Bundesrat - Auswärtiger Ausschuss

andreassolar

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Der Bundesrat im Dt. Kaiserreich hatte u.a. einen Auswärtigen Ausschuss, wie ich vor einiger Zeit erfahren/lesen konnte. Literatur über diesen oder eine Veröffentlichung von Sitzungsprotokollen konnte ich bislang nicht finden. U.a. fand ich im Netz eine ganz kurze Notiz, der auswärtige Ausschuss wäre nie zusammen getreten. Hat einer von den Usern hier nähere Kenntnisse?

Der Bundesrat stand lt. 1871er-Verfassung über dem Reichstag, die übrigens kein Reichskanzleramt und Reichsministerien als Organ anführt. Der Reichskanzler konnte sich durch jedes Mitglied des Bundesrates via schriftlicher Substitution vertreten lassen...schau an.
 
Führt denn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ein Bundeskanzleramt als Organ an?

Reichsministeri gab es im Kaiserreich tatsächlich nicht, nur Staatssekretäre...
Im GG als Teil des Verfassungsorgans Bundesregierung: "Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern."
In der Verfassung 1871 kommt keine Reichsregierung als Verfassungsorgan vor.

Der Ausschuss im Bundesrat scheint tatsächlich vor dem WKI. kaum je getagt zu haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im GG als Teil des Verfassungsorgans Bundesregierung: "Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern."
In der Verfassung 1871 kommt keine Reichsregierung als Verfassungsorgan vor.

Siehe Artikel 15 und 18 der Reichsverfassung:

"Art. 15 Der Vorsitz im Bundesrathe und die Leitung der Geschäfte steht dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu ernennen ist.

Der Reichskanzler kann sich durch jedes andere Mitglied des Bundesrathes vermöge schriftlicher Substitution vertreten lassen."

"Art. 18 Der Kaiser ernennt die Reichsbeamten, läßt dieselben für das Reich vereidigen und verfügt erforderlichen Falles deren Entlassung.

Den zu einem Reichsamte berufenen Beamten eines Bundesstaates stehen, sofern nicht vor ihrem Eintritt in den Reichsdienst im Wege der Reichsgesetzgebung etwas Anderes bestimmt ist, dem Reiche gegenüber diejenigen Rechte zu, welche ihnen in ihrem Heimathslande aus ihrer dienstlichen Stellung zugestanden hatten."


Da ist zwar nicht explizit von einer Reichsregierung die Rede, aber vom Reichskanzler, dem "die Leitung der Geschäfte" zustehe.

Die in Artikel 18 erwähnten Reichsämter entsprechen z. T. den heutigen Ministerien.

Siehe dazu im verlinkten Verfassungstext die rosafarbenen Hinweise zu den eingerichteten Reichsämtern, inklusive Hinweis, dass das Außenministerium auch heute noch offiziell Auswärtiges Amt heißt:

"Als Reichsämter wurden errichtet:

I. Zentralverwaltung (d.h. Stellen, in deren Tätigkeit der Reichskanzler jederzeit einzugreifen befugt ist):
a) das Reichsamt des Innern (bis 1879 Reichskanzleramt, das 1871 aus dem, 1867 gegründeten Bundeskanzleramt hervor ging) mit den Reichskommissariaten, dem statistischen Amt, der Normal-Eichungskommission, Gesundheitsamt und einer besonderen Abteilung für wirtschaftliche Angelegenheiten unter einem Direktor;
b) das auswärtige Amt (seit 1871, auch heute noch Bezeichnung für das deutsche Außenministerium)
c) die Admiralität (seit 1872),
d) das Reichs-Postamt (1875 bis 1880: General-Postamt),
e) das Reichs-Justizamt (seit 1876),
f) das Reichsamt für die Verwaltung der Reichs-Eisenbahnen (seit 1879),
g) das Reichs-Eisenbahnamt (seit 1873),
h) das Reichs-Schatzamt (seit 1879),
i) das Reichsbank-Direktorium (seit 1875).

..."


Aber es ist sicher zutreffend, dass die Verfassung im Bereich der Reichsregierung sehr vage ist. Das hängt sicher auch mit dem betont föderalen Charakter des Reichs zusammen.

In der Verfassungswirklichkeit waren die Reichsregierung und im übrigen wohl auch der Reichstag dann deutlich wichtiger als ursprünglich in der Verfassung vorgesehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da ist zwar nicht explizit von einer Reichsregierung die Rede, aber vom Reichskanzler, dem "die Leitung der Geschäfte" zustehe.
Die Reichsregierung, der Reichskanzler ist halt kein eigenständiges Verfassungsorgan.
Der Bundesrat hatte eine weit größer reale Bedeutung in der Reichspolitik, wie heute kaum wahrgenommen.

