Demokratie und Kommunismus [un]vereinbar?

In Italien der 70er Jahre versuchte man es mit dem historischen Kompromiss: Die kommunistisch Partei Italien (PCI) unter Enrico Berlinguer strebte eine strategische Zusammenarbeit mit den Sozialdemoktaten (PSI) und den Christdemokraten (Democrazia Cristiana) unter Aldo Moro an. Dies brachte aber sowohl Rechts- als auch Linksextremisten gegen diese Politik auf. Mit der Ermordung Aldo Moros 1978 durch die Roten Brigaden endete diese Kooperation.
Man könnte auch überlegen, ob die Front populaire als Regierung in Frankreich 1936/37 unter Léon Blum ein erfolgreiches Beispiel für die Vereinbarkeit von Kommunismus und Demokratie darstellt.
Edit: Die spanische Frente Popular 1936 könnte auch noch ein Beispiel sein.
 
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Ich würde der Eingangsthese auch widersprechen, ich dachte dabei aber weniger an die Arbeiter- und Soldatenräte während und nach dem 1.Weltkrieg, sondern an deren Vorbild: Die Pariser Commune von 1871.

Pariser Kommune (1871) – Wikipedia

Aus dem Wikipedia-Artikel:

Aufgrund dieser Misserfolge erlangte die autoritäre Fraktion bald ein höheres Gewicht im Gemeinderat. Dies wurde zusätzlich durch den Austritt gemäßigter Vertreter begünstigt, nachdem am 4. Mai nach einer Kampfabstimmung ein aus der Revolution von 1789 bekannter Wohlfahrtsausschuss gebildet worden war. Dieser wurde mit quasi diktatorischen Vollmachten ausgestattet, und seine Mitglieder waren nur der Kommune verantwortlich. Der Wohlfahrtsausschuss hob die Pressefreiheit praktisch auf: Eine Reihe von Zeitungen wurde gänzlich verboten, die übrigen durften über seine Sitzungen nicht mehr berichten, denn, so ein Mitglied: „mit Pressefreiheit ist überhaupt keine Regierung möglich“.

Also nein, so richtig demokratisch war das alles nicht. Die Pariser Kommune existierte ja auch nicht sehr lange und nur unter Bürgerkriegsbedingungen und mit zu unterschiedlichen Zielsetzungen der einzelnen Akteure, so dass sich daraus ohnehin nur sehr begrenzt irgendwelche Rückschlüsse auf die Vereinbarkeit von Kommunismus und Demokratie in die eine oder andere Richtung ziehen lassen.
 
Diese Einlassung würde ich ganz trocken mit dem Ulbricht-Zitat "Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben" hinsichtlich der Frage wie er sich die neue Ordnung in der SBZ und späteren DDR dachte, kommeentieren.

Den Widerspruch sah also zumindest Walter Ulbricht durchaus.

Das bestreite ich auch nicht, ich habe lediglich zu bedenken gegeben, dass es durchaus historisch Kommunisten gab, die einem demokratischen Modell durchaus aufgeschlossen gegenüber standen und dass ich da durchaus Vereinbarkeit sehe.

Genauso wie bei Walter Ulbricht muss man wohl davon ausgehen, dass auch bei denjenigen Mitgliedern der Arbeiter- und Soldatenräte 1918, die kommunistische Vorstellungen verfolgten, öffentliche Bekenntnisse zur Demokratie vielleicht auch ein Stück weit Propaganda waren und sie sich intern anders äußerten.

Man muss zudem bedenken, dass Ulbricht durch seine Zeit in der Sowjetunion die Realität des Rätesystem aus erster Hand kannte und sich daher vermutlich keine Illusionen über deren Charakter gemacht hat. Diese Erfahrung hatten die Räte 1918 noch nicht.
 
Genauso wie bei Walter Ulbricht muss man wohl davon ausgehen, dass auch bei denjenigen Mitgliedern der Arbeiter- und Soldatenräte 1918, die kommunistische Vorstellungen verfolgten, öffentliche Bekenntnisse zur Demokratie vielleicht auch ein Stück weit Propaganda waren und sie sich intern anders äußerten.

Muss man das?

