Letzteres eher nicht, das dauerte ja hinterher. Ersteres scheint mir etwas anders zu liegen, siehe u.a. Beitrag 480, von @Shinigami, wenngleich mir der alternativlose Automatismus in der Formulierung vielleicht zu dominierend rüberkommt.
Normalerweise bin ich ja durchaus eher kein besonderer Freund von Determinismen, aber in dem Fall halte ich das für gerechtfertigt. Wie ich das sehe musste Konstantinopel im Hinblick auf die Frage, wie man sich zum Krieg verhalten sollte, mehr oder weniger von 5 Grundannahmen ausgehen:
1. Wegen der Meerengenfrage war Neutralität für das Osmanische Reich technisch unmöglich, weil Öffnung der Meerengen für den Transit von Kriegsschiffen und Kriegsgütern, den Ententemächten genutzt hätte und von den zentralmächten als feindlicher Akt gedeutet worden wäre, während Sperrung der Meerengen auf eine Parteinahme für die Zentralmächte hinausgelaufen wäre, die die Entente im Zweifel als feindlich auffassen musste.
2. Von Russischer Seite bestand grundsätzliches Interesse sich mindestens an den Meerengen festzusetzen, ggf. weitere Teile des Osmanischen Reiches abzutrennen und in den russischen Einflussbereich zu bringen (Mittel konnten z.B. ein armenischer Klientelstaat in Ostanatolien sein oder eine Abtretung von Teilen Ostthrakiens und der Ostküste der Ägäis an Griechenland), ggf. auch den Westmächten ein solches Russisches Vorgehen durch Verteilung der arabischen Peripherie des Osmanischen Reiches oder Teilen davon schmackhaft zu machen.
3. Im Fall eines Sieges der Ententemächte, würde damit zu rechnen sein, dass Deutschland und Österreich-Unganr mindestens empfindlich geschwächt würden und dass ihnen Abrüstungsbestimmungen und Reparationsleistungen auferlegt werden würden, die sie zumindest für die Dauer einiger Jahre außer Stande setzen würde, sich erneut an einem größeren Krieg zu beteiligen.
4. Im Fall eines Sieges der Ententemächte konnte man als sicher annehmen, dass sich Frankreich von Deutschland Elsass-Lothringen nehmen würde. Wenn es das aber tat, steigerte es das Revanchepotential auf der deutschen Seite und musste sich gegen ein demographisch und wirtschaftlich wahrscheinlich noch immer überlegenes Deutschland weiterhin mit einem russischen Bündnis gegen Deutschland absichern, würde also gezwungen sein, sich den russischen Interessen nicht in den Weg zu stellen um nicht die eigenen Sicherheitsinteressen in the long run zu gefährden.
5. Die Briten würden zwar weniger abhängig von Russland sein, was ihre Sicherheitsinteressen betrifft und russischer Expansion im Bereich der Meerengen, wahrscheinlich kritisch gegenüberstehen, außerdem waren sie als potentieller Supporter einer anderen Großmacht in keinem Fall zu unterschätzen sie selbst besaßen aber kein Landheer, dass auf einen ausgewachsenen Krieg mit Russland, wenn dieses z.B. einen Einmarsch in Ostanatolien beginnen sollte, vorbereitet gewesen wäre.
Ein Szenario wie der Krimkrieg in den 1850er Jahren, wäre unter den technischen Bedingungen von 1914 und folgend wahrscheinlich nicht mehr möglich gewesen und im Krimkrieg selbst ging es historisch auch nur deswegen, weil sich die Briten darauf stützen konnte, dass die Franzosen den Großteil der Landtruppen stellten. Das würde sich aber kaum widerholen lassen, wenn Frankreich aus sicherheitspolitischen Gründen am Bündnis mit Russland würde festhalten müssen.
Wahrscheinlich wäre bei einer russischen Ausnutzung eines Sieges gegen die Zentralmächte in Form von Durchsetzung eigener Interessen gegen das Osmanische Reich auch den Briten also nichts anderes übrig geblieben, als es mit geballter Faust in der Tasche hinzunehmen.
Unterm Strich würde ich sagen:
Der einzige Weg es sicher zu vermeiden für die Russen ein window of opportunity aufzustoßen, was die Meerengenfrage und weitere Machtinteressen im Schwarzmeer-Raum angeht, bei dem wahrscheinlich sämtliche potentiellen Veto-Spieler enfallen würden, musste aus Sicht Konstantinopels im Juli/August 1914 eigentlich darin bestehen sich auf die Seite der Zentralmächte zu schlagen und zu einer Militärischen Niederlage wenigstens der Russen, besser der gesamten Koalition der Ententemächte beizutragen.
Strikte Neutralität aus Sicht der Kriegsparteien war wegen der Meerengenfrage ohnehin nicht möglich. Eine Öffnung der Meerengen, die die Entente begünstigte hätte wahrscheinlich negative Rückwirkungen vor allem in Berlin gehabt, und möglicherweise dazu geführt Berlin unabhängig vom Ausgang des Krieges darüber nachdenken zu lassen, sich vom Konzept der Erhaltung des Osmanischen Reiches zu trennen, weil es ein Zeichen für das Sinken des eigenen Einflusses und für den geringen strategischen Wert des Konzeptes gewesen wäre.
Eine Sperrung der Meerengen und damit effektives Abdrehen des russischen Nachschubs aus dem Westen hingegen, musste aus Sicht St. Petersburgs die Priorität der Meerengenfrage nochmals stärken und zu dem Bedürfnis führen dieses strategische Problem in jedem Falls bei erster sich bietenden Gelegenheit endgültig zu beseitigen.
Auch ein Anschluss des Osmanischen Reiches an die Ententemächte hätte die strategische Gefahr für Konstantinopel durch Russland nicht ausgeräumt, diese Interessen bestanden nun einmal. Hätte sich Konstantinopel dafür entschieden den Ententemächten zu helfen, hätte es im Vertrauen auf die Gutmütigkeit St. Petersburgs selbst dabei geholfen alle Veto-Spieler abzuräumen und sich in eine Situation zu begeben, in der es sehr wahrscheinlich den St. Petersburger Launen ausgeliefert gewesen wäre.
Das wäre sehr dumm gewesen.
Wie ich das sehe, befand sich bei dieser Konstellation Konstantinopel in einer Zwickmühle, die darauf hinauslief entweder schlecht vorbereitet in den Krieg zu gehen und irgendwie zusammen mit den Zentralmächten zu siegen oder aber im Zweifel vor der Situation zu stehen isoliert Russland gegenüber zu stehen und jeder noch so unmäßigen russischen Forderung nachgeben zu müssen.
Das einzige Szenario bei dem das Osmanische Reich ohne direkten Anschluss an die Zentralmächte glimpflich davon hätte kommen können, wäre ein Sieg der Ententemächte bei gleichzeitiger Niederlage Russlands gegenüber den Zentralmächten gewesen, wie sich das 1917/1918 ergab.
Damit konnte aber im Juli/August 1914 kaum gerechnet werden, zumal die Deutschen wahrnehmbar begannen ihr Glück im Westen gegen Frankreich zu versuchen und gerade nicht Russland als Gegner priorisierten, was eine Entscheidung zunächst im Westen wahrscheinlich und eine übermäßige Erschöpfung und Handlungsunfähigkeit Russlands im Osten unwahrscheinlich machen musste.