Bismarck als MP von Preußen war zugleich der Vertreter Preußens im Bundesrat, mit einer Vetomehrheit von 17 Stimmen. Bismarck setzte sich also über den Bundesrat durch, nicht als Reichskanzler an sich.
 
Die Stellung des Bundesrates wird auch dadurch hervorgehoben, dass er per eigenem Beschluss und mit Zustimmung des Kaisers den Reichstag auflösen konnte. Ein anderes Vorgehen zur Auflösung gab es damals nicht.
 
Mein Ausgangspunkt war ursprünglich, anhand von edierten Kabinettsprotokollen gewisse internationale Ent- bzw. Verwicklungen vor dem WKI. auf Regierungsebene nachzuvollziehen. Im Russ. Reich gab es ein Regierungs-Kabinett, daher teils edierte Kabinettsprotokolle, in UK wie auch in Paris ebenso - nur das Dt. Kaiserreich hatte kein Regierungskabinett, soweit mir bisher bekannt. Es gibt also keine überlieferten Kabinettsprotokolle der 'Reichsregierung', weil die nicht als Kabinett fungiert, nicht als Kabinett zusammen trat.
Vom dann entdeckten Auswärtigen Ausschuss im Bundesrat hatte ich für die fraglichen Zeiten auf Protokolle gehofft. Das ist anscheinend eher nicht zu erwarten. Man schaun, was der Deuerlein-Band von 1955 bieten kann....
 
U.a. fand ich im Netz eine ganz kurze Notiz, der auswärtige Ausschuss wäre nie zusammen getreten.

Das ist definitiv falsch. Der Ausschuss trat insgesamt dreißigmal zusammen. Richtig ist, dass er nach den ersten Sitzungen, die 1871 stattfanden, für Jahrzehnte in einen Dornröschenschlaf verfiel, aus dem er nur zweimal für kurze Zeit erwachte. Das erste Mal, als Bismarck 1879 den Zweibund einfädelte, damit aber bei Kaiser Wilhelm I. auf erheblichen Widerstand stieß, so dass sich Bismarck veranlasst sah, zur Erreichung seiner Ziele jedes Mittel einzusetzen, das ihm zu Gebote stand. Das zweite Mal erst wieder 1900, nach der chinesischen Kriegserklärung (zwei Wochen vor der "Hunnenrede" Wilhelms II.)

Der bayerische Gesandte in Berlin, Hugo von Lerchenfeld-Köfering, schrieb anno 1905 wohl ganz treffend:

"Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten ist schon von seinem Vater - oder Stiefvater - dem Fürsten Bismarck, gleich nach der Geburt umgebracht worden. Du hast jedenfalls in den 'Denkwürdigkeiten' von Mittnacht gelesen, wie Bismarck von der Institution gedacht hat. Ganz tot hat Bismarck den Ausschuß allerdings nicht gemacht, aber zu einem kümmerlichen Leben verurteilt. Er hat ihn im Jahre 1897 selbst aus der Versenkung herausgeholt, weil es gerade paßte, dann aber wieder versenkt und seitdem ist er nur für die China-Angelegenheit wieder belebt worden, um dann wieder zu verschwinden." (Deuerlein, S. 126f)​
Tatsächlich fand kurz danach eine weitere Sitzung statt; Schwerpunkt dürfte die erste Marokkokrise gewesen sein. Ab 1908 trat der Ausschluss regelmäßig zusammen, zunächst einmal im Jahr (Ausnahme: 1914!), auf die Kriegsjahre 1915-1918 entfallen dann fünfzehn Sitzungen.
 
Das ist definitiv falsch.
Ja, im Zusammenhang mit der Daily Telegraph-Affäre tauchte der Auswärtige Ausschuss des Bundesrates in Literatur (Fehrenbach, Wandlungen, S. 150) auf, der dazu getagt hatte - und die allgemeine Kritik an KWII. teilte.

Tatsächlich fand kurz danach eine weitere Sitzung statt; Schwerpunkt dürfte die erste Marokkokrise gewesen sein. Ab 1908 trat der Ausschluss regelmäßig zusammen, zunächst einmal im Jahr (Ausnahme: 1914!)
Immerhin, mal schaun, was der Deuerlein bietet.
 
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