Historiker als historische Subjekte: Mommsen, Fischer....

Wenn das ein Gegenargument sein soll zu dem, was Alexander Bahar geschrieben hat, dann ist das nur ein Scheinargument. Statt darauf hinzuweisen, wo er seinen Aufsatz veröffentlichte, versuche lieber zu widerlegen, was er schrieb.

Inhaltlich (auf welche Quellen stützt Fischer sich, was sagen diese aus - auf welche Quellen stützen sich die Einwände auf Fischers Thesen, was sagen diese aus?) schreibt Bahar ja überhaupt nichts, abgesehen vom "Septemberprogramm", das bekanntlich erst nach dem Kriegsausbruch verfasst wurde. Der ganze Artikel teilt uns lediglich die Sichtweise Bahars mit, insbesondere auf welchen Seiten er Gut und Böse verteilt.


Vielleicht solltest du erst einmal hinterfragen, statt gleich zu verurteilen.

Es geht mir um die Person Fritz Fischers.
Ein Mann, der Mitglied der SA und der NSDAP, ich muss sicher nicht erwähnen was für verbrecherische Organisationen das waren, und Nazi gewesen war, der hat meiner bescheidenen Meinung nach nichts auf einem Lehrstuhl für Geschichte verloren. So ein Mann ist meines Erachtens nicht dazu berufen, den akademischen Nachwuchs in einem Fach wie Neuere Geschichte auszubilden.

Es tut mir leid, aber Du verurteilst Dich selbst. Kein Wort zu dem, was Fischer inhaltlich schreibt. Wie soll ich das denn verstehen? "Fischer ist böse, also braucht man das, was er über die Vorgeschichte des 1. Weltkriegs schreibt, nicht zur Kenntnis zu nehmen"?

Wenn es um die Vorgeschichte des 1. Weltkriegs geht, ist die Frage total irrelevant, ob Bahar Marxist ist oder Fischer einst Nazi war.
 
Vielleicht solltest du erst einmal hinterfragen, statt gleich zu verurteilen.

Es geht mir um die Person Fritz Fischers.
Ein Mann, der Mitglied der SA und der NSDAP, ich muss sicher nicht erwähnen was für verbrecherische Organisationen das waren, und Nazi gewesen war, der hat meiner bescheidenen Meinung nach nichts auf einem Lehrstuhl für Geschichte verloren. So ein Mann ist meines Erachtens nicht dazu berufen, den akademischen Nachwuchs in einem Fach wie Neuere Geschichte auszubilden.
Damit urteilst du aber mit einem Wissen, welches wir heute über Fischer haben, „1947 wurde er aufgrund seines guten Leumunds und zahlreicher Entlastungsschreiben problemlos entnazifiziert und als „entlastet“ eingestuft.“ (der von dir verlinkte Artikel aus dem Hamburger Abendblatt)
Wie Schneider/Schwerte (der seine eigene „Witwe“ heiratete) hat Fischer eine Kehrtwende von 180 Grad vorgenommen. Das schlimmste ihm (Fischer) nachzuweisende Verbrechen ist seine karrieristische Anbiederung an den NS-Staat. Wenn es nach 1945 ohne belastete Historiker hätte weitergehen müssen, dann wäre es dünn in der akademischen Welt geworden. Carl Erdmann (Die Entwicklung des Kreuzzugsgedankens) war einer der wenigen Geisteswissenschaftler, der sich dem NS-Regime nicht angedient hat, oder Opfer des NS geworden ist (und die überlebenden Opfer sind auch nicht alle zurückgekehrt, wie etwa Adorno (R 1949/definitiv erst 1953) und Horkheimer (R 1949)).
 
Inhaltlich (auf welche Quellen stützt Fischer sich, was sagen diese aus - auf welche Quellen stützen sich die Einwände auf Fischers Thesen, was sagen diese aus?) schreibt Bahar ja überhaupt nichts, abgesehen vom "Septemberprogramm", das bekanntlich erst nach dem Kriegsausbruch verfasst wurde. Der ganze Artikel teilt uns lediglich die Sichtweise Bahars mit, insbesondere auf welchen Seiten er Gut und Böse verteilt.




Es tut mir leid, aber Du verurteilst Dich selbst. Kein Wort zu dem, was Fischer inhaltlich schreibt. Wie soll ich das denn verstehen? "Fischer ist böse, also braucht man das, was er über die Vorgeschichte des 1. Weltkriegs schreibt, nicht zur Kenntnis zu nehmen"?

Wenn es um die Vorgeschichte des 1. Weltkriegs geht, ist die Frage total irrelevant, ob Bahar Marxist ist oder Fischer einst Nazi war.

