Die reale Entwicklung des Rätesystems in Russland verlief aber eben in die entgegengesetzte Richtung. Am Anfang gab es in den Räten neben den Bolschewiki auch noch die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre und noch weitere Gruppierungen, z. T. auch noch nach der Oktoberrevolution. Nur rissen die Bolschewiki nach und nach die gesamte Macht an sich und verdrängten die anderen Gruppierungen.
Die Bolschewiki verdrängten aber weniger die anderen Gruppierungen in den Räten, als dass viel mehr die Bolschewistische Partei die Räte als Machtfaktor zunehmend ausbootete.
Dieser Prozess war 1921 noch nicht ganz abgeschlossen. Die Menschewiken wurden erst 1923 endgültig verboten.
Aber nicht auf Betreiben der Räte, sondern auf Betreiben der Partei, die die Räte inzwischen vollständig entmachtet hatte.
Der Aufstand der Kronstädter Matrosen zeigt im Grunde nur, dass diese Entwicklung nicht ohne Widerstand blieb.
In meinen Augen zeigt der Aufstand, dass die Rätebewegung durchaus fähig war für ein Liberalisierung und ein Stück weit auch eine Demokratisierung (mit den genannten Einschränkungen) des gesellschaftlichen Zustands einzutreten und das waren im Fall der Kronstädter (deswegen habe ich dises Beispiel herangezogen) offensichtlich mehr als nur lose Lippenbekenntnisse, immerhin bezahlten nicht wenige von ihnen dieses Eintreten für eine offenere, weniger hierarchische Gesellschaft mit ihrem Leben.
Erst wenn eine Partei oder Gruppierung regiert und die Forderungen dann auch umsetzen muss, zeigt sich, inwiefern sie wirklich umsetzbar sind oder an den Widersprüchen zueinander oder auch an der Realität scheitern.
Das sehe ich ein wenig anders. Für mich wäre das erste entscheidende Kriteriunm, ob es Bemühungen gab beide Konzepte in irgendeiner Form, mindestens mal theoretisch miteinander in Einklang zu bringen.
Der Umstand dass nicht genug Einfluss zusammen gebracht werden kann um ein politisches Konzept durchzusetzen (und das sehe ich btw. auch bei allen anderen politischen Strömungen so), ist kein Beleg dafür dass es untauglich wäre und ist auch kein Anlass nicht wenigstens mal darüber nachzudenken, ob so etwas funktionieren könnte.
Von daher kann man mit Programmen von Gruppierungen, die nie Regierungsverantwortung ausgeübt, prinzipiell nicht die Vereinbarkeit von Kommunismus und Demokratie beweisen.
Ich nehme auch nicht für mich in Anspruch das beweisen zu können, ich sage nur, dass ich es für denkbar halte.
In der Praxis zeigt sich halt immer wieder, dass kommunistische oder sozialistische Gesellschaftssysteme wegen der damit verbundenen Nachteile nicht auf Dauer die Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung finden und man sich dann irgendwann entscheiden muss, ob man den weiteren Weg in den Kommunismus oder Sozialismus mit Gewalt erzwingt und die Demokratie aufgibt oder ob man die eigene Abwahl und damit das zumindest vorübergehende Ende dieses Wegs zulässt oder ob man selbst seine Vorstellungen entsprechend modifiziert und sich quasi in Richtung Sozialdemokratie entwickelt.
Weißt du, vor 100 Jahren hätte man das gleiche über das Modell einer bürgerlichen Demoratie behaupten können, wenn man sich z.B. die jüngere Geschichte Frankreichs, Spaniens oder Deutschland angeschaut hätte.
Allein Frankreich hat in seiner Geschichte 4 Republiken verschlissen, ist im Verlauf des 19. Jahrhunderts 2 mal zur Monarchie zurückgekehrt, hat unter Pétain das Experiment eines rechts-autoritären Staates durchlaufen um dann die 4. Republik vor die Wand zu fahren und ist mittlerweile in der 5. angekommen.
Spanien hat in der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ebenfalls zwei gescheiterte Republiken hinter sich, nach denen die Rückkehr zu anderen Systemen, inklusive eines blutigen Bürgerkriegs kam.
Die deutsche Geschichte ist bekannt. 1848 keine Republik oder gar Demokratie zustande gebracht, nichtmal einen einheitlichen Staat. 1918 die Demokratie ausprobiert um sie 15 Jahre später wieder zu beerdigen und dem wahrscheinlich schlimmsten denkbaren Regime den Weg zu ebnen.
Man könnte auch Russland nennen. 1905 mit dem Versuch der Einrichtung einer Demokratie oder wenigstens eines parlamentarischen Systems gescheitert. Im Februar 1917 den Zaren gestürzt und ein demokratisches System installiert nur um bis November des selben Jahres so vollständig das Vertrauen in dieses System und seine Anführer zu verlieren, dass man Lenin und Genossen gestatte es ohne nennenswerte Gegenwehr wegzuputschen.
1991 den nächsten Anlauf zur Einrichtung eines demokratischen Systems unternimmen, wo dieses System mittlerweile angekommen ist............. naja, das sehen wir ja gerade (leider).
Das könnte man am Beispiel anderer Staaten weiter exerzieren.
Es hat offensichtlich eine ganze Zeit lang und einige Versuche gedauert zu stabilen bürgerlichen Demokratien zu kommen und in der Bevölkerung eine allgemeine Akzeptanz dieser Systeme und ihrer Vor- und Nachteile zu erreichen. Genügend Versuche dieser Art sind krachend gescheitert oder, wenn man an die 1. französische Republik denkt gar in ein blutiges Terrorregime umgeschlagen und diverse Versuche eine stabile bürgerliche Demokratie zu erreichen befinden sich auch heute noch im prekären Zustand oder sind de facto gescheitert.
Selbst im Hinblick auf die älteren demokratischen Gesellschaften oder Ansätzen(wenn man sie so nennen will, dem Anspruch einer modernen Dmokratie würden auch sie als Sklavenhaltergesellschaften nicht gerecht ), hat es episodisch Krisen gegeben, die das System in Frage stellten (englischer Bürgerkrieg, Amerikanischer Bürgerkrieg) etc.
Von dem her sehe ich nicht unbedingt, inwiefern sich aus fehlgeschlagenen Versuchen der Vergangenheit generelle Gesetzmäßigkeiten ableiten ließen.