Man muss zudem bedenken, dass Ulbricht durch seine Zeit in der Sowjetunion die Realität des Rätesystem aus erster Hand kannte und sich daher vermutlich keine Illusionen über deren Charakter gemacht hat. Diese Erfahrung hatten die Räte 1918 noch nicht.

Wo du gerade die Verhältnisse in der Sowjetunion ansprichst, wie würdest du denn Kronstadt beurteilen?

Kronstädter Matrosenaufstand – Wikipedia

Da hätten wir das Beispiel eines Teils der Rätebewegung, der mit der Herrschaft von Lenins Partei so gar nicht einverstanden war und sich dagegen erhob, anscheinend aber keine grundsätzlichen Probleme mit dem Kommunismus hatte.
 
In Italien der 70er Jahre versuchte man es mit dem historischen Kompromiss: Die kommunistisch Partei Italien (PCI) unter Enrico Berlinguer strebte eine strategische Zusammenarbeit mit den Sozialdemoktaten (PSI) und den Christdemokraten (Democrazia Cristiana) unter Aldo Moro an. Dies brachte aber sowohl Rechts- als auch Linksextremisten gegen diese Politik auf. Mit der Ermordung Aldo Moros 1978 durch die Roten Brigaden endete diese Kooperation.
Man könnte auch überlegen, ob die Front populaire als Regierung in Frankreich 1936/37 unter Léon Blum ein erfolgreiches Beispiel für die Vereinbarkeit von Kommunismus und Demokratie darstellt.
Edit: Die spanische Frente Popular 1936 könnte auch noch ein Beispiel sein.

Alle drei Beispiele zeigen lediglich, dass kommunistische Parteien (oder zumindest Parteien, die sich so nennen) unter Umständen bereit sein können, eine von anderen Parteien geführte Regierung zu tolerieren. In keinem dieser Fälle kam zu einer kommunistischen oder auch nur sozialistischen Gesellschaft unter demokratischen Bedingungen.

Der historische Kompromiss kam ja übrigens u. a. wegen der Ermordung von Aldo Moro durch die kommunistischen Roten Brigaden letztlich nicht zustande, die Front populaire zerbrach nach kurzer Zeit und Spanien geriet kurz nach Antritt der Frente Popular durch den Militärputsch Francos in den Bürgerkrieg.
 
In keinem dieser Fälle kam zu einer kommunistischen oder auch nur sozialistischen Gesellschaft unter demokratischen Bedingungen.
Unter Léon Blum kam es aber zu sozialen Reformen, wie der 40Stunden-Woche oder einem gesetzlichen Urlaubsanspruch, die die Gesellschaft zumindest etwas "gleicher", etwas "sozialistischer" machte.
Die Roten Brigaden in Italien hatte ich erwähnt. Sie standen übrigens im Widerspruch zum "historischen Kompromiss" im Sinne der PCI.
 

Ja, muss man. Wenn wir das näher diskutieren wollen, solltest Du eventuell mal einen Akteur der damaligen Zeit nennen, der sowohl kommunistische Ansichten verfolgte, als auch sich für die Demokratie aussprach.

Wo du gerade die Verhältnisse in der Sowjetunion ansprichst, wie würdest du denn Kronstadt beurteilen?

Kronstädter Matrosenaufstand – Wikipedia

Da hätten wir das Beispiel eines Teils der Rätebewegung, der mit der Herrschaft von Lenins Partei so gar nicht einverstanden war und sich dagegen erhob, anscheinend aber keine grundsätzlichen Probleme mit dem Kommunismus hatte.

So richtig demokratisch sind einige der Forderungen der Petropawlowsk-Resolution aber auch nicht (Zitat aus dem Wikipedia-Artikel):
  • Sofortige Abhaltung neuer Wahlen mit geheimer Abstimmung, wobei die vorherige Wahlkampagne volle Agitationsfreiheit unter den Arbeitern und Bauern haben sollte.
  • Einführung der Rede- und Pressefreiheit für Arbeiter und Bauern, Anarchisten und links stehende sozialistische Parteien.
  • Absicherung der Versammlungsfreiheit für Arbeitergesellschaften und Bauernorganisationen.
Wichtig ist hier, was nicht gefordert wird, nämlich offensichtlich keine Agitationsfreiheit, Redefreiheit, Pressefreiheit oder Versammlungsfreiheit für bürgerliche, liberale oder konservative Kräfte.