Zu Fischers Arbeit habe ich mich in der Vergangenheit hier in Forum mehr als einmal geäußert. Das ist dir als langjähriges, scharf beobachtendes Mitglied des Forums bestimmt aufgefallen sein. ich werde mich nicht wiederholen.
Fischers Berufung ist aus meiner Sicht, als ob man den Bock zum Gärtner bestellt hätte. Und über die Qualität der Entnazifizierung läßt sich trefflich streiten. Dort wurde so einiges übersehen. Um nur ein prominentes Beispiel zu erwähnen nenne ich Albert Speer. Es gibt zahlreiche andere.
 
Wenn Fischer eine glaubwürdige Distanz aufgebaut hatte zwischen sich und den Nazis und ihm keine strafrechtlich relevanten Vorwürfe zu machen waren, warum sollte man sich nicht auf ihn berufen können? Und das schreibe ich als jemand, der mit dem 'Griff nach der Weltmacht' nicht viel anfangen kann, ich habe keine Veranlassung, Fritz Fischer beispringen zu wollen.
 
So ein Mann ist meines Erachtens nicht dazu berufen, den akademischen Nachwuchs in einem Fach wie Neuere Geschichte auszubilden.
Zweimal,
1974 und 1987, wurde der Historiker Fischer mit dem Bundesverdienstkreuz gewürdigt, wohlgemerkt der Historiker, nicht der "Ex-Nazi".
@Turgot ich finde, dass du übertrieben ablehnend/streng urteilst.
 
Zweimal,
1974 und 1987, wurde der Historiker Fischer mit dem Bundesverdienstkreuz gewürdigt, wohlgemerkt der Historiker, nicht der "Ex-Nazi".
Je nun, als Träger des Bundesverdienstordens befand sich Fischer durchaus in der Gesellschaft des ein oder anderen Altnazis oder sonstigen Schufts, das allein beweist noch nichts; aber …
@Turgot ich finde, dass du übertrieben ablehnend/streng urteilst.
… das denke ich auch. Man wird immer den Einzelfall beurteilen müssen, und man muss dem Menschen zugestehen, dass er reifen kann.

Fischer hat Aspekte erschlossen und Erkenntnisse gewonnen, die Beachtung verdienen. Seine Interpretation derselben weist für mich darauf hin, dass er kein Ideologe war, denn warum sonst hätte er Deutschland diskreditieren sollen, wie seine nationalistischen Kritiker ihm vorwarfen?
 
@muck sind in den 70er und 80er Jahren noch Alt-oder Ex-Nazis geehrt worden? Und wenn ja: galten diese Ehrungen den in der Nazizeit erworbenen Meriten?
 
Theodor Mommsen z.B. schrieb den Julius Caesar in den Himmel – was wir noch 100 Jahre später in der Schule vorgesetzt bekamen –, weil er den Caesar als den starken Mann darstellen wollte. Warum tat Mommsen das? Weil er von der Uneinigkeit der 1848er Revolutionäre enttäuscht war, dachte, wäre unter ihnen ein starker Mann gewesen, der sie geeint hätte, die Revolution hätte gesiegt.

Dieser Ruf nach starkem Mann ist später erfüllt worden – und der führte Deutschland in die Katastrophe.
Fest steht, Mommsen bewunderte starke Männer, verglich Julius Caesar mit Perikles und Napoleon, und verließ damit den Pfad der Objektivität, zu dem ein Historiker ja verpflichtet sein soll.


Es ist mir ehrlich gesagt unbegreiflich, wie man den liberalen Demokraten Theodor Mommsen, einen der engagiertesten und streitbarsten Vorkämpfer gegen den politischen Antisemitismus im Kaiserreich allen Ernstes zum Apologeten eines autoritären Führerstaates erklären kann.


Da kann man sich als Laie aussuchen, wem man glaubt. Und ist es dann ein Wunder, wenn die Dokumentationen in TV im Bemühen, allen gerecht zu werden, mal den und mal jenen Historiker zu Wort kommen lassen und damit fast zwangsläufig Widerspruch der jeweils anderen Seite provozieren?

Das Fernsehen und das Internet bilden nur ab, was sich in der Gesellschaft tut. Sie sind Spiegelbilder der jeweiligen Gesellschaft, mehr nicht.

Wie man den liberalen Demokraten Theodor Mommsen, einen der streitbarsten Vorkämpfer gegen den politischen Antisemitismus im Kaiserreich zum Anhänger von Personenkult und Apologeten eines Führerstaats erklären kann, ist mir unbegreiflich.
Mommsens Römische Geschichte ist ein zeitloser Klassiker wie Edward Gibbons Decline an Fall of the Roman Empire. Sicher inzwischen in Manchem überholt. Mommsens Limesforschung und seine Inschriftensammlungen waren aber einzigartige Pioniertaten, und Mommsen hat so gründlich gearbeitet, das vieles heute noch aktuell ist.

