erlauben, ebenso schriftliche Berichte zu den verstorbenen Sprösslingen des Adels und reichen Bürgertums; daher die Frage. Denn wie @Sisa zu bedenken gab, reichen schon geringe Mengen Alkohols aus, um aus heutiger Sicht deutlich erkennbare Symptome hervorzurufen, die in einem unhygienischen Umfeld ohne Hilfe durch die moderne Geburtsmedizin natürlich doppelt und dreifach ins Gewicht fallen würden.Woher weiß man das? Die Suchtschwelle von Alkohol ist relativ niedrig, selbst über einen längeren Zeitraum hinweg eine Alkohol enthaltende Medizin zu sich zu nehmen, kann zur Abhängigkeit führen.

Du legst den Finger in die Wunde-das Problem ist, dass wir für die vor-industrielle Zeit einfach zu wenige Quellen haben, um über einen längeren Zeitraum empirische Daten gewinnen zu können. Was wir in Quellen und Archivalien finden, sind Schlaglichter, Abweichungen von der Norm.

Ein Beispiel: Ich habe in Beitrag '# 13 geschrieben, das gute Biere teuer waren, dass die Mehrzahl der Bevölkerung sich solches Gebräu nur an Festtagen leisten konnte. Das sind Daten aus obrigkeitlichen Mandaten, Preislisten, Steckbriefen etc., etc., etc.

Ungefähr um die gleiche Zeit, in der gleichen Gegend (Franken) fiel Ernst Moritz Arnd auf, dass die Bauern sehr arm sind, dass man aber gutes Bier tränke. Arndt hat keine Lügen erzählt, sondern das, was ihm auffiel. Die eine Quelle scheint der anderen zu widersprechen, obwohl beide historische Wirklichkeit wiedergeben.

Ähnlich ist es mit dem Branntweinkonsum bei Armen und schwerarbeitender Bevölkerung. Zahllose Quellen berichten, dass Branntweinkonsum an der Tagesordnung war.

Gleichzeitig gibt es die Beobachtung eines Arztes, der über mehrere Jahre Alkoholismus beobachtete und zum Schluss kam, dass Fälle von "Trunksucht" relativ selten seien bei herrschenden Trinkregeln, Konsumgewohnheiten, Verbrauch von Bier, Wein, Branntwein. Man kann davon ausgehen, dass der Zeitzeuge korrekt beobachtet hat, dass seine Einschätzung zutreffend ist. Aber 10 Kilometer entfernt mochte man zu anderen Schlussfolgerungen kommen. Vielleicht nicht zu ganz anderen, aber 10 Fallstudien unter 1000 Einwohnern würden das Ergebnis drastisch verschieben.

Wirklich empirische Daten wird man kaum mehr rekonstruieren können, zumal es ja auch um medizinische Folgen geht, die sich über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahren auswirken, wobei noch Wechselwirkungen hinzukommen- was wurde im 18. Jahrhundert nicht alles unter "Schwindsucht" zusammengefasst.
 
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