Sie wollten keine Einparteienherrschaft, aber eben auch keine Demokratie in unserem Sinne.

Und selbst wenn würde das nur beweisen, dass Menschen gleichzeitig kommunistische und demokratische Ziele anstreben können, nicht dass diese in der Praxis kompatibel wären.
 
Unter Léon Blum kam es aber zu sozialen Reformen, wie der 40Stunden-Woche oder einem gesetzlichen Urlaubsanspruch, die die Gesellschaft zumindest etwas "gleicher", etwas "sozialistischer" machte.

Das hat aber alles nichts mit Kommunismus zu tun. Sozialreformen gab es ja schon unter Bismarck. Und in deutlich größerem Umfang später in den meisten europäischen Staaten.
 
Sie wollten keine Einparteienherrschaft, aber eben auch keine Demokratie in unserem Sinne.

Ein demokratisches System in unserem Sinne, ist allerdings, wie du zugeben wirst letztendlich Produkt einer Entwicklung (die durchaus nicht an ihrem Endpunkt ist), so dass es ein wenig wohlfeil ist sich darüber zu beschweren, dass historische Gruppierungen und Ereignisse diesen Prozess nicht vorweg genommen haben.

Natürlich wäre was die Kronstädter forderten zunächst mal auf ein System mit beschränkten demokratischen Möglichkeiten, im Sinne der Beschränkung des Spektrums der zugelassenen Parteien hinausgelaufen.
Allerdings waren beschränkte demokratische Möglichkeite, wenn man sich das Gesamtsystem anschaut, in der damaligen Zeit die Regel.
Schaut man sich die politischen Systeme Westeuropas an, war das Spektrum zugelassener Parteien größer, dafür genossen aber große Teile der Einwohner, vor allem in den Kolonien de facto keine oder äußerst eingeschränkte politische Rechte. In den USA verhält es sich zu dieser Zeit im Hinblick auf die afroamerikanischen Teile der Bevölkerung ähnlich.

Was hier anders gewesen wäre, ist lediglich die Art der Einschränkung, nicht der Umstand an und für sich.
Im Hinblick auf Westeuropa und die USA hat es sich allerdings so verhalten, dass dieses Zwischenstadium eine solide Basis bildete um zu Demokratien im heutigen Verständnis überzugehen.
In diesem Sinne wäre vielleicht hier überdenkenswert, ob ein System, wie es den Kronstädtern vorschwebte ähnliche Entwicklungspotentiale gehabt hätte.
Denn wenn demokratische Prinzipien, wenn auch im Hinblick auf ein eingeschränktes Parteienspektrum dauerhaft implementiert worden wären, wäre die Ausdehnung dieser Prinzipien auf andere Gruppierungen im Grunde keine schwierigere Aufgabe gewesen, als etwa die Ausdehnung voller politischer und Bürgerrechte auf die Teile der US-amerikanischen Bevölkerung, die sie vor den 1960er Jahren nicht genossen.

Die Rätebewegung zeigt jedenfalls, dass es jedenfalls historische Beispiele für den Versuch gibt, demokratische Elemente mit dem Kommunismus zu verbinden und auch wenn dabei kein demokratisches System im heutigen Sinne explizit anvisiert war, sehe ich persönlich keinen Grund dafür anzunehmen, dass eine solche Entwicklung unmöglich gwesen wäre.
Der Umstand, dass die entsprechenden Strömungen historisch nicht stark genug waren sich durchzusetzen, beweisen durchaus nicht die Unmöglichkeit beide Gedankengebäude zusammen zu bringen.
 
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bei Walter Ulbricht
bin ich mir sehr sicher, dass er weder der intellektuelle noch der politische Nachlassverwalter von Karl Marx ist.