Ja, Mommsen bewunderte herausragende Persönlichkeiten, und er sah in Caesar den Begründer des römischen Prinzipats. Pompeius kam schlecht bei ihm weg. Ganz so unrecht hat Mommsen ja auch nicht: Hätten die 1848er über einen Caesar verfügt, es ist nicht völlig unwahrscheinlich, dass die 1848er Revolution mehr an bürgerlichen Freiheiten erreicht hätte, als das Recht, auf der Straße zu rauchen. Mommsens Vision, das war aber eine Republik oder eine konstitutionelle Monarchie, keine Autokratie oder gar eine Diktatur mit Personenkult.


Auch Laien können die Regeln der wissenschaftlichen Methodik erlernen, sie können sich ein Bild von der Quellenlage machen und sich ein Bild davon machen wie Historiker arbeiten. Auch ein Laie kann rekonstruieren, welche Quellen ein Verfasser verwendet hat. Laien können sich auch einen Überblick verschaffen über den aktuellen Forschungsstand. Sie können sich durchaus auch auf der Basis von Wikipedia, Grundkenntnisse verschaffen.
Das alles können Laien tun, und sie können das vielleicht sogar mit einem relativ geringen Aufwand an eigener intellektueller Leistung schaffen.

Um zu einem ausgewogenen Sach- und Wert-Urteil zu kommen, ist es aber erforderlich, die wissenschaftliche Methodik zu kennen, sich mit dem Forschungsstand auseinanderzusetzen, vielleicht auch die ein oder andere Publikation zu lesen. Das gilt für Laien wie für Historiker gleichermaßen.


Die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Methodik, mit Quellen und Literatur, mit dem Forschungsstand ist aber auch eine Mindestanforderung. Ob Laie oder Fachmann, man kommt nicht darum herum, sich mit der Methodik vertraut zu machen, mit Quellen und Literatur, um zu einem ausgewogenen Sach- und Werturteil zu kommen.

Das ist etwas mühsam und zeitaufwändig.
 
Fischers Berufung ist aus meiner Sicht, als ob man den Bock zum Gärtner bestellt hätte.
Wie schon angedeutet, dass ist eine Sichtweise ex posterori, vor 2011 hättest du überhaupt gar keinen Anlass gehabt aus dieser Richtung über Fischer zu schimpfen.

Und über die Qualität der Entnazifizierung läßt sich trefflich streiten. Dort wurde so einiges übersehen. Um nur ein prominentes Beispiel zu erwähnen nenne ich Albert Speer.
Bist du sicher, dass du Albert Speer meinst? Der hat 20 Jahre Haft aufgebrummt bekommen, galt also sicher nicht als entlastet.
Wie die Spruchkammern jeweils agiert haben, lag auch an ihrer Zusammensetzung, oft waren das Leute mit KZ-Erfahrung, die auch nicht frei von Rachegelüsten waren und v.a. im Fall kommunistischer Weltanschauungen insbesondere Unternehmer belastet sehen wollten. Bei den meisten Menschen hatten die Spruchkammern aber gar nicht die Möglichkeit die Richtigkeit der Angaben zu prüfen, weil das schlicht keine Promis waren. Man hatte ja schon teilweise ehemals Verfolgte in die Spruchkammern berufen, weil man hoffte, dass diese die Nazis kennten und herausfischten. Und die Spruchkammern standen unter Druck, da die Besatzungsbehören bzw. die allmählich wieder funktionierenden Verwaltungen Leute brauchten, es durften aber nur Leute für Kommunen oder Besatzungsmächte arbeiten, die Stufe IV oder V waren. Ebenso war es etwa mit Rentenbezügen etc.
 
Hier könnt ihr nachlesen, wie das ablief mit Kriegsschuldfrage I. Weltkrieg und dem Verhalten der Historiker bis zum Fischers Werk „Griff nach der Weltmacht“ und darüber hinaus.

Dort kann man allenfalls Stuss nachlesen, reicht schon hin sich den ersten Satz reinzutun:

"Anders als in der DDR wo sich die meisten Historiker einig waren, dass die Hauptverantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs bein deutschen Kaiserreich lag, blieb der Nachfolgestaat des Dritten Reiches auch in dieser Frage seinen Wurzeln treu. [....] "


Die Bundesrepublik war also der Nachfolgestaat des Dritten Reiches. Was war die DDR noch gleich, wenn nicht Nachfolger ein und des selben Konstruktes?
Wenn man sich schon zu derart extremen Parteinahmen versteigt diskreditiert man sich ganz einfach selbst.

