Da stellst du eine interessante Frage. Zunächst einmal muss man festhalten, dass sowohl du als auch deine Kollegen zumindest in Teilen Recht haben. Die Kernfamilie ist global zu finden (mit Enschränkungen) und ziemlich sicher haben christliche Missionare Einfluss genommen auf die Gestaltung der Familien, vor allem auch noch mal vom 16. bis ins 20. Jhdt.
Du fragst die Historiker. Die sind aber nicht alleine kompetent bzw. manche Kompetenzen liegen in den Nachbarwissenschaften (Archäologie, Ethnologie, Linguisten).
Der Historiker wird Dir sicher sagen, dass auch Römer und Griechen die Kernfamilie kannten, weshalb das mit dem "jüdisch-christlich" nicht aufgeht. Was man sicher sagen kann, ist, dass das Christentum das Konzept der Kernfamilie sicher noch mal nachgeschärft hat. Zumindest für die römische Elite waren Scheidung und Wiederheirat relativ gängig, aber das gab es im christlichen MA auch, allerdings dann unter dem Vorbehalt, dass eine Ehe nicht vollzogen worden sei oder dass bei der Eheschließung nicht aufgefallen sei, dass die Eheleute zu eng miteinander verwandt.
Nun der Widerspruch zu oben (Römer und Kernfamilie): gleichzeitig gibt es Darstellungen von Sex in Dreier- und Viererpaarungen.
Das Problem ist: Als Historiker kommen wir kaum weiter als 3000 oder 4000 Jahre zurück und je weiter zurück desto weniger Zeugnisse haben wir. Die ersten Schriftzeugnisse sind für historische Laien eher langweilig, da keine erzählenden Texte, sondern Handelsverzeichnisse mit Glück auch Gesetzesvorschriften. Und ich meine z.B. dass es in den Spiegelstrafen des Codex Hammurabi Hinweise auf die Kernfamilie gibt, wenn etwa der Täter bestraft wird, indem seinen Kindern ein Leid angetan wird.
Hier kommen also die Archäologen ins Spiel. In den letzten Jahren hat man hin und wieder Gräber aufgetan, in denen zwei Personen bestattet waren. Sofern es sich um Erwachsene handelte, war man schnell mit der Interpretation "Liebespaar" bei der Hand, nun hat man auch Gräber gefunden mit zwei laut DNA-Test nicht miteinander verwandten Männern, die scheinbar ineinander umschlungen lagen. Dies wurde schnell als Beleg für vorgeschichtliche Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe gewertet. Mag sein, aber de facto wissen wir es nicht. Womöglich ist das nur eine Interpretation, die dem Zeitgeist geschuldet ist. Z.B. gibt es auch Gräber, in denen Frauen und Kinder gemeinsam bestattet waren und die Interpretation zunächst die war, dass es sich hier um Verwandte (Mutter und Kind) handelte, aber auch da hat die DNA-Analyse in manchen Fällen eine Neubewertung erzwungen. Wir kennen die Beziehungen zwischen den Frauen und den Kindern nicht, wissen nicht, warum sie gemeinsam bestattet wurden (naja, katastrophisches Ereignis, Gemetzel) - insofern müssen wir eben auch Liebespaarinterpretationen bei gemeinsam bestatteten nichtverwandten Erwachsenen hinterfragen.
Es melden sich die Ethnologen zu Wort. Die werden vermutlich mitteilen, dass es in ganz viele Kulturen kernfamiliäre Beziehung gibt, aber vielleicht verweisen sie auch auf die Hakka in China. Die Hakka leben in matriarchal anmutenden matrilokalen und matriliearen Gemeinschaften (Matrilinearität und -lokalität sollte man nicht mit Matriarchat verwechseln, z.B. ist das trrafitionelle Judentum patriarchal und gleichzeitig strikt matrilinear). Das heißt, die Chefin einer Hausgemeinschaft (die eine weit verzweigte matrilineare Großfamilie ist) ist eine meist ältere Frau, die Partner der Frau leben in ihrer eigenen Großfamilie und besuchen ihre Partnerinnen von Zeit zu Zeit, kehren aber wieder in ihre Herkunftsfamilie zurück. Wie es mit Treue aussieht - bzw. der Erwartung danach - entzieht sich meiner Kenntnis. Kinder bleiben in der mütterlichen Herkunftsfamilie.
Der linguistische Beitrag zur Klärung wie alt die Kernfamilie ist: Indogermanisten würden darauf hinweisen, dass die Worte für Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Sohn und Tochter zu den ältesten Schichten gehören, schon vor der Aufspaltung der indoeuropäischen Sprachen also existiert haben muss. Wenn wir davon ausgehen, dass das vor ca. 4000 Jahren der Fall war, dann wären wir in der Jungsteinzeit oder der Bronzezeit - die Trennung ist also nur der Zeitpunkt vor dem das Konzept bekannt war (terminus ante quem > taq), wie lange davor lässt sich aber nicht sagen.
Bei anderen Sprachfamilien müsste man mal schauen, wie es sich da mit dem gemeinsamen Erbwortschatz verhält und wann sie sich getrennt haben.
Kommen wir noch zum Aspekt der Vielweiberei: in manchen Kulturen (vorhellenistisches Judentum, Islam, Mormonen, mit spezieller Erlaubnis Luthers: Kurfürst Friedrich der Weise u.a.) ist es Männern ja erlaubt (unter gewissen Umständen) mehr als eine Frau zu haben. Dennoch würde ich auch hier von Kernfamilien sprechen, eben dass der Mann ggf. mehr als eine Kernfamilie hat.
Was die Jäger und Sammler anbelangt: zu denen kommen wir einfach nicht zurück um Aussagen treffen zu können. Ich würde davon ausgehen, dass einerseits viele Kulturen viele unterschiedliche Herangehensweisen entwickelt haben, aber auch, dass gewisse Konstanten im menschlichen Sein (z.B. Eifersucht, Stolz, Sehnsucht nach Nähe etc.) einfach zu unserem verhaltensbiologischen Kern gehören und somit auch tendenziell sowohl Treue als auch (gleichzeitig!) eine gewisse Promiskuität gefördert haben.