Marx und seine Theorien (samt seiner polemischen Utopie) ist 19. Jh. und sollte primär im Kontext seiner Zeit betrachtet werden. Weder er noch sein "Das Kapital" und "kommunistisches Manifest" haben die Oktoberrevolution, die Bolschewisten, die DDR etc erschaffen, folglich kann ich nicht nachvollziehen, warum und wozu Ulbricht herbeigeholt wird. Was Ulbricht und Honecker als "sozialistisch" und "kommunistisch" bezeichnen, hat mit Sozialismus und Marx eher wenig zu tun.
 
Demokratie und Kommunismus, da klemmt bei mir die Tastatur.
Ohne ein Adjektiv funktioniert dies nicht.
Die Kommunisten sind ja nun nicht gerade die Erfinder der Demokratie.
Weil sie aber an einer Demokratie nicht vorbeikommen, erfanden sie schlauerweise die >sozialistische Demokratie< .

Und damit habe ich mich viele Jahre herumplagen müssen, habe auch viele Bücher darüber.

Eines Tages erklärte mir diese Art mal ein Freund recht anschaulich.
Man lege seine Hand flach auf den Tisch und nehme ein Herzstück dieser Art der Demokratie mit den Slogan „Plane mit, arbeite mit, regiere mit.“

Nun bewege mal der Reihe nach diese 3 Finger nach oben.
Zuerst den Zeigefinger – Plane mit, dann den Mittelfinger – arbeite mit und zu Letzt den Ringfinger – regiere mit und dann siehst Du wie dies gemeint ist.
Und da ging mir ein Licht auf. Fortan weis ich was „sozialistische Demokratie“ ist.;)
 
Der Kommunismus geht, wie das Christentum, von der Gleichheit aller Menschen aus. Das ist aber nur ein (anzustrebender?) Idealzustand, denn Menschen sind untereinander weder physisch noch geistig gleich, noch wollen sie das sein. Darum sind (seit der Antike (Hesiod)) alle Versuche, diesen Idealzustand herzustellen, gescheitert. Gescheitert sind sie nicht an der Idee, sondern an der Natur des Menschen. Eine Gesellschaft, egal welcher Art, dividiert sich unweigerlich auseinander, weil einige schlauer/stärker sind als andere und somit in der Lage, sich Vorteile zu verschaffen und zu sichern. Dann kommt noch dazu: Macht korrumpiert.

Ideen wie der Kommunismus oder das Christentum sind unvereinbar mit der Demokratie, weil deren Anhänger, die an das Gute der Idee glauben, alles tun müssen, um ihr zum Durchbruch und zum Sieg zu verhelfen. Dazu gehört auch, andere Ideen zu unterdrücken, weil diese per Definition nicht gut sein können; es gibt da keinen Raum für ein Vielleicht, und wenn doch, dann ist man von der Idee nicht ganz überzeugt.
 
Das Christentum geht nicht davon aus, dass alle Menschen gleich sind, sondern dass alle Menschen als Kinder Gottes gleich wertvoll sind.
Eine solche Sichtweise ist ( die Kinder Gottes mal ausgeklammert) das notwendige Fundament einer echten Demokratie.
 
In diesem Sinne wäre vielleicht hier überdenkenswert, ob ein System, wie es den Kronstädtern vorschwebte ähnliche Entwicklungspotentiale gehabt hätte.
Denn wenn demokratische Prinzipien, wenn auch im Hinblick auf ein eingeschränktes Parteienspektrum dauerhaft implementiert worden wären, wäre die Ausdehnung dieser Prinzipien auf andere Gruppierungen im Grunde keine schwierigere Aufgabe gewesen, als etwa die Ausdehnung voller politischer und Bürgerrechte auf die Teile der US-amerikanischen Bevölkerung, die sie vor den 1960er Jahren nicht genossen.

Die reale Entwicklung des Rätesystems in Russland verlief aber eben in die entgegengesetzte Richtung. Am Anfang gab es in den Räten neben den Bolschewiki auch noch die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre und noch weitere Gruppierungen, z. T. auch noch nach der Oktoberrevolution. Nur rissen die Bolschewiki nach und nach die gesamte Macht an sich und verdrängten die anderen Gruppierungen. Dieser Prozess war 1921 noch nicht ganz abgeschlossen. Die Menschewiken wurden erst 1923 endgültig verboten. Der Aufstand der Kronstädter Matrosen zeigt im Grunde nur, dass diese Entwicklung nicht ohne Widerstand blieb.