Im Übrigen, dürften die hier beschworenen DDR-Historiker von vollkommen anderen Prämissen ausgegangen sein, als Fischer.

Prämisse 1: Der große Bruder in Moskau baut keinen Mist und hat auch noch nie Mist gebaut, man möchte ja niemandem im Kreml auf die Füße treten, daher ist Russland über jeden Verdacht irgendwas verschuldet zu haben erhaben.

Prämisse 2: Um die materialistische Geschichtsauffassung nach Marx/Engels und die Lenin'sche Imperialismustheorie noch irgendwie unterzubringen, darf das Ganze kein Betriebsunfall gewesen sein.

Nimmt man diese beiden Prämissen zusammen bleibt eigentlich nur noch übrig Deutschland und oder Österreich-Ungarn als maßgeblichen Agressor hinzustellen.

Beiträge die aber so zustande gekommen sind oder im Paradigma der realsozialistischen Geschichtsdeutung in dieser Weise argumentierten als Beleg für Fortschrittlichkeit oder als Indiz für die Richtigkeit der Deutung Fischers hinstellen zu wollen ist gelinde gesagt nicht mal mehr schwach, sondern fällt mehr in die Kategorie "lachhaft".

Und das zieht sich in einer Tour durch den ganzen Text.
Ich hoffe der Versuch uns diese .... ähm, nennen wir es mal belustigenden Ergüsse als Fakten zu verkaufen war nicht ernst gemeint?

aber nach den Angriffen seiner Gegner, die ihm den Verrat an Deutschland unterstellten, verschärfte er seine These, was ihn natürlich noch angreifbarer machte.

Würdesst du bitte das Spektrum der Gegner mal differenzierter betrachten?

Von den an der Kontroverse beteiligten Historikern wurde Fischer keineswegs plump "Verrat an Deutschland" unterstellt, sondern die warteten mit mal mehr mal weniger überzeugenden Gegenmodellen auf.

"Verrat an Deutschland" warf ihm vielleicht ein Teil der politischen Rechten und der Boulevard-Presse vor, aber nicht die akademische Fachwelt.

Das von anderer Seite solche Töne noch angeschlagen werden konnten, ergibt sich aus der oben angesprochenen Problematik der Forschungsgeschichte.

Es ist oben bereits angesprochen worden:

- Zwischen 1918 und 1933 hatte die Forschung nicht allzu viel Zeit und Möglichkeiten zu einem umfassenden Bild zu kommen, zudem waren Veröffentlichungen die starke Indizien für eine deutsche Verantwortung enthalten hätten, vor dem Hintergrund der Reparationsproblematik politischer Zündstoff, so dass teilweise Erkenntnisse zurückgehalten wurden.
- Von 1933 bis 1945 war freies publizieren und offenes Diskutieren durch die NS-Dikratur nicht in dem Maße möglich, wie es notwendig gewesen wäre, danach herschte erstmal einige Jahre durch den Krieg hervorgerufen völliges Chaos und die Bevölkerung hatte in Teilen zunächst mal genug mit dem eigenen Überleben zu tun, so das nicht ohne weiteres zu erwarten war, dass sich die Bevölkerung mit irgendwelchen historischen Debatten besonders befasste, zumal auch die mediale Infrastruktur in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht im Idealzustand war.

Erkenntnisse was die deutsche, mindestens mal Mitverantwortung angeht, haben sich in den 1920er und 1930er Jahren bei den Historikern durchaus verfestigt, wurden aber kaum an die Öffentlichkeit herangetragen.

Heißt es gab in den 1950er Jahren eine Historikerzunft, die um die deutsche Mitverantwortung seit Jahrzehnten wusste und für die Fischers Thesen lediglich eine Nuance in der Bewertung darstellte, wie weit denn diese Verantwortung ging und insofern vielleicht Grund zu emsiger Debatte aber kein Grund für politischen Aufschrei war.
Gleichzeitig gab es eine Bevölkerung, der ihre Politischen Anführer seit den 1920er Jahren, obwohl sie es in Teilen durchaus besser wussten, in einer Tour erzählt hatten, dass die Verantwortung gänzlich oder weitgehend auf der anderen Seite gelegen habe, was durch den Verlauf der Ereignisse (Russische Mobilisation, Französische Offensive im Elsass, Russische Offensive in Ostpreußen) vielen auch durchaus plausibel erscheinen konnte.
Wenn man einer Bevölkerung, die teilweise ihr Leben lang eingetrichtert bekommen hat, dass sie unschuldig sei, relativ kurz nach einander zuerst eine Mitverantwortung (Ab den 1950er Jahren) und dann eben die Hauptverantwortung (1961 mit Fischer) präsentierte, musste das natürlich in Teilen erstmal zu Abwehrreaktionen führen und die konnten heftig, teilweise überzogen ausfallen.

Deswegen muss man aber durchaus nicht so tun, als wären die Historiker in den Chor derer, die "Verräter" schriehen mit eingafallen, oder als hätten sie diesen Chor gar dirigiert und als wären irgendwelche offensichtlichen Erkenntnisse von der "Historikerzunft" per se schlicht abgeleugnet worden.
Das war so schlicht und einfach nicht der Fall.

Tatsache ist, dass Fischer da eine extrem steile These in den Raum stellte. Sein Postulat von der "Hauptverantwortung" und einem geplanten Hinarbeiten auf den Krieg seitens Berlin funktioniert ausschließlich dann, wenn man das "Septemberprogramm" mindestens auf den Juli 1914 rückdatiert, bzw. davon ausgeht, dass im "Spetemberprogramm" einfch nur Ziele manifestiert worden wären, die Bereits vor Ausbruch des Krieges während der Juli-Kriese bestanden.
Das widerrum hat Fischer nicht belegen können und das zu belegen ist seit dem auch niemand anderem gelungen. Klar es ist eine theoretisch denkbare Möglichkeit, aber es fehlen sämtliche Indizien, die das untermauern würden.

Deutlich wahrscheinlicher ist, dass dieses Programm, dass erst nach Kriegsausbruch zusammengestellt wurde ein Produkt der Situation des Krieges, ist und nichts weiter.

Andere Dinge scheinen Fischers Auslegung ebenfalls massiv zu widersprechen. Wenn Deutschland aus Eroberungssucht den Krieg wollte, wie Fischer meinte, warum dann erst 1914 und nicht bereits 1905, als Russland von Krieg und Revolution geschwächt war und ein Krieg wesentlich leichter zu gewinnen gewesen wäre? Der Kaiser war noch immerder Selbe, maßgebliche Teile des politischen Establishments und das Gesellschaftsgefüge auch.
Warum also 1914? Ergibt vor dem Hintergrund dieses Paradigmas überhaupt keinen Sinn.
 
Den Nerv der Nation traf vor allem die Implikation: Wenn es schon vor dem NS-Staat einen aggressiven deutschen Imperialismus gegeben hatte – stand dann nicht Hitler in einer Tradition, war mithin nicht als „Ausrutscher“ oder „Betriebsunfall“ abzutun?

Ja, wenn man das zu Ende denkt, dann war Hitler kein Betriebsunfall. Heute denken so viele – u.a. auch ich –, aber 1961 war das ein Tabubruch, sonst wären die heftigen Reaktionen nicht zu erklären.

Darf ich mal ganz blöd fragen, gibt es auch einen nichtagressiven deutschen Imperialismus?
Im Übrigen weiß ich nicht, inwiefern man überhaupt infrage stellen kann, dass es einen (agressiven) deutschen Imperialismus gab, selbst wenn man den 1. Weltkrieg mal völlig ausblendet.
Was hatte man denn zuvor in Afrika, im Pazifik und in China getrieben?

Stand Hitler in dieser Tradition? Wenn man die "Mission Civilisatrice" als ideologisches Kernelement und Handlungsleitend für den bis dahin handelsüblichen Imperialismus betrachtete sicherlich nicht, davon war Hitler weit entfernt.
Darüber wie weit Hitler in der Tradition vorherigen deutschen Imperialismus steht könnte man letztendlich lang und breit diskutieren, die Frage ist aber ob uns das weiter bringt.

Denn wenn Hitler die logische Folge von Imperialismus wäre, hätten die anderen Kolonialmächte vergleichbere Figuren hervorbringen müssen, insofern sich deren koloniale Praktiken von denen des deutschen Imperialismus kaum unterschieden.
Haben sie aber zum größten Teil nicht, jedenfalls nicht, wenn man sich Hitlers Vorstellungen in ihren Details und vergleichend anschaut.

Damit sollte eigentlich klar sein, dass eine direkte Kausalität Imperialismus ---------------> Hitler so nicht gegeben ist, bzw. Hitler kein unausweichliches Produkt dessen ist, es sei denn man könnte nachweisen, dass sich der deutsche Imperialismus von dem anderer Aktuere maßgeblich unterschieden habe.
Das scheint aber nicht der Fall zu sein.

Insofern ist es wenig Sinnvoll die Frage ob Hitler ein "Betriebsunfall" war oder nicht, an der Kriegsschuldfrage zum Ersten Weltkrieg oder an imperialen Traditionen Deutschlands aufhängen zu wollen, denn das waren offensichtlich nicht die bestimmenden Faktoren.