Die Rätebewegung zeigt jedenfalls, dass es jedenfalls historische Beispiele für den Versuch gibt, demokratische Elemente mit dem Kommunismus zu verbinden und auch wenn dabei kein demokratisches System im heutigen Sinne explizit anvisiert war, sehe ich persönlich keinen Grund dafür anzunehmen, dass eine solche Entwicklung unmöglich gwesen wäre.

Theoretisch ist vieles vorstellbar. Insbesondere kann man natürlich auf Papier erstmal viele Forderungen aufstellen, die nicht unbedingt ein logisches Gesamtkonzept darstellen müssen und die im Widerspruch zueinander stehen können oder auch sich erst in der Praxis als inkompatibel erweisen.

Erst wenn eine Partei oder Gruppierung regiert und die Forderungen dann auch umsetzen muss, zeigt sich, inwiefern sie wirklich umsetzbar sind oder an den Widersprüchen zueinander oder auch an der Realität scheitern. Von daher kann man mit Programmen von Gruppierungen, die nie Regierungsverantwortung ausgeübt, prinzipiell nicht die Vereinbarkeit von Kommunismus und Demokratie beweisen.

In der Praxis zeigt sich halt immer wieder, dass kommunistische oder sozialistische Gesellschaftssysteme wegen der damit verbundenen Nachteile nicht auf Dauer die Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung finden und man sich dann irgendwann entscheiden muss, ob man den weiteren Weg in den Kommunismus oder Sozialismus mit Gewalt erzwingt und die Demokratie aufgibt oder ob man die eigene Abwahl und damit das zumindest vorübergehende Ende dieses Wegs zulässt oder ob man selbst seine Vorstellungen entsprechend modifiziert und sich quasi in Richtung Sozialdemokratie entwickelt.

Der Umstand, dass die entsprechenden Strömungen historisch nicht stark genug waren sich durchzusetzen, beweisen durchaus nicht die Unmöglichkeit beide Gedankengebäude zusammen zu bringen.

Natürlich nicht, aber genauso wenig ist es ein Argument für die Vereinbarkeit, wenn beide Gedankengebäude zusammen auf einem Blatt Papier stehen.
 

Im Kontext der Diskussion mit Shinigami meinte ich eigentlich einen Akteur aus der Rätebewegung gegen Ende bzw. kurz nach dem Ersten Weltkrieg.

Für den Eurokommunismus würde ich sagen, dass dieser sich in dem Maße, wie er sich mit der Demokratie anfreundete, auch sonst eher in Richtung Sozialdemokratie entwickelte. In Italien führte diese Entwicklung schließlich auch zur Umbenennung der Partei in Partito Democratico della Sinistra bzw. später Democratici di Sinistra (Linksdemokraten) mit Abspaltung einer kleineren Gruppe, die kommunistischen Idealen treu blieb. Die Democratici di Sinistra ging schließlich mit anderen Parteien in der Partito Democratico auf, die sozialdemokratisch, linksliberal und christlich-sozial ausgerichtet ist und im Europaparlament in der Fraktion der Sozialdemokraten sitzt.

Berlinguer hat diese Entwicklung in Italien selbst mit vorangetrieben, wobei er allerdings noch bestrebt war, die vollständige Sozialdemokratisierung der PCI zu verhindern. Das erfolgte dann erst nach seinem Tod.

Partito Comunista Italiano – Wikipedia
Democratici di Sinistra – Wikipedia
Partito Democratico – Wikipedia
 
Die reale Entwicklung des Rätesystems in Russland verlief aber eben in die entgegengesetzte Richtung. Am Anfang gab es in den Räten neben den Bolschewiki auch noch die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre und noch weitere Gruppierungen, z. T. auch noch nach der Oktoberrevolution. Nur rissen die Bolschewiki nach und nach die gesamte Macht an sich und verdrängten die anderen Gruppierungen.