Man kann sich problemlos auf den Standpunkt stellen, dass Hitler kein Betriebsunfall war, sondern dass er etwa durch politische Fehler, strukturelle Schwächen des politischen Systems in Deutschland, etc. etc. massiv begünstigt wurde und zeitgleich befinden, dass Fischers These von der Hauptschuld nicht viel Taugt.

Das schmälert nicht Fischers Leistung bei der Beleuchtung der deutschen Position in der Juli-Krise und eine Absage an Fischer in diesem Zusammenhang, bedeutet auch nicht zwangsläufig eine Absage daran die Hauptverantwortung bei Deutschland zu sehen, möglicherweise aber eben aus völlig anderen und besseren Gründen, als Fischer das tun wollte.







 
Zuletzt bearbeitet:
@muck sind in den 70er und 80er Jahren noch Alt-oder Ex-Nazis geehrt worden? Und wenn ja: galten diese Ehrungen den in der Nazizeit erworbenen Meriten?
Hans Filbinger erhielt das Großkreuz 1970, um nur mal einen zu nennen. Auch nach 1968 galten Personen mit problematischen Biographien mitunter noch als ehrbar. Aber wir sollten uns hier nicht auf einem Nebenkriegsschauplatz verzetteln, im Grunde stimme ich Dir ja zu.
 
Realistisch eingeschätzt, musste Fritz Fischer auf Widerstand stoßen, wenn mit David Lloyd George gar ein ehemaliger Regierungschef der Siegermächte – einer der "Großen Vier" bei der Pariser Konferenz von 1919 – der Alleinschuldthese eine Art Absage erteilte.

Hinzu kommt, dass Fischer seine Argumentation eben weitgehend auf die Entwicklung der deutschen Kriegsziele und eine Rückprojektion der Inhalte des "Septemberprogramms" bereits in die Zeit vor dem Kriegsausbruch abstellte.

Betrachtet man das vor dem Hintergrund, dass für Frankreich von Tag 1 des Krieges an die Rückgewinnung Elsass-Lothringens das Minimalkriegsziel darstellte und dass die Bolschewiki, als in Russland die Macht übeernahmen die russischen Kriegsziele und die Unterlagen dazu publik machten, um den Zaren und die provisorische Regierung in der internationalen und nationalen Wahrnehmung zu diskreditieren wo es ging und dass auch diese beiden Mächte sich zu Beginn des Krieges nicht etwa defensiv verhileten, sondern ihn mit eigenen Offensivaktionen begannen, verliert die Argumentation deutlich an Plausibilität.
Denn ähnliche Rückprojektionen, was die Zielsetzung territorialer Umgestaltungen in Europa angeht, lassen sich natürlich auch für diese beiden Akteure in ganz vergleichbarem Maße als hypothetische Möglichkeiten anführen, so dass man mit dieser Methode auch zu dem Schluss einer französischen oder russischen Hauptschuld hätte kommen können.

Auch das musste Widerstand provozieren.

Im Gegensatz zu @Dion wundert mich vor diesem Hintergrund massive Kritik an Fischer und der Umstand, dass sein Hauptschuld-Postulat weitgehend überholt erscheint überhaupt nicht.
Mich wundert viel eher, dass dieses Postulat überhaupt jemals derartig wirkmächtig werden konnte, weil es bei Lichte besehen auf extrem schachen Füßen steht und im Grunde nur dann funktioniert, wenn man mit der Imagination extrem langer Kontinuitätslinien arbeitete und diese dann als Lückefüller für die nicht vorhandenen Quellenbeweise einer derartigen Deutung verwendet.
Vor diesem Hintergrund würde ich sagen, wenn es nicht eine sehr wirkmächtige "Sonderweg"-Debatte gegeben hätte, die die Vorstellung solcher langen, irgendwie andersartigen Kontinuitätslinien geboten hätte, wäre Fischers These von der Hauptschuld wahrscheinlich innerhalb eines Jahrzehnts als weitgehend erledigt ad acta gelegt worden.

Akzeptiert man die Vorstellung, dass der Nationalsozialismus langfristig in der deutschenn Geschichte angelegt gewesen wäre nicht, sondern betrachtet ihn als ein Phänomen, dass maßgeblich erst durch den ersten Weltkrieg und seine Verwerfungen so wie strukturelle Eigenheiten der Weimarer Republik und ihrer Gesllschaft ermöglicht wurde, verliert Fischers Vorstellung gänzlich an Plausibilität.
 