Die Bolschewiki verdrängten aber weniger die anderen Gruppierungen in den Räten, als dass viel mehr die Bolschewistische Partei die Räte als Machtfaktor zunehmend ausbootete.
Dieser Prozess war 1921 noch nicht ganz abgeschlossen. Die Menschewiken wurden erst 1923 endgültig verboten.
Aber nicht auf Betreiben der Räte, sondern auf Betreiben der Partei, die die Räte inzwischen vollständig entmachtet hatte.
Der Aufstand der Kronstädter Matrosen zeigt im Grunde nur, dass diese Entwicklung nicht ohne Widerstand blieb.
In meinen Augen zeigt der Aufstand, dass die Rätebewegung durchaus fähig war für ein Liberalisierung und ein Stück weit auch eine Demokratisierung (mit den genannten Einschränkungen) des gesellschaftlichen Zustands einzutreten und das waren im Fall der Kronstädter (deswegen habe ich dises Beispiel herangezogen) offensichtlich mehr als nur lose Lippenbekenntnisse, immerhin bezahlten nicht wenige von ihnen dieses Eintreten für eine offenere, weniger hierarchische Gesellschaft mit ihrem Leben.

Erst wenn eine Partei oder Gruppierung regiert und die Forderungen dann auch umsetzen muss, zeigt sich, inwiefern sie wirklich umsetzbar sind oder an den Widersprüchen zueinander oder auch an der Realität scheitern.

Das sehe ich ein wenig anders. Für mich wäre das erste entscheidende Kriteriunm, ob es Bemühungen gab beide Konzepte in irgendeiner Form, mindestens mal theoretisch miteinander in Einklang zu bringen.
Der Umstand dass nicht genug Einfluss zusammen gebracht werden kann um ein politisches Konzept durchzusetzen (und das sehe ich btw. auch bei allen anderen politischen Strömungen so), ist kein Beleg dafür dass es untauglich wäre und ist auch kein Anlass nicht wenigstens mal darüber nachzudenken, ob so etwas funktionieren könnte.

Von daher kann man mit Programmen von Gruppierungen, die nie Regierungsverantwortung ausgeübt, prinzipiell nicht die Vereinbarkeit von Kommunismus und Demokratie beweisen.
Ich nehme auch nicht für mich in Anspruch das beweisen zu können, ich sage nur, dass ich es für denkbar halte.

In der Praxis zeigt sich halt immer wieder, dass kommunistische oder sozialistische Gesellschaftssysteme wegen der damit verbundenen Nachteile nicht auf Dauer die Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung finden und man sich dann irgendwann entscheiden muss, ob man den weiteren Weg in den Kommunismus oder Sozialismus mit Gewalt erzwingt und die Demokratie aufgibt oder ob man die eigene Abwahl und damit das zumindest vorübergehende Ende dieses Wegs zulässt oder ob man selbst seine Vorstellungen entsprechend modifiziert und sich quasi in Richtung Sozialdemokratie entwickelt.

Weißt du, vor 100 Jahren hätte man das gleiche über das Modell einer bürgerlichen Demoratie behaupten können, wenn man sich z.B. die jüngere Geschichte Frankreichs, Spaniens oder Deutschland angeschaut hätte.

Allein Frankreich hat in seiner Geschichte 4 Republiken verschlissen, ist im Verlauf des 19. Jahrhunderts 2 mal zur Monarchie zurückgekehrt, hat unter Pétain das Experiment eines rechts-autoritären Staates durchlaufen um dann die 4. Republik vor die Wand zu fahren und ist mittlerweile in der 5. angekommen.

Spanien hat in der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ebenfalls zwei gescheiterte Republiken hinter sich, nach denen die Rückkehr zu anderen Systemen, inklusive eines blutigen Bürgerkriegs kam.

Die deutsche Geschichte ist bekannt. 1848 keine Republik oder gar Demokratie zustande gebracht, nichtmal einen einheitlichen Staat. 1918 die Demokratie ausprobiert um sie 15 Jahre später wieder zu beerdigen und dem wahrscheinlich schlimmsten denkbaren Regime den Weg zu ebnen.