Erzähle mir nichts, die ganze Historikerzunft inkl. deren Koryphäen und Professoren, hat sich mehr als ein halbes Jahrhundert lang geweigert, eine Mitschuld Deutschlands am I. Weltkrieg anzuerkennen, wobei sie diejenigen, die es dennoch wagten, davon zu sprechen, beruflich und gesellschaftlich isolierte.

Und selbst nachdem Fischers Werk „Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18“ erschienen war, dauerte es noch mal 20 Jahre*, bis sich seine Sicht der Dinge allgemein durchgesetzt hatte, wobei neuerdings wieder Stimmen laut werden, die Fischers Untersuchung als überzogen werten.

* Vor allem rechte Zeitungen, die damals bedeutend waren (Die Welt, Christ und Welt), hetzten gegen Fischer.


Nein!
Eine Mitschuld Deutschlands am Kriegsausbruch 1914 wurde keineswegs geleugnet, und sie war auch nicht zu bestreiten. Was geleugnet wurde, war dass Deutschland dafür die alleinige Hauptverantwortung trug. Es galt im Allgemeinen als Communis opinio, dass eigentlich keine der beteiligten Mächte den Weltkrieg gewollt habe und Deutschland jedenfalls nicht mehr Schuld trifft, als die anderen Kriegsmächte.

Die Kriegsschulddebatte in Deutschland war belastet durch den Kriegsschuld-Artikel des Versailler Vertrags. Deutschland wurde im Vertrag von Versailles dazu genötigt, die alleinige Schuld am 1. Weltkrieg zu übernehmen. Die Siegermächte griffen damit dem Urteil der Geschichtswissenschaft voraus.
Mit diesem Kriegsschuldartikel wurden auch die geradezu surrealistischen Reparationsforderungen begründet.

Nun hatte Deutschland zweifellos gewaltig an der Eskalationsschraube gedreht, aber die Kriegsschuldfrage 1914 ist keineswegs so eindeutig wie die von 1939. Deutschland war aber nicht nur mit der Kriegsschuld, sondern auch mit den Kriegsschulden und den immensen Reparationen belastet. Soweit von 1919-1933 zur Kriegsschuldfrage geforscht wurde, waren deutsche Historiker darum bemüht, Entlastungen für das DR anzuführen, und Belastendes weniger zu berücksichtigen oder gar zu übersehen wie das Septemberprogramm, das wohl schon im Reichsarchiv in den 1940ern gefunden wurde. Von 1933-45 war wissenschaftlich erst mal der Vorhang gefallen, ein Großteil der Historiker nach 1945 hatten studiert bei Historikern, die im Kaiserreich und der WR lehrten. Die Fischer-Kontroverse war in gewisser Weise auch eine Generationsfrage. Viele der Dokumente, die heute bekannt sind, waren erst in den 1950er 1960er Jahren freigegeben. d

Es haben aber Historiker, die sich in der Fischer Kontroverse gegen Fischer positionierten wie Zechelin, Erdmann oder Schieder mitnichten geweigert, eine Mitschuld anzuerkennen. Historiker wie Hillgruber oder Zechlin räumten eine Risikobereitschaft Bethmann Hollwegs und eine Mitschuld des DR ein, waren aber geneigt, die deutsche Politik eher als defensiv einzuschätzen.


Fritz Fischer hat mit "Der Griff nach der Weltmacht" einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Fischer hat eine Reihe von bisher nicht veröffentlichten Quellen erschlossen, und er hat als Erster oder einer der Ersten auf die Kontinuität der Eliten im Wilhelminismus, der Weimarer Republik und im Nazireich hingewiesen. Die Rechercheleistung von Fischer wurde auch von den meisten seiner Gegner anerkannt. Viele von Fischers Thesen wurden von Kollegen teilweise als Tabubruch empfunden.

Fischer hat der Geschichtswissenschaft neue Impulse verliehen, er hat neue Quellen erschlossen, und nach der Fischer-Kontroverse setzten sich einige seiner Thesen durch. Die Kontinuität der Eliten vom Kaiserreich bis ins Nazireich wurde nicht länger bestritten.
Auch wurde im allgemeinen anerkannt, dass Deutschland erheblichen Anteil am Kriegsausbruch hatte und mit der "Blanko-Vollmacht" beträchtlich zur Eskalation beitrug.

Fischers "Sicht der Dinge" hat sich aber im Allgemeinen aber eben nicht in allem durchgesetzt:

-Es gab keinen planmäßigen Griff nach der Weltmacht.
-Das Kaiserreich strebte nicht die Hegemonie in Europa an, vielmehr wollte es als europäische Großmacht anerkannt werden.
-Das DR trifft nicht die alleinige Verantwortung für den Ausbruch des 1. Weltkriegs.
-Es hat aber erheblich an der Eskalationsschraube gedreht, es hat den Krieg in Kauf genommen, aus Sorge seinen letzten Verbündeten zu verlieren
Es hat ihn 1914 in Kauf genommen, in der Hoffnung ihn noch gewinnen zu können.
Es hat dabei das Primat der Politik völlig missachtet, stattdessen militärischen Erwägungen alles andere untergeordnet.
 
Carl Erdmann (Die Entwicklung des Kreuzzugsgedankens) war einer der wenigen Geisteswissenschaftler,
Es haben aber Historiker, die sich in der Fischer-Kontroverse gegen Fischer positionierten wie Zechelin, Erdmann oder Schieder mitnichten geweigert, eine Mitschuld anzuerkennen.
Ich habe Carl Erdmann erwähnt, der allerdings 1945 in Jugoslawien erkrankte und starb.
Scorpio erwähnt Karl Dietrich Erdmann.
 
Vielleicht solltest du erst einmal hinterfragen, statt gleich zu verurteilen.

Es geht mir um die Person Fritz Fischers.
Ein Mann, der Mitglied der SA und der NSDAP, ich muss sicher nicht erwähnen was für verbrecherische Organisationen das waren, und Nazi gewesen war, der hat meiner bescheidenen Meinung nach nichts auf einem Lehrstuhl für Geschichte verloren. So ein Mann ist meines Erachtens nicht dazu berufen, den akademischen Nachwuchs in einem Fach wie Neuere Geschichte auszubilden.

NSDAP-Mitglied und selbst Mitglied der SA und SS war von 1933-45 ja bald mal einer, von den unbelasteten Fachkräften waren nicht mehr viele im Land oder auch am Leben, und du kennst vermutlich Adenauers Bonmot von dem dreckigen Wasser.

Wenn du alle ausschließen wolltest, die mal in der Partei waren, blieb zumal unter Deutschlands Akademikern nicht mehr viel. Ein Problem waren eigentlich nur die, die Nazis und Brüder im Geiste auch nach 1945 blieben.

Ein wirklich überzeugter Nazi war Fischer wohl nie. Er hatte mal für die Deutschen Christen gegen die BK intrigiert und sich den Nazis angedient, indem er bedauerte, den Ostfeldzug nicht mitmachen zu dürfen und Vorträge vor Artilleristen über das Judentum hielt. Fischer war aber nie an Kriegsverbrechen, Repressalien beteiligt, und er sich auch nicht wie Erdmann nachträglich zum Nazi-Gegner stilisiert.

Fischer hat auch durch eine Reihe von Publikationen bewiesen, dass er sich deutlich vom NS distanzierte, und der Impuls, sich kritisch mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen, war bei Fischer vor allem auch durch seine Erfahrung mit der angelsächsischen Geschichtswissenschaft und Ludwig Dehios Vortrag auf einem Historikertag motiviert.

Es gab eine Reihe von Historikern , die wie Alfred Heuß aus Karrieregründen in die NSDAP eintraten, die aber nach 1945 in der Demokratie angekommen waren und als Wissenschaftler sich Verdienste erworben haben.

Fritz Fischer war Doktorvater zahlreicher namhafter Historiker, von denen die meisten eher linksorientiert waren und die den Wissenschaftsbetrieb der BRD mitgeprägt haben.
 
Entgegen seiner Angabe bis 1933 SPD gewählt zu haben, war er in seiner Jugend wohl im Bund Oberland.

Laut Wiki unter Berufung auf den Nachlass im Bundesarchiv von 1922 (da war er 14 Jahre alt!) bis 1926.
Wählen durfte er erstmals 1928.
Der Bund wurde 1923 nach dem Hitlerputsch verboten und 1925 neugegründet.
 
Entgegen seiner Angabe bis 1933 SPD gewählt zu haben, war er in seiner Jugend wohl im Bund Oberland.

Ergänzend zu Sepiola, ist eine Mitgliedschaft beim "Bund Oberland" als Ausdruck einer dezidiert nationalsozialistischen Gesinnung zu betrachten?

So weit ich das überblicke, waren das Freikorps und später der "Bund Oberland" eher ein Sammelbecken für Rechtsextremisten verschiedenster couleur, teilweise mit Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen wie der "Organisation Consul", teilweise mit Verbindungen in Richtung Hitler-Bewegung, teilweise mit Verbindungen zu rechtseosterischen Schwurbel-Vereinen wie der "Thule Gesellschaft".
Von demher würde ich sagen, wer in dieser Organisation Mitglied war hatte damit eine eigene rechtsextreme Einstellung nachgewiesen, aber nicht unbedingt eine Nationalsozialistische.
 
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