Man könnte auch Russland nennen. 1905 mit dem Versuch der Einrichtung einer Demokratie oder wenigstens eines parlamentarischen Systems gescheitert. Im Februar 1917 den Zaren gestürzt und ein demokratisches System installiert nur um bis November des selben Jahres so vollständig das Vertrauen in dieses System und seine Anführer zu verlieren, dass man Lenin und Genossen gestatte es ohne nennenswerte Gegenwehr wegzuputschen.
1991 den nächsten Anlauf zur Einrichtung eines demokratischen Systems unternimmen, wo dieses System mittlerweile angekommen ist............. naja, das sehen wir ja gerade (leider).

Das könnte man am Beispiel anderer Staaten weiter exerzieren.

Es hat offensichtlich eine ganze Zeit lang und einige Versuche gedauert zu stabilen bürgerlichen Demokratien zu kommen und in der Bevölkerung eine allgemeine Akzeptanz dieser Systeme und ihrer Vor- und Nachteile zu erreichen. Genügend Versuche dieser Art sind krachend gescheitert oder, wenn man an die 1. französische Republik denkt gar in ein blutiges Terrorregime umgeschlagen und diverse Versuche eine stabile bürgerliche Demokratie zu erreichen befinden sich auch heute noch im prekären Zustand oder sind de facto gescheitert.
Selbst im Hinblick auf die älteren demokratischen Gesellschaften oder Ansätzen(wenn man sie so nennen will, dem Anspruch einer modernen Dmokratie würden auch sie als Sklavenhaltergesellschaften nicht gerecht ), hat es episodisch Krisen gegeben, die das System in Frage stellten (englischer Bürgerkrieg, Amerikanischer Bürgerkrieg) etc.

Von dem her sehe ich nicht unbedingt, inwiefern sich aus fehlgeschlagenen Versuchen der Vergangenheit generelle Gesetzmäßigkeiten ableiten ließen.
 
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Dion, das ist doch Quatsch, warum sollte das Christentum nicht mit der Demokratie vereinbar sein!!!!
Das würde bedeuten, das Christentum ist eine intolerante Lehre.
Bei dem Gedanken des Kommunismus sieht das anders aus, aber auch hier muß man relativieren.
Wie sind denn Jäger-und Sammlergesellschaften aufgebaut?
Kann man das nicht als eine Form des demokratischen Kommunismus sehen?
 
Ich hatte doch ausdrücklich darum gebeten, dass die ideologische Brille auf der einen und die ideologischen Scheuklappen auf der anderen Seite bitte zuhause gelassen werden.
Noch ein letztes Wort zum Christentum: Natürlich vertreten die monotheistischen Religionen einen Alleinvertretungsanspruch. Dass das in Westeuropa nicht mehr so ist, ist eine erhebliche Abstraktionsleistung, insofern nicht Indifferenz zugrundeliegt. Dieser Alleinvertretungsanspruch bedeutet aber nicht a priori den grundsätzlichen Mangel an Toleranz. Toleranz bedeutet nicht Aufgeschlossenheit, sondern Duldsamkeit.

So, das Thema lautet Demokratie und Kommunismus [un]vereinbar? Können wir uns bitte daran halten!?
 
Wie sind denn Jäger-und Sammlergesellschaften aufgebaut?
Kann man das nicht als eine Form des demokratischen Kommunismus sehen?
Engels hat die Idee eines Urkommunismus entwickelt, die in Teilen bestechend ist, der aber vorgehalten wird, dass sie etwas eurozentrisch ist. De facto wissen wir zu wenig über diese frühen Gesellschaften. Im archäologischen Befund können wir oft keine sozialen Unterschiede sehen, aber das bedeutet eben nicht, dass es sie nicht gibt.
Nehmen wir die Twareg. Trotz Verbots halten einige Twareg bis heute Sklaven. Im archäologischen Befund, würden sich ihre Behausungen aber nicht voneinander unterscheiden. Womöglich könnte man anhand der Artefakte eine soziale Hierarchie feststellen.
Anthropologisch sähe das anders aus. Während die Knochen der Sklaven vermutlich Stressmarker aufwiesen, die zeigten, dass sie oft schwere Arbeiten erledigen mussten, würden die der Herren diese vermutlich als Reiter ausweisen.
Heute noch existente Jäger- und Sammlergesellschaften sind nicht unverfälscht, da sie notwendigerweise Kontakte zur globalisierten Welt haben, so locker diese auch gestrickt sein mögen